Aktuelle
Themen

Aktuelle
Themen

Kritik an Corona-Politik und rechte Gewalt

Schon zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 stand eine Frage warnend am Horizont: Können der Rechtsnationalismus im Gewand der AfD, der „Reichsbürger“ und anderer rechtsextremistischer Gruppierungen wie der „Dritte Weg“ von der Corona-Krise und den absehbaren Einschränkungen des öffentlichen Lebens profitieren? Schon bei den ersten Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen von Gruppen wie „Widerstand 2020“ und „Querdenken“ im Frühsommer 2020 wurde deutlich: Die Grenzen zwischen denen, die mit den Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen nicht einverstanden waren, und dem organisierten Rechtsextremismus sind fließend. Darum konnte es für mich keine Frage geben: Obwohl ich mit etlichen Maßnahmen der Corona-Politik nicht einverstanden war (und bin), werde ich eine klare Distanz zu allen Aktionen halten, die unter dem Deckmantel wie „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ und „Wir sind das Volk“ nach der Pfeife der Rechtsnationalisten tanzen. Zwei Sätze von „Querdenken 711“ haben mich alarmiert: „Rechtsextremes, linksextremes, faschistisches, menschenverachtendes Gedankengut hat in unserer Bewegung keinen Platz. Gleiches gilt für jede Art von Gewalt. … Wir sind überparteilich und schließen keine Meinung aus – nach Wiederherstellung des Grundgesetzes sind dafür wieder alle demokratischen Mittel vorhanden.“ Entlarvend hier die Formulierung „nach Wiederherstellung des Grundgesetzes“. Da wird das Narrativ bedient, als sei mit den Corona-Schutzmaßnahmen das Grundgesetz außer Kraft gesetzt worden bzw. als sei dies das Ziel der Pandemiebekämpfung. Damit soll der Zustand eines rechtsfreien Raums, in dem „Widerstand“ angesagt ist, markiert und der Anwendung von Gewalt Tür und Tor geöffnet werden. Kein Zweifel, wer durch diese Tore marschiert: Es sind die „Reichsbürger“, der „Dritte Weg“, „Widerstand 2020“ (inzwischen aufgelöst), „Freies Sachsen“ und natürlich die AfD – gefolgt von Menschen, die dem auf den Leim gehen und kein Problem haben, Trump zu huldigen und das russische und chinesische Polit-System schön zu reden. Wer seine Kritik an Corona-Schutzmaßnahmen in diesem Gebräu aufgehoben sieht und die Augen davor verschließt, dass und wie er instrumentalisiert wird, macht gemeinsame Sache mit Demokratiefeinden.

All das war eigentlich spätestens seit Mai 2020 offensichtlich. Doch das hat die stärkste Regierungspartei in Sachsen, die CDU, und mit ihr viele andere nicht daran gehindert, den gleichen Fehler wie 2015ff in Sachen Pegida zu machen: Sich von der Teilnahme „besorgter Bürgerinnen du Bürger“ an Protesten den Blick auf die politischen Drahtzieher verstellen zu lassen. Höhepunkt dieser Fehleinschätzung war der völlig missratene (Nicht-)Polizeieinsatz bei der Querdenken-Demo am 7. November 2020 in Leipzig (https://wolff-christian.de/der-schwarze-tag-von-leipzig-eine-nachlese-mit-guten-aussichten/). Spätestens da wurde deutlich, dass – ungeachtet der Vielen, die sich von den Rechtsnationalisten hinters Licht haben führen lassen – die Drahtzieher dieser Demonstration im rechtsradikalen Lager zu finden waren. Nur: In Sachsen hat die Politik immer noch so getan, als ginge es den Corona-Leugnern und Schwurblern um Grundrechte. Die Wahrheit aber ist: Sie verfolgen unter Zuhilfenahme der gezielten Umwertung der Werte die vom Chefideologen des organisierten Rechtsextremismus Götz Kubitscheck entwickelte „Strategie der Verharmlosung“. Man übernimmt den Wertekanon des Grundgesetzes, ernennt sich selbst zum „Volk“, besetzt Begriffe wie Freiheit und Demokratie, um Menschen zu fangen und zu überzeugen, und kehrt die Werte im richtigen Moment ins Gegenteil – ein im wahrsten Sinn des Wortes diabolisches Treiben. Wie 2015ff in der sog. Flüchtlingskrise sollen so Menschen gegen den freiheitlichen Staat in Stellung gebracht, Fakenews verbreitet und Sündenböcke benannt werden. Man beruft sich taktisch auf die Freiheitsrechte des Grundgesetzes, dessen Grundwerte man nicht zuletzt mit einem unverhohlenen Antisemitismus in braunen Dreck tritt, und reklamiert für sich ein Widerstandsrecht. Kein Wunder, dass mit dieser Strategie langsam und schleichend auch die Radikalisierung vorangetrieben wird: Da der Staat und seine Eliten, die Mainstreammedien und etablierten Institutionen angeblich die Diktatur befördern und sich daran durch Demonstrationen nichts ändert, muss der Übergang zum bewaffneten Kampf vorbereitet und organisiert werden. Das beginnt in Chatgruppen bei „Telegram“ und endet damit, dass sich der „Volkszorn“ als nackte Gewalt entlädt. Leider sind wir in manchen Regionen in eine Situation geraten, in der gewalttätige Einschüchterung von Pflegekräften, Ärzt*innen, Mandatsträger*innen, Kulturschaffenden, engagierten Bürger*innen real geworden ist.

Viel zu lange hat es gedauert, bis die Politik auf diese seit gut eineinhalb Jahren absehbare Entwicklung reagiert. Wieder hat die Politik den Fehler gemacht, dem Rechtsextremismus auf der Ebene zu begegnen, die er rein taktisch nutzt: die Corona-Krise. Mit verschärften Corona-Maßnahmen bis zur Impfpflicht wird man den hartgesottenen Rechtsextremisten aber nicht beikommen. Damit liefert man ihnen höchstens zusätzliches Futter. Viel wichtiger ist, ihre wahren Absichten zu durchschauen, zu benennen und zu bekämpfen. Nur so werden wir dem Rechtsextremismus und seinen unverhohlenen Gewaltdrohungen und Rechtszerstörung wirkungsvoll die Stirn bieten können. Das aber ist nicht allein Aufgabe von Regierungshandeln. Hier ist jeder Bürger, jede Bürgerin aufgerufen, sich klar zu positionieren, insbesondere auch diejenigen, die eine leitende Position in der Gesellschaft innehaben (und das beginnt spätestens bei der*dem Kita-Leiter*in) – und zwar unabhängig davon, ob jemand geimpft ist oder nicht, ob er sich für oder gegen eine Impfpflicht ausspricht, ob bestimmte Corona-Maßnahmen befürwortet werden oder nicht. Im Lichte dieser Klarheit kann dann auch der dringend notwendige politische Diskurs über die Corona-Schutzmaßnahmen offen und kontrovers ausgetragen werden.

______________________________________________________________

Nachtrag: Eine solche Haltung lässt mich ebenso klar Position ergreifen gegen eine Demonstration sog. Linker, bei der – wie am vergangenen Montagabend in Leipzig – mal eben die Fensterscheiben einer Moschee eingeschlagen werden. Das ist nur noch verwerflich. Es hat nichts, aber auch gar nichts zu tun mit einem angeblichen Protest gegen die Politik eines Autokraten wie Recep Tayyip Erdoğan. Oder soll Alltag werden, dass, weil ein Donald Trump eine Bibel in der Hand hält oder ein Priester des sexuellen Missbrauch beschuldigt wird, die Scheiben der Thomas- oder Nikolaikirche zertrümmert werden? Wer so agiert, zeigt nur, dass er nichts verstanden hat von Vielfalt, Toleranz und Religionsfreiheit. Dies zu wahren ist nur möglich, wenn ich die Ziele durch die Art meines Handelns nicht selbst zerstöre. Das aber setzt voraus, dass ich mir selbst über meine Werte Rechenschaft ablege und diese offen kommuniziere. Da scheint aber bei etlichen ein riesiges Defizit zu bestehen.

7 Antworten

  1. Lieber Herr Wolff,

    herzlichen Dank für den Hinweis auf die Leipziger Erklärung “Ihr seid nicht das Volk“. Das Dokument umgehend zu unterschreiben, war mir ein Bedürfnis. Man fragt sich ja tagtäglich, was man als Einzelner gegen die immer weiter um sich greifende, an Dummheit grenzende Borniertheit der Dauerprotestierer gegen die Corona-Maßnahmen unternehmen kann.

    Es ist klar, Rechtsextreme versuchen die Proteste auf der Straße für ihre Zwecke auszunutzen, und es ist zweifellos verdienstvoll, immer wieder auf diesen Punkt hinzuweisen. Nach wie vor bin ich aber nicht davon überzeugt, dass damit das Kernproblem, das wir mit der Protestbewegung haben, berührt wird. Rechtsextremismus verbindet sich bei mir mit dem Ruf nach autoritärer Macht verbunden mit völkischem Gedöns. Kaum etwas davon dominiert z. Z. auf unseren Straßen. Eher das Gegenteil. In einem interessanten Beitrag in der FAZ vom Wochenende („Das banale Nichts“) beschreibt Claus Leggewie (Uni Gießen) das Phänomen als Ausdruck politischen Nihilismus, als Verselbständigung antiautoritärer Reflexe, die in einem „Sammelsurium egomaner Freiheitsrhetorik“ ihren Niederschlag finden. Es bedeutet die Absage an etablierte Werte, die alle Autoritäten negiert (außer die Scharlatane der Szene), keiner Institution (außer der eigenen Filterblase) vertraut und keine Repräsentation zulässt, außer die Klagemauer der angeblich unterdrückten Minderheit (frei zitiert nach C. L.). Ich fände es interessanter, sich stärker den Ursachen derartiger Fehlentwicklungen zu widmen. Die Frage, warum die Geringschätzung gesamtgesellschaftlicher Belange, warum das Misstrauen gegenüber jeglicher Staatlichkeit derartig zunimmt, ist sicherlich einer genaueren Betrachtung wert und hat m. E. wenig mit Rechtsextremismus zu tun. An diese Stelle passt wieder das von mir oft angebrachte Thatcher-Zitat „There’s No Such Thing as Society“, das vielleicht die Richtung weist, in der sinnvollerweise gedacht werden sollte.

    Beste Grüße,

    Johannes Lerchner

    1. Mit „There’s No Such Thing as Society“ gehe ich in Ihren Kommentar absolut konform. Es ist der naheliegendste Gedanke bei dieser Art von „Symptomen“. Bereits Marcel Fratzscher beschrieb in seinem Buch „Die neue Aufklärung“ 2020 nach der ersten Welle, wie die Coronapandemie die Widersprüche unseres Handelns aufzeigt, was wir daraus gelernt haben, und wie die Welt und wir ALS GESELLSCHAFT aus der Pandemie herauskommen. Die Blaupausen liegen also vor. Man muss sie nur umsetzen.

  2. Zum zweiten Mal Weihnachten unter Pandemie-Bedingungen. Mein Eindruck: dieses Mal ist es bedrückender, gefährlicher, aggressiver.
    Gewaltbereite Rechte konnten (weite) Teile der Protestbewegung gegen Corona-Maßnahmen okkupieren; die unsägliche AfD und noch radikalere Gruppierungen profitieren, indem sie sich als „freiheitsliebend“ und „Grundrechte-Schützer“ gerieren. Tatsächlich befeuern sie aber Hass und Hetze, lassen gefährlichste Rituale wieder aufleben, träumen und fantasieren vom „System-Umsturz“. Damit sollten wir alle uns intensiv auseinandersetzen, auch und gerade wenn die Pandemie wieder abflaut… Und gerade in Sachsen müssen wir uns vor der nächsten Wahl fragen, ob wir weiter eine Regierung wollen, die lieber redet statt handelt, eher wegsieht als klare Einsatzkonzepte entwickelt, auf andere zeigt statt sich selbstkritisch Gedanken zu machen.
    Handwerkliche Fehler werden auch nach bald 24 Monaten Pandemie nicht abgestellt: Wo bleibt der digitale Impfausweis, das zentrale Impfregister, das digitale Ein- und Ausbuchen bei Veranstaltungen in Innenräumen, das niedrigschwellige, wohnort-nahe Impfangebot, die zentrale Terminbuchung für Impfungen, die Anerkennung der Arbeit und des Engagements der „systemrelevanten“ Dienstleister…? Wann schaffen wir eine konsistente, positive Kommunikation in der Pandemie (Schlechtreden/Hochpushen von Impfstoffherstellern, Impfpflicht, Pandemie der Ungeimpften, Spaltung der Gesellschaft, Ausgrenzung von Minderheiten…)?
    Am traurigsten für mich persönlich: die Fälle im Familien- und Freundeskreis, bei denen eine Verständigung über Aspekte der Pandemie-Bekämpfung ohne Verletzung des Anderen zunehmend schwierig ist. Ich selbst schaffe es mittlerweile nicht mehr, unwidersprochen zu akzeptieren, dass sich jemand ohne zwingenden Grund nicht impfen lassen will. Langjährige Freundschaften sind abgekühlt, weil wir uns über die Notwendigkeit, Auswüchse des „Querdenkens“ zu bekämpfen, nicht einigen können…. Meine Frau und ich werden daher erstmals Weihnachten alleine zu Hause feiern.
    Und zum „Nachtrag“ von Christian Wolff: ich kann nicht beurteilen, ob „Linke“ oder „Rechte“ randalierend durch die Eisenbahnstraße und angrenzende Gebiete marschierten und die Scheiben einer Moschee demolierten; die dabei erneut zur Schau gestellte „ACAB-Mentalität“ ist einfach nur widerlich und spiegelt die besonnene Einsatz-Taktik der Polizeikräfte in den letzten Monaten in Leipzig in keinster Weise wider!
    Allen Mit-Bloggern und Lesern des Blogs ein gesundes, fröhliches und gesegnetes Fest und einen guten Start in 2022.

  3. „Man übernimmt den Wertekanon des Grundgesetzes, ernennt sich selbst zum „Volk“, besetzt Begriffe wie Freiheit und Demokratie, um Menschen zu fangen und zu überzeugen, und kehrt die Werte im richtigen Moment ins Gegenteil – ein im wahrsten Sinn des Wortes diabolisches Treiben.“

    Wolfgang Schäuble appellierte deshalb in seiner Abschiedsrede im deutschen Bundestag an alle Abgeordneten, in ihren Entscheidungen den Wert der parlamentarischen Demokratie prioritär zu behandeln: „Wer Ziele und Mittel absolut setzt, bringt sie gegen die Demokratie in Stellung.“ https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden#url=L3BhcmxhbWVudC9wcmFlc2lkaXVtL3JlZGVuLzIwMjEvMjAyMTEwMjYtODY2MjU0&mod=mod462012

  4. JA, im Prinzip haben Sie recht. Aber eben nur im Prinzip.
    Nein, und doch gibt es ein gravierendes Problem: ich habe nicht vor, mich impfen zu lassen. Ich habe nicht vor, dies zu begründen. Denn jeder Grund, wird von den Befürwörtern dieser Impfung weggefegt. „Nenne mir einen einzigen Grund, warum Du Dich nicht impfen läßt“, sagt ein guter Freund, ja, ein guter Freund. Meine Antwort: Es ist ganz einfach, ich habe keinen Grund! Selbst wenn mir so viele Menschen, auch der Freund, mangelhafte Solidarität vorhält.
    Nun bin ich fast automatisch „Impfgegner“! Weitere Affirmationen kann ich mir sparen. Und gehöre zu den, wie auch immer sie benannt werden, Querdenkern usw. Ich habe schon einen großen Teil meines Lebens „quer“ gedacht habe. Wozu ein Auto? Wozu fernsehen? Wozu Bio-Kost? Wozu Atomkraftwerke? Wozu Militär? Wozu Waffenlieferungen überhaupt, egal an wen? Wozu mitmachen, was viele machen? Immer ging ich meinen manchmal einsamen Weg.
    Aus tiefem Glauben handelnd sage ich mit Paulus: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.1. Korinther 13,13.
    Genau das aber vermisse ich unter all den angstmachenden Veröffentlichungen, wo auch immer.
    Und nicht nur die plakativen „Anordnungen“ sind es: Abstand halten, 2G, 2G+, und die unsägliche Steigerung bis zur Impfplicht, die trennen.

    1. Lieber Harald, nach nunmehr 3.500 Aufklärungsgesprächen als Impfarzt würde ich Ihnen gern ein paar Gründe FÜR die Impfung nennen, vielleicht verschwinden dann sogar einige Ihrer Gründe GEGEN die Impfung. Jeder von uns wird in Kontakt mit dem Virus kommen – mit Glaube, Liebe und Hoffnung allein werden Sie dann womöglich nichts ausrichten. Gern können Sie mich unter dknauft@amarcord.de kontaktieren.
      Uns alle eint wohl die Sehnsucht nach (alter oder neuer) Normalität. Dann sollte unser Handeln und Unterlassen uns aber auch dem Ende dieser Misere näher bringen und nicht davon entfernen. Lassen Sie uns gemeinsam den Weg aus diesem Jammertal finden, mit Anstand, Würde und Zuversicht. Und für alles, was unsere Kräfte und Sinne übersteigt, das Gottvertrauen nicht verlieren.
      Ein gesegnetes Weihnachtsfest,
      Daniel Knauft

  5. Ich habe mich jetzt interessehalber bei dem inkriminierten Messenger-Dienst Telegram angemeldet. Dort kann jedermann Einblick in die Gruppen wie „Freies Sachsen“ nehmen ohne dort beitreten zu müssen. Es ist beschämend, wenn ZDF-Journalisten dort verdeckt in Chatgruppen recherchieren und Mordaufrufe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten dokumentieren, während die Polizei auf diesen Erkenntnissen fußend Razzien durchführt. Hier versagt der Staat. Hilflos auch, dass das Bundesamt für Justiz nicht einmal sagen kann, ob die schriftliche Androhung vom 28. 4. 21 eines Bußgelds von 50 Mio € gegenüber Telegram in Dubai überhaupt zugestellt wurde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert