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Leipziger Erklärung „Ihr seid nicht das Volk!“

Namhafte Vertreterinnen und Vertreter der Leipziger Zivilgesellschaft haben die provozierenden und meist lauthals aggressiven „Spaziergänge“ verurteilt, mit denen seit geraumer Zeit kleine Gruppen in vielen Städten und Regionen Deutschlands gegen Entscheidungen der Corona-Politik protestieren. Es sei absurd und anmaßend, wenn sich die Demonstrierenden als „wahre Verfechter von Demokratie und Freiheitsrechten“ darstellten, heißt es in der Erklärung, die die Stiftung Friedliche Revolution am Freitag in der Messestadt veröffentlicht hat. Hier der Wortlaut der Erklärung:
https://wolff-christian.de/wp-content/uploads/2021/12/Leipziger-Erklaerung.pdf

Die „Leipziger Erklärung“ ist u.a. von der früheren Europa-Abgeordneten Gisela Kallenbach, vom Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution sowie mehr als 50 weiteren Persönlichkeiten erstunterzeichnet, darunter auch vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung. Die Erklärung kann auf der Homepage der Stiftung Friedliche Revolution unterzeichnet werden: https://www.stiftung-fr.de/unterschriften. Dazu rufen hiermit auf.

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29 Antworten

  1. Wie sehr man doch irren kann!
    Eine friedliche Spaziergängerin in Schweinfurt hat mir das mit ihrem vierjährigen Kind wieder einmal vor Augen geführt!
    Ich niederträchtiger Ausgrenzer, Verteidiger staatlicher Willkür und Demokratie-Gefährder hätte vielleicht sonst gegen den friedlichen Protest dort geschrieben…
    Die mutige Mutter in Schweinfurt hat mir aber Gott sei Dank rechtzeitig die Augen geöffnet:
    wie es verschiedene Blogger hier bereits beschrieben haben, waren es wohl wieder die übergriffigen Polizist*innen, die das arme Kind mit Pfefferspray attackierten, bloß weil seine friedliebende Mutter hinter den Polizei-Linien ihren Abendspaziergang fortsetzen wollte. Bestimmt hatten die bösen Polizist*innen auch nicht mit Lautsprecherdurchsagen im Vorfeld auf mögliche Konsequenzen hingewiesen….
    Wie gut, dass Kinderrechte (noch) nicht im GG verankert sind; so ist klar, dass nur die „Spaziergänger*innen“ aufrechte Kämpfer*innen für Demokratie und die Einhaltung der Grundrechte sind!

  2. Inzwischen beteiligt sich auch die sächsische Staatsregierung an der Agitation gegen andersdenkende Minderheiten: Auf der offiziellen Webseite steht, dass die Kulturministerin „Proteste gegen die Corona-Maßnahmen VERURTEILT“: https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1033924. Dass eine Regierung friedlichen Protest von Minderheiten an der Regierungspolitik verurteilt, ist neu in der Geschichte der Bundesrepublik und sollte unsere Alarmglocken schrillen lassen. Solche antidemokratischen Aktionen hätte man von der AfD oder anderen Extremisten erwartet, aber nun kommt so etwas sogar von der Regierung. In einer Demokratie ist Regierungskritik aber nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht, weil man ohne Meinungsvielfalt keine guten Entscheidungen treffen kann. Was passiert hier gerade mit unserem Land? Offenbar vernebelt die Angst vor dem Virus immer noch das Denken der Menschen und lässt uns vor lauter „Solidarität“ und „Menschlichkeit“ die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft vergessen. Die Regierung scheint immer mehr in Panik zu geraten, weil sie merkt, dass ihre Maßnahmen nicht wirken und dass ihnen die Virologen keinen Ausweg aus der permanenten Lockdown-Krise weisen können. Umso wichtiger wäre es, alternativen Stimmen Platz zu geben, und umso dringender wäre es, Menschen wie Christian Wolff zu hören, die aus guten Gründen die 2G-Diskriminierung strikt ablehnen. Wir wollen alle Solidarität und Menschlichkeit, aber wir brauchen unbedingt eine breitere Basis für die Diskussion.

  3. Sehr geehrter Herr Haspelmath,

    in manchem haben Sie sicherlich recht. Demonstrationen sollten nicht verboten werden, nur weil diese sich gegen die staatliche Corona-Politik wenden. Die Einlassungen des Berliner Senators Geisel, Regierungsgegnern „keine Bühne zu geben“, sind folglich zu verurteilen. Die Gefahr, dass friedliche Demonstrationen von Extremisten und Gewaltbereiten unterwandert werden, darf kein Kriterium für eine Genehmigung der Protestaktionen sein. Weiterhin sehe ich ein, dass Altruismus nicht von oben verordnet werden kann. Eine Gesellschaft, in der Altruismus einen hohen Stellenwert hat, ist aber wahrscheinlich die stabilere. Das hat wohl auch die soziale und kulturelle Evolution der Menschheit gezeigt (ich erinnere an die Diskussion über die Existenz eines „Altruismus-Gens“). Dass Gesellschaft nur der verrechtlichte Rahmen für das Ausleben von Egoismus sein soll, halte ich für etwas armselig.

    Wenn ich die Leipziger Erklärung “Ihr seid nicht das Volk“ unterschrieben habe, dann deshalb, weil ich die Zielstellungen der kritisierten Demonstrationen i. a. als gesellschaftlich ausgesprochen schädlich halte. Aus meiner Sicht werden von der maßgeblichen Klientel der Protestbewegung in hohem Maße falsche und irreführende Fakten zur Pandemie verbreitet, die deren effektive Bekämpfung behindern. Damit spreche ich mich nicht für ein generelles Verbot der Protestaktionen aus (die Leipziger Erklärung habe ich auch gar nicht so verstanden), sondern möchte, dass sich mehr Stimmen gegen all diese Versuche der Volksverdummung wenden.

    Ich finde den Protestrummel ziemlich beeindruckend. Gegenwärtig wird von der Protestklientel die Anti-Impfpropaganda forciert. Zunehmend wird das Impfen mit den neuen mRNA-Präparaten in die Nähe von Gentherapie gerückt, um die Bevölkerung zu verängstigen. Der jüngste Auftritt einer bekannten Kabarettistin mit ihren unsachlichen Äußerungen zu „Impftoten“ fand natürlich Beifall in der Szene. Ein Highlight ist derzeit der von über dreihundert Medizinern unterzeichnete Offene Brief an die Abgeordneten des Bundestages und den Bundeskanzler (https://www.nachdenkseiten.de/wp-content/uploads/2021/12/211220-2021-12-13-OffenerBrief-zur-COVID-Impfung.pdf ), in dem der Nutzen der Impfungen gegen COVID-19 nahezu komplett in Abrede gestellt wird. Die Fadenscheinigkeit der Argumentation kann jeder halbwegs gebildete Naturwissenschaftler durchschauen. Nicht jedes publizierte Dokument ist aber so dürftig. Die Szene rüstet intellektuell auf (s. z. B. https://multipolar-magazin.de). Deshalb wünschte ich mir eine offensivere Auseinandersetzung und weniger Ignoranz gegenüber den Argumentationen aus der Corona-Protestszene. Wie gesagt, das Abarbeiten an Nebenaspekten halte ich für wenig produktiv. Die heißen Debatten mit den sog. „Klima-Leugnern“ seinerzeit könnten Vorbild sein.

    Beste Grüße,

    Johannes Lerchner

    1. Vielen Dank, Herr Lerchner, dass Sie auf meine Kritik eingehen und bestätigen, dass die Aussagen von Andreas Geisel gegen die Demonstrationen zu verurteilen sind. Aber leider ist Herr Geisel weiterhin Mitglied des Berliner Senats, und es gibt kaum vernehmbare Stimmen, die sich für freies Demonstrieren und offene Diskussionen einsetzen. In Ihrem Beitrag zitieren Sie Gründe gegen die Impfskeptiker (von denen ich die meisten für richtig halte), aber darum geht es in der „Leipziger Erklärung“ ja nicht – es geht um die Form der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Wenn Sie die Erklärung unterschrieben haben, weil Sie FÜR die Regierungspolitik sind, haben Sie etwas nicht verstanden: Dass es nämlich erlaubt ist, anders zu denken und GEGEN die Regierungspolitik zu sein. In den letzten zwei Jahren ist aber in weiten Teilen der Gesellschaft die Toleranz für Minderheiten verlorengegangen: Als Ungeimpfter und als Maßnahmengegener muss man jetzt erleben, dass es „ungemütlich“ wird, und dass man ausgegrenzt und an den Rand gedrängt wird. Dabei haben wir uns doch bis 2019 immer für die Marginalisierten eingesetzt: für Geflüchtete, für Migrant:innen, für Transmenschen, für Behinderte, und sogar für Lebensmüde, denen nun der Suizid erlaubt wird. Am wichtigsten wäre gegenwärtig, dass wir eine offene Diskussion über Lockdowns und Verbote bekommen, denn all die Verbote (Kontaktverbote, Reiseverbote, Besuchsverbote bei Kranken und Alten, Schulverbote wie jetzt wieder in Thüringen, Konzert- und Kino-Verbote, Stadionverbote, Weihnachtsmarktverbote) sind offenbar völlig sinnlos. Sie machen das Leben der Menschen sehr traurig, haben aber offenbar keine messbare Wirkung auf das Virus (oder übersehe ich da etwas?).

  4. Dieser „Disput“ scheint sich mir aus dem „Nichterkennen“, können oder wollen, zu „speisen“, das es in der Verfassung 2 „konkurriernde“ Regelungen gibt. Da ist zum einen die körperliche Unversehrtheit und zum anderen die Freiheit „geregelt“.

    1. @ Rolf Rennert: Ja, viele Leute kennen das Grundgesetz nicht und meinen, dass es den Menschen Gesundheit garantiert. Aber „körperliche Unversehrtheit“ bedeutet, dass dem Staat Körperstrafen und medizinische Eingriffe nicht erlaubt sind. Gesundheit als solche ist von Gott gegeben (so hat man es früher jedenfalls immer gesehen), und der Staat hat damit so wenig zu tun wie mit Geburt und Tod. Es gibt kein Grundrecht auf Leben, kein Grundrecht auf Kinder, und kein Grundrecht auf Glück und Frieden. Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber einem übergriffigen Staat, das wird heute oft vergessen.

      1. @Martin Haspelmath: „Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber einem übergriffigen Staat, das wird heute oft vergessen.“
        ________________________________________________________________

        Hauptsächlich ja, doch unter Umständen räumen die Grundrechte auch Ansprüche der Bürger gegenüber dem Staat auf staatliches Handeln und staatliche Leistungen ein
        Beispiele: Art. 6 IV GG (Anspruch der Mütter auf Fürsorge und Schutz); Art. 12 I 1
        GG (Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium); Art. 19 IV GG (Rechts-
        schutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt); Art. 1 I GG iVm. dem Sozialstaats-
        prinzip (Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

        Schließlich kennt das Grundgesetz als Grundrechte, die die Bürger wahrnehmen können, auch das aktive Sicheinbringen in den Staat, z. B. durch aktives und passives Wahlrecht – Art. 38 I 1, II GG

  5. @M. Haspelmath: Sie adressieren „normale Menschen, die friedlich gegen die staatlichen Maßnahmen demonstrieren wollen“; sie fordern, dass die „Polizei die wenigen Gewalttäter isolieren und den normalen Protestierern ihr demokratisches Recht garantieren müsste“.
    Haben Sie einmal in Erwägung gezogen, dass diese „normalen“ Menschen auch eine gewisse Verantwortung haben, darauf zu achten, mit WEM sie da marschieren? Und ist es nicht vielleicht sehr einfach, wenn Sie schreiben „ich weiß kaum etwas über diese Gruppen“, gleichzeitig aber behaupten, dass die Leipziger Erklärung „deren demokratische Möglichkeiten einschränken möchte, nur weil es ein paar Rechtsradikale gibt“?
    Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass in Sachsen derzeit keine An- und Versammlungen gestattet sind, was sich vornehmlich rechtsradikale Gruppierungen zu Nutzen machen und immer wieder zur „Grauzone“ der Spaziergänge aufrufen? Ohne Ihnen persönlich rechtsgerichtetes Denken unterstellen zu wollen, machen Sie sich mit Ihrer Argumentation und Ihren Aktionen doch zu deren (unfreiwilligen) Helfern.
    Und wenn Sie sich die Leipziger Erklärung dann noch einmal ruhig und vorurteilsfrei durchlesen, erkennen Sie möglicherweise, dass es sich dabei keineswegs um einen derart „demokratiefernen Text“ handelt, wie Sie es nun mehrfach behauptet haben!

    1. Ja, natürlich hat man eine Verantwortung, darauf zu achten, mit wem man demonstriert, und deshalb haben sich viele Anti-Lockdown-Demos seit letztem Sommer immer wieder von extremistischen Gruppen und Meinungen distanziert. Das hat aber nicht geholfen, weil dann gesundheitspolitisch argumentiert wurde und die Demos trotzdem verboten wurden. (So ist ja wohl auch das aktuelle Verbot von Demos begründet, obwohl alle wissen, dass man sich unter freiem Himmel kaum infizieren kann.) Offenbar waren diese Anti-Lockdown-Demos einfach missliebig, und der Berliner Senator Geisel hat das ja im August 2020 direkt so ausgedrückt: er wolle den Regierungsgegnern „keine Bühne“ geben. Wenn Demonstrationen aus fadenscheinigen Gründen nicht erlaubt werden, ist das ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, und ich halte es für legitim, in solchen Situationen friedliche „Spaziergänge“ zu machen, um gegen die unbegründeten Grundrechtseingriffe zu protestieren. Ja, durch diese Argumentation mache ich mich zum „Helfer“ von Protestierenden (egal, wie sie motiviert sind), aber das sollten wir doch alle tun, denn Protestieren ist unser gutes Recht in einer Demokratie! Und dieses allgemeine Recht sollten wir verteidigen, denn „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, wie die große Rosa Luxemburg einmal sagte. Ich finde es sehr traurig, dass die zentrale Frage unserer Zeit – ob man mit Verboten von menschlichem Miteinander die Gesundheit fördert – fast nicht mehr in sachlicher Weise verhandelt werden kann. Warum gibt es nicht mehr Grüne, Linke, Sozialdemokraten und Christdemokraten, die die herrschende Lockdown-Ideologie zumindest in Frage stellen? Warum fragt nimand nach wissenschaftlicher Evidenz für die Lockdowns? Warum gibt es keine Parteikongresse oder Debatten unter Intellektuellen dazu? Soweit ich sehen, spricht nur wenig dafür, dass Verbote gegen das Virus helfen – die Wellen kommen und gehen, ohne dass man viel machen könnte.

      1. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn jemand, den ich als Intellektuellen einstufe, beklagt, dass es „keine … Debatten unter Intellektuellen“ zum Thema „Lockdown“ geben würde, oder behauptet, dass „niemand nach wissenschaftlicher Evidenz für die Lockdowns (fragt)“, obwohl zumindest er selbst es als Wissenschaftler offensichtlich tut. Fehlt eigentlich nur noch die Bemerkung, dass man ja nicht mehr seine Meinung sagen dürfe … . Ebenso scheint Herrn Haspelmath, ein ausgewiesener Wissenschaftler und Intellektueller, jegliches Differenzierungsvermögen abhanden gekommen sein, wenn er das Demonstrationsgeschehen der vergangenen Wochen pauschal und abstrakt bewertet und zum Beispiel völlig ausblendet, was es bedeutet, wenn „Spaziergänger“ eine Drohkulisse vor den Privatwohnsitzen von Politiker*innen inszenieren. Als jemand, der unzählige Demonstrationen angemeldet und geleitet hat, weiß ich, dass man sich auch in der freiheitlichen Demokratie an Regeln zu halten. Dass es über diese Regeln zu Diskussionen und Streit kommen kann, ist eine Realität. Ebenso, dass ein Streit auch zu einer gerichtlichen Überprüfung dieser oder jener Maßnahme kommt. Nur daraus abzuleiten, dass dieser Streit ein Indiz dafür ist, dass es keine Demokratie mehr gebe, ist ziemlich absurd. So wie Herr Haspelmath kann nur jemand schreiben, der offensichtlich nur vom Schreibtisch aus die Lage beurteilt. Das allerdings ist ein bisschen zu wenig, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Christian Wolff

        1. Danke, Herr Wolff, dass Sie wieder antworten (obwohl mir Ihr Ton nicht gefällt). „Demonstrationen“ vor Privatwohnungen von Politikern sind völlig unakzeptabel, und es müsste ein spezielles Verbot dafür geben – so etwas ist wirklich eine Art Terror. Aber es geht in diesem „Leipziger Aufruf“ ja um „Spaziergänge“ im Stadtzentrum von normalen Menschen, denen vorgeworfen wird, sich nicht genügend abzugrenzen. Aber die Abgrenzung ist in einer Demokratie ja gerade die Aufgabe der Polizei. Wenn man Demos verbieten kann, weil sie vielleicht „unterwandert“ werden könnten (wie am 18.12. in Berlin geschehen), dann gibt es bald überhaupt keine Demonstrationen mehr, denn zu jedem Thema könnte es eine militante Gruppe geben, die mit Unterwanderung droht (auch in der Klimabewegung gibt es ja schon Extremisten, die Menschenleben bedrohen). Unsere Friedensdemos in den 1980er Jahren waren alle von den Demokratiefeinden der DKP „unterwandert“, aber wir durften trotzdem demonstrieren. Das muss auch heute noch möglich sein, denn unser Grundgesetz gilt ja weiterhin in derselben Weise. (Und zum Thema Lockdown und Meinungsspektrum: Ja, auf diesem Blog kann ich sagen, dass ich Lockdowns aus wissenschaftlicher Sicht für weitgehend unwirksam halte, aber es gab keine größeren Debatten darüber in unseren Medien, oder an unseren Universitäten. Das war ein schlimmes Versagen der ganzen Gesellschaft, und diese Debatten werden hoffentlich bald nachgeholt werden. Dann wird man auch fragen müssen, wie es zu dieser gefährlichen Verengung des öffentlichen Meinungsspektrums kam.)

  6. „Hass und Häme“ klingt schlimm, aber worin besteht genau der Vorwurf? Volksverhetzung ist natürlich verboten (§130 StGB), aber eine Demokratie braucht deutliche Kritik an der Regierung, die auch scharf und spöttisch formuliert sein darf. „Majestätsbeleidigung“ ist ein vordemokratischer Tatbestand, aber in freien Ländern darf man sogar ausländische Präsidenten verletzend beleidigen (wie wie bei Böhmermann und Erdogan gesehen haben). Der Text klingt empört, aber in einer Demokratie muss man die abweichenden Meinungen von Minderheiten aushalten, und man muss ihnen ermöglichen, friedlich gegen die Regierung zu demonstrieren. Die Polizei müsste die wenigen Gewalttäter isolieren und den normalen Protestierern ihr demokratisches Recht garantieren. Warum sagt dieser Text nichts davon? Er sollte zurückgenommen werden, denn die großen Verdienste der Bürgerrechtler:innen um die Demokratie werden dadurch beschädigt.

    1. „Die Polizei müsste die wenigen Gewalttäter isolieren und den normalen Protestierern ihr demokratisches Recht garantieren. Warum sagt dieser Text nichts davon?
      ===============================================================

      Selbstverständlich ergibt sich aus dem Text, der von namhaften DDR-Bürgerrrechtlerinnen wie Gesine Oltmanns mit erstunterzeichnet wurde, dass friedliche Proteste legitim sind:

      „Wir erwarten in diesem Zusammenhang von Polizei und staatlichen Organen,
      im Sinne des Schutzes der Grundrechte alle rechtswidrigen Aktivitäten in
      vollem Umfang und unmissverständlich zu unterbinden.“

  7. Ich oute mich als Fan von Erich Kästner. Sein Rat: „Was immer auch geschieht, nie darfst Du so tief sinken, den Kakao, durch den man Dich zieht, auch noch zu trinken“ hat mich immer begleitet und ist mir bei den Einlassungen von M. Haspelmath wieder einmal in den Sinn gekommen.
    Er will wissen, wer den Text der „Leipziger Erklärung“ verfasst hat und fordert, diesen schnell zurückzuziehen!
    Nun weiss ich zwar nicht, wer der (oder die) Verfasser*in(nen) war(en), nehme aber stark an, dass alle 50 Erstunterzeichner*innen diesen Text zunächst gründlich gelesen, verstanden und befürwortet haben. So habe ich es zumindest vor meiner Unterschrift gehalten und vermutlich auch alle, zumindest die meisten der mittlerweile mehr als 500 anderen Unterstützer*innen.
    Es mag unterschiedliche Einschätzungen geben, wie groß der Bedarf von z.B. Gisela Kallenbach, Monika Lazar, Irena Rudolph-Kokot, Britta Taddiken, Burkhard Jung, Sebastian Krumbiegel, oder Christian Wolff ist in Sachen Nachhilfe beim Demokratieverständnis; Herr Haspelmath erklärt ihnen aber sicher gerne jenseits der „öffentlichen (und leider ziemlich regierungsnahen) Medien“, wer denn nun die „wahren Verfechter der Demokratie“ sind, die sich allein „für die traditionellen Werte von Pluralität und Meinungsvielfalt“ einsetzen!
    Und Herr Thiel kann ihn dabei tatkräftig unterstützen, kennt er doch aus eigener Erfahrung die Ängste vor der Übergriffigkeit junger Polizist*innen gegenüber friedliebenden „Spaziergänger*innen“, weil diese Polizist*innen nur noch „gehorchen und den eigenen Verstand ausgeschaltet lassen müssen“….

    Es packt mich nacktes Entsetzen, wie weit es Rechtsradikalen im Zuge der Verrohung der Sprache und des Anstands durch die AfD mittlerweile gelungen ist, ihr krudes Gedankengut und ihren Antisemitismus „salonfähig“ zu machen: da wird „Kauft nicht bei Ungeimpften“ auf Fensterscheiben geschmiert und der Davidstern mit dem Wort „Ungeimpft“ als Aufnäher zur Schau gestellt, wird „Wir sind das Volk“ gebrüllt und mit Fackeln vor das Haus von Frau Köpping gezogen, es wird ein Tankstellenmitarbeiter ermordet und ein Polizist von besoffenen Partygästen eingekesselt und zusammengeschlagen, nur weil sie Corona-Schutzmaßnahmen durchsetzen wollten!

    Aber statt darüber zu streiten, regen wir uns dann doch lieber auf dem heimischen Sofa über die „Ausgrenzung“ friedlicher Spaziergänger auf, die sich gegen einen übergriffigen Staat wehren wollen!
    Deutschland im Dezember 2021!?!?

  8. Dieser Text ist leider nicht vom Geist der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit erfüllt (die ja auch von verängstigten Gerichten beschädigt werden kann), sondern beschränkt sich darauf, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zurechtzuweisen und auf autoritäre Maßnahmen zu setzen („alle rechtswidrigen Aktivitäten in vollem Umfang und unmissverständlich zu unterbinden“). Aber am schlimmsten ist es, dass Gesundheitsschutz mit freiheitlicher Demokratie verwechselt wird (Gesundheitsschutz gab es in der DDR ja auch, und besonders vorbildlich ist Xi Jinpings China!): „Es braucht es ein klares Bekenntnis zu verantwortlichem Handeln zum Schutz von Leben; die freiheitliche Demokratie verwehrt egoistisches…Agieren“. Das ist leider ganz falsch, denn unsere freiheitliche Grundordnung ermöglicht es ja gerade, den natürlichen Egoismus der Menschen nicht von oben herab einzuschränken, sondern nur so weit, wie die Rechte der anderen nicht eingeschränkt werden. Am Versuch, einen „neuen“ altruistischen Menschen zu schaffen, ist ja das sozialistische System gescheitert, und daran werden alle Systeme scheitern. Altruismus und verantwortlicher Lebensschutz sind noble Ziele (an die wir uns selbst halten sollten), aber man kann sie in einer demokratischen Gesellschaft nicht von anderen einfordern. Wer hat diesen Text geschrieben? Es wäre am besten, wenn man ihn schnell zurückziehen würde.

    1. „denn unsere freiheitliche Grundordnung ermöglicht es ja gerade, den natürlichen Egoismus der Menschen nicht von oben herab einzuschränken, sondern nur so weit, wie die Rechte der anderen nicht eingeschränkt werden“
      ============================================================
      Ich habe den Anspruch an den Staat, dass er mein Leben und meine Gesundheit schützt indem er den „natürlichen Egoismus“ anderer beschränkt. z. B. dadurch, dass er Alkohol am Steuer verbietet. Die Maßnahmen des Staates zur Eindämmung der Pandemie müssen verhältnismäßig sein. Diese Pandemie stellt ein noch nie dagewesenes Katastrophenereignis dar. Daraus resultiert, dass das staatliche Handeln auch Irrtümer beinhalten kann. Der ehemalige Gesundheitsminister Spahn sprach davon, dass wir uns später vieles verzeihen müssten. Die Demokratie funktioniert auf vielen Ebenen. Die „Leipziger Erklärung“ wendet sich nur gegen Hass, Häme und Gewalt und die Vereinnahmung der Proteste durch Rechtsradikale. Deshalb habe ich sie gern unterzeichnet. Damit bringe ich auch die Achtung vor diesem Staat zum Ausdruck, auch wenn ich es mit dem früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann halte:

      „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“

      1. Der Staat muss die Rechte der Menschen einschränken, wo die Rechte anderer berührt werden, und unsicheres Verhalten am Steuer (unter Alkoholeinfluss) muss verboten sein. Aber der Staat ist nicht für die Gesundheit der Menschen verantwortlich – mit „körperlicher Unversehrtheit“ (GG Art. 2) ist gemeint, dass der Staat keine Körperstrafe und keine medizinischen Eingriffe anordnen darf. Man darf die Gesundheit anderer nicht gefährden, und deshalb gibt es bei schlimmen Krankheiten, die selten auftreten, Quarantäneregeln. Aber bei sehr häufigen Krankheiten, die sich sehr leicht ausbreiten (wie Influenza oder Covid), gibt es nur die Möglichkeit zum Selbstschutz durch Impfung. Das ist in den Medien leider immer wieder verzerrt dargestellt worden, und deshalb ist es wichtig, gegen staatliche Einschränkungen zu protestieren, die weit über die Befugnisse eines demokratischen Staates hinausgehen. Christian Wolff hat ja vor ein paar Wochen gut erklärt, warum 2G-Diskriminierung falsch ist und warum wir dagegen protestieren müssen. So einen demokratiefernen Text wie diesen „Aufruf“ hätte er sicher nicht verfasst, und deshalb frage ich, wer ihn geschrieben hat.

  9. Wer Demokratie richtig vesteht, weiß auch, wie man mit großer Unsicherheit in Krisen zurechtkommt: durch MEHR Demokratie, nicht durch mehr Obrigkeitsstaat. „Wer von uns hätte den Stein der Weisen gefunden?“ – die Demokratie ist eine so kluge Einrichtung, dass sie die bessere Lösung gewesen wäre als 13 Monate lang parlamentslose Regierungsbeschlüsse. Demokratie führt nicht zu „unstrittigen“ Beschlüssen (denn der Streit um die besten Lösungen ist nie zu Ende), aber zu „unangefochtenen“ Beschlüssen – denn die Mehrheit der Volksvertreter:innen ist von der Minderheit zu akzeptieren (bei Wahrung der Minderheiten-Grundrechte). Warum spiegelt dieser Text diese Grundeinsichten der Demokratie-Theorie nicht wider? Wer hat ihn verfasst? Warum geht er nicht darauf ein, dass immer wieder die öffentlichen (und leider ziemlich regierungsnahen) Medien so getan haben, als gäbe es überhaupt keine Handlungsalternativen, und als ob Epidemiologen wie Anders Tegnell und Sunetra Gupta nicht sinnvolle (und viel weniger schädliche) Alternativen vorgeschlagen hätten?

    1. Vielleicht, lieber Herr Haspelmath, sollten Sie einmal überlegen, was Sinn und Zweck der „Leipziger Erklärung“ ist – ganz bestimmt nicht, theoretische Erwägungen über Demokratie anzustellen. Vielmehr wenden sich diejenigen, die den Aufruf unterschrieben haben, unabhängig von ihrer unterschiedlichen, durchaus auch kritischen Beurteilung der Corona-Politik der Bundes- und Landesregierung gegen den herrischen und autokratischen Anspruch von Gruppen wie „Querdenken“, der „Dritte Weg“, „Freies Sachsen“, sie seien „das Volk“ und nach ihnen habe sich die Politik gefälligst zu richten und alles andere sei der sichere Weg in die Diktatur. Jedem*r Bürger*in ist unbenommen, alles zu kritisieren und sich für eine bessere Politik einzusetzen. Aber dazu gehört auch anzuerkennen, dass in der Bewältigung einer Pandemie, mit Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Leben, die politisch Verantwortlichen und gewählten Regierungen Entscheidungen zu treffen haben, die für alle Bürger*innen akzeptabel sind. Das ist eine Aufgabe, die mehr verlangt, als diese ohne jene Untersuchung zu lesen oder sich dieser oder jener Meinung anzuschließen. Christian Wolff

      1. „Herrischer und autokratischer“ Anspruch? Ich weiß kaum etwas über diese Gruppen, aber wenn jemand aus dem einfachen Volk (der nicht so mit Demokratie-Theorie vertraut ist) sich wünscht, „das Grundgesetz wiederherzustellen“, bedeutet das doch vielleicht zunächst einmal, dass er/sie mit den Grundrechtseinschränkungen nicht einverstanden ist. Warum muss man in Panik geraten und sofort sinistre Motive vermuten? Ist es nicht prima, dass wir alle für das Grundgesetz und gegen Diktatur ist? Wie man die Demokratie genau auszulegen hat, darüber müsste man dann aber doch im Detail sprechen.

          1. Ich weiß kaum etwas über rechtsradikale Gruppierungen, die mit Fackeln auftreten (da wissen Sie vielleicht mehr), aber dieser Text richtet sich ja an normale Menschen, die friedlich gegen die staatlichen Maßnahmen demonstrieren wollen. Und deren demokratische Möglichkeiten möchte der Aufruf einschränken, nur weil es ein paar Rechtsradikale gibt. Das widerspricht dem Geist der Demokratie, oder? Man müsste die gewaltbereiten Extremisten überwachen und den normalen Menschen das Demonstrieren ermöglichen, denn „Egoismus“ und „Häme“ (also Spottkritik) ist ja in einem freien Staat ausdrücklich erlaubt.

  10. Auf einer wirklich friedlichen Demo habe ich auch mein Licht am Freitag, den 17.12., für die Menschen welche Angst vor der Übergriflichkeit in unserem Land haben, auf dem Augustusplatz entzündet. Ich wollte dort bleiben, bis die Polizei kam und die Menschen in alter Manier vertrieb. Sei es wie es sei.Traurig, dass junge Polizisten und Plizisteinnen nur noch gehorchen und den eignene verstand ausgeschaltet lassen müssen. Aber dass der OBM dann die vielleicht 500 entzündeten Kerzen unter Polizeischutz von der Stadtreinigung entsorgen ließ, macht mich einfach nur noch sprachlos. Hätte er diese wenigstens noch ausbrennen lassen. Mit Worten kann ich mein beschämen über diese Aktion nicht beschreiben.

    1. Vielen Dank für Ihren Mut, Herr Thiel, dass Sie das auch hier so klar sagen, obwohl Herr Wolff sich mit seinem Aufruf auf die Seite der Stadtregierung und gegen die friedlichen Demonstranten gewandt hat. Wir befinden uns offenbar in einer kritischen Phase unserer Demokratie, weil die Regierung immer hilfloser agiert und den Regierungsbefürwortern bloß noch die unsachliche Kritik an der Opposition bleibt. Dazu hätte es nie kommen dürfen.

  11. Das ganze Ausmaß der gegenwärtigen Demokratie-Krise zeigt sich darin, dass jetzt Aufrufe nicht mehr an die Mächtigen gerichtet werden, sondern an Menschen, die ihr demokratisches Recht zum Protestieren gegen die Regierungspolitik wahrnehmen wollen. Sicher sind weder Demonstranten noch Gegendemonstranten „das Volk“, aber die „namhaften Leipziger“ oder die LVZ sind eben auch nicht „das Volk“. Und wenn die Regierenden immer wieder friedliche Proteste verbieten (so wie zuletzt am 18. Dezember in Berlin), dann sollte sich keiner wundern, dass die Regierungskritiker eben ohne Genehmigung „spazieren gehen“. Und in der Tat sind die dann wohl die „wahren Verfechter der Demokratie“ – wer setzt sich denn sonst für die traditionellen Werte von Pluralität und Meinungsvielfalt ein? Bei vielen der Demos gegen Impfpflicht sind ja gerade auch Mitarbeitende im Gesundheitswesen präsent gewesen, weil diese besonders von dem neuen Zwang betroffen sind (und weil sie besser über die Probleme mit Impfungen informiert sind). Solidarität mit Pflegenden würde eben auch bedeuten, Solidarität mit Protestierenden zu zeigen, die immer wieder als „Querdenker“ verunglimpft wurden. Gerade die Kirchen sollten jetzt an der Seite der Ausgegrenzten stehen (und gegen 2G-Verbote protestieren), und gerade Bürgerrechtler sollte für die Rechte ALLER Bürger einstehen, auch wenn die Gesellschaft gerade in einer gigantischen Krise ist. Keine Krise rechtfertigt den Abbau von Bürgerrechten und demokratischen Prozessen.

  12. Lieber Christian,
    ich habe die Leipziger Erklärung „Ihr seid nicht das Volk“ aufmerksam gelesen. Ein Satz daraus geht mir nicht aus dem Kopf: „Die freiheitliche Demokratie verwehrt egoistisches, vor allem aggressives, den Nächsten verachtendes Agieren.“ Diesem Satz stimme ich aus voller Überzeugung zu.
    Es geht mir aber auch nicht aus dem Kopf, was ich in der Erklärung vergeblich gesucht habe: Wir erklären uns solidarisch mit allen friedlichen Menschen, die wegen ihrer Entscheidung, sich nicht oder derzeit nicht impfen zu lassen, gesellschaftlich ausgegrenzt werden, denen die Entfernung vom Arbeitsplatz angedroht wird, die Hetze erdulden müssen und stigmatisiert werden.
    Wir haben uns vor einigen Tagen darüber unterhalten, und ich nannte die subtile, oft auch unverhohlene Hetze, die ich immer wieder aus dem Munde von Politikern hören mußte, gefährliche Brandstiftung. Seit Dienstag (07.12.2021) kannst Du die Nachricht mit Bild in vielen Zeitungen lesen und sehen: die Schaufensterscheibe eines Geschäftes in Heringsdorf mit der aufgesprühten Parole „KAUFT NICHT BEI UNGEIMPFTEN“.
    Die Leipziger Erklärung trägt das Datum vom 17.12.2021 – Zehn Tage Zeit und Gelegenheit, diesen vorläufigen Höhepunkt an Agression gegen eine Bevölkerungsgruppe zu bedenken, zu erörtern und sich mit den geschmähten Menschen solidarisch zu erklären. Wie bitter enttäuscht es mich, daß die Erstunterzeichner der Leipziger Erklärung diese Solidarität nicht bekunden! Als Christ kann ich dies nicht verstehen. Als Staatsbürger prangere ich es an.
    Es grüßt Dich mit schwerem Herzen
    Thomas Fritzsch
    P.S.: Lieber Christian, ich gebe Dir mein Einverständnis zur Veröffentlichung meines Textes in Deinem Blog.

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