Aktuelle
Themen

Aktuelle
Themen

Der Eid, die Verantwortung vor Gott und den Menschen und die Aufgabe der Kirchen

Nach Gerhard Schröder (SPD) ist Olaf Scholz (SPD) der zweite Bundeskanzler, der bei seiner Vereidigung im Bundestag auf den in Artikel 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichtet hat – und mit ihm sieben der insgesamt 16 Minister*innen (die fünf Minister*innen von Bündnis 90/Die Grünen und zwei Minister*innen der SPD). Schon hat vor allem in konservativ-reaktionären kirchlichen Kreisen ein Wehklagen über eine „gottlose“ Bundesregierung eingesetzt. Bedeutet dies, dass sich nun das Verhältnis von Kirche und Staat wesentlich verändern wird? Ja, aber dieses befindet sich schon längst angesichts der multireligiösen Wirklichkeit in unserer säkularen Gesellschaft in einem Veränderungsprozess: Zum einen erkennt der Staat in den Religionsgemeinschaften eine wichtige gesellschaftliche Kraft, zum andern werden die auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zurückgehenden Staatsleistungen an die Kirchen auf den Prüfstand gestellt. So ist es im Koalitionsvertrag (Seite 111) festgehalten. Damit werden einige Selbstverständlichkeiten für die christlichen Kirchen wegfallen. Gleichzeitig wird damit die gegenseitige Unabhängigkeit gestärkt. Denn Aufgabe der Organe des demokratischen Rechtsstaates ist nicht, einer Religionsgemeinschaft wie den Kirchen Privilegien zu sichern. Aufgabe ist, die Religionsfreiheit und damit das öffentliche und an den Grundsätzen des Rechtsstaates orientierte Wirken der Religionsgemeinschaften zu gewährleisten. Was aber spricht nun für den Verzicht der „religiösen Beteuerung“ (Artikel 56 GG)?

  • Zum einen ist er Ausdruck von Ehrlichkeit. Olaf Scholz ist zwar getauft, aber vor Jahren aus evangelischen Kirche ausgetreten. Andere Minister*innen sind von Geburt an religionslos aufgewachsen. Was soll da eine „religiöse Beteuerung“?
  • Jesus hat in der Bergpredigt größte Bedenken gegen den Eid als solchen und insbesondere gegen die Anrufung des Namens Gottes beim Schwören erhoben. „Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3.Mose 19,12; 4.Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; … Eure Rede sei Ja Ja, Nein Nein. Was darüber hinausgeht, ist von Übel.“ sagt Jesus in der Bergpredigt (Die Bibel: Matthäus 5,33ff) Der frühere Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Jürgen Schmude (SPD), hat darum aus theologischen Gründen bei seiner Vereidigung als Bundesjustizminister auf die religiöse Eidesformel verzichtet.
  • Die, die auf den Zusatz verzichtet haben, wollen damit zum Ausdruck bringen: Was wir versprechen, politisch zu tun, das haben wir ausschließlich vor den Wähler*innen, vor dem Parlament und vor uns selber zu verantworten. Eine höhere Instanz nehmen wir bewusst nicht in Anspruch – zumal wir wissen, wie oft Gottes schändlich missbraucht wurde.

Allerdings: Die Eidesleistung geschieht auf der Grundlage des Grundgesetzes. Dieses hält die Bundestagspräsidentin bei der Eidesleistung in seiner Urfassung aufgeschlagen in den Händen. Dort heißt es in der Präambel, dass sich das deutsche Volk „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ das Grundgesetz gegeben hat. Da wird der Name Gottes nicht für zukünftige politische Entscheidungen in Anspruch genommen, was – wie wir aus der Geschichte wissen – höchst problematisch ist. Vielmehr hat jede*r politisch Handelnde sein*ihr Tun und Lassen vor Gott und den Menschen zu verantworten … und das ist das Entscheidende! Warum? Wir Menschen stehen immer in der Gefahr, uns selbst zu erhöhen, das gesellschaftliche Leben zu ideologisieren, uns selbst zum Gott emporzuschwingen. Wir sehen auch heute, wie selbst in Europa Staatenlenker und ihre Steigbügelhalter sich auf diesem Irrweg der Gottwerdung des Menschen befinden – wie ein Victor Orbán in Ungarn oder ein Jaroslaw Kazcynzki in Polen, von Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Wladimir Putin ganz zu schweigen. Darum ist es unerlässlich, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger wie ihre politischen Repräsentant*innen – unabhängig von der religiösen Ausrichtung – an dieser Verantwortung vor Gott und den Menschen keinen Zweifel lassen. Denn zwischen der Ehrfurcht vor Gott und der Achtung der Menschenwürde besteht ein unauflöslicher Zusammenhang.

Für die Kirchen aber bedeutet dies, dass sie ihre Angelegenheiten unabhängig und auf das Wohl der Menschen bezogen zu regeln haben. Das geschieht am besten dadurch, dass sie ihrer ureigensten Aufgabe nachkommen: Gott die Ehre geben, dem nahen und fernen Nächsten dienen und sich in diesem Sinn frei und unerschrocken im öffentlichen Raum der säkularen Gesellschaft bewegen. Dabei sollten sie im Vertrauen auf Gott freiwillig auf Privilegien verzichten, um so Freiheit zu gewinnen, ihrem Auftrag gerecht zu werden. Dazu gehört, dass sie sich als Teil der Öffentlichkeit verstehen und gesellschaftspolitische Verantwortung für das Leben in Stadt und Land übernehmen. Es wäre zu wünschen, dass die großen Kirchen Abschied nehmen von ihrer staatsähnlichen Organisationsform. Darin steckt immer die Gefahr, dass sie sich als Staat im Staate verstehen. Vielmehr sollte Kirche sich von der Menschwerdung Gottes leiten lassen und als Motor, Motivator, Moderator für die Belange der Menschen vor Ort wirken, um das zu erreichen, was Auftrag der Kirchen ist: dass das Leben eines jeden Menschen mit Recht und Würde gesegnet ist.

Nachtrag: Unabhängig von der Diskussion über die Eidesformel verharre ich am Abend dieses historischen Tages in tiefer Dankbarkeit dafür, wie demokratisch, anständig und undramatisch sich dieser Regierungswechsel vollzogen hat.

10 Antworten

  1. „Nach Gerhard Schröder (SPD) ist Olaf Scholz (SPD) der zweite Bundeskanzler, der bei seiner Vereidigung im Bundestag auf den in Artikel 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichtet hat.“
    ===================================================================

    Wenigstens da hat Herr Schröder nicht geheuchelt. Ein ppar Jahre früher biederte er sich bei angeblich kommen SED-Bonzen an, die später im Gefängnis landeten.

    https://www.file-upload.net/download-14765869/SchreibenSchrderanKrenz.JPG.html

    Und jetzt hat er Angst, dass Frau Baerbock seinem Freund Putin auf die Füße tritt.

    “ Das wird auch Sache der Außenministerin sein, die aufrecht zu erhalten. Und nicht nach dem Motto vorzugehen: ‚Am grünen Wesen soll die Welt genesen‘.“

    https://www.focus.de/politik/deutschland/nicht-unproblematisch-putin-freund-schroeder-schiesst-im-live-tv-gegen-neue-aussenministerin-baerbock_id_24499380.html

    Petra Kelly war es, die nicht nur Honecker besuchte, sondern auch Bärbel Bohley – sowas vergesse ich nie!

    Sorry für O.T..

  2. Na ja, ein typisch „kirchlicher“, fast sogar „Kirchen-amtlicher““ Beitrag, wenn ich das ein wenig aggressiv-ironisch sagen darf. Als ob offizielle „Kirchenzugehörigkeit“ ein Kriterium für Gläubigkeit sein sollte. Als ob offizielle „Nicht-Zugehörigkeit“ ein Zeichen für Ungläubigkeit sein sollte, so dass man die Eidesformel nicht „mit Gottes Hilfe“ beenden könnte, ich kenne viele Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, aber tief gläubig sind und in ihrem Leben stets „mit Gottes Hilfe“ zu rechnen versuchen.
    Axel Denecke

    1. Lieber Bruder Dennecke, irgendwie reden wir aneinander vorbei. Habe ich irgendetwas davon geschrieben, dass Menschen, die nicht der Kirche angehören, „ungläubig“ sind. Wenn ich richtig informiert bin, ist Christian Lindner aus der Kirche ausgetreten, hat aber die „religiöse Beteuerung“ ausgesprochen. In meinem Blog-Beitrag ging es mir vor allem darum, zum einen die Fragwürdigkeit des Gottesbezugs in der Eidesformel darzustellen, zum andern wollte ich aufzeigen, dass die Kirche selbst daran gehen muss, ihr Verhältnis zum Staat zu ordnen und damit auch ihre eigenen Verhältnisse. Beste Grüße Christian Wolff

  3. Selten hat mich ein politisches Ereignis so berührt. Ich konnte bei Phönix beinah den ganzen Tag zuschauen. Am Nachmittag die Rede von Habeck hat mich absolut begeistert. Zum ersten Mal in meinem langen Leben war ich stolz, eine Deutsche zu sein.

    1. Dann können Sie noch nicht so alt sein, wenn Sie dies politische Ereignis so berührt hat. Ich fand es eher unauffällig. Ein für mein Leben wirklich berührendes politisches Ereignis war die erste Wahl Willy Brandts zum Kanzler, das überstandene Misstrauensvortum gegen ihn samt Vorlaufdemonstrationen damals in Bonn (Barzel wir kommen, versteck Dich nicht, wir finden Dich!), sein Rücktritt. Die nachfolgenden sozialdemokratischen Kanzler waren bzw. sind in meiner Wahrnehmung in der falschen Partei. Und Habeck ist für mich ein säuselnder Schönsprecher. Wie er gemeinsam mit Baerbock Hofreiter um das versprochene Ministeramt brachte spricht für mich unchristliche Bände. Das als Ereignis „berührt“ mich zutiefst abstoßend.

      1. Lieber Herr Sinofzik, Frau Wend ist sehr viel älter als wir beide. Was aber viel wichtiger ist: In Ostdeutschland leben viele Menschen, die auf die Zeit vor 1989 ganz anders zurückblicken als Westdeutsche und darum auch gegenwärtiges Geschehen anders einschätzen. Ansonsten habe ich den Regierungswechsel am gestrigen Tag auch sehr genossen, mich riesig gefreut und auf die neue Regierung angestoßen. Und was Helmut Schmidt und Gerhard Schröder und ihre Koalitionen angeht: Bei aller Kritik an einzelnen Entscheidungen habe ich zunehmend gelernt, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob Sozialdemokraten (mit-)regieren oder nicht. Pauschale Urteile, wie Sie sie vornehmen, verstellen leider oft den Blick: Parteien sind nicht beliebig austauschbar und widerspruchsfreie Politik gibt es leider nicht. Beste Grüße Christian Wolff

        1. Lieber Herr Wolff,
          meine Urteile mögen pauschal sein. Aber rückblickend ist doch festzuhalten: Schmidts Beurteilung durch große Teile Bevölkerung war: „Guter Mann, aber in der falschen Partei!“ Seine Politik und sein Stil begünstigten zu seiner Zeit die Konstituierung der Grünen. Und Schröders Agenda-Politik forcierte letztlich, dass als deren Folge die soziale Schere in der BRD immer weiter auseinander ging. Er begünstigte die Bildung der Linken. Ich war einmal sehr in der SPD engagiert. Schmidts Politik brachte mich innerlich auf Distanz und wegen Schröder trat ich aus. Und von Scholz erwarte ich nicht viel. Irgendwo las ich, er habe sich sein linkes Bewußtsein erhalten. Bewußtsein allein ist zu wenig. Dass er sich wohl mit der FDP in den Koalitonsverhandlungen oft gegen die Grünen verbündete und somit den Liberalen das klimarelevante Verkehrsministerium zufiel ist m. E. bezeichnend. Es braucht in dieser Regierung die FDP, um nur bewußtseinslinks sein dürfen. Deswegen wäre ihm RGR ein Gräuel gewesen. So sehr ich mich über das für mich hinterhältige Personalagieren von Baerbock und Habeck geärgert habe, so schade finde ich, wie die Grünen in den Koalitionsverhandlungen durch Scholz m. E. ausgebremst wurden. Scholz ist einer Vertreter der Schröder-Zeit, ich setze wenig Hoffnung in ihn. Sein Wahlgewinn hat etwas von „Unter den Blinden ist der Einäugige König!“. Dass es keine Politik ohne Widerspruch gibt, ist mir auch klar. Aber wenn Essentials einer Partei aufgegeben werden, Bürger*innen jahrelang nicht wissen, wofür sie steht, dann ist auch mal Polarisierung zwecks Klärung angesagt: das wurde bei Scholz‘ Niederlage in Vorsitzendenwahl deutlich. Dass die Linken in der Fraktion die stärkste Strömung sind, die Jusos knapp 25% der Mitglieder stellen, sollte Scholz immer im Hinterkopf behalten. Sonst wird er mit seiner manchmal hanseatischen Überheblichkeit politisch scheitern wie Schmidt: an seiner Partei!

      2. Herr Sinofzik, Friedensnobelpreisträger Willy Brandt spielte in einer anderen Liga.

        Der Nachruf auf Helmut Schmidt in der taz endet mit dem Satz:

        „Ein Sozialdemokrat war er so wenig, wie Angela Merkel Christdemokratin ist.“

        https://taz.de/Nachruf-auf-Helmut-Schmidt/!5250053/

        Aber die Zeit Brandts war auch eine andere als die heutige. Er konnte auch die Wiedervereinigung noch aktiv begleiten. „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Schade, dass Herbert Wehner („Der Herr badet gern lau.“) sie nicht mehr bewusst miterleben konnte.

      3. Weil man Herrn Dr. Hofreiter mit dem Vorsitz des Eurapaausschusses trösten wollte, hat die AfD den Vorsitz im Innenausschuss und Gesundheitsausschuss erhalten. Nun bekommen Verfassungsfeinde und Impfgegner exklusive Regierungsinformationen.

  4. Danke Christian Wolff für diesen Eintrag.
    Weil es so ist, das “ Wir Menschen immer in der Gefahr stehen, uns selbst zu erhöhen, das gesellschaftliche Leben zu ideologisieren, uns selbst“ zur vermeintlichen Allmächtigkeit emporzuschwingen (ihre Beispiele treffen zu), darum ist es unerlässlich, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger wie ihre politischen Repräsentant*innen – unabhängig von der religiösen Ausrichtung – an dieser Verantwortung vor einer höheren Macht und den Menschen keinen Zweifel lassen. Denn zwischen der Ehrfurcht vor einer höheren Macht und der Achtung der Menschenwürde besteht ein unauflöslicher Zusammenhang.
    Ich denke es muss die Aufgabe auch der Kirchen sein, angesichts der aktuellen Beobachtungen, hier eine Debatte anzustoßen, auch im Hinblick auf eine passende neue Schlussformel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert