Er blieb sich treu, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in seiner Regierungserklärung vom 5. September 2018: Die Polizei und damit er als politisch Verantwortlicher haben in Chemnitz alles richtig gemacht. Was schief gelaufen ist: dass Rechtsradikale die aufgebrachte Stimmung in Chemnitz missbraucht haben, um im Windschatten der Trauer über den getöteten Daniel H. ihren Hass, ihre Demokratieverachtung, ihren Rassismus auf die Straße zu tragen. Aber einen Mob, eine Hertzjagd, einen Pogrom hat es nach Kretschmer in Chemnitz nicht gegeben. Dennoch kommt er zu der Aussage: „Ich bin der festen Überzeugung, dass der Rechtsradikalismus die größte Gefahr für die Demokratie ist.“ Über diese Erkenntnis scheint seine Fraktion so überrascht oder irritiert zu sein, dass sich nach diesem Satz keine Hand zum Beifall rührt. Kretschmer schiebt auch sofort nach, dass die Landesregierung (also die CDU) schon seit den 90er Jahren aktiv gegen den Rechtsradikalismus aufgetreten sei. Dann folgt eine für den Duktus der ganzen Regierungserklärung sehr aufschlussreiche Passage: Dass der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gesagt habe, die Sachsen seien immun gegen den Rechtsextremismus, das sei schließlich vor 20 Jahren gewesen. Nein, das wiederholte Biedenkopf noch im vergangenen Jahr – und zwar in dem ZEIT-Interview, das den Rücktritt von Stanislaw Tillich mit beförderte. Doch das hindert Kretschmer nicht daran zu warnen: man würde den „großartigen Staatmann und Bürger“ Biedenkopf unterschätzen, wenn man ihm die Behauptung unterstelle, dass irgendwo in Deutschland jemand immun gegen Rechtsradikalismus sei. Dieses Wechselspiel von Benennung von Fakten und ihrer gleichzeitigen Bestreitung durchzieht die ganze Regierungserklärung: Ich distanziere mich von Vorgängen, die ich im nächsten Satz für nicht existent erkläre. In Chemnitz ließen Rechtsradikale, Neonazis, Pegida/AfD ihrem Rassismus freien Lauf, aber es gab keinen Mob, keine Hetzjagd. Ja, es gibt den Rechtsradikalismus in Sachsen, aber wir als CDU waren immer schon dagegen. Dabei hat sich die sächsische CDU in Leipzig seit über 20 Jahren dem bürgerschaftlichen Engagement der Stadtgesellschaft gegen völkisch-nationalistischen Umtrieben und für Vielfalt und Weltoffenheit verweigert hat. Diese durchaus perfide Strategie ist Ausfluss einer absurden Selbstgerechtigkeit. Selbiger Kretschmer, der noch 2015/16 die Politik Victor Orbáns gut geheißen hat, stellt sich nun hin und sagt: Wir Sachsen haben schon 2015 das vorhergesehen, was jetzt Konsens ist. Wobei er nicht erwähnt, was denn die sächsische CDU so hellseherisch prognostiziert hat. Die folgt nämlich bis heute in der Flüchtlingspolitik eher den Pegida/AfD-Parolen oder einem Horst Seehofer als einer Petra Köpping oder Martin Dulig, Repräsentant/innen des jetzigen Koalitionspartners SPD. Man erinnere sich an die peinlichen Annäherungsversuche der CDU 2014/2015 an Pegida/AfD hier in Sachsen. Da musste der damalige Ministerpräsident Stanislav Tillich (CDU) vom Koalitionspartner SPD quasi gezwungen werden, in Dresden bei einer Kundgebung gegen den unerträglichen Pegida-Fremdenhass aufzutreten – einmal ganz abgesehen davon, dass bis 2014 der Freistaat Sachsen von der CDU geführten Landesregierung ohne Not kaputt gespart wurde.
Nach dieser Regierungserklärung ist ziemlich klar: So wird das nichts mit einem Neuanfang in Sachsen. Schon gar nicht kann so die Demokratie in Deutschland „gerettet“ werden (siehe die aktuelle ZEIT). Wenn Innenminister Horst Seehofer (CSU) jetzt die Parole ausgibt „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ und im Blick auf die Chemnitzer Vorfälle viel Verständnis dafür äußert, dass Menschen sich in dieser Weise über ein Verbrechen empören, dann ahnt man, wie wenig belastbar die Erkenntnis ist, dass der Rechtsradikalismus die größte Bedrohung der Demokratie sei. Solange alle gesellschaftlichen Probleme auf Geflüchtete abgewälzt werden, obwohl der Rechtsradikalismus gerade in Sachsen seit 25 Jahren ein wachsendes, aber eben verdrängtes Problem ist, solange wird sich nicht viel ändern.
Leider kam der mit der Friedlichen Revolution 1989/90 ausgerufene „Aufbruch zur Demokratie“ viel zu schnell zum Erliegen. Zum einen wurde in Westdeutschland nach dem Motto Politik gemacht: bei uns muss sich nichts ändern. Zum andern griffen viele Ostdeutsche schnell zu den Kohl‘schen „Fleischtöpfen Ägyptens“ („Entweder kommt die D-Mark zu uns, oder wir kommen zur D-Mark“), ohne zu bedenken, dass die Kost einen mehr als bitteren Nachgeschmack haben wird. Auch ist die entscheidende Parole der Friedlichen Revolution „Für ein freies Land mit offenen Grenzen“ viel zu schnell in Vergessenheit geraten. Vom organisierten Rechtsradikalismus, von AfD bis zur NPD, von Pegida bis zu den Reichsbürgern, werden diese Ziele der Friedlichen Revolution offen bekämpft. Sie stellen schon längst die „Systemfrage“, wollen bzw. haben sich von der rechtsstaatliche Demokratie verabschieden. Das steht hinter ihren Schlachtrufen: Merkel muss weg, Volksverräter, Wir sind das Volk, Widerstand. Demgegenüber müssen wir Bürgerinnen und Bürger aufstehen und klar machen: Wir wollen als freie Menschen in einem demokratischen Europa mit offenen Grenzen leben; wir wollen die rechtsstaatliche Demokratie verteidigen und weiterentwickeln; wir wollen die Grundwerte unserer Verfassung unbedingt erhalten. Dazu ist jetzt vonnöten, dass in der ganzen Gesellschaft ein Prozess der Neuaneignung der Demokratie in Gang gesetzt wird und wir uns neu auf die Grundwerte der Verfassung und auf humanitäre Grundbedingungen verständigen. Wie hieß es auf einem Plakat in Chemnitz: „Wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern eine humanitäre Krise„. Ja, aus dieser gilt es gestärkt hervorzugehen. Doch dazu ist jede/r vonnöten.
10 Antworten
Ach Herr Schwerdtfeger – mit diesem noch viel weniger als billigen Kommentar zu Herrn Rennerts Wortmeldung offenbaren Sie erneut sowohl versimplifiziertes Denken als eben leider auch völlige Unkenntnis der speziell sächsischen Innenpolitik. Bevor man derartige Vergleiche (Kretschmer – Schulze) bemüht, die per se ohnehin unzulässig sind (!!), wäre präzises Durchleuchten der Realitäten (was Sie bekanntermaßen permanent für sich reklamieren und eben nur aus Ihrer Sicht argumentative Unsauberkeiten den Anderen, die Sie ebenfalls permanent angreifen, ewiglich vorhalten) aller erstes Gebot! Außerdem – denken Sie mal gelegentlich nach; Beziehen die AfD-Bundestags-Abgeordneten nicht ebenfalls auch satte Diäten; für das, was da aus deren Reihen in den Plenarsaal gebrüllt wird ? Derartige Vergleiche sind untauglich, einfach nur dumm und bringen im Diskurs keinerlei substantiellen Gewinn. Tut auch mir leid, aber aus dem Ohrensessel betrachtend scheint sich die Welt da draußen als doch ziemlich verzerrt darzustellen, zumindest Ihre Wahrnehmungen, die aus Ihren Reaktionen auf Kommentare rasch erkennbar werden, deuten auf arge Unschärfe hin (um es freundlich zu formulieren).
Liefern Sie produktive Kommentare und lassen Sie endlich diese scheußlichen Verbalentgleisungen. Dafür ist der von Chr. Wolff initiierte Blog viel zu ernst, als dass man sich da in Eigenverliebtheit und billigen Aggression ergötzen dürfte. Die derzeitige Situation ist viel zu ernst für solchen Unsinn wie den, den Sie da von sich geben! Und glauben Sie mir: Diese meine Haltung steht wahrlich nicht solitär da, ganz im Gegenteil. Kommen Sie doch am Montag (morgen) in die Dresdner Kreuzkirche zum Friedensgebet – es würde Ihnen vermutlich ein wenig gut tun. Jo.Flade
Herrn Rennert scheint nicht aufgefallen zu sein, daß es in der Politik – in der demokratischen zumal – durchaus so ist, daß man mal gewinnt und mal verliert und das gilt auch für Wahlkreise. Es ist schon lustig, wie er glaubt, Kretschmer verächtlich machen zu müssen oder zu können, angesichts des Verlustes, den sich die SPD mit ihrem 100%-Mann aus Würselen – wo ist der eigentlich jetzt außer daß er noch Diäten kassiert? – geleistet hat.
Machen Sie, liebe SPD-Mitglieder, weiter so, dann kommt sicherlich der große Erfolg!
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, mir ist sehr wohl bekannt das Mehrheiten im Parlament dem Wechsel unterworfen sind. Das kritisiere ich auch nicht hauptsächlich. Was aber m.E. kritikwürdig ist, wie die ehemalige Blockpartei CDU sich „gewendet“ aber nicht geändert hat. Und wie große Teile der sächsichen Wählerschaft nach der Methode leben/handeln: „Uns soll es gutgehen und ansonsten wollen wir unsere Ruhe“
Die Demokratie lebt von wechselnden Mehrheiten! Gottesgnadentum ist der Demokratie „Wesensfremd“. Aber bitte nicht den Schluß daraus ziehen, das ich Sympathien für die AfD hege. Dagegen steht schon die Tatsache das einer der Mitbegründer mein oberster Chef war, der unter dubiosen Methoden die tariflichen Regelungen ausgehebelt hat. Dadurch erlitt ein großer Teil der Belegschaft finanzielle Nachteile und Unternehmensteile wurden an ehemalige Unterlieferanten ausgesourct. Dies war sogar mit Arbeitsplatz verlust verbunden.
Und, lieber Herr Rennert, mir graust weiter vor Verfassungsschützern, die nicht nur leichtfertig, sondern im höchsten Maße fahrlässig ihre Haltungen einer BILD offerieren ohne einer seriösen und professionellen Aufarbeitung der Chemnitzer Fakten abzuwarten.
Der Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsens kontert einem Herrn Maaßen, dass die ermittelnden Behörden in Dresden ganz andere Schlüsse ziehen und ruft damit zur dringenden Verfassungsordnung und Zurückhaltung auf!
Und mir graust auch vor Blog-Kommentierungen, die verbal eine ziemliche Geistesunordnung offenbaren. Wer Herrn Höcke lediglich als Tölpel bezeichnet, hat ganz eindeutig semantische und vor allem inhaltliche Probleme, die Realitäten konsequent und faktisch zu interpretieren.
Vielleicht sollte man derartige Interpretations-Katastrophen ignorieren, zumal man die tatsächlichen Probleme mit solcherart Schwachsinn nicht einmal ansatzweise zu lösen bereit ist!
Trotzdem oder gerade deshalb: Schönen Sonntag, vor allem in Richtung Leipzig – Jo.Flade
Nicht vergessen werden sollte, das der damalige CDU-Generalsekretär Kretschmer bei der Bundestagswahlkreis an die AfD „verloren“ hat. Als „Belohnung“ wurde er Ministerpräsident. Geht so neuerdings „Sächsisch“. Was ich „meiner“ SPD nicht abnehmen kann ist das man /frau sich für eine GROKO zur Verfügung stellt. Mit graust schon vor der nächsten „Sachsenwahl“.
Sehr geehrter Herr Rennert,
auf Ihre Antwort auf meine Bemerkung im vorigen Beitrag ist kein Link ,,Reply“ zu finden, deshalb schreibe ich meine Entgegnung zu Ihrer Wortmeldung einmal auf diesem Beitrag; wenn Sie auf einem Grundstück wohnen welches Ihr Eigentum ist dann trifft Sie der Vorwurf mit den ,,Wohnquartieren“ sicher nicht. Aber es ist nun einmal eine Tatsache dass bekannte Personen aus Politik und Kultur, in Leipzig und anderswo, welche sich sehr vehement und kompromisslos gegen Kritik an bestimmten Zuständen beim Zusammenleben nicht mit allen, aber mit einem Teil von Migranten äußern, selber nicht in einem dementsprechenden Umfeld leben, sondern eben in teuren, vornehmen Vierteln mit meist deutschen Nachbarn, wo sie von den Problemen wie sie in der Stuttgarter Allee oder im Umfeld von Aufnahmeeinrichtungen in der Eutritzscher-/ Michaelisstraße oder in Markranstädt existieren und über die die LVZ berichtete, nicht viel mitbekommen. Bei einer Bürgerfragestunde in Markranstädt zu diesem Thema fühlten sich dann viele Bürger im Stich gelassen, weil außer dem Bürgermeister sich weiter niemand verantwortlich fühlte. Es ist wohl leider so dass zur Zeit unüberwindbare Verständigungsprobleme zwischen den verschiedenen Teilen der Gesellschaft bestehen, dass fängt ja schon in diesem Blog an.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Scheffel
Werter Hr. A. Schwerdtfeger:
am 02.09.18 formulierten SIE:
„Die Kirche nun ist in diesem Sinne auch „Uniformträger“,…
Aber vielleicht wissen Sie im nachhinein nicht mehr, was Sie geschrieben haben.
Mehr kommentiere ich Ihren erneut polemischen Angriff wider dem Tölpel nicht.
Jo.Flade
„De-Eskalation“ forderte der vernünftige Teil der Presse zum Thema Chemnitz und was Sie, lieber Herr Wolff, „verharmlosen“ nennen, ist vielleicht vernünftige De-Eskalation. Man darf ja nicht vergessen, daß Sie selbst, der Sie hier Verharmlosung sehen und in einem anderen Fall einen Strafantrag stellten, weil Ihnen bestimmte Aussagen als zu weit gehend erschienen (ich habe mich da angeschlossen), an mich gerichtet den schönen Passus richteten:
„Der Unterschied, lieber Herr Schwerdtfeger, liegt woanders: Menschenrechte sind unteilbar, also gelten sie für und gegenüber jedem Menschengeschöpf. Das schließt aber nicht aus, dass ich Verhaltensweisen, Meinungen etc. von anderen kritisiere. Nur leite ich davon nicht ab, dass sie kein Recht haben zu leben. Vielleicht können Sie das ja nachvollziehen. Beste Grüße Christian Wolff“ (19.08.-20:54), den man ohne viel Mühe ziemlich ähnlich interpretieren könnte wie die Aussage, derentwegen Sie eben Strafanzeige stellten.
Und ein Anderer auf Ihrem blog, der sich immer so verbindlich zu geben trachtet und in Wirklichkeit wie ein inhaltsloser Tölpel auftritt, scheut sich nicht, völlig unnötig das Wort „Uniform“ ( = lt Duden: „einheitliche Dienstkleidung“, die im übrigen nicht nur für Soldaten und Polizisten sondern auch zB für Forstbeamte, für Schützenvereine, etc gilt und eben auch für Pfarrer) bewußt beleidigend mit dem Wort „erniedrigen“ zu kommentieren und damit ein weiteres Mal zu belegen, daß er die Sprache, in der er sich auszudrücken bemüht, gar nicht beherrscht.
Der von Ihnen nicht gemochte Seehofer beweist es uns erneut – und schon folgen ihm alle „Kollegen“ aus allen Parteien im Überbietungswettbewerb eskalierender Vokabelwahl: Nahles spricht von „zündeln“, Göring-Eckart findet wie üblich nur Worte abstrakter Sinnlosigkeit, Stegner und andere ersetzen die Mutter durch den (Groß)Vater und reden so am Problem vorbei, die Medien – ewig manipulativ – stürzen sich auf die erneute Krise und walzen sie aus. Man wünschte sich in der Tat, daß Seehofer seine an sich häufig durchaus richtigen Erkenntnisse in eine Sprache kleiden würde, die solche ja auch von ihm vorherzusehenden unnötigen Diskussionen am Thema vorbei vermeiden würde. Aber er ist wie Sie, wie Ihr kleiner Claqueur (dem allerdings die Sprachgewalt eines Seehofer, ja Sprachgewalt überhaupt fehlt), wie so viele.
Und wenn Sie nun meinen, dieser mein Beitrag sei auch Eskalation – aber woher denn. Ich „kritisiere nur Verhaltensweisen“ (siehe oben).
Wir leben zum Glück nicht in einem radikalen Land. Wenn allerdings alle Menschen glauben, Beschimpfungen lösten unsere Probleme, dann wird das wohl bald der Fall sein. Wobei – zugegeben – einige Tölpel (Höcke zB) nicht mehr einzufangen sein werden.
Ich grüße Sie und bleibe optmistisch.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Mayer,
„Spaßfaktor beim Chemnitzer Konzert ganz groß“ ?
Dann lesen Sie den Kommentar von Jan Fleischhauer – http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kuenstler-gegen-rechts-bis-der-bullenhelm-vom-schaedel-fliegt-kolumne-a-1226821.html
In Hamburg wurde gezeigt, dass es auch anders geht. 178 zu 10.000 Teilnehmer. In Chemnitz war ein Konzert mit vielen Tausend Besuchern. Spaßfaktor ganz groß. Wo waren die Leute an den Tagen zuvor?