Für jeden, der es nicht miterlebt, ist es unvorstellbar: ein Terroranschlag mitten in einer Stadt; Gewalt, die Leben zerfetzt und für die Opfer Alles in einem Bruchteil einer Sekunde auf dramatische Weise verändert. Niemand, der nicht unmittelbar von den Folgen eines Terroranschlags betroffen ist, kann die Wucht des Ereignisses ermessen: den Schmerz, die Trauer, die Verzweiflung, die Wut – genauso wenig wie wir als Kinder die Traumata kaum begreifen konnten, die unsere Eltern in Bombennächten des 2. Weltkrieges erlitten haben. Darum ist es für die Unbeteiligten so schwer, das Verbrechen des Terrors zu erfassen und darauf angemessen zu reagieren. Die Schwierigkeiten, damit umzugehen, vergrößern sich dadurch, dass Terroranschläge immer auch eine politische Dimension haben. Unbeteiligte werden Opfer, doch der Terror selbst entspringt religiöser oder ideologischer Verblendung und richtet sich oft genug gegen die politischen Systeme, zu denen die Opfer durchaus eine kritische Distanz haben. Es ist wie bei der Bombardierung von sog. zivilen Zielen im Krieg. Die Menschen, die getötet werden, haben mit den politischen Hintergründen und den Kriegsgegnern nur bedingt zu tun, werden aber Opfer. Ihnen hilft die politische Dimension oder Rechtfertigung von Kriegshandlungen oder terroristischen Akten wenig, weil die persönlichen Folgen der Gewalt für sie katastrophal sind. Dennoch kann Terror nur bekämpft und gestoppt werden, wenn ihm das politische Rechtfertigungsszenario entzogen wird, wenn sich also die politischen Bedingungen, die Terrorismus fördern, ändern.
Es ist merkwürdig: Derzeit reden wir nur darüber, wie ein Terrorakt also solcher verhindert werden kann – ohne zu bedenken, dass er das letzte Glied in einer Kette von Ursachen ist. Die wahren Gründe für die Terrorakte in europäischen Metropolen liegen nicht hier, sondern vor allem in den Ländern, in denen sich Menschen radikalisieren bzw. für ihre verbrecherischen Taten gefügig gemacht werden – und das sind die Länder des Nahen Osten und Nordafrikas. Solange sich dort die katastrophalen politischen Verhältnisse nicht verändern, solange nicht dort ein langfristiger Friedensprozess in Gang gesetzt wird, solange die europäischen Industrienationen nicht politisch wie finanziell ganz viel in einen solchen Prozess investieren, werden wir hier noch so viele Sicherheitsmaßnahmen ergreifen können: sie werden auf Dauer keinen Terrorakt verhindern.
Nun sieht es derzeit aber nicht danach aus, dass ein solcher Prozess –seit Jahrzehnten überfällig –demnächst implementiert wird. Im Gegenteil: Die jungen Gesellschaften im Nahen Osten und in Nordafrika werden weiter im Innern zerstört und Generationen werden jedweder sinnvollen Lebensperspektive beraubt. Wie sollen sich diese Gesellschaften auch entwickeln, wenn dem größten Teil der Bevölkerung, nämlich den unter 30-jährigen, Bildung und Arbeit vorenthalten werden? Wie soll Frieden entstehen, wenn die Konflikte im Nahen Osten und in Nordafrika systematisch durch Waffenlieferungen und von außen gesteuerten Kriegskoalitionen genährt werden?
Einen wesentlichen Beitrag zu dieser verhängnisvollen Entwicklung hat der Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, bei seinem Besuch in Saudi-Arabien vor wenigen Wochen geleistet. Unter dem Deckmantel, den Terrorismus bekämpfen zu wollen, hat er einen 350 Milliarden Dollar Rüstungsdeal mit den Scheichs in Saudi-Arabien geschlossen – also mit einer Macht, die nach innen brutal alle Menschenrechte mit Füßen tritt und nach außen die Region mit kriegerischen Handlungen überzieht. Trump hat diesen islamistischen Staat, euphemistisch „Königreich“ genannt, mit seinem „Säbeltanz“ geadelt und damit ein System abgesegnet, das Null Interesse an einer Befriedung des Nahen Ostens hat und derzeit den Syrien-Krieg dazu nutzt, den Iran zu bekämpfen. Darum war es fast vorhersehbar, wahrscheinlich mit Trump abgesprochen, dass Saudi-Arabien, Ägypten und weitere Golfstaaten, Katar zum Schurkenstaat erklären, alle Beziehungen abbrechen und ein neues, Waffen verschlingendes Konfliktfeld schaffen – um auch von dort den Iran zu bekämpfen.
Diese Art von „Politik“ – man mag dieses Wort im Zusammenhang mit Trump gar nicht in den Mund nehmen, denn es suggeriert, als ginge diesem Gossen-Rüpel im Präsidentenamt um das Staats- oder Volkswohl – ist die Hauptursache für Terrorakte in unseren Städten. Darum betreibt Trump die höchste, brutalste und in jeder Hinsicht Menschen verachtende Form des Terrorismus. Wer also den Terrorismus in Europa bekämpfen will, darf sich keinen Millimeter auf den Pfaden Trumps bewegen, sondern muss sich seiner so plumpen, aber gefährlichen Gewaltpolitik in den Weg stellen. Denn Trumps Zerstörungswerk zielt im Innern und nach außen auf alles, was Menschen heilig sein sollte und was wir als „wertvoll“ erachten: Menschenwürde, Meinungs- und Religionsfreiheit, Pluralismus, gerechte Teilhabe an Bildung, Arbeit, Einkommen. Darum wird es allerhöchste Zeit, dass die europäischen Staaten endlich einen – sicher langwierigen und äußerst komplizierten – Friedensprozess im Nahen Osten und in Nordafrika initiieren und die sog. Sicherheitspolitik – also das, was wir hier gegen Terror-Verbrechen tun – in einen solchen Prozess einordnen.
3 Antworten
Es ist erstaunlich, lieber Herr Wolff, daß Sie diesmal eigentlich eine recht gute Analyse der Ausgangslage hingekriegt haben:
– “Dennoch kann Terror nur bekämpft und gestoppt werden, wenn ihm das politische Rechtfertigungsszenario entzogen wird, wenn sich also die politischen Bedingungen, die Terrorismus fördern, ändern” – richtig, und das muß in den entsprechenden Regionen passieren!
– “Die wahren Gründe für die Terrorakte in europäischen Metropolen liegen nicht hier, sondern vor allem in den Ländern, in denen sich Menschen radikalisieren bzw. für ihre verbrecherischen Taten gefügig gemacht werden – und das sind die Länder des Nahen Osten und Nordafrikas” – richtig, und deshalb muß dort ein Mentalitätswandel erfolgen!
In beiden Fällen kann der Westen unterstützen – das Problem lösen kann er nicht. Und in beiden Fällen wird der Westen auch weiterhin in dem Dilemma stehen, daß er entweder dem dortigen Terror, der ja viel schlimmer ist als der bei uns, tatenlos zusieht und sich den Aufrufen der westlichen Gutmenschen zum “was tun” entzieht oder diese Aufrufe durch militärische Intervention befolgt und dann der moralischen Verdammung und hinterherigen Besserwisserei der Gutmenschen ausliefert.
Allerdings:
Ihre erste Aussage entwerten Sie danach, indem Sie dem typisch deutschen Nachkriegs-Minderwertigkeitskomplex unterliegen und unterstellen, daß der Westen das “Rechtfertigungsszenario” lieferte. Das ist natürlich Unsinn. Die Gründe für die Unruhe in den Krisengebieten des Nahen/Mittleren Ostens und des zentralen Afrika liegen dort und nicht in Europa oder Amerika, nämlich im Jahrhunderte alten Streit zwischen Sunni und Shi’a (Naher Osten) bzw in den Stammes- und Clankriegen (Afrika). Und zwar kann man nun “die Kolonialmächte” in beiden Regionen durch in der Tat unsensible Grenzziehungen und wirtschaftliche Ausbeutung dafür mitverantwortlich machen, aber wer glaubt, daß dies die alleinige oder auch nur maßgebliche Ursache sei, der zeigt ja, daß er die hochkomplexen Weltprobleme auf eindimensionale Sichten reduziert. Das von Ihnen schon mehrfach gelobte Lüders- Buch zeigt doch, wie sehr einige sogenannte Experten zur fatalen Vereinfachung neigen und in Wirklichkeit Propaganda im Sinne ihrer politischen Meinung machen, wenn Sie glauben, die religiösen, ethnischen, interkulturellen und über lange Zeiträume entstandenen geschichtlichen Probleme einer Region auf 180 Seiten glauben reduzieren zu können.
Und Ihre zweite Aussage, die Sie zu der Forderung nach mehr politischem und finanziellen Engagement des Westens in den Problemregionen führt, passt wieder in das Schema: Richtige Analyse, vereinfachter Schluß, keine Anerkennung der Realität. Denn politische und finanzielle Unterstützung kann eben erst erfolgreich sein, wenn gewisse Minimalvoraussetzungen erfüllt sind: Das Beispiel Gaza-Streifen zeigt uns, daß politische und finanzielle Unterstützung dann in den Wind geschossen sind, wenn die Machthaber vor Ort (Hamas) diese Unterstützung ausschliesslich zur Unterdrückung ihrer eigenen Bevölkerung und zur internationalen Terrorpropaganda und -tat (Raketen auf Israel) nutzen. Sowohl im Nahen/Mittleren Osten als auch in Afrika wird es trotz politischer und finanzieller Unterstützung keinen Frieden geben, solange die dortigen Machthaber – leider häufig religiöse oder religiös verblendete Führer – diese nur zu Unterdrückung und Verbrechen nutzen.
Was nun Trump angeht – diesem “Gossen-Rüpel”, wie Sie ihn mit einem Ihrer typisch politischen Argumente bezeichnen –, so haben Sie sicherlich Recht, daß sein Waffendeal nicht hilfreich ist; dies allerdings mehr, weil er so einseitig Position für die Sunni und gegen die Shi’a bezieht. Der Westen hatte gerade mit dem Iran-Vertrag eine einigermaßen “neutrale” Position eingenommen, deren Fortführung wenigstens ein Minimum an Einfluß gewährleistet hätte – und dies ist nun wohl vorbei. Trump deswegen zum obersten Terroristen der Welt zu befördern ist bei aller verständlichen Abneigung wieder mal nur die In-Schutz-Nahme der wirklichen Terroristen in den islamischen / afrikanischen Regionen und somit deren Ermutigung.
Schließlich: Die Saudis nutzten den Syrien-Krieg zur Bekämpfung des Iran, schreiben Sie. Und umgekehrt? Iran nutzt den Syrien-Krieg zur Bekämpfung Saudi-Arabiens und hat vorher andere Kriege zur Bekämpfung Israels genutzt. Die beiden sind kaum unterschiedlich und Ihre Kritik ist also einseitig. Saudi-Arabien ist eine religiöse Diktatur wie viele andere Staaten der Welt – der Unterschied zu diesen allerdings ist, daß dort zwei der drei heiligsten Stätten des Islam angesiedelt sind, und man mag sich nicht vorstellen was passieren würde, wenn dort aus Gründen einer demokratischen Hygiene nach Ihren Vorstellungen ein sogenannter ”arabischer Frühling” ausbrechen würde. Eines allerdings weiß man: Würde dies passieren, gehörten Sie zu den ersten, die forderten, man müsse doch “was” tun!
Ich grüße Sie herzlich,
Andreas Schwerdfeger
Viel über die Geschichte und Ursachen der Region (und die unrühmliche Rolle des Westens) sehr gut auch im Buch „Wer den Wind sät – Was westliche Politik im Orient anrichtet“ von Michael Lüders (C.H.Beck) dargestellt. Viele Grüße nach Leipzig
Ja, das ist ein sehr erhellendes Buch – und zeigt auf schonungslos auf, wie die westlichen Länder sich der unterschiedlichen Terrorgruppen bedienen, sie hochpäppeln und fallen lassen, um ihre Interessen zu verfolgen. Mit Friedenspolitik hat das Ganze nichts, aber auch gar nichts zu tun. Eigentlich ist es erstaunlich, wie wenig von den Folgen dieser katastrophalen Politik hier ankommt. Aber dabei wird es nicht bleiben. Darum muss es zu einer europäischen Friedensinitiative kommen. Christian Wolff