Nach seiner Ansprache beim Eröffnungskonzert des Bachfestes Leipzig am 9. Juni 2017 in der Thomaskirche habe ich mich in einem „Offenen Brief“ an den Präsidenten des Bach-Archivs Leipzig, Sir John Eliot Gardiner, gewandt.
Sie sind ein in aller Welt hoch geschätzter und gern gehörter Interpret insbesondere des umfangreichen geistlichen Werkes von Johann Sebastian Bach. Viele Menschen freuen sich, Ihre Konzerte beim Leipziger Bachfest miterleben zu können. Ihre internationale Reputation hat dazu geführt, dass Ihnen die Stadt Leipzig angetragen hat, Präsident des Bach-Archivs zu werden. In dieser Eigenschaft tragen Sie ein hohes Maß an Verantwortung für die Pflege des Bach‘schen Werkes in der Stadt, in der der große Thomaskantor im 18. Jahrhundert über 27 Jahre gewirkt hat.
Am vergangenen Freitag haben Sie als Präsident des Bach-Archives beim Eröffnungskonzert des Bachfest in der Thomaskirche gesprochen. Im Programm war dazu ausgewiesen „Einführung“. Mit Spannung haben viele Menschen erwartet, was Sie auf dem Hintergrund ihres profunden Wissens und ihres reichen musikalischen Erfahrungsschatzes zum diesjährigen Bachfestmotto „Ein schön new Lied – Musik und Reformation“ und zu den beiden Hauptwerken des Eröffnungskonzertes sagen werden. Doch dazu war leider nichts zu vernehmen. Stattdessen haben Sie – aus welchen Gründen auch immer – auf Ihre Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus verwiesen und Ihr eigenes Konzertprogramm im Detail dargestellt. Nach der englischen Übersetzung Ihrer Ansprache haben Sie dann die Thomaskirche mit der Bemerkung verlassen, dass Sie die Werke, die jetzt zu hören sein werden, schon kennen und schließlich selbst im Gewandhaus aufführen werden – nach dem Motto: Ich besuche nur die Konzerte, die ich selbst dirigiere. Kein Wort war aus Ihrem Mund zu hören zur reformatorischen Musiktradition und zur Bachkantate „Ein feste Burg ist unser Gott“ (BWV 80) und zu Mendelssohns „Lobgesang“; kein Wort der Wertschätzung zum Thomanerchor oder zu Thomaskantor Gotthold Schwarz. Nun liegt es mir fern, Ihnen zu unterstellen, dass dies ein unbeabsichtigter Fauxpas war. Dafür sind Sie viel zu versiert. Also muss jeder davon ausgehen, dass dieser Auftritt so von Ihnen geplant und gewollt war. Das aber macht die Sache zu einem Affront und Politikum. Sie haben damit der Würde des Anlasses wie dem ganzen Bachfest einen Bärendienst erwiesen. Mehr noch: Sie haben die aktiven Musiker/innen schnöde missachtet und sich eitel selbst in den Mittelpunkt gestellt. Man fragt sich: Haben Sie das nötig? Doch frage ich mich auch: Wieso diese Lobhudelei für das Gewandhaus(orchester), die dieses gar nicht nötig haben? Wollten Sie damit dem Ansinnen Tür und Tor öffnen, das Bachfest in Zukunft im Gewandhaus zu eröffnen, möglichst mit einem Ensemble Ihrer Wahl und natürlich unter Ihrer musikalischen Leitung? Wollten Sie zum Ausdruck bringen, dass Sie sich mit einem „Provinzorchester“ aus Halle und einem „Kinderchor“ (Thomaner) nicht abgeben?
Offensichtlich haben Sie immer noch nicht verstanden, dass viele Menschen, vor allem aus dem Ausland, das Leipziger Bachfest deswegen besuchen, weil sie hier die Musik Johann Sebastian Bachs an den Originalspielstätten im Originalformat erleben können, nämlich in der Nikolai- und Thomaskirche in den Gottesdiensten, Metten und Motetten und natürlich auch in den Konzerten. Natürlich: Das allein reicht nicht für ein umfassendes Bachfest. Darum werden auch Sie mit Ihren Ensembles oder Ton Koopman oder Masaaki Suzuki zum Bachfest eingeladen – und viele Menschen freuen sich darauf. Darum auch die umfassende musikalische Darstellung der Traditionen, auf die Bach aufbaute, und der Wirkungen, die seine Musik hatte und hat. Aber ohne die intensive Pflege der Leipziger Musiktradition geht es nicht. Diese zeichnet sich vor allem durch eine glückliche Verbindung von Professionalität und Demut vor dem Werk und seinem Inhalt aus. Davon aber war bei Ihrem Auf- und Abtritt am Freitagabend in der Thomaskirche nichts zu spüren. Gott sei Dank war dann die Darbietung des Thomanerchores, des ThomasSchulChores, des Händelfestspielorchesters Halle und der Solisten unter Leitung von Thomaskantor Gotthold Schwarz so stark, dass zum einen die Peinlichkeit Ihrer Ansprache noch deutlicher zu Tage trat, sie aber nichts an der Großartigkeit des Musikerlebnisses schmälern konnte.
Dieses Ihnen in aller Offenheit zu schreiben, ist mir ein großes Anliegen. Denn mir ist sehr wohl bewusst, dass diejenigen, die in Ihrer Nähe sind, Ihnen die Unmöglichkeit des Auftritts kaum vermitteln werden, und viele Menschen, die Ihre Ansprache miterlebt haben, wünschen, dass Sie dies erfahren.
Zum Thema siehe auch den Blog-Beitrag: http://wolff-christian.de/haende-weg-vom-bachfest/
12 Antworten
Lieber Herr Pfarrer Wolff,
vielen Dank für Ihre eindeutigen Worte zu dem unglaublich selbstdarstellerischen und überheblichem Auftreten von Sir J.-E. Gardiner beim Eröffnungskonzert des Bachfestes. In meinen Augen war es ein Affront gegen die Thomaskirche als authentische Aufführungsstätte und zugleich Ruhestätte Joh.Sebastian Bachs. Gleichzeitig aber auch gegen den Thomanerchor einschließlich aller sonstigen Mitwirkenden und den amtierenden Thomaskantor. Ferner gegen die Stadt Leipzig mit ihrer großen Musiktradition und nicht zuletzt gegen den Geist Bachs selbst, der in seinen Werken immer das “ Soli Deo Gloria“ vor die eigene Person gestellt hat. Darum kann auch nur Bach selbst mit seiner Kantate BWV 47 „Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden“ die angemessene Antwort geben.
More and more is John Eliot Gardiners ‚ego‘ present in his behaviour and even in his conducting. In a growing way the spiritual message that is the basis of the religious music of Johann Sebastian Bach is missing in his conducting, his personal approach and attitude as musician. It’s a pity and a shame for the all the fine musicians who perform here and even for Leipzig. In my broadcast program I was already boycotting his performances.
Govert Jan Bach, Amsterdam
Ich war dabei und habe die Rede und das Verhalten von „Sir“ Gardiner genau wie Sie empfunden, lieber Herr Wolff. Meinerseits werde ich zukünftige Veranstaltungen mit Herrn Gardiner boykottieren – auch wenn ich auf sehr gute musikalische Qualität verzichten muss. Es gibt ja – Gott sei Dank – noch viele andere sehr gute, herausragende Ensembles.
Ihnen, Hern Pfarrer a.D. Wolff, besten Dank für die klaren Worte und Gottes Segen.
Lieber Herr Wolff,
Ihre fundierte Kritik an Sir J.E. Gardiner und seiner Eröffnungsrede beim Bachfest 2017 entspricht der Wirklichkeit zu dieser Person. Seit Jahren bemerke ich seine Selbstgefälligkeit die unerträglich geworden ist. Seine Bach-Einspielungen im Bach-Jahr 2000 lebten und wurden beseelt aufgeführt. Neuerdings scheint bei Ihm eine gefährliche Bach-Routine in seinen Konzerten eingekehrt zu sein.
Leipzig muss höllisch aufpassen, dass in Zukunft das wunderbare Bachfest nicht zu einer „ein mann schow“ verkommt. Ich wünsche und hoffe sehr, dass alle Verantwortlichen nun in Kenntnis gesetzt worden sind, was ein Sir Gardiner in Zukunft für ein Unheil anrichten könnte.
Mit herzlichen Grüßen
Volker Hege
Lieber Bruder Wolff,
dieser „Offene Brief“ kann von mir nach all meinen Beobachtungen der Scene um Sir Eliot in den letzten Jahren nur nachdrücklichst unterstrichen werden, auch wenn ich leider die Rede ebenfalls nicht im O-Ton hören, sondern nur aus der Besprechung in der LVZ „erahnen“ konnte.
Ich erhebe mit ihnen gern meine Stimme, wenn es um Bachpflege
in der diesem trotz oder sicher gerade wegen seiner musikalischen Genialität immer dem Gotteslob und den Menschen, denen er es zu Gehör bringen wollte, verpflichteten
Meister fortgesetzt werden kann, wie wir es in den wöchentlichen Motetten alle erleben
dürfen und wie sie nach Rotzsch vor allem von Herrn Biller und nun in seiner würdigen Nachfolge von Gotthold Schwarz gepflegt und gelebt wird.
Bachs Musik – ich meine damit deutlich nicht allein die sog. „geistliche“ – ist einfach
in sich Lob und Gnade und braucht keine Musiker, die sich wie zwar oft wunderbar leuchtende, aber eben doch auch verändernde Glasscheiben dazwischen schieben.
Wünschen wir der Leipziger Musikszene den Geist der Größe, die aus einem „Königlichen Motiv“ keine Lobhudelei, sondern ein „Musikalisches Opfer“ erschafft.
Reinhard Hofmann
Lieber Christian Wolff,
leider konnte ich nicht dabei sein. Zu gern hätte ich die „vereinigten“ Chöre erlebt mit eben diesen Werken. Wenn die Rede Gardiners „kalkuliert“ war – und ich zweifle nicht daran – dann kann man wohl sagen, dass Gefahr im Verzuge ist. Will er seinen Einfluß nutzen und den Geist der Bachpflege umbauen und in eine bestimmte Richtung lenken? Seine Eitelkeit ist vor einem solchen Hintergrund eher zweitrangig. Der erwartbare Schaden hingegen immens. Vielen Dank für Ihre deutlichen und klaren Worte.
Herzlichen Gruß
Thomas Weiss
!Herzlichen Dank für diesen offenen Brief und die Kommentare.
Leider kann ich die allgemeine Meinung NICHT teilen, daß Herr Gardiner einer großartiger Musiker ist. Mich hat bisher keine seiner Aufführungen berührt. Leider!
Friedrich Edelmann, ehem. Solofagottist der Münchner Philharmoniker
Einverstanden. So ist seine neue Matthäus Passion virtuos und überragend aber auch kalt und untief.
Lieber Herr Wolff,
Ihr Kommentar spricht mir aus dem Herzen.
Sir John Eliot Gardiner ist ein großartiger Musiker mit einem wirklich sehr gutem Ensemble. Leider zeigt der Mann mit seiner Eitelkeit bedauernswerte menschliche Schwächen. Ich erinnere mich, wie er anläßlich eines Bachfestes der letzten Jahre allein und selbstgefällig lächelnd durch das ganze Kirchenschiff ging wie weiland Julius Cäsar bei der Huldigung durch seine Legionen. Das war bei Herrn Biller unvorstellbar. Dieser ging in der Freitagsmotette immer als Letzter hinter seinem Chor nach vorn. Weiter: Wie J. S. Gardiner es in einem Interview der Leipziger Volkszeitung (LVZ 14. Februar 2014, Korfmacher) fertigbrachte, den Thomanerchor und den Thomaskantor Georg Christoph Biller – gegenüber fünfzig Meter entfernt! – mit keinem Wort zu erwähnen, war gelinde gesagt ein Affront gegen diese mehr als achthunderjährigen Institution . Im gleichen Interview nannte er Riccardo Chailly einen großen Bachforscher. Mein Gott, was sollte das denn. Das hatte Chailly weiß wirklich nicht nötig.
Gardiner sieht nur sich und seinen Heiligenschein und ist in seinem Leipziger Amt eine glatte Fehlbesetzung.
Viele Grüße bis zum Bachfest.
Ihr Jürgen Wagner
Lieber Pfarrer Wolff!
Vielen Dank für diesen auch in seiner Deutlichkeit nötigen Brief! Besagte Rede war in Peinlichkeit und Anmaßung wirklich nicht zu überbieten. Wie gut, dass demgegenüber OBM Jung die Worte fand, an denen es Sir Gardiner mangelte!
Die Musik des Abends stellte Sir Gardiner schnell weit in den Hintergrund und das nichtzuletzt ob ihres Textes, bei dem man ja fast schon versucht war, ihn auch als Erwiderung auf seine Ausführungen zu deuten: Hüter, ist die Nacht bald hin? Gott sein Dank: Die Nacht ist vergangen und nicht wegen, sondern trotz Herrn Gardiner!
Ich bin ehrlichgesagt gespannt, ob Ihr Brief Antwort findet!
Lieber Pfarrer Wolff,
ich selbst konnte leider nicht mit dabei sein, doch bestätigt sich der Eindruck, dass Sir Eliot menschlich ein Narzisst ersten Ranges ist, wie es sie momentan leider überall in exponierten Positionen zu finden gibt. Ich hoffe, dass die entscheidenden Leute bald begreifen, dass ein solcher Geck hier fehl am Platze ist, anstatt sich mit seinem Namen zu schmücken.
Mit herzlichen Grüßen
Holger Krause