Vor über 10 Jahren habe ich in der Thomaskirche im Rahmen eines Abendgottesdienstes ein schwules Paar gesegnet. Sie hatten zuvor in Kalifornien/USA geheiratet. Beide kannte ich gut: den einen hatte ich als Erwachsenen konfirmiert, der andere war Amerikaner und lebte jedes Jahr für einige Wochen in Leipzig. In dieser Zeit besuchte er die Gottesdienste in der Thomaskirche. Kein Gottesdienstbesucher hat an diesem Abend die Kirche unter Protest verlassen. Niemand sah sich in seinem Glauben erschüttert. Im Gegenteil: Viele waren beeindruckt darüber, wie wichtig diesem Paar der Zuspruch durch den Segen Gottes war und gratulierten nach dem Gottesdienst herzlich. In den folgenden Jahren führte ich mehrere Segnungsgottesdienste für schwule Paare durch. Was mir dabei auffiel: Liturgie, Gebete, der Inhalt der Ansprache unterschieden sich in nichts von einer „normalen“ kirchlichen Trauung. Das ist wenig überraschend. Denn die Ehe ist eben kein Sakrament und eine kirchliche Trauung ist nichts anderes als ein Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung. Das Entscheidende ist die Bitte um den Segen Gottes, damit das Eheversprechen, ein Leben lang in Freude und Leid zusammenzubleiben, gelingen kann. Mir wurde durch die Segnungsgottesdienste, vor allem aber auch durch die Gespräche mit den schwulen Paaren deutlich, dass die Unterscheidung vom Segnungsgottesdienst zur „normalen“ Trauung künstlich und letztlich nicht aufrecht zu erhalten ist. Insofern freue ich mich, dass am kommenden Freitag endlich rechtlich fixiert wird, was moralisch-ethisch längst überfällig ist: die Ehe für alle, auch für schwule und lesbische Paare. Damit ist es möglich, dass diese – mit allen Rechten und Pflichten – eine Familie gründen können.
So weit, so gut. Es bleibt aber mehr als bedauerlich, ja beschämend, dass sich Teile der Kirchen immer noch schwer damit tun, die Ehe für alle anzuerkennen und entsprechend die kirchliche Trauung auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen und solche Vollzüge auch in die Kirchenbücher einzutragen. Das gilt insbesondere für die katholische Kirche, aber auch für die sächsische Landeskirche und ihren derzeitigen Landesbischof. Bei der Kritik an der Homo-Ehe werden immer noch die (wenigen) Stellen der Bibel herangezogen, in denen gleichgeschlechtliche Sexualität verurteilt wird. Doch was nicht beachtet wird: Da geht es weniger um das gleichgeschlechtliche Zusammenleben als solches, sondern um sexuelle Nötigung bis hin zur Prostitution. Auch ist zu bedenken, dass in der Bibel relativ wenig über die Institution Ehe zu finden ist. Im Mittelpunkt der biblischen Botschaft steht, wie Menschen in einer Partnerschaft zusammenleben sollen. Danach gelten für heterosexuelle Paare die gleichen Maßstäbe wie für homosexuelle Partnerschaften – übrigens unabhängig von der rechtlichen Form des Zusammenlebens. Leider wird dieser Aspekt in den Diskussionen immer wieder überlagert von einer dogmatischen Sakralisierung des Institutionellen. Eigentlich sollte diese Sakralisierung seit der Reformation der Vergangenheit angehören. Doch leider haben es die Kirchen bis heute versäumt, sich ihrer Versagensgeschichte gegenüber homosexuell lebenden Menschen zu stellen. Denn indem sie über Jahrhunderte Homosexualität zur Sünde erklärt haben, haben sie wesentlich zur Diskriminierung, unnachsichtigen Verfolgung und unmenschlichen Behandlung dieser Menschen beigetragen.
Widerstand gegen die Ehe für alle regt sich aber nicht nur in den Kirchen. Auch die CDU/CSU und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten niemals von sich aus die Ehe für alle auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt. Seit Jahren haben sie dafür gesorgt, dass der vorliegende Gesetzentwurf im Bundestag nicht behandelt wurde. Seit Merkels Bemerkung, die Entscheidung über die Ehe für alle sei eine Gewissensfrage und darum sei der Fraktionszwang aufgehoben, sind sie nun Getriebene. Denn Merkels Äußerung basiert nicht auf einer Überzeugung. Sie ist allein taktisch bestimmt. So ist seit Montag eine ziemlich absurde Situation entstanden: Angela Merkel hat – ungewollt – den Weg für eine Entscheidung frei gemacht, die die Partei, deren Vorsitzende sie ist, inhaltlich ablehnt. Damit wird kurz vor der Bundestagswahl noch einmal überdeutlich, wie Angela Merkel nunmehr seit 12 Jahren regiert: Zum einen weiß sie sehr genau, dass sie ohne den Koalitionspartner SPD kaum Erfolge vorzuweisen hat. Während sie sich auf die solide Arbeit der sozialdemokratischen Minister verlassen kann, wird sie von ihren eigenen Leuten, insbesondere von der CSU, in die Enge getrieben. Was allerdings Merkel meisterhaft versteht: Sie unterstützt Positionen der SPD (auch der Grünen und der FDP), um sie dann als CDU-Erfolg zu verkaufen. Doch diese Strategie scheint mit der von der SPD erzwungenen Entscheidung im Bundestag für die Ehe für alle an ihr Ende gekommen zu sein. Und das aus zwei Gründen: Zum einen hat sie bei ihrem opportunistischen Schachzug nicht damit gerechnet, dass die SPD noch in dieser Woche die Bundestagsentscheidung für die Ehe für alle durchzusetzen versucht. Zum andern wird diese Entscheidung innerhalb der CDU/CSU zu programmatischen Verwerfungen führen, deren Auswirkungen noch völlig offen sind. Oft sind es Entscheidungen über Symbolthemen, die eine schwelende Krise aufbrechen lassen.
Für die Kirchen, insbesondere für die Kirchen der Reformation, ist wichtig, dass sie in der Debatte um die Ehe für alle deutlich macht: Die Attribute christlich und kirchlich bedeuten nicht, dass man automatisch gegen die Ehe für alle sein muss. Im Gegenteil: Wer für sich in Anspruch nimmt, christlich zu leben und kirchlich gebunden zu sein, der sollte das in Mittelpunkt stellen, worauf es im Zusammenleben ankommt: das Doppelgebot der Liebe. Für den Glauben ist nicht die Institution das Entscheidende, sondern wie wir Menschen in den sich wandelnden gesellschaftlichen das praktizieren, was unaufgebbar ist: Respekt, Rücksichtnahme, Nächstenliebe, Ehrfurcht vor dem Leben. Darum ist die Entscheidung für die Ehe für alle der rechtliche Vollzug dessen, was der christliche Glaube nahelegt und ermöglicht.
15 Antworten
Es war ja zu erwarten, Herr Flade, daß Sie sich mit jeder Antwort immer weiter in die Banalität erniedrigen. Soso – sie haben also Argumente und diskutieren sie aber lieber in personam (aber nicht mit mir, dem Sie sich nicht gewachsen fühlen, sonnst brauchten Sie ja diese “Bescheidenheit” nicht). Gut, daß Herr Wolff das anders sieht, sonst gäbe es ja diesen blog nicht. Aber genau so, wie Sie der einigermaßen primitiven Illusion unterliegen, man könne und solle Sachverhalte nur in Leipzig und nur persönlich diskutieren, genauso unglaubwürdig ist Ihre These, Sie hätte Argumente in der politischen Auseinandersetzung. Man sieht dies ja schon daran, daß Sie Mühe mit der deutschen Sprache haben: Aus einem Satz wie “DA hat er nichts im Kopf” – also zu diesem speziellen Thema – schliessen Sie, ich hätte Ihren IQ bewertet. Da irren Sie – und seien Sie froh!
Ich grüße Sie – und solange Sie nicht Ihre Theorie beweisen, daß Sie Argumente haben, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Zweifel bleiben. Für eine persönliche Diskussion stehe ich gerne trotzdem zur Verfügung. Herr Wolff hat meine Adresse hier im Raum Bonn und Sie können gerne kommen!
Andreas Schwerdtfeger
Auf Ihre Frage, Hr. Schwerdtfeger, zum sachlichen Argument in der Sache, was Sie entbehren, kurze Antwort: ich habe Argumente, selbstverständlich. Diese teile ich jedoch wie bisher mit anderen, die sich dem konstruktiven Diskurs in Persona stellen. Das ist mir einfach lieber! Jo.Flade
Für Ihre guten Sommerwünsche danke ich Ihnen, Herr Flade.
Lesen Sie Ihren Beitrag nochmal nach – finden Sie ein sachliches Argument zum augenblicks diskutierten Thema?
Gruß,
Schwerdtfeger
Zitat Schwerdtfeger: „Was sagt denn Flade inhaltlich zum Thema? Da hat er nichts im Kopf. Warum erklärt uns Weiss nicht, warum Ihre Meinung “kristallklar”, die der Andersdenkenden aber “spitzfindig” sei? Aber dazu hat er nichts im Kopf.“ – Nun also haben wir ihn, den Argumentationsüberlegenen; das ist der wahre Geist, der mal rasch und unkontrolliert aus der Flasche entschlüpfte. Ich danke Ihnen, Herr Schwerdtfeger, für Ihre Ferndiagnose meines und der anderen IQ. Mehrfach schlug ich Ihnen vor, mal die Tastatur Ihres PC in Ihrer Schreibstube zu verlassen und einzutauschen gegen ein öffentliches Diskussionspodium, wo Sie dann ausreichend Gelegenheit hätten, sich mit den Ansichten Andersdenkender (für Sie mit nichts im Kopf!) zu messen. Ihnen ist lieber genau diese Ihre Methode, der Sie seit den Wolffschen Blogs genüsslich frönen – im Internet. Für Ihren Stil sind Sie verantwortlich, den zu bewerten, unterbreite ich mich nicht der Mühe. Stellen Sie sich in Leipzig einer öffentlich geführten Debatte, treten Sie doch mal mutig in die Arena und breiten Sie vor einem Auditorium Ihre Weltsichten aus mit der Tendenz des Absoluten. Die muntere Auseinandersetzung mit den Anderen dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Keine Diffamierungen, keine Beschimpfungen, keine hohlen Köpfe – nein. Vielmehr eine Debatte auf vermutlich gutem Niveau. Und gerade Sie könnten Interesse daran haben, das Niveau zu heben. Einen fröhlichen Sommer – Jo.Flade
Es ist doch interessant, lieber Herr Wolff, w i e die Leute in Ihrem blog Diskussionen führen – und ich fürchte, daß dieser Stil eben für uns Deutsche inzwischen symptomatisch geworden ist. Sie, Herr Wolff, äußern Ihre Meinung zu einem meiner Argumente – schon kommt jemand und behauptet, sie hätten mich verunglimpft. Herr Flade, der ja noch nie etwas begriffen hat, ist der Meinung, ich diffamiere Sie, nur weil ich pointiert Ihrer Meinung die meine gegenüberstelle. Ein Dritter “fürchtet”, daß der legitime Gang zum Bundesverfassungsgericht gegangen werden könnte und also die “Messer gewetzt” würden. Alle Beiträge enthalten Begriffe wie “verschwurbelt”, “erzkonservativ” (offensichtlich als Vorwurf gemeint), “Eiertänze”, “Verlogenheit” und vieles mehr – und dies von Leuten, die glauben, Sie hätten was zu sagen, die aber gleichzeitig jedes Eingehen auf Argumente vermeiden (und sei es auch in polemischer Form). Niemand verlangt, daß man die Argumente der 200 Ablehnenden im Bundestag teilt; ihnen allerdings feige auszuweichen mit Vokabeln wie den oben zitierten, anstatt der Ernsthaftigkeit des Themas und der Argumente beider Seiten sowie deren “Gewissen” Respekt zu zollen – das ist eben der heutige sogenannte “Demokratiestil” und dem sollte man sich widersetzen. Was sagt denn Flade inhaltlich zum Thema? Da hat er nichts im Kopf. Warum erklärt uns Weiss nicht, warum Ihre Meinung “kristallklar”, die der Andersdenkenden aber “spitzfindig” sei? Aber dazu hat er nichts im Kopf. Meinungsäußerung heutzutage scheint nur noch Beleidigung zu sein und das Niveau der Flades und anderer reicht nicht für den Austausch von Argumenten, gerne auch mit polemischen Spitzen und Übertreibungen versehen, aber eben a u c h mit Argumenten zur Sache.
Sie schrieben neulich zu Recht, Populismus sei, wenn man sich nicht mehr mit den Argumenten der Gegner auseinandersetze sondern die eigene Meinung absolut setze. Das Letztere ist wohl irgendwie in den meisten Menschen angelegt; das erstere aber könnten auch Menschen tun, die sich trotzdem nicht umstimmen lassen wollen, was ja legitim ist. Aber wenn man dies verweigert – Flade, Weiss, leider eben auch Sie sehr häufig – dann ist das bedauerlich. Ich liefere auf Ihrem blog eine Menge Argumente – ich erwarte nicht, daß Sie oder andere Leser zustimmen. Aber die Gegenargumente liefern, anstatt sich auf beleidigende Vokabeln zurückzuziehen – das hielte ich für “kristallklar”.
Mit dem herzlichem Gruß eines Verunglimpften an den Diffamierten,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Christian Wolff, vielen Dank für Ihren Kristallklaren Blogbeitrag. Ich fürchte nun nach der klaren Mehrheit im Bundestag heute, werden die Messer bereits gewetzt und es wird einen langen Kleinkrieg geben, der sicher in Karlsruhe enden wird oder gar vor dem EuGH? Jedenfalls beschlich mich dieser Gedanke beim hören des heutigen Wortwechsels zum Thema im Deutschlandfunk Kultur. Die Argumentationen insbesondere der Kritiker und Gegner der heutigen Entscheidung sind derart verschwurbelt, spitzfindig und (mühsam verborgen) erzkonservativ, dass zu befürchten steht, dass die Diskussion unschöne Töne produzieren könnte. Das zeigen ja auch einige Kommentare hier… Um so nötiger sind klare Standpunkte wie der Ihre, deren Argumente durchdacht und belastbar sind. Herzlichen Gruß!
Hier stehe ich – mit einigen anderen – und kann nicht anders als mit Erschrecken zu konstatieren, dass die schon lange nicht mehr erträglichen Rhetorikauswürfe eines Herrn Schwerdtfegers, die nicht nur Chr. Wolff zu diffamieren suchen, sondern die wahrlich gesellschaftsrelevanten Themen im gegeneinander zerfleischen, bisher nicht und ganz sicher auch zukünftig einen konstruktiven Austausch differenter Ansichten nicht möglicht. Der Dt. Bundestag hat entschieden in der Sache; mehr ist dazu nicht zu sagen. Es ging ein Ruck durch unser Land, und die politischen Eiertänze der CDU/CSU offenbarten erneut eine Weltfremdheit und Verlogenheit, die deutlicher nicht mehr gemacht werden konnten.
„Denn das Argument greift nur, wenn jemand sich gar nicht mehr mit anderen Argumenten auseinandersetzt“ – dann, lieber Herr Wolff, wären Sie ja ein ganz schlimmer Populist!
Und was meinen letzten Satz angeht, den Sie kritisieren: Ich fürchte, es ist in der Politik legitim, Entwicklungslinien in die Zukunft weiter
zu projizieren. Der Verfall von Sprache, Werten und Sitten zwingt auch dazu. Die von der evangelischen Kirche vorgenommene „Umwidmung“ eines festgelegten Terminus läßt eben Interpretationen wie die meine zu. Es geht dabei wohlgemerkt nicht um die Frage des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Menschen.
Mit meinem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Wolff,
es war zu erwarten, daß Sie lieber ein Einzelthema behandeln und sich nicht so recht trauen, die populistische Gruselrede von Martin Schulz in Dortmund zu kommentieren, der zuzuhören ja so etwas an Masochismus grenzte und von der man gut verstehen kann, daß Merkel sie als zu unwesentlich ignoriert. Ja, es war – und mußte sein – eine Wahlkampfrede und da verzeiht man vieles. Aber daß jemand, der unser wichtiges Land in Europa und der Welt führen will, schon ganz am Beginn des Wahlkampfes die Nerven verliert – das würde nichts gutes erwarten lassen, käme er an die Macht. Altkanzler Schröder, der zugab, das Wahlprogramm, das er uns empfiehlt, gar nicht gelesen zu haben, meinte in seiner saloppen Art zu Schulz: Du kannst Druck aushalten. Der brauchte keine 10 Minuten, um das Gegenteil zu beweisen.
Es ist eben so eine Sache mit dem Populismus; sehen wir uns einige Schulz-Aussagen an:
1. Merkel vermeide die thematische Auseinandersetzung und versuche so (erfolgreich), die Wahlbeteiligung zu senken; sie verübe damit einen Anschlag auf unsere Demokratie.
Hat Schulz da nicht was übersehen?
– Bei den letzten Landtagswahlen ist die Wahlbeteiligung deutlich gestiegen. Dies hat sich zugunsten der CDU (und der FDP) ausgewirkt; es ist also sehr logisch, daß die CDU ein Interesse an niedriger Wahlbeteiligung habe! Daß die Kanzlerin oder die CDU thematisch ausweiche, ist ja sowieso Unsinn – nur weil jemand nicht immer sofort vor den Kameras schwatzt, vermeidet er ja nicht thematisch sinnvolles Handeln – und daran messen sich Politker, die was taugen.
– Schulz verweigert die Aussage, mit welcher Koalition er regieren will, obwohl er weiß, daß er eine Koalition würde eingehen müssen. Sein Anspruch, wir sind wir und wer mit uns koalieren will, muß bei uns betteln kommen, ist, wie er wohl weiß, in der politischen Realität Unsinn. Solange Schulz uns nicht sagt, ob er eine mittige oder eine extrem linke Koalition machen wird, beleidigt er die Intelligenz seiner Wähler. Niemand geht so weit, dies als einen Anschlag auf unsere Demokratie zu bezeichnen – daß es der Versuch der Wählertäuschung ist, kann aber auch niemand mit Grips bestreiten.
Die von Schulz erfundene “Asymmetrische Demobilisation” ist im Trump’schen Stil ein “alternatives Faktum”.
2. Im außenpolitischen Teil der Rede beleidigte Schulz unter dem Deckmantel des “Klartextes” so ungefähr jeden ausländischen Staatschef in Reichweite (Herr Maduro, der gerade das nächste Land in den Ruin und die weltweite Fürsorge führt, blieb ungeschoren). Das sind dann die Leute, mit denen er als Kanzler zusammenarbeiten müßte – eine diplomatische Glanzleistung! Aber unabhängig davon hat er mehr als deutlich gemacht, was er für ein wirklich schrecklicher Oberlehrer und Besserwisser ist; Deutschland unter seiner Führung würde selbst vom uns wohlwollenden Ausland abgelehnt, weil man sich der ständigen deutschen moralischen Entrüstung und Belehrung erwehren wollte und müßte.
3. In der Friedens- und Sicherheitspolitik – identische Teilaspekte mit gleichen politischen Zielen – betonte er die “Unsinnigkeit” von “Hochrüstung”, womit er die Bestrebungen der Nato meinte, die Verteidigungsanstrengungen der europäischen Mitglieder endlich wieder auf ein akzeptables Maß zu erhöhen, das Europa nicht nur etwas unabhängiger machen sondern ihm auch erst wirklich Mitsprache und damit realen Einfluß ermöglichen würde. Es ist eben vielen Menschen nicht klar, daß wer Frieden will, auch das Gewicht haben muß, ernst genommen zu werden. “Augenhöhe” – erforderlich für politisch-diplomatische Durchschlagskraft – gibt es nicht zum Nulltarif; und miltärische Stärke sagt nichts aus über die Aggressivität eines Staates, viel aber über sein diplomatisches Rückgrat. Das zu erklären, wäre Schulz‘ Aufgabe gewesen – stattdessen billiges populistisches Geschwafel über die angebliche Identität von militärischer Schwäche und Friedenswille.
4. In der Sozialpolitik viel über “Gerechtigkeit”, die Schulz vielleicht ein wenig einfach interpretiert: Nehme das Geld, das Dir nicht gehört, von Menschen, die nach Deiner Auffassung zu viel haben, und gib es Leuten, die nach Deiner Auffassung nicht genug haben, Dich aber wählen sollen. Hinterher merkst Du dann, daß dies nur begrenzt hilft – das sind simple mathematische Gleichungen – und daß die, denen Du das Geld wegnehmen willst, merkwürdigerweise was dagegen haben und weggehen. Die “anerkannten Chirurginnen” im Gegensatz zu den “nicht anerkannten Busfahrern und Putzfrauen” haben nämlich auch diese Wahl, sind aber im Augenblick noch die Leistungsträger, die überhaupt Verteilungsmöglichkeiten schaffen (ganz abgesehen davon, daß keine der Putzfrauen auch nur annähernd die Anzahl der Dienststunden der Chirurgin erreicht). Nein, wir müssen uns eingestehen, daß das schöne französische Motto der “Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit” einen kleinen Fehler hat: Freiheit und Gleichheit schließen sich (wirtschaftlich – ich rede nicht vom Gesetz) gegenseitig aus und Brüderlichkeit ist eine Eigenschaft, die in der Menschheit nur begrenzt verbreitet ist. Man muß also die Balance zwischen Freiheit und Gleichheit schaffen, nicht aber den Freien die Früchte ihres Denkens und Tuns wegnehmen – sie sind die Motoren der Tatsache, daß Schulz überhaupt etwas verteilen könnte, wenn er denn …(hoffentlich nicht)!
5. Zur Klimapolitik kaum etwas; zur Entwicklungspolitik schon gar nicht; zu Europa der Hinweis auf seine Erfahrung – schon vorher kaputt gemacht durch den tollen Rundumschlag gegen alle anderen und er verwechselt hier sowieso Erfahrung mit Belehrung; zu Eurokrise/Eurobonds, Brexit, Außengrenzen – praktisch nichts; und dann aber die Forderung nach dem Einwanderungsgesetz – ganz toll! Ein Einwanderungsgesetz – ich finde auch, daß eins her muß – würde die Frage regeln, wen Deutschland im wirtschaftlichen oder einem sonstigen Eigeninteresse nach welchen Regeln aufnimmt. Das wäre gut und würde Klarheit schaffen. Aber die weit überwiegende Menge der augenblicks einreisenden Migranten würde wegen Nicht-Qualifikation durch ein solches Gesetz genau ausgeschlossen und deshalb weiter den Umweg über die Asylfrage suchen. Die Ehrlichkeit hätte geboten, nicht populistisch so zu tun, als würde ein Einwanderunsggesetz die Flüchtlingsströme, die Mittelmeer-Tragödien beenden, die Lager in Libyen oder sonstwo leeren, die Hunger- und Bildungskatastrophen in großen Teilen der Welt erleichtern, Frieden in die Krisenregionen bringen. Zu all‘ diesen Fragen – kein Wort.
6. Bleibt schließlich Ihr Schwerpunkt: Die “Ehe für Alle”. Daß wir die in Deutschland schon seit langem haben, fällt wohl kaum auf, denn schließlich kann hier jeder Mann jede Frau heiraten und umgekehrt und das ist die Definition von “Ehe”. Das Argument der “Gleichbehandlung” trifft ja auf diese Diskussion nicht zu, denn was nicht gleich ist, muß weder noch kann es immer gleich behandelt werden. Die rechtliche Gleichstellung von sonstigen Partnerschaften ist weitestgehend hergestellt; sie zu diskutieren, als hinge unser Schicksal von diesem Thema ab, sie gar zur unverhandelbaren Vorbedingung für eine Koalition zu machen, zeigt den ganzen Populismus der SPD und der anderen Parteiein, die mit diesem Thema von ihrer moralischen Beliebigkeit und politischen Bedürfnislosigkeit auf der Weltbühne ablenken wollen.
Daß eigentlich die inhaltliche Änderung eines grundgesetzlich geschützten Guts eine respektvollere Behandlung – eben “Gewissens”-Entscheidung – verdiente, fällt angesichts der kurzfristigen Häme der vermeintlichen Sieger, Sie eingeschlossen, schon kaum noch auf. Man wartet halt nur gespannt auf die Reaktion der evangelischen Kirche, wenn eines Tages ein Mann mit seinem Schaf vor dem Altar auftaucht und schwört, daß gegenseitige Liebe vorherrscht!
Wie gesagt: Eine Gruselrede. EINE Aussage des Parteitages allerdings war richtig: Es ist noch nichts entschieden. Aber Schulz hat gezeigt, wen es unbedingt zu vermeiden gilt, wenn die Menschen in Deutschland und Deutschland in Europa und der Welt eine Zukunft haben sollen. Den Fehler, den Amerika mit Trump gemacht hat, uns nämlich einen populistischen Elefanten in den Porzellanladen des Kanzleramtes zu holen, müssen wir nicht wiederholen.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
O je, lieber Herr Schwerdtfeger, da scheint Sie die angebliche „Gruselrede“ von Martin Schulz zu einem Gruselkommentar veranlasst zu haben. Da sich mein Blog-Beitrag nicht mit der Rede auseinandergesetzt hat, erspare ich mir eine Erwiderung. Nur so viel: Mit dem Totschlagargument „Populist“ bzw. „Populismus“ kommen Sie nicht sehr weit. Denn das Argument greift nur, wenn jemand sich gar nicht mehr mit anderen Argumenten auseinandersetzt, sondern seine Meinung absolut setzt und dies dann auch noch versucht, politisch abzusichern. genau das machen Erdogan, Putin oder Trump. Martin Schulz befindet sich im politischen Wettstreit und trägt seine Positionen vor und kritisiert die Politik von Angela Merkel, um so Menschen zu überzeugen. Ob das gelingt, werden wir am 24. September 2017 um 18.00 Uhr wissen.
Was ich allerdings höchst bedauerlich finde und was verräterisch anmutet, ist Ihr letzter Satz unter Punkt 6 „Man darf gespannt sein …“. Genau diese Häme zeigt, wie es um das Thema Homosexualität in unserer Gesellschaft bestellt ist. Es ist eben noch lange nicht so, dass man von einer allgemeinen Akzeptanz sprechen kann. Wenn es anders wäre, würden Menschen wie Sie nicht zu solch widerlichen Sprachbildern greifen. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Herr Wolff,
das Bild vom Mann mit dem Schaf vor dem Altar ist eine Persiflage, die zeigen soll, wie absurd die Forderung nach einer „Ehe für alle“ ist. Das ist m. E. kein Grund, den Autor zu verunglimpfen bzw. über seine wahren Natur zu spekulieren.
Ich finde die Idee kreativ. Sie trägt zur Klärung bei.
Irgendwie merkwürdig: Heute wurde die „Absurdität“ im Bundestag beschlossen (wobei „Ehe für alle“ eine Kurzformel für das ist, was inhaltlich in dem beschlossenen Gesetz steht). Außerdem habe ich Herrn Schwerdtfeger nicht „verunglimpft“, sondern auf seine Verunglimpfung hingewiesen.
Lieber Herr Wolff,
zuerst: das ist natürlich längst überfällig, Schwulen und Lesben eine Ehe mit allen Rechten und Pfichten zu ermöglichen. Das ist allerdings keine „Ehe für alle“, denn dann müsste man auch Ehen unter Verwandten, von Minderjährigen und von Erwachsen und Minderjährigen erlauben. So meint das die SPD sicher nicht und deshalb verwundert es, weshalb sie sich des populistisch anmutenenden Begriffs „Ehe für alle“ bedient.
Das Tempo, mit dem jetzt das Gestz beschlossen werden soll, steht natürlich im Zeichen des Wahlkampfes und das ist wiederum kritisch zu bewerten. Wird man Schwulen und Lesben wirklich gerecht, wenn man ein Gesetz zu ihren Gunsten zu Wahllkampfzwecken missbraucht, indem man es versucht, es so schnell wie möglich durchzupeitschen.
Angela Merkel hat mal wieder zur richtigen Zeit richtig reagiert. Zwar hätte sie das schon 2013 tun können, denn die besagte Begegnung mit dem homosexuellen Paar, das sich so aufopferungsvoll um ihre Pflegekinder kümmert, hat sie ja schon damals beeindruckt und nicht erst jetzt. Man könnte sagen, sie hat den Joker solange in der Tasche behalten, bis sie ihn wirksam ausspielen konnte. Natürlich muss sie auch Rücksicht nehmen auf ihre Partei, wo viele (noch) anders denken. Aber sie werden sich jetzt – unter dem Druck der Ereignisse – nicht mehr widersetzen können. Also, wiedermal 1:0 für Angela. Mir tut die SPD langsam leid. Gibt es denn wirklich keine Themen, mit denen sie bei den Menschen wirkungsvoll punkten kann?
Die Kirchen tun sich schwer, vor allem die Sächsiche Landeskirche. Dabei ist aus ihren Reihen ein so passendes Buch wie das von Martin Steinhäuser „Homosexualität als Schöpfungsgabe“ gekommen. Wer diese Aussage bejaht, kann Homosexuelle kirchlich nicht mehr benachteiligen.
Es ist schlicht Trickserei. Im Koalitionsvertrag von 2013 steht „Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen.“
Das wollte die Union jedoch nie wirklich. Nun steht die Kanzlerin vor dem Problem, dass ihr im Wahlkampf Vertragsbrüchigkeit vorgeworfen würde.
Mit der jetzt gefundenen Lösung darf die Union dagegen stimmen und sich aus dem Vertrag winden.
Ich gehe davon aus, dass die SPD für diesen Satz im Koalitionsvertrag hart verhandelt hat und im Gegenzug eine andere Kröte schlucken musste. Da hat sie sich wieder mal fein über den Tisch ziehen lassen – und Angela Merkel strahlt.
Vielen Dank für den Hinweis auf den Koalitionsvertrag. Allerdings: Wie das Ganze ausgeht, ist aus meiner Sicht noch völlig offen.