- Nicht wenige Kommentator*innen hatten im Vorfeld der Bundestagswahl befürchtet, dass das voraussichtliche knappe Ergebnis der Bundestagswahl zu einer Hängepartie in Sachen Regierungsbildung führen wird. Schon wurde kolportiert, Angela Merkel werde noch einmal die Neujahrsansprache halten. Doch das tatsächliche Wahlergebnis vom 26. September 2021 ist eindeutig: Die SPD ist als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgegangen und hat darüber hinaus noch zwei Landtagswahlen gewonnen: Berlin knapp und Mecklenburg-Vorpommern souverän. Der Auftrag, eine neue Bundesregierung zu bilden, liegt eindeutig bei Olaf Scholz und der SPD. Sie haben die Möglichkeit, mit den beiden Parteien, die auch gewonnen haben, eine Koalition zu bilden: Bündnis 90/Die Grünen und die FDP.
- Die Eindeutigkeit des Wahlergebnisses rührt auch daher, dass CDU und CSU eine dramatische Niederlage zu verzeichnen haben. Was vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten hat, ist eingetreten: CDU/CSU sind bundesweit unter 25 Prozent gerutscht. Dabei waren viele davon ausgegangen, dass CDU/CSU ohne Angela Merkel das bis dahin schlechteste Wahlergebnis von 32,9 % im Jahr 2017 jetzt auf jeden Fall halten, wenn nicht deutlich verbessern werden. Doch CDU/CSU haben dabei einen Faktor übersehen, der sich jetzt durch die Wähler*innenwanderung von der CDU zur SPD (1,3 Mio Stimmen) bestätigt hat: Eine von Angela Merkel sozialdemokratisierte CDU konnte in den vergangenen 16 Jahren der SPD politisch und programmatisch das Wasser abgraben. Jetzt aber fließt das Wasser zur SPD zurück – will sagen: Viele , auch ehemalige CDU-Wähler*innen wollen eine im Grundsatz auf sozialen Ausgleich und Zusammenhalt ausgerichtete Politik. Sie erwarten von der Bundespolitik, dass soziale Gerechtigkeit wesentlicher Maßstab und Ziel bleiben, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Nachdem Angela Merkel aber nicht mehr als Kanzlerkandidatin angetreten ist, haben sich viele Bürger*innen darauf besonnen, welche Partei Garant ist für eine solche Politik ist: die SPD. Das fiel umso leichter, als die SPD sowohl in der Regierungspolitik der vergangenen vier Jahre wie in diesem Wahlkampf die sozialen Themen in den Mittelpunkt gestellt hat: Respekt, Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum, ein garantiertes Rentenniveau. Diese Themen wurden glaubwürdig vertreten durch Olaf Scholz. Dem hatte und hat die CDU nichts entgegenzusetzen. Es war schon skurril, wie Armin Laschet in der Endphase des Wahlkampfs inhaltlich implodierte. Er hatte nichts anzubieten – außer das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün als Menetekel an die Wand zu malen. Doch eine solche Konstellation wurde weder von Olaf Scholz favorisiert, noch hat sie sich faktisch ergeben. Vielmehr konnte die SPD durch den sozialpolitischen Schwerpunkt in der eigenen Programmatik viele LINKE-Wähler*innen zurückgewinnen.
- Diese Wahl wurde wesentlich in Ostdeutschland entschieden. Dort brach die CDU nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern ein – ohne dass die AfD davon profitieren konnte. Auch wenn mit Recht viele erschrocken darüber sind, dass die AfD in Sachsen und Thüringen stärkste Partei geworden ist und viele Direktmandate (auch in Sachsen-Anhalt) gewinnen konnte – Tatsache bleibt: Die AfD hat selbst in Sachsen deutliche Stimmeneinbußen erlitten. Der Niedergang der CDU hat nicht zu einer Stärkung der Rechtsnationalisten geführt. Vielmehr haben auch in Ostdeutschland SPD (kräftig), Grüne und FDP (in Maßen) dazugewonnen. So beunruhigend es nach wie vor ist, dass eine rechtsextremistische Partei wie die AfD in Sachsen 25 Prozent Stimmenanteil erzielen kann (Ursache und verantwortlich dafür sind die Wähler*innen und niemand sonst!) – offensichtlich hat die AfD ihren Höhepunkt längst überschritten. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die SPD die breite Zustimmung nutzt, einlöst, verfestigt, um vor allem im ländlichen Raum Sachsens und Thüringens wieder Fuß zu fassen.
- So sehr das Wahlergebnis den Wunsch vieler Bürger*innen nach Veränderung und Erneuerung widerspiegelt, so sehr zeigt es auch, dass das Sicherheitsbedürfnis der Menschen angesichts der globalen politischen Turbulenzen und der näher rückenden, katastrophalen Folgen des Klimawandels gewachsen ist. Die Corona-Pandemie ist ein Teil dieser Folgen. Das erklärt auch, warum die verheerende Juli-Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nur zu einem verhaltenen politischen Druck auf CDU/CSU und SPD geführt hat, die Klimapolitik zu schärfen. Olaf Scholz aber konnte auch deswegen so erfolgreich sein, weil er in seiner Persönlichkeit die beiden, sich durchaus widersprechenden Wünsche vereint.
- So sehr eine rot-grün-rote Koalition programmatisch den gesellschaftspolitischen Erfordernissen hätte entsprechen können, so klar ist aber auch, dass diese zu einer heftigen Polarisierung innerhalb der Gesellschaft geführt hätte. Diese hätte die Durchsetzungsmöglichkeiten der politischen Ziele mehr als eingeschränkt. Positiv gewendet bedeutet dies: Eine Ampel-Koalition verfügt über deutlich mehr politische Möglichkeiten, die notwendigen Maßnahmen in Sachen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Steuer- und Rentenpolitik, europäische Einigung, Friedens- und Abrüstungspolitik in Gang zu setzen. Auch auf diesem Hintergrund ist es mehr als ein strategischer Fehler gewesen, dass Bündnis 90/Die Grünen viel zu lange ihre Wahlkampfstrategie auf ein schwarz-grünes Bündnis plus FDP ausgerichtet haben. Eine solche Konstellation hat sich aber angesichts der faktischen Abwahl der CDU/CSU als Regierungsparteien erledigt. Jetzt wird es darauf angekommen, aus den programmatischen Politikansätzen der drei Parteien eine Zukunftsidee für die neue Bundesregierung zu entwickeln. Diese Aufgabe ergibt sich aus dem Wähler*innenvotum vom vergangenen Sonntag.
15 Antworten
Ein kurzer Kommentar nach einem grandiosen und sonnenbestrahlten Erntedank-Gottesdienst in der Pillnitzer Weinbergkirche (ex oriente lux…) sei mir gestattet:
Von Chr. Wolff, Joh. Lerchner und M. Käfer ist alles gesagt, was dringend notwendig war, es zu äußern!
Meinerseits nur noch die aufschreibende Frage, wieso es einem Herrn A. Laschet a priori und der altbundesdeutschen CDU so enorm schwer fällt, diese wohl eindeutige Wahl-Niederlage mit Souveränität, Wahrhaftigkeit und auch mit Demut hin- und anzunehmen. Dieser geradezu pathologisch anmutende Machtinstinkt, der ein Loslassen stockfischig ablehnt, dieses nicht Eingestehen jahrelang selbst produzierter Fehler und die unübersehbaren Distanz zur Basis, was übrigens der souveräne Wähler mit seiner Stimme dokumentierte, zerreißt die letzten Reste einer einstigen Volkspartei CDU/CSU.
Es ist unbegreifbar, wie selbst eine Junge Union und andere Mitdenkende es nicht vermögen, diese penetrante Realitätsverweigerung einiger machtversessender Herren in die zweite Reihe zu verweisen.
Mit diesem Nichtverhalten desavouiert man den Wähler und verachtet dessen Votum und stärkt zudem noch rechtsextreme Ränder, die schon lange keine Randerscheinungen mehr sind – wie es alle längst wissen!
Ergo: Man nimmt bis heute (!!) in den Parteizentralen offenbar noch immer nicht zur Kenntnis, welch Schaden damit angerichtet wird – es ist unbegreifbar.
Mit solch Ignoranz der politischen Realitäten schadet man dieser ohnehin bedenklich wackelnden Demokratie sehr (s. AfD, vor allem in Sachsen + Thüringen, aber eben nicht nur dort) und opfert manch Gutes willfährig dem Altar der subjektiven Eitelkeiten.
Jetzt können wir allesamt nur hoffen, dass es zur Ampel-Koalition kommt, möglichst zeitnah; alles andere wäre schädlich, politisch wie auch zivilgesellschaftlich.
Eine gute Woche!
Eine Ampelkoalition wäre ein Projekt für einen Übergang mit Parteien, bei der jede einen anderen „inneren Wesenskern“ hat. Dabei könnte eine Vision für die nächsten 10 Jahre und eine neue Agenda entstehen.
Bei einer Jamaika-Koalition würden die Grünen und Liberalen sich dem Streben nach Erhalt der Macht einer Union ausliefern deren Agenda der Machterhalt ist mit der durchsichtigen Priorität, die SPD aus den Staatsämtern und Bundesministerien, den Schaltstellen der Macht herauszuhalten. Ein weiteres sinnfüllendes „Programm“ verkörpern die Führungsspitzen der Union nicht. Und deshalb fliest auch – scheitert erst einmal und wahre der Machterhalt – noch gehörig „Blut“ in der CDU.
Scholz und die. SPD haben eine große Chance vor sich Deutschland zu reformieren. Und diesmal darf die Chance nicht wieder verspielt werden.
Ich möchte der Debatte folgende Punkte hinzufügen:
1. Die von der SPD gewonnen Wahlen 1972 (45,8%) und 1998 (40,9%) hatten eine hohe und angestiegene Wahlbeteiligung (1972: 91,1%; 1998: 82,2%) zur Grundlage. Diesmal fand eine solche Aktivierung nicht statt.
2. In den Altersgruppen bis 34 hat die SPD bei dieser Wahl verloren. Von 18-24-jährigen wählten 15% SPD und 10% CDU, aber 23% Grüne und 21% FDP.
3. Der Trend dreht sich mit dem Alter um, von den über 60 – jährigen wählten 34% bzw. 33% SPD und CDU, nur 8 bzw. 9% FDP und Grüne.
4. Die resignierenden Nichtwähler bleiben die stärkste Partei, obwohl die AfD in den letzten Jahren viele von ihnen abfischen konnte. Was sagt uns das über den Zustand unserer Demokratie und über die Grundwerte der sogenannten „Mitte“?
5. Das DIW stellt fest, dass die Programme sämtlicher Parteien zur Erreichung der Pariser Klimaziele nicht geeignet sind. Zum Abbau der ökonomischen Ungleichheit übrigens auch nicht. Niemand hat diese Absicht – steuerpolitisch nur die Linken. Gleiches gilt für Abrüstung.
6. Nach fast 20 Jahren EEG erzeugen wir 8% unseres Primärenergiebedarfs mit Wind und Sonne. Hatte jemand einen Rückgang des Energieverbrauchs im Programm ? Preisfrage: wieviel Jahre dauert es, bei steigendem Energieverbrauch von 8% auf 100% zu kommen? Wie realitätstauglich waren also die dieser Wahl zugrunde liegenden Programme und Versprechungen? Was bedeutet „demokratische Klarheit“ unter diesen Voraussetzungen?
7. Jochen Steffen, ehemaliger Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein, schrieb 1980: „Wir sind von Gesellschaftsutopisten zu Technikutopisten geworden. Die Folgen sind tödlich“.
Vieles wurde hier bereits angesprochen, dem ich zustimmen kann (insbes. In den Beiträgen von Chr. Wolff und J. Lerchner), auf anderes will ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen (m.E. zu starke ideologische Sicht).
Mich treiben derzeit zwei Überlegungen um:
1. Der Wahlkreis 153 „Leipzig Süd“, in dem ich mich primär engagiert habe, trägt die Verantwortung dafür, dass die Linke ein drittes Direktmandat gewinnen und damit Fraktionsstatus im neuen Bundestag erreichen konnte! Das beschämt und ärgert mich persönlich ungemein, weil wir mit Dr. Paula Piechotta die wesentlich kompetentere, engagiertere und aufrichtigere Direktkandidatin im Vergleich zu Sören Pellmann von der Linken auf unserer Seite hatten, es aber vermasselt haben, sie gegen dessen konzentrierte Kampagne angemessen zu unterstützen und zu positionieren. Dadurch und durch die Landeslisten-Posse im Saarland wurden wesentlich die Chancen auf eine mögliche Rot/Grüne-Zweierkoalition verpasst (individuelle Fehler im Wahlkampf von Annalena Baerbock kamen hinzu).
2. Ich kann die Vertrautheit (und Vertraulichkeit) der formellen/ informellen Gespräche/Absprachen zwischen insbesondere Robert Habeck und Christian Lindner nicht einschätzen. Sollte sie jedoch tiefer und intensiver als vermutet sein, besteht auch für einen späteren Kanzler Olaf Scholz die Gefahr, das Heft des Handelns ein Stück weit zu verlieren (Armin Laschet wird es bei keiner derzeit denkbaren Entwicklung jemals in Händen halten).
Mich freut, dass der in diesem Wahlkreis für die AFD kandidierende Siegbert Droese seine Partei aufgrund besonderer Wahlarithmetik nicht „würdig“ (sh. Ihr Posting vom 2. 9. 21) im Bundestag vertreten kann und nun im „Don Giovanni“ wieder kellnern muss.
„Was nun die sog. Linke in der SPD angeht – da ist ja erst einmal die Frage, wer nun dazu gehört und wer nicht.“
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Die gibt es sogar institutionalisiert: https://www.parlamentarische-linke.de/
Die Rechte in Deutschland hat es wieder geschafft (geschaffen), die Stimmenmehrheit im Bundestag zu erreichen. Dass es keine dem Wahlergebnis adäquate Rechts-Regierung geben wird, haben wir der Spaltung des sogenannten bürgerlichen Lagers durch die AfD und der Stigmatisierung dieser Partei zu verdanken. Das heißt aber auch, dass die rechte Stimmenmehrheit der Politik jeder denkbaren Regierung ihren Stempel aufprägen kann. So wird die FDP für die Beteiligung an einer SPD-geführten Regierung (eingekeilt zwischen Merz und Lindner wäre Jamaika für die Grünen eine Katastrophe) einen hohen Preis verlangen, z. B. die Besetzung des Finanzministeriums durch Christian Lindner. Wie unter diesen Umständen wesentliche programmatische Positionen von SPD und Grünen durchsetzbar sein werden, steht für mich in den Sternen (Milliarden-Investitionsprogramm zur Förderung des ökologischen Umbaus der Wirtschaft, 12-Euro-Mindestlohn, höhere Besteuerung extremer Vermögen und Einkommen).
Trotz aller Enttäuschung meinerseits (die Genugtuung über die wahrscheinliche Abwahl von CD/CSU teile ich natürlich uneingeschränkt) sagt auch mir der unverkrampfter Blick auf die Realität, dass bei nur knapper rechnerischer Mehrheit von SPD, Grünen und Linken eine reine Linksregierung ziemlich unwahrscheinlich gewesen wäre. Die von Herrn Wolff genannten Gründe sehe ich ein. Eine solche Mehrheit hätte aber Druckmittel dafür sein können, der zu erwartenden Blockadehaltung der FDP etwas entgegenzusetzen.
Die Anforderungen an die neue Regierung sind ziemlich klar. Wieso großartige Visionen zu entwickeln sind, erschließt sich mir nicht. Die Wirtschaft ist so umzubauen, dass bis 2030 die CO2-Emission halbiert und bis 2045 Deutschland klimaneutral ist, und das bei Wahrung der sozialpolitischen Stabilität. Die Erfolge oder Misserfolge werden leicht und schnell messbar sein.
Ich denke, in spätestens ein, bis zwei Jahren werden wir sehen, inwieweit der Einfluss der Rechtsparteien mit ihren überholten Vorstellungen vom Funktionieren einer sozialen Marktwirtschaft (fiskalische Beschränkung des Staates, Befreiung großer Vermögen vom Einsatz in der Realwirtschaft – Es ist noch immer möglich, größere Profite in der Finanzwirtschaft zu erzielen) einer forcierten Klimapolitik hinderlich oder förderlich ist. Anstatt sich die Opposition in die Regierung zu holen, hätte man vielleicht von vornherein für klarere Verhältnisse sorgen und nicht verdruckst um die Sinnfälligkeit einer Linksregierung herumreden sollen.
„rechte Stimmenmehrheit der Politik“??? – Bei aller Kritik an CDU/CSU und FDP – sie in einen Topf mit der AfD zu werfen, ist mir dann doch etwas zu viel Verharmlosung der Rechtsnationalisten.
Die Alleinstellungsmerkmale der AfD sollen nicht bestritten werden. Bei wesentlichen Streitfragen wie z. B. der Steuerpolitik, der Fiskalpolitik des Bundes oder kreditfinanzierten EU-Projekten ist die AfD in der Regel im gemeinsamen Boot mit den Unionsparteien und der FDP zu finden. Besonderheiten gibt es bei der Rentenpolitik.
Bei der AfD geht es nicht um „Alleinstellungsmarkmale“, sondern darum, dass es sich um eine rechtsnationalistische, rassistische, antidemokratische Partei handelt.
Wer eben die Pressekonferenz von FDP-Wissing zur gestrigen Vorsondierung samt spätpubertärem Selfie mit den Grünen verfolgte, konnte die eindeutige Präferenz der Liberalen für Jamaika nicht überhören. Ich hoffe nur, die Grünen bleiben stark, aber insbesondere bei Habeck bin ich bin ich mir da nicht so sicher. Insofern wäre für die SPD es ganz sinnvoll gewesen, eine wenigsten theoretische RGR-Mehrheit im Rücken zu haben. Das einzige, was mich an der Vorsondierung der „Kleinen“ überzeugt, ist, dass sie nicht lange fackeln sondern aktiv werden. Das ist ein Signal an die Behäbigkeit der ehemaligen Volksparteien die im „ehemaligen“, in alten Tempi agieren. Scholz hätte in der Elefantenrunde doch gleich die Wunschpartner*innen zu Koalitionsgesprächen auffordern können. Aber dafür steckte vermutlich der Euro im Scholzomaten ;-). fest, der Cent fiel nicht …. :-). Sein überzeugender Spruch von den 3 „gewachsenen Balken“ war doch das geeignete Präludium für diese (leider nicht erfolgte) Einladung! Er fängt jetzt hoffentlich nicht an Einladungsbriefe zu schreiben, wie Laschet den Glückwunsch an ihn, der dann laut „Der Spiegel“ wohl heute ankam …
Ich stelle (zur Dskussion) sieben Thesen dagegen:
1. Die SPD ist zu beglückwünschen und dies in doppelter Hinsicht: sie hat erstens die Wahl gewonnen, wenn man dies am Recht, den Kanzler vorzuschlagen, mißt. Und sie hat zweitens das große Glück, daß die gefürchtete Option Rot-Grün-Rot keine ausreichende Mehrheit hat, sodaß sie hier keinen Rechtfertigunsgbedarf (wie auch immer) hat. Scholz wird also Kanzler werden und seine persönliche Position ist ein wenig dadurch gestärkt, daß die FDP mit in die Regierungskoalition muß und das linke Erpressungspotential in der SPD selbst und durch die Grünen dadurch gemildert wird. Daß er trotzdem ein schwacher Kanzler sein wird, halte ich für sehr wahrscheinlich – er ist im Grunde eine Merkel-Kopie und repräsentiert weder seine Partei noch die Grünen. Vor allem seine eigene Parteilinke wird ihn alsbald in die Zange nehmen.
2. Die Grünen haben sehr ordentlich zugelegt, sind aber trotzdem nur drittstärkste Fraktion und weit hinter ihren Erwartungen. Sie haben nicht nur den falschen Kandidaten angeboten, sondern sie werden auch weiterhin als die Partei angesehen, die gut in die Beschreibung des (ZEIT-Journalisten) Ijoma Mangold passt: „Die Gesellschaft wird gleichzeitig permissiver und präskriptiver.“ Diesen Widerspruch, einerseits Werte zu entwerten und andererseits die Menschen ständig kleinkariert erziehen zu wollen, bezahlen sie zum wiederholten Mal mit einem unbefriedigenden Ergebnis.
3. Die FDP hat das – mir jedenfalls – mit Abstand sympathischste Menschenbild, nämlich das eines selbständig und frei über sich selbst entscheidenden Bürgers mit der Erkenntnis seiner eigenen Verantwortung für sich selbst und seine Umgebung. Dieses Menschenbild lehnt die inzwischen bei uns fast totale Einmischung des Staates, der Sozialverbände und Gewerkschaften, der NGOs und der Medien in das Leben der Menschen ab bzw reduziert diese auf absolute Notwendigkeiten, vermindert den Bürokratiewust, erkennt die Unterschiedlichkeit der Menschen bezüglich ihrer Talente und Fähigkeiten an und erweitert Spielräume, nimmt aber in Kauf, daß ein bestimmter Prozentsatz Menschen eben mit dieser Freiheit nicht fertig wird und „abstürzt“. Das Problem der FDP ist nicht ihr Anspruch; es ist vielmehr ihr Opportunismus, der sie, wenn sie denn an einer Regierung teilnimmt, ihre Prinzipien vergessen und einfach nur die Macht geniessen läßt.
4. Die AfD verdankt ihre Existenz dem Linksruck der Union unter Merkel und der politischen Unreife vieler Menschen im Osten unseres Landes. Diese wählen überproportional die LINKE oder eben die Rechten (AfD) und wechseln auch noch zwischen diesen Parteien ausschließlich nach dem wahrgenommenen individuellen Eigennutz der Parteiversprechungen und nach dem Hochgefühl des „Protests“. Sie wird im Laufe der Zeit weiter abnehmen und sich auf westlichem Niveau einpendeln. Solange die AfD nur definieren kann, wogegen sie ist, und kein überzeugendes „wofür“ anbietet, ist sie ein großes Ärgernis, aber keine wirkliche Gefahr. Die Gefahr von Parteien dieses Stils geht heutzutage eher vom internet aus, in dem sich gerade Radikale beider Seiten anonym und aggressiv ungestraft äußern und andere im Halbstarkensinne mitreissen können. Gewalt ist dann leider momentaner Ausdruck von gefühlter Überlegenheit – eine Versuchung, der einige in unserem Lande nicht widerstehen können, weil ja auch die demokratischen Parteien häufig im verbalen Bereich Grenzen zu Gewalt, Beleidigung und Intoleranz überschreiten.
5. Die LINKE macht der AfD vor, wie auch sie sich entwickeln wird. Dieses „DDR“-Relikt mit seinen diffusen Phantasien von sozialistischer Gleichheit der Menschen ist ja eigentlich schon gescheitert (wie es eben der Rechten auch passieren wird). Aber es gibt – wieder überwiegend im Osten – eben jetzt eine Generation von Menschen, die die Realität des sozialistischen Staates nicht erlebt haben und stattdessen in seinen Schlagworten und vermeintlichen Vorteilen waten, dabei die eigentlich offensichtlichen „Kollateralschäden“ ignorierend: Einerseits keine Arbeitslosigkeit, aber Arbeitsplätze für Frauen, wo diese in Wirklichkeit staatlich in Betrieben finanziert wurden und zur Pleite führten; vollständige Kinderbetreuung, wo diese in Wirklichkeit das Ziel hatte, familienfeindlich, denunziatorisch und mit dem Anspruch auf Kontrolle und Indoktrination eine parteitreue Basis heranzuziehen; andererseits die schlimmste Form der Zwei-Klassen-Gesellschaft überhaupt, in der eine kleine Parteielite sich selbst bedient und das Volk auf niedrigem Niveau hält und bespitzelt, gegeneinander ausspielt und unterdrückt; schließlich natürlich die ganzen Menschenrechtsverbrechen und die Morde an der Grenze. „Soziale Gerechtigkeit“ nach dem Prinzip der LINKEn führt zur Verarmung aller und unterdrückt den natürlichen Instinkt der überwiegend meisten Menschen, selbst was aus dem Leben zu machen und sich selbst zu verwirklichen – der Mensch in Abhängigkeit, das Ziel der Linken.
6. Ja, und schließlich die Union: Sie hat nicht nur mit dem Problem zu kämpfen, daß nach 16 Jahren Regierungsverantwortung mit einem willfährigen Partner, der alles mitmacht, sich dies aber als „heimliche Opposition“ immer mit teuren Leistungen vergolden ließ, jede Partei unattraktiv und ausgelaugt wird; sie hat auch unter Merkel zu oft Beliebigkeit über klare Linie gestellt, sich so weit nach links entwickelt, daß eine rechte Konkurrenz für sie entstehen konnte, die die Enttäuschten aufnahm und radikalisierte – und, vor allem, daß sie einen völlig unzureichenden Kandidaten aufgeboten hat. Laschet ist, wie Scholz, eine Merkelkopie; er ist, wie Scholz, bieder und brav; sie sind beide phantasielos und längst nicht mehr repräsentativ für die heutige Zeit. Als Kontrast zu SPD und Grünen hätte die CDU ihren Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus aufbieten sollen, einen noch unverbrauchten, frischen Mann, der irgendwo zwischen dem lahmen Laschet und den polarisierenden Söder oder Merz steht. Er wäre ein attraktives Angebot gewesen und hätte den langweiligen Scholz trotz Wechselstimmung in die Schranken weisen können. Aber bei der CDU steht eben die Ochsentour als Karriereweg fest.
7. Und unsere Demokratie als ganze?
a. Wir kriegen das Parlamentsproblem nicht in den Griff: Vorgesehen sind 598 Abgeordnete, jetzt haben wir systembedingt 735 und also ein Parlament, das nicht nur überteuert sondern auch viel zu schwatzhaft ist. Das Parlament führt sich langsam selbst ad absurdum – und dies insbesondere angesichts weiterer 16 Parlamente in den Ländern, die zusammen mit den Landesregierungen völlig überflüssig sind in einer Welt, in der Europa das Machtzentrum sein müßte.
b. Wir haben – wie auch in der bisherigen Legislaturperiode – keine starke Opposition, wie sie jede gute Demokratie braucht. Wir haben stattdessen ein paar Oppositionsfraktionen, die weit voneinander entfernt sind: Linke auf der einen Seite (unbedeutend aber eben vorhanden) und Union und AfD auf der anderen Seite, die in unserer hysterisierten Atmosphäre die CDU dauernd dazu nötigen wird, sich von der AfD mehr als von der Regierung zu distanzieren und dabei den albernen Geruch der „Zusammenarbeit“ dann zu vermeiden, den ihr die Medien, die Öffentlichkeit und die Regierungsparteien dauernd anzuhängen suchen werden, wenn sie mal gleich abstimmen. Daß gleiches Stimmverhalten in der Sache keine Zusammenarbeit ist, geht dabei propagandistisch unter.
c. Wir sind ein Volk der emotionalen Widersprüche und ohne wirklich politischen Verstand und ohne zündende Ideen (geworden). Das hat der völlig inhaltslose Wahlkampf gezeigt; das zeigt die Tatsache, daß von drei Kandidaten die beiden Kopien des bisherigen an die erste Stelle gewählt wurden, daß also der übergroße Wunsch nach einem „Politikwechsel“ sich personell im „weiter so“ darstellt – es weiß ja auch niemand, wohin eigentlich gewechselt werden sollte. Eine Demokratie aber, die nur im Wohlstand dümpelt (und diesen dauernd schlecht redet), zerstört sich langsam selbst.
d. Und schließlich haben wir das große Demokratieproblem, daß wir – insbesondere, aber nicht nur – in einigen Parteikreisen des linken Spektrums einen Werteverfall dadurch sehen, daß Staatshehlerei (Walter-Borjans, Steuerdisks), anonymes Denunziantentum (SPD und Grüne, Wohnungsfrage, Steuern), Euphemismen zur Umwidmung von Straftaten und verbale Herabsetzung von Persönlichkeiten anstelle von Auseinandersetzung mit deren Positionen salonfähig und in den sozialen Medien verstärkt und so Intoleranz, Radikalisierung und Gewalt befördert werden. In der Anonymität, die die Parteien im internet kritisieren und im wirklichen Leben selbst befördern, liegt das gefährlichste Zerstörungspotential für unsere Demokratie.
Und so kriegen wir nun Herrn Scholz und man fragt sich, für wie lange – und wann die SPD ihren Kanzler wieder abhalftert, wie sie das bisher noch mit jedem gemacht hat. Scholz selbst ist ein integrer und anständiger Mann; jetzt muß er Kompetenz zeigen – Richtlinienkompetenz nämlich, und ob er das kann, muß er erst noch beweisen.
Und Sie, Herr Wolff, beglückwünsche ich auch, denn nun haben Sie Ihre sozialdemokratischen Kanzler nach so langer Zeit.
Andreas Schwerdtfeger
Vielen Dank, lieber Herr Schwerdtfeger, für die Glückwünsche. Gott sei Dank werde nicht nur ich, sondern auch Sie wie alle Bürger*innen Deutschlands bald einen „sozialdemokratischen Kanzler“ haben. Ansonsten empfinde ich Ihre Thesen als sehr defätistisch. In Ihren Augen ist alles von Übel. Das wird vor allem in der 7. These deutlich. Sie sprechen in 7c von einem „völlig inhaltslosen Wahlkampf“. Dem möchte ich klar widersprechen. Sowohl SPD, Grüne, FDP, Linke haben ihre Inhalte deutlich kommuniziert. Von der CDU kann man das leider nicht sagen. Aber die gesetzten Themen wurden kontrovers diskutiert – in einer mir manchmal zu braven Atmosphäre. Ich kann mich nicht erinnern, nach einer Bundestagswahl eine so gesittete und leider langweilige „Elefantenrunde“ erlebt zu haben wie am vergangenen Sonntag. Ich bin mir unsicher, ob ich das gut finden soll.
Was nun die sog. Linke in der SPD angeht – da ist ja erst einmal die Frage, wer nun dazu gehört und wer nicht. Zumeist erheben ja Menschen, die in der SPD nicht zuhause sind, den Anspruch, genau zu wissen, wie „die Linke“ tickt. Dem ist aber nicht so. Die SPD hat sich – jedenfalls in Ostdeutschland – stark verjüngt. Da ich nun auf über fünf Jahrzehnte Parteimitgliedschaft zurückblicken kann, erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass viele jüngere Parteimitglieder sich durch einen leidenschaftlichen, sozialdemokratischen Pragmatismus auszeichnen. Darüber hinaus hat es Olaf Scholz (im Gegensatz zu Peer Steinbrück) geschafft, die Partei als Ganzes zu mobilisieren, ohne sich vorher „Beinfreiheit“ zusichern zu lassen. Scholz hat es verstanden, sich auf drei wichtige sozialdemokratische Themen zu konzentrieren und deren Umsetzungsmöglichkeit glaubhaft zu vermitteln (Respekt, Mindestlohn, Rentenniveau 48 %). Daran zerbrechen die Klischees – und das ist gut so.
Ihre 4. These, lieber Schwerdtfeger, zeigt wieder einmal, wie Sie von Oben herab urteilen und beurteilen. Wer heute noch von „politischer Unreife vieler Menschen im Osten“ spricht, hat nichts begriffen bzw. behandelt Menschen in einer bestimmten Region wie Dummerchen. Nein, das sind Bürger*innen und vor allem Wähler*innen nirgendwo – auch nicht die, die bei der AfD ihr Kreuz machen. Nach wie vor sollten wir davon ausgehen, dass auch diejenigen, die eine rechtsextremistische Partei wie die AfD wählen, wissen, was sie tun. Das macht eine Partei wie die AfD gefährlich, nicht ihre Existenz.
Dabei will ich es belassen. Insgesamt bin ich sehr froh darüber, dass das Ergebnis der Bundestagswahl sehr eindeutig und Klar ist. Das wird sich hoffentlich in einer Ampelkoalition niederschlagen.
Beste Grüße Christian Wolff
Hallo Herr Schwerdtfeger,
obwohl reichlich spät (ich bin erst vor wenigen Tagen in Sao Paulo gelandet) möchte ich doch noch ein paar Bemerkungen zu Ihren Thesen loswerden.
Diese scheinen mir eher ein (Ihr) Glaubensbekenntnis zu reflektieren als tiefgehender Analyse zu entspringen: Scholz wird ein schwacher Kanzler weil Merkel-Kopie. Charakteristisch für Grünen-Politik ist der Widerspruch zwischen Entwertung von Werten einerseits und kleinkarierter Gängelung der Menschen andererseits. Die Union ist beliebig statt klare Linie zu zeigen. Die AfD steht für nichts und die Linken wollen die Menschen in Abhängigkeit halten (So skurril und amüsant wie Sie den Bezug zur verflossenen DDR herstellen, hätte das auch einer Kabarett-Nummer über einen rechten Hinterwäldler entnommen sein können). Einzig und allein die FDP bietet die sichere Gewähr für die freie Entfaltung von Persönlichkeit. Keine Fakten, keine Belege, keine Bezüge zu den tatsächlichen Programmen der von Ihnen kritisierten Parteien!
Die m. E. sehr positiven Vorstellungen der Grünen von einer zukünftigen Politik in Deutschland (z. B. 50 Mrd. jährliche öffentliche Investitionen zur Stimulierung des privatwirtschaftlichen Engagements bei der Transformation der Wirtschaft, Modifizierung der Schuldenbremse zu deren Finanzierung) habe ich auf diesem Block bereits mehrfach gewürdigt. Warum konzentrieren Sie sich bei Ihrer Grünen-Kritik nicht darauf? Ist die Diskussion über die Wagenknecht-Kritik an der LINKEN an Ihnen vorbeigegangen? Passt die kritisierte Fokussierung der LINKEn auf Identitätspolitik in Ihr Klischee von der angeblich angestrebten Unterdrückung der Menschen? Haben Sie schon mal was von dem Steuerkonzept der LINKENn gehört, das diese 2020 beim DIW in Auftrag gegeben hatte (https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/PDF_Dokumente/2020/DIW-Studie__Zusammenfassung_der_Ergebnisse_des_Endberichts.pdf)? Gibt es irgendwelche Belege für eine gleichmacherische Wirkung dieses Steuerkonzepts? Wenn Sie wirklich das Ziel anstreben sollten, hier auf diesem Blog als der große Durchblicker zu gelten, müssten Sie mit mehr Substanz aufwarten.
Scholz, Habeck und Lindner sind Politprofis, denen ich rationales Handeln zutraue. Die große Frage ist jedoch, ob sich die Linken in SPD und bei den Grünen mäßigen werden. Herrn Scholz traue ich jedenfalls weniger Standvermögen zu als Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, die von ihrer Parteibasis demontiert wurden.