Am 7. Oktober 2021 ist endlich öffentlich geworden, was seit einigen Wochen die Kirchvorstände der Nikolaikirche und der Thomaskirche gleichermaßen in Atem hält und empört: Im Rahmen der sog. Strukturreform innerhalb der sächsischen Landeskirche sollen ab 1. Januar 2022 Thomaskirche und Nikolaikirche eine sog. „Struktureinheit“ bilden. Faktisch bedeutet dies: Sie bilden dann eine Kirchgemeinde. Die Pfarramtsleitung dieses Gebildes soll bei der*dem 1. Pfarrer*in der Thomaskirche liegen – eine Aufgabe, die angesichts der Größe der beiden Kirchgemeinden und ihrer Besonderheiten (Aufführungsstätte Thomanerchor, Ort der Friedlichen Revolution) niemand bewältigen kann. Mit dieser Maßnahme setzt das Landeskirchenkirchenamt das Zerstörungswerk kirchlicher Arbeit, genannt „Strukturanpassung“, fort.* Der Verweis auf Beschlüsse der Landessynode ändert nichts an der Tatsache, dass die sog. Regionalisierung kirchlicher Arbeit nicht zur Verbesserung derselben führt. Vielmehr werden Verwaltungsmonster installiert, die das Entscheidende vermissen lassen: Menschennähe in Verkündigung und Seelsorge und Präsens vor Ort. Letztlich geht die sächsische Landeskirche einen ähnlich verhängnisvollen Weg wie z.B. der Galeria Kaufhof-Karstadt-Konzern: Man verlässt die Fläche und saniert sich zu Tode, ohne auch nur im Ansatz eine auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lebensfähige Perspektive für die Kirchgemeinden zu entwickeln. Offensichtlich soll der Niedergang der Kirchen nun seine Vollendung finden, indem in Leipzig zwei absolut lebensfähige Kirchgemeinden in einen Strukturverband gezwängt, besser: gezwungen werden. Da werden keine Kosten gespart, vielmehr gleichen die Maßnahmen dem öffentlichen Verbrennen von Kirchensteuergeldern.**
Die Kirchgemeinden St. Thomas mit 4.700 und St. Nikolai mit 2.600 Gemeindegliedern und mit über Jahrhunderte gewachsenen eigenständigen Profilen sind finanziell, organisatorisch, vor allem aber in Sachen Verkündigung und Seelsorge und als wichtiger Teil der Stadtgesellschaft lebensfähig. Das einzige Argument, was die Landeskirche vorbringen kann: Auch in der Leipziger Innenstadt soll der gleiche Unsinn vollzogen wie in der ganzen Landeskirche – nach dem Motto: wenn schon Untergang organisieren, dann bitte flächendeckend und ohne Ausnahme. Kirche als letzter Hort des Sozialismus. Es ist ein Trauerspiel zu sehen, wie Menschen, die keine Ahnung von den tatsächlichen Verhältnissen in Kirchgemeinden haben, am grünen Tisch Strukturpläne entwickeln, die alles versprechen – nur eines nicht: dass die Kirche im Ort, im Dorf, bei den Menschen bleibt. Wie kann man zwei Kirchgemeinden, die vor allem nach der Friedlichen Revolution 1989/90 ihre je unterschiedlichen Prägungen zum Besten der Stadt weiterentwickelt und sich finanziell-organisatorisch aus eigenen Kräften saniert haben, in dieser Weise beschädigen? Wer übernimmt in Dresden die Verantwortung dafür, dass, weil alles gleich sein muss, Besonderheiten geschliffen, die Arbeitskraft hauptamtlich Beschäftigter sinnlos vergeudet und ehrenamtliches Engagement erstickt werden? Es ist unglaublich, mit welcher Ignoranz da vorgegangen wird. Da wird nicht die Kirche im Dorf, vor Ort belassen, sondern Dörfer, Orte, Stadtteile werden verlassen und damit Menschen allein gelassen.
Wer die Situation nüchtern betrachtet, kann nur den Kopf schütteln. Diejenigen, die diese Entwicklung geplant und befördert haben, laden schwere Schuld auf sich. Denn sie gehen unverantwortlich mit den menschlichen und finanziellen Ressourcen der Kirche um. Konkret: Anstatt dafür zu sorgen, dass die Kirchgemeinden vor Ort und unter den schwindenden finanziellen Möglichkeiten organisatorisch und personell ertüchtigt werden, ihrem Auftrag gerecht zu werden, nämlich den Menschen nahe zu sein und der Stadt Bestes zu suchen, werden Strukturen gebildet, die Kirche immer weiter von den Menschen entfremdet. Offensichtlich ist im Landeskirchenamt noch nicht angekommen, dass Sparprogramme ohne eine Strategie, neue Einnahmequellen zu akquirieren und Arbeit zu intensivieren, der Tod im Topf sind. Eine schlichte Kontrollfrage könnte auch Kirchenleitungen davor bewahren, Züge auf das falsche Gleis zu stellen: Dient das, was wir planen, der Menschennähe? Doch solche Fragen werden weder gestellt noch diskutiert, geschweige denn dass der Auftrag der Kirche in den Mittelpunkt des Handelns gestellt wird. Stattdessen vollzieht das Landeskirchenamt das Gleiche wie in den vergangenen Jahren Banken, Dienstleister, öffentliche Verwaltungen: Sie verlassen den ländlichen Raum, Ortschaften und Stadtteile und suchen ihr Heil in anonymen Verwaltungseinheiten. Doch dieser Weg ist schon längst gescheitert, zieht er doch gefährliche gesellschaftspolitische Konsequenzen nach sich. Wie die Alt-Fassnacht hinkt das Landeskirchenamt hinterher und vollzieht erst einmal dasselbe, was im politischen Bereich Gott sei Dank als schwerer Fehler erkannt wurde: Kirche verlässt die Fläche, sorgt sich viel zu wenig um qualifizierten Nachwuchs und trocknet die eigene Arbeit aus. Kein Wunder, dass an einer solchen Institution das Interesse dramatisch schwindet.
Noch einmal: Die beiden Innenstadtgemeinden St. Thomas und St. Nikolai sind rein zahlenmäßig absolut lebensfähig – zumal sie durch das Bevölkerungswachstum in Leipzig strukturell wachsen werden. Es gibt nicht einen Grund, ein irrwitziges Strukturpaket auf Biegen und Brechen durchzusetzen und so ganz nebenbei die seit Jahrzehnten bewährten, die Kirchgemeinden unterstützenden Institutionen zu gefährden. Aller Grund aber ist vorhanden, dass wir die kirchliche Arbeit profilieren, qualitativ verbessern, um unseren Auftrag erfüllen zu können: den Menschen nahe zu sein und der Stadt Bestes zu suchen. Darum kann man die Verantwortlichen in Dresden nur auffordern: Lasst von diesem Unsinn endlich ab! Das würde auch dazu führen, dass der Landesbischof nicht mehr Briefe des Jammerns schreiben muss, weil die Stimmung in der Mitarbeiter*innenschaft demotiviert, der Krankenstand unter Pfarrer*innen enorm hoch und der Frust unter den ehrenamtlich Tätigen bedrohlich angewachsen ist.
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* Damit keine Missverständnisse aufkommen: Weder die Thomaskirche noch die Nikolaikirche erwarten eine Sonderbehandlung. Beide Kirchgemeinden haben in Sachen Strukturreform ihre Bringschuld erbracht: 2002 kam es zur Gemeindevereinigung der Lutherkirche und der Thomaskirche, 2014 vereinigten sich Nikolaikirche und die Heiligkreuzgemeinde. Die Folge war: Beide Gemeinden tragen die volle Verantwortung für die Lutherkirche und das Gemeindehaus bzw. die Heiligkreuzkirche. Beide Gemeinden haben dafür überzeugende Konzepte entwickelt. Diese Entwicklung jetzt quasi zu stoppen, wird zu schweren Verwerfungen führen.
** Die Kirchgemeinde St. Thomas benötigte seit 2000 bis zur Corona-Pandemie keine Sonderzuweisungen der Landeskirche. Der Kirchensteueranteil am Gesamtvolumen des Haushalts betrug ca. 25 %. Alles andere hat die Thomaskirche selbst erwirtschaftet. Natürlich hat die Corona-Zeit auch die Thomaskirche in eine finanzielle Schieflage gebracht. Nur wird sie in der Lage sein, diese nach und nach zu beheben – es sei denn das Landeskirchenamt bleibt bei seinen Plänen.
16 Antworten
Kann mir jemand sagen, ob sich die Dresdner Innenstadtgemeinden auf ähnliche Weise zwangsfusionieren sollen? Die Frauenkirche hat wahrscheinlich eine Sonderfinanzierung und wird sicher nicht mit der Kreuzkirche und dem Kreuzchor fusioniert?
Genau so ist es. Die Frauenkirche wird von einer Stiftung getragen und hat eine sog. Personalgemeinde. Insofern steht eine Fusion nicht zur Debatte. Die Kreuzkirche hat sich – wie übrigens Nikolai- und Thomaskirche auch – mit benachbarten Gemeinden vereinigt. Insofern gehen die derzeitigen Wortmeldungen aus dem LKA völlig ins Leere. Für die Thomaskirche kann ich sagen: Sie hat schon 1998 ihre Hausaufgaben in Sachen Strukturreform gemacht – aber nicht von oben verordnet, sondern vor Ort entwickelt. Bis zur Corona-Pandemie war der Haushalt der Thomaskirche nur noch zu 25 % aus Kirchensteuermitteln finanziert. Dabei ist zu bedenken, dass die Thomaskirche keinerlei „Sondermittel“ von der Landeskirche oder der Stadt Leipzig erhält. Nach der Fusion von Thomaskirche und Lutherkirche 2002 trägt die Kirchgemeinde St. Thomas auch die fianzielle Verantwortung für die Lutherkirche und das Gemeindehaus und hat für beide Gebäude eine Nutzungskonzeption entwickelt, die sich auch wirtschaftlich trägt. Doch das alles interessiert die Bürokraten im LKA nicht. Sie verbreiten stattdessen die – leider muss ich sagen – Lüge, dass sich Nikolai- und Thomaskirche unsolidarisch verhalten würden. Das Gegenteil ist der Fall. Aber den Selbstzerstörungsstrategen im LKA geht es nicht um Kirchesein vor Ort, sondern um Machtexekution. Wenn es anders wäre, würden sie sich ja mit den Verantwortlichen vor Ort an einen Tisch setzen, anstatt Strafaktionen wie Gehaltskürzung gegen die beiden Pfarramtsleiter*innen in Gang zu setzen. Aber das reformatorische Bewusstsein, dass das LKA ein Dienstleistungsbehörde im Auftrag der Gemeinden ist, wartet nach wie vor auf Einlass in die Lukasstraße 6. Christian Wolff
Zitat aus einem Kommentar von LIANE PLOTZITZKA:
„Selbstverständlich ist auch für mich die Verkündigung der Frohen Botschaft das wichtigste Anliegen unserer Kirche. Als engagierte, evangelische Laiin bin ich allerdings davon überzeugt, dass Jesus Christus in jedem Fall eher das Gespräch mit Menschen an der Basis gesucht hätte,…“
Wir wir allesamt längst wissen, ist Kirche ohne Basis und durch eine engagierte Basis (die aktiven Kirchgemeinden vor Ort in Land, Stadt, Dorf) lebensunfähig. Und es stellt sich doch immer wieder jene aus meiner Sicht und Erfahrung dringenste Kardinalfrage, was Kirche tut (oder eben seit Jahren und zunehmend unterlässt), um eben diese Basis an und für Kirche zu begeistern, zu faszinieren, an sich zu ziehen, sich einzubringen, zu engagieren (oder eben seit Jahren all dies zu versäumen – offensichtlich ohne Not)?
Gerade gestern hörte ich von Schülern eines konfessionsfreien Dresdner Gymnasiums während des Friedensgebetes zum 8. Oktober in der Dresdner Kreuzkirche (in Erinnerung an die Gründung der „Gruppe der 20“ auf der Prager Straße 1989) deren intensiven Fragen an diese unsere demokratische Zivilisation, getragen von Sorgen, Ängsten, Unwohlsein aber eben deren auch Angebote sich einzubringen in die Problem-Bewältigungen unserer Zeit – Umwelt, Migration, Integration, Sozialisierung, Konsumverhalten, Nachhaltigkeit etc.pp..
Und ich höre dann seit Jahren von den uns nachfolgenden Generationen die dringende Frage: Wo ist bei all dem, was uns umtreibt und auch belastet, die KIRCHE? Wie positioniert sie sich denn wirklich in der Realität, wann erhebt sie ihre Stimme und fordert von Gesellschaft und den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft Einsatz, Klarheit und Veränderungswillen?
Das unverkennbare Schweigen zu allen Fragestellungen seitens dieser unsrer Kirche (nicht dieser und jener engagierten und basistätigen Kirchgemeinden, Pfarrerinnen und Pfarrern! – hier ist Institution und lebendige Kirchgemeinde bitte zu trennen) lässt diese jungen, fragenden, nach Antworten sich sehnenden Menschen (natürlich auch alte) verzweifeln und als Folge dessen den Raum Kirche zunehmend in großer Enttäuschungen verlassen. Die Kirchenflucht ist das Ergebnis, damit eben auch Verlust an Steuereinnahmen. Und dann sucht man dem Problem hinterher hetzend institutionell rasch die Flucht in den sog. Strukturreformen. Allein der Terminus REFORM ist an dieser Stelle der Schwachsinn par excellence und fast ein Hohn für alle, die sich für tatsächliche Reformen einbringen, vielerorts ehrenamtlich und nebenberuflich!!
Kurz: „Es gilt ein frei Geständnis in dieser unsrer Zeit“ (Oh komm du Geist der Wahrheit) – wie wahr und nun endlich dringend nötig, dies mit allen Sinnen im LKA Sachsen ernsthaft zu bewegen!
Und vielleicht ein Vorschlag: Wenn es an Finanzen mangelt (was der Fall ist), dann sollte an der Basis zu aller Letzt gespart werden; ich würde beim Überbau anfangen! Mehr ist wahrlich nicht zu sagen.
Ein gutes, hoffnungsvolles Wochenende.
Das Geistliche kommt mir in der ganzen Diskussion viel zu kurz. Es steht nicht gut um Kirche, wenn die Verteidigungslinie lautet „Die Nikolaikirche und die Thomaskirche sind Markennamen“, so zu lesen unter
https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2021/10/nach-aufforderung-der-landeskirche-kirchgemeinden-st-nikolai-und-st-thomas-leipzig-wehren-sich-gegen-verordnete-fusion-414211
„Markennamen“? Soll das alles sein. Bach hier, ’89 da. Klingt sehr nach Kulturprotestantismus alten Schlages. Von den Folgen für die Seelsorge ist wenig zu lesen.
Entscheidend ist: Es gibt nicht einen theologischen, ekklesiologischen, wirtschaftlichen, finanziellen, organisatorischen Grund für die Fusion von Thomaskirche und Nikolaikirche. Vor allem – und darauf habe ich in meinem Blog-Beitrag hingewiesen – wird die Fusion nichts zur Verbesserung von Seelsorge und Verkündigung beitragen. Das Letztere gilt allerdings für die gesamte sog. Strukturreform. Dass das Landeskirchenamt sich zusätztlich noch an gesellschaftlichen, kulturellen Bedeutung von Thomaskirche und Nikolaikirche vergeht, zeigt, aus welchem Geist heraus diese sog. Strukturreform erwachsen ist: Man möchte gerade die Kirchgemeinden, die man nicht so „im Griff“ hat, an die Kandarre nehmen. Das entspricht dem selbstherrlichen, autoritären, obrigkeitsstaatlichen Geist, der immer noch durch die Kukasstraße 6 weht – mit verhängnisvollen Folgen für die Gesamtkirche und ihrem Auftrag. Christian Wolff
Ich habe 2 EMails an das LKA geschickt. Hier Auszüge daraus. Auf die 2. Mail vom 1.10. erhielt ich noch keine Antwort.
Datum: 01.10.2021
An: Kirche
Betreff: Strukturverbindung
Sehr geehrter Herr Präsident Vollbach,
bedanken möchte ich mich für Ihre Antwort, die sich jedoch für mich leider nur wie ein üblicher, formaler Baukastenbrief anfühlt.
Sie weisen u. a. auf das laufende Verfahren zur Strukturfrage hin, zu dem Sie sich nicht äußern können. Sie werden nachvollziehen können, dass mir ein derartiges, offensichtlich „geheimes“ Verfahren, sehr suspekt erscheint und mir keinerlei Vertrauen zu vermitteln vermag, wobei doch zugleich letztlich Ihrerseits erwartet zu werden scheint, dass etwaige, strukturelle Folgen am Ende von ehrenamtlich Engagierten wie mir, ohne dass diese transparent Einfluss zu nehmen vermögen, „geschluckt“, umgesetzt und gelebt werden sollen. Das fühlt sich für mich sehr entmündigend an. Ich glaube nicht an die Wirksamkeit von Beschlüssen, die nicht auch getragen sind von Beteiligten vor Ort. Solche Beschlüsse werden weder die Kirche noch die Welt verändern.
So ist es für mich befremdlich, dass Sie auf meine in meinem Schreiben ernst gemeinte Bereitschaft zu weiteren Ausführungen und Rückfragen Ihrerseits überhaupt nicht eingehen, als ob diese für das Verfahren nicht wichtig zu sein scheinen!? Stattdessen versuchen Sie, so empfinde ich es, mich mit Plattitüden abzuspeisen. Ja, für mich schwingt leider kein christlich geschwisterlicher, sondern ein hierarchischer Ton aus Ihrem Antwortschreiben heraus, was ich als unangenehm empfinde, zumal Gemeindemitglieder wie ich doch auch Ihren Lebensunterhalt mit finanzieren.
Sie bitten mich um Verständnis. Ich bitte auch Sie meinerseits sehr um Ihr Verständnis, dass ich mit dem Lesen Ihrer Antwort daran zweifle, dass Sie im fernen Dresden die Lage besser einschätzen können als die haupt- und ehrenamtlich Engagierten beider Kirchen und ihrer Gemeindemitglieder vor Ort in Leipzig. Ein differenziertes Eingehen Ihrerseits auf die derzeitige Situation sowie die sachlich fundierten Aussichten konkret vor Ort sind leider nicht in Ihrer Antwort erkennbar, auch nicht ein Eingehen auf konkret angeführte Sachaspekte meinerseits. Hier bitte Sie nochmals herzlich, mein Anliegen ernst zu nehmen. Eine Nikolaikirche perspektivisch ohne eigenen Nikolaipfarrer ist für mich undenkbar.
Selbstverständlich ist auch für mich die Verkündigung der Frohen Botschaft das wichtigste Anliegen unserer Kirche. Als engagierte, evangelische Laiin bin ich allerdings davon überzeugt, dass Jesus Christus in jedem Fall eher das Gespräch mit Menschen an der Basis gesucht hätte, ganz gewiss eher und lieber als mit Menschen in hierarchischen Strukturen. Dafür ist die Tradition der Nikolaikirchengemeinde der 1980er Jahre m. E. ein historisches Zeichen. Die Nikolaikirche muss ein Identifikationsort bleiben, der neben der zu jener Zeit andersgearteten Reputation der Thomaskirche seine Eigenständigkeit zu bewahren hat.
Irritiert lese ich Ihre Bitte in Ihrem Schreiben an mich, hinsichtlich der geplanten Strukturverbindung ‚Thomas+Nikolai‘, „gemeinsam mit dieser Situation umzugehen“!? Doch Ihr Schreiben wirkt auf mich wie eine „Einbahnstraße“ von oben nach unten. Ein wirkliches Interesse am „gemeinsam“ ist für mich leider nicht zu erkennen. Wie interpretieren Sie „gemeinsam“?
Nicht nur ich bin davon überzeugt: Mit einer Strukturverbindung würde eine daraus resultierende Verarmung der bisherigen spezifischen Verkündigungsmodalitäten und -vielfalt von ‚Thomas+Nikolai‘ billigend in Kauf genommen werden. Besonders schlimm erscheint mir daran: Im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung würden sich die Befürwortenden der Strukturverbindung bestätigt fühlen. Ja würden die Befürwortenden die drohende Verarmung jedoch nicht geradezu provozieren und verstärken sowie dafür die mitverursachende Verantwortung zu tragen haben? Das möchte ich dringend zu bedenken geben und nochmals zum transparenten Überdenkungsprozess auffordern.
Sie werden hoffentlich verstehen, dass Ihre Antwort mich keineswegs zu überzeugen vermag. Nochmals meine Kommunikationsbereitschaft bekundend bitte ich Sie zu verstehen, dass ich bei der perspektivischen Wichtigkeit des Themas weiterhin – und zwar in allen Bereichen, in denen ich mich ehrenamtlich engagiere – alles mir Mögliche tun werde, um dazu beizutragen Drohendes zu verhindern. Die Gegenwart und Zukunft ev.-kirchlichen Lebens im innerstädtischen Leipziger Bereich sollte es unbedingt wert sein, die Strukturverbindung konkret vor Ort zu überdenken, und zwar verantwortlich im transparenten Gespräch mit den Haupt- und ehrenamtlichen vor Ort.
Fürbittend für Sie im Landeskirchenamt und für die beiden Leipziger Gemeinden Thomas+Nikolai
und mit freundlichen Grüßen
Liane Plotzitzka…
Gesendet: Samstag, 25. September 2021
An: LKA
Betreff: Strukturverbindung
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Online-Gemeindebrief las ich von der von Ihnen geforderten Strukturverbindung ‚Nikolai+Thomas‘.
Die Vor- und Nachteile von Fusionierungen sind allgemein bekannt. Eine Strukturverbindung der beiden Leipziger Hauptkirchen halte ich für abwegig, ja für absurd.
Wegen der gravierenden Alleinstellungsmerkmale beider Kirchen hat Leipzig einen internationalen Ruf, von dem Sie als Landeskirche Sachsen gewiss sehr profitieren. Beide Kirchengemeinden haben ein eigenständiges, sehr spezifisches, völlig unterschiedliches Profil mit internationalen und innerkirchlichen Aufgaben.
Die angedachte Strukturverbindung würde in einem differenzierten Abwägungsprozess viel, viel mehr Verlust als Vorteile bringen.
Insbesondere als Mitglied der ehemaligen Basisgruppe „Frauen für den Frieden“ ist es mir ein großes Anliegen, dass die Nikolaikirche als Ort der Friedlichen Revolution ihre Eigenständigkeit erhält, zumal die Tradition der Friedensgebete auch weiterhin von großer Bedeutung ist.
Die Thomaskirche war während der DDR-Zeit durchaus kein rühmlicher Ort des politischen Aufbruchs. Auch Ihre Landeskirche hat damals ihr politisches Mandat leider nicht – wie von uns damals erhofft – erfüllt. Und es befremdet, wenn ausgerechnet von Ihrer Seite aus jetzt nach 31 Jahren eine Strukturverbindung mit der Thomaskirche vorgeschlagen wird!? Unabhängig davon möchte ich hinzufügen, dass ich die Arbeit der Verantwortlichen der Thomaskirche in der heutigen Zeit sehr schätze. Insbesondere bin ich dankbar, dass wir Menschen in Leipzig wie die Pfarrerin Taddiken und Pfarrer i. R. Wolff haben.
Ich bin überzeugt, dass die vielfältigen Aufgaben weder international noch regional und weder qualitativ noch quantitativ weiterhin zu lösen sind, wenn eine Strukturverbindung von Ihrem Amt durchgesetzt wird, die in der Regel ein Schwesterkirchverhältnis oder eine Gemeindevereinigung zur Folge hat.
Eine erfreuliche Herausforderung ist seit 2014 für die Nikolaikirche geworden, dass die Heilig-Kreuz-Kirche mit ihrer kulturellen, religiösen und sozialen Vielfalt zur Nikolaigemeinde gehört, was zur besonderen Tradition der Stadtkirche passt.
Der statistische Quartalsbericht 2021 der Stadt Leipzig belegt, dass die Stadt weiterhin beträchtlich wächst. Beide Gemeindegebiete profitieren davon, Gemeindemitglieder steigen kontinuierlich. Denn ich sehe nicht, wo die Strukturverbindung Einsparungen erbringt. Umgekehrt wird aber mit Profilverlust mögliches Ehrenamt zurückgedrängt werden.
Ganz herzlich bitte ich Sie als Gemeindemitglied der Nikolaikirche (und langjähriges ehemaliges KV-Mitglied) eine Ausnahme zu genehmigen, Mut zur Respektierung der besonderen Evidenzen zu haben, die laut Kirchengemeindestrukturgesetz möglich wäre. Auch finanziell würde sich künftig letztlich eine Abkehr von der Ihrerseits geforderten Strukturverbindung gewiss als Vorteil erweisen können….
Mit dem Appell, von einer mit der geforderten Strukturverbindung drohenden „Verschlimmbesserung“ der kirchengemeindlichen Situation im boomenden Leipziger Stadtzentrum Abstand zu nehmen und die Situation vor Ort wertzuschätzen, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Liane Plotzitzka
Als Alt-Leipziger und Thomaser bin ich ganz ihrer Meinung. Auch die Nikolai-kiirche fand ich in Ihrer Eigenart und Bedeutung für Leipzig hoch ehrenwert und einzigartig.
Nicht zu fassen!
Wie kann ich helfen, diesen Irr-und Schwachsinn zu verhindern?
Am besten ist eine kurze, knackige Mail ans Landeskirchenamt (mit Nikolai- und Thomaskirche im cc): kirche@evlks.de (cc: info@thomaskirche.org und pfarramt@nikolaikirche.de)
Ja, lieber Herr Wolff, ein gutes Wort und ein guter Geist.
Doch:
Müssen Sie sich ohne Not dem verlotterten Zeitgeist anschließen und uns in gegenderter
Rede ansprechen?
„Lassen Sie…“, wenn ich Sie zitieren darf, „Lassen Sie von diesem Unsinn ab!“
Ich grüße Sie mit Herzlichkeit
Matthias Girbig
Lieber Pfarrer Wolff!
Jetzt tun Sie aber den allermeisten Firmen und Unternehmensberatungen, die Firmen bei notwendigen Anpassungen an ein sich rasant änderndes Nachfrageverhalten beraten, sehr Unrecht! So schlecht wie im vorliegenden Fall die Entscheidungsträger bei der Umsetzung des Kirchgemeindestrukturgesetzes machen es nur die allerallerwenigsten in der Wirtschaft. Auf so eine miserable Zusammenlegungsidee zu kommen und die stärksten „Leuchttürme“ im eigenen Geschäftsmodell zu schleifen, das sucht schon seinesgleichen.
Die faktischen Notwendigkeiten, die hinter dem „Kirchgemeindestrukturgesetz“ stehen, gilt es in aller Nüchternheit anzuerkennen. Für mich überhaupt keine Frage! Aber auch bei dieser Strukturreform gilt wie in der Wirtschaft: Wer es nicht schafft, gleichzeitig sowohl notwendige Kosteneinsparungen durch sinnvolle Zusammenlegungen zu gestalten als auch parallel seine Alleinstellungsmerkmale zu stärken, der weiht sich dem Untergang.
Wie schmerzvoll, dass die Kirchenleitung in Sachsen nach der verhängnisvoll-naiven Schablone des „Kopierens, ohne zu kapieren“ vorgeht. Wie schmerzvoll zu sagen, dass der Titel dieses Blogs so zutreffend gewählt wurde.
Ich würde begrüßen, wenn in diesem Blog noch Gedanken weiter wachsen, wie die Innenstadtgemeinden jetzt dem außergewöhnlichen Irrsinn angemessen und wirksam Einhalt gebieten können. Die Situation schreit für mich nach kreativer Zeichensetzung! Spontan kommt mir „Stille – Liturgie der Unterbrechung“ von Alexander Deeg und Christian Lehnert (Hrsg). Auf Seite 14 heißt es:
„Ob es in der Geschichte der Kirche jemals eine Schweigepredigt gab!? (…) Man stelle sich die Frau oder den Mann auf der Kanzel vor. Ein Ringbuch müsste sie/er wohl haben. Und auch umblättern. Aber ansonsten wäre da: Schweigen! Der Vorgang des Predigens würde auf bedrängende Weise selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt; vielleicht würde die Erwartung groß, endlich ein Wort zu hören. Vielleicht würde umgekehrt befreiend erlebt, wie gut es sein kann, wenn nicht geredet wird. Vielleicht würde nur die Irritation groß. Vielleicht würde die Stille durch die einsetzenden Gespräche im Kirchenschiff übertönt, durch Unmut und Verwunderung, weil Menschen es so schwer aushalten, dass da nichts ist.“
Und ich füge hinzu: Vielleicht würden die Kirchen von St. Thomas und St. Nikolai noch voller denn je sein, weil die Schweigepredigten – Gott zum Lobe und zugleich der Kirchenleitung als Zeichen – mehr Verkündigung sind als jede Wortpredigt.
Ich wünsche allen Beteiligten Mut und Kraft, das Notwendige zu tun, um irreversiblen Schaden abzuwehren.
Lieber Christian,
unabhängig davon, dass ich in der Synode durchaus Menschen erlebt habe, die sehr stark in ihren Gemeinden verwurzelt sind und sich vieler Zumutungen bewusst waren, frage ich mich, wie man deine Forderungen denn eigentlich umsetzen soll? Siehst du Finanzielle und personelle Möglichkeiten, mit denen die Gemeinden in der Fläche präsent sein können? Was bedeutet das denn? Sollen die Gemeinden alle kleine Kulturunternehmen werden, wie die Thomaskirche? Haben sie dann auch den Touristenzustrom? Wie setze ich denn Veraltungsmitarbeiter:innen effektiv ein, wenn an einem Kirchturm nur noch 12,5%-Anstellung sind, wenn nicht in zentraleren Verwaltungsstellen? Wie die Gemeindepädagog:innen, wenn nicht die Angebote für mehrere Kirchen zusammengefasst werden?
Wie setzt man denn das um, was Du da forderst?
Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass hier eine Henne-Ei-Frage im Hintergrund steht: War zuerst die Abnahme der Mitgliedszahlen oder zuerst die Strukturreform da? Meine Vermutung ist ja ersteres, aber ich habe bei vielen anderen Argumentationen den Eindruck, dass zweiteres der Fall ist.
Beste Grüße
Thomas
Lieber Thomas, als die Thomaskirche 1996/97 faktisch pleite war und wir Mitarbeiter*innen entlassen bzw. im Deputat kürzen mussten, haben wir uns zur Strategie „Nicht den Mangel verwalten, sondern ihn gestalten“ entschlossen. Wir haben das Sparprogramm verbunden mit einem neuen Aufbruch und dem Versuch, neue Einnahmequellen zu akquirieren – nicht zuletzt durch den Anspruch, dass wir mehr werden müssen. Genau das ist jetzt auch angesagt. Jede Gemeinde muss sich fragen: Warum muss es uns am Ort X geben und was ist unser Beitrag zum gesellschaftlichen Leben vor Ort? Und genauso steht die Kontrollfrage an: Dient eine Strukturreform der Menschennähe? Ich vermute einmal, dass in den wenigsten Gemeinden solche Fragen diskutiert wurden – im Landeskirchenamt schon einmal gar nicht. In diesem Sinn hat die Kirche in den vergangenen 30 Jahren gerade im ländlichen aum versagt, weil sie die Entwicklung dieses Raums kaum auf dem Schirm hatte. Jetzt das Versäumte nachzuholen, ist eine riesige Herausforderung. Nur: Ohne eine völlige Veränderung der Strategie und einen Abschied von der aberwitzigen Strukturreform wird es nicht gehen. Noch eine Bemerkung: die Thomaskirche ist kein „Kulturunternehmen“. Die Thomaskirche ist eine der größten Einzelgemeinden in Sachsen und darüber hinaus eine zentrale Stätte in der Stadt Leipzig. In den 22 Jahren meiner aktiven Tätigkeit an der Thomaskirche habe ich versucht, beidem gerecht zu werden und vor allem die Thomaskirche zu einem zentralen Ort christlichen Lebens in der Stadt zu machen. Beste Grüße Christian
Danke erstmal für die Antwort. Ich will nur hinzufügen, dass für mich „Kulturunternehmen“ kein negatives Wort war. Ich habe auch nicht erlebt, dass die Thomaskirche ohne christliche Botschaft auftritt. Ich meine nur, dass die Thomaskirche aufgrund Ihrer kulturellen Bedeutung ein Pfund hat, mit dem andere nicht wuchern können und damit sicher auch Dinge gegenfinanziert.
Und dann ist die Frage, ob die Strukturreform jetzt so allein betrachtet werden sollte, ohne die missionarischen Pfarrstellen, die begleitenden Reflexionen über die Arbeitsprofile der einzelnen Berufsgruppen, die Möglichkeit nach gabenorientierten Pfarrämtern.
Zumindest in der Synode wurde die Frage nach dem Wachstum immer wieder gestellt. Die Soziologen sehen das zum Beispiel extrem skeptisch (Freiburger Studie). Außerdem gibt es kaum wachsende Gemeinden, außer die Gemeinden, die auf Grund ihres enormen Zuzuges eben wachsen (hauptsächlich Leipziger Gemeinden). Oder eben die freikirchlichen Gemeinden, die aber nie den Anspruch einer Flächendeckung haben.
Ich kann deine Kritik zwar verstehen, finde sie aber eben zu pauschal, daher mein Einwand.
In meiner Erfahrungen in christlicher Jugendarbeit, als Religionslehrer und nun als Uni-dozent ist, dass Lust oder auch nur Plausibilität des Christentums an Leute weiterzugeben, die dem Geschehen Christentum fern stehen, sehr hartes Brot ist.
Beste Grüße
Thomas
Noch einmal: Es geht beim Protest gegen die Maßnahmen des Landeskirchenamtes nicht darum, eine Sonderbehandlung von Thomaskirche und Nikolaikirche einzuklagen. Vielmehr wird jetzt hoffentlich dem Letzten klar, wie verhängnisvoll die sog. Strukturreform für alle Gemeinden ist. Denn es ist ein großer Trugschluss zu meinen, dass die Verhältnisse an der Thomaskirche oder Nikolaikirche so anders sind. Nein, sie unterscheiden sich höchstens in der Größenordnung. Jede Gemeinde verfügt über mindestens einen Schatz, der gehoben werde muss und der gepflegt gehört. Und in jeder Gemeinde leben Menschen, die des Zuspruchs, der Anerkennung und der Zuwendung bedürfen. Das sind die Fragen, die vor der Strukturreform gestellt und beantwortet werden müssen: Warum muss es uns als Kirche am Ort x überhaupt geben? Was ist unser Schatz, unsere Bedsonderheit? Welchen Beitrag wollen wir für das gemeinschaftliche Leben am Ort leisten? Also Zielülanung: Was wollen wir? Wen brauchen für dafür? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann ich über Strukturen nachdenken – und ganz am Schluss über Geld. Das gilt für Kirchen in der Leipziger oder Dresdner Innenstadt wie Schnaudertrebnitz oder Gatzen.
Ich stimme Dir, lieber Christian, mit bedrücktem Herzen zu und erlebe das Gleiche in meiner Landeskirche von Kurhessen-Waldeck! So werden gerade die noch Engagierten bitter enttäuscht. Das hat mit Sparen nichts zu tun. Das ist Zerstörung! Trauriger Gruß, Martin Schindehütte, Bischof iR