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Das Wahlergebnis in Sachsen – eine ziemliche Katastrophe

Ja, es ist ein Segen, dass die AfD bei der Landtagswahl in Sachsen nicht stärkte Kraft wurde. Dennoch ist das Wahlergebnis ziemlich katastrophal – für Sachsen, für die Demokratie, für die SPD: 27,5 % für die Rechtsnationalisten der AfD – und das an einem Tag, an dem vor 80 Jahren die deutschen Nationalsozialisten Europa in einen zerstörerischen Vernichtungskrieg stürzten. Noch katastrophaler nimmt sich dieses Ergebnis aus, wenn wir ein wichtiges Resultat der Wahlforscher beachten. Auf die Frage, warum sie AfD wählen, antworteten in Sachsen über 70 % der Wähler/innen: wegen der politischen Forderungen der AfD; 28 % verstanden ihre Stimmabgabe als „Denkzettel“. Das bedeutet: Über Zweidrittel der AfD-Wähler/innen verstehen ihre Wahlentscheidung nicht als Protest. Sie haben ihre Stimme aus Überzeugung abgegeben. Was aber sind die Forderungen der AfD? Der Generalsekretär der AfD Sachsen, Jan Zwerg, hatte es zum Wahlkampfauftakt auf den Punkt gebracht: „Die Landtagswahl ist die Abstimmung darüber, ob Sachsen deutsch bleibt.“ Unter dieser nationalistischen Überschrift können die anderen politischen Forderungen subsumiert werden – wie der „Systemwechsel“, das Ende des „Bevölkerungsaustauschs“, die Verleugnung des Klimawandels und der weitere Ausbau der Kohleindustrie, die Orientierung an Politikern wie Salvini, Trump oder Orban. Deren Demontage der Demokratie, deren völkischer Nationalismus, deren offener Rassismus erscheinen vielen Wähler/innen der AfD erstrebenswert. Ihnen sind Abschottung, Nationalismus, ethnische Homogenität, Demokratieverachtung, Rassismus wichtiger als innergesellschaftliche Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz – zumindest nehmen sie dies in Kauf, auch wenn es den Grundwerten der Verfassung widerspricht. Sie glauben, dass über eine rechtsnationalistische Politik ihre Unzufriedenheit über bestimmte Zustände behoben werden kann. Das erklärt übrigens auch, warum die rechtsextremistische Propaganda von Andreas Kalbitz, Björn Höcke, Jörg Urban, ihre Gleichsetzung des heutigen Deutschlands mit der DDR, ihre unerträglichen Hass-Äußerung dem Wahlerfolg der AfD nichts anhaben konnten. Im Gegenteil: Dies macht die AfD für viele ihrer-Wähler/innen besonders attraktiv. Darum meinen über 90 Prozent der AfD-Wähler/innen, dass die Partei das ausspricht, was sich die anderen nicht mehr trauen: Und was ist das? Z.B. der Tweet der AfD Bundestagsabgeordneten Verena Hartmann aus Pirna, in dem sie Angela Merkel zuruft „Aber ich verfluche den Tag Ihrer Geburt.“ oder das montägliche Pegida/AfD-Geschrei „Absaufen“ oder der „Systemwechsel“, also der Abschied vom Deutschland des Grundgesetzes.

Das es soweit kommen konnte, hat nicht nur eine Ursache. Ich nenne eine und weiß, dass das Widerspruch auslöst: Viele Menschen haben mit der zu DDR-Zeiten verordneten Entchristianisierung ihre innere Mitte und ihr Selbstvertrauen verloren, ohne dass das nach 1990 doppelte Vakuum gefüllt werden konnte. Da greift man dann gerne zum ideologischen Strohhalm des Nationalismus, der Sicherheit vor allem Fremden verspricht. Entscheidend sind aber weitere Versäumnisse der vergangenen 30 Jahre:

  • Die Friedliche Revolution von 1989/90 wurde nicht genutzt, um das vereinigte Deutschland demokratisch, sozial zu erneuern.
  • Die inhaltlichen Zielsetzungen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, die heute auf der politischen Agenda obenan stehen (müssten), verschwanden in den 90er Jahren aus dem politischen Diskurs.
  • Die politische Bildung kam zum Erliegen. Es wurde versäumt, die parlamentarische Demokratie, die europäische Einigung als Friedensprojekt, kulturelle und religiöse Vielfalt auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens als Errungenschaften zu kommunizieren.

Für diese Fehlentwicklungen trägt die CDU Sachsen ein hohes Maß an Verantwortung. Sie hatte schon zu NPD-Zeiten eine offene Flanke zum Rechtsextremismus in Sachsen. Insofern hat es einen durchaus bitteren Beigeschmack, dass diese CDU gestern davon profitiert hat, dass sich viele Bürger/innen in zahlreichen überparteilichen Initiativen in den vergangenen Monaten dafür eingesetzt haben, dass die Rechtsnationalisten zurückgedrängt werden. Das hatte die erfreuliche Folge, dass Ministerpräsident Michael Kretschmer sich persönlich klar von der AfD distanziert hat und für die CDU ein beachtliches Wahlergebnis eingefahren konnte. Gleichzeitig aber kungelt und kuschelt die CDU auf kommunaler Ebene mit der AfD – gegen Grüne, LINKE, SPD.

Angesichts dieser durchaus fragilen Situation ist es unerlässlich, dass die beiden möglichen Koalitionspartner der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD, der CDU einen klaren Schnitt zu den Rechtsextremisten der AfD abverlangen und dafür sorgen, dass die Demokratiebildung als entscheidendes Element der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung implementiert wird. Die Frage ist, ob die SPD dafür genug Kraft aufbringt. Denn sie ist im Wahlkampf fast untergegangen. Zwei gravierende strategische Fehler haben das befördert:

  • Zum einen hat die SPD auf den Schwiegersohn-Effekt gesetzt und Martin Dulig als Sympathieträger in den Mittelpunkt gesetzt. Das führte dazu, dass das inhaltliche Profil der SPD noch undeutlicher wurde. Die SPD hat es nicht vermocht dazulegen, dass alles, was seit 2014, aber vor allem seit 2018 in Sachsen auf den Weg gebracht wurde, entscheidend von ihr ausgegangen ist. Die blumige Forderung nach „Respekt und Anerkennung“ hat keinen mobilisierenden Effekt gehabt, sondern Menschen eher in ihrer Ablehnung der Demokratie bestätigt.
  • Zum andern haben der Zustand der SPD auf Bundesebene und vor allem der absurde Wettkampf um den SPD-Vorsitz den Wahlkampf in Sachsen verhagelt. Es war signifikant, dass am vergangenen Freitag CDU, LINKE und Bündnis 90/Die Grünen in Leipzig ihren zentralen Wahlkampfabschluss hatten – von einer SPD-Kundgebung keine Spur.

Nun müssen wir alle dafür sorgen, dass der rechtsnationalistischen Politik von Pegida/AfD weder ein Resonanzboden noch eine Rechtfertigung bzw. Daseinsberechtigung geliefert wird. Wir brauchen die harte politische Auseinandersetzung mit denen, die AfD gewählt haben. Sie und niemand sonst sind dafür verantwortlich, dass die AfD 27,5 % Stimmenanteil hat. Niemand hat sie zur Stimmabgabe für die AfD gezwungen. Das haben sie aus freien Stücken getan. Das müssen wir im Blick haben, wenn wir nach dem katastrophalen Wahlergebnis in die Auseinandersetzung eintreten. Denn miteinander reden heißt nicht: Ich gebe dem anderen recht oder zolle ihm unbesehen Respekt und Anerkennung. Miteinander reden, heißt: ringen um die Grundwerte der Verfassung und des Glaubens, um Menschenwürde, sozialen Zusammenhalt und kulturelle und religiöse Vielfalt. Dieses Ringen beginnt am besten da, wo die politischen Vorstellungen noch nicht in völkisch-nationalistischer Kälte erstarrt sind. Darum sollte ein pädagogischer Grundsatz greifen: Wenn Dinge völlig aus dem Ruder gelaufen sind, muss dort angesetzt werden, wo sich Leben neu entwickelt. Das ist jetzt die politische Aufgabe.

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