Sie steht weltweit unter Druck, die Demokratie. Dabei ist sie die Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die am ehesten dem Anspruch der Würde und der Gleichberechtigung eines jeden Menschen ungeachtet des Geschlechtes, der Nationalität, der körperlichen Beschaffenheit gerecht wird. Doch derzeit befindet sich die Demokratie im Zangengriff der Autokraten und Staatsdiktaturen: in Asien durch einen auf Perfektion angelegten, unerbittlichen Überwachungsstaat China; in Lateinamerika und den USA durch Autokraten wie Bolsonaro und Trump; in Russland durch Putin; in Europa durch Erdogan, Orbán und nun auch Boris Johnson. Was allen gleich ist: sie höhlen skrupellos die demokratischen Institutionen, die Gewaltenteilung, die Presse- und Meinungsfreiheit aus unter dem Deckmantel, sie dienten dadurch den Interessen des Volkes und der Nation. Doch tatsächlich verfolgen sie einen
- Abgrenzungsnationalismus, der auf díffusen Ängsten vor Überfremdung gründet;
- eine wirtschaftspolitische Abschottung, um den Reichtum der Reichen abzusichern;
- ein gigantisches militärisches Aufrüstungsprogramm, um notfalls den „Volkswillen“ oder „Volkszorn“ in kriegerische Auseinandersetzungen kanalisieren zu können.
Auch in Europa finden die Demokratieverächter auf kommunaler und regionaler Ebene ihre Anhänger – gerade auch in Sachsen. Dafür stehen Namen wie Salvini und die Lega, Le Pen und der Rassemblement National, Strache und Kickl und die FPÖ, Gauland und Höcke und die AfD. Schamlos knüpfen die genannten Parteien und Personen an die Strategien der Faschisten (Italien) und der Nationalsozialisten aus den 20er/30er Jahre des vorigen Jahrhunderts an, kopieren sie und bedienen sich ihrer Sprache:
- Regierende Politiker/innen werden pauschal als „Volksverräter“ beschimpft.
- Medien werden unterschiedslos als „Lügenpresse“ diffamiert.
- Aufnahme von Geflüchteten und Asyl wird als „Umvolkung“ und „Bevölkerungsaustausch“ aufgebauscht, um „Volkszorn“ anzustacheln.
- Politische Macht wird ausschließlich in den „Eliten“ ausgemacht, deren Privilegien sich die Rechtsnationalisten sofort zu sichern suchen.
- Außer der eigenen Partei, die sich als „Bewegung“ versteht, sind alle anderen „Kartell- oder Alt-Parteien“ – unabhängig davon, ob sie an der Regierung beteiligt sind oder sich in der Opposition befinden.
- Es geht bei Wahlen nicht um einen möglichen, demokratisch herbeigeführten Regierungswechsel, sondern um den „Systemwechsel“ – also weg von der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie hin zu einer wie auch immer gearteten Diktatur, die keinen Wechsel mehr kennt und zulässt.
Aus diesen Elementen besteht die gesamte Programmatik und Rhetorik der AfD.* Da ist es nur konsequent, wenn sich die hiesigen Rechtsnationalisten der AfD im engen Schulterschluss mit den regierenden Autokraten sehen und Trump, Bolsonaro, Salvini, Orbán als Vorbilder herhalten müssen. Das belegt nur: Rechtsnationalisten versuchen sich der Möglichkeiten der Demokratie zu bedienen, um sie danach Stück für Stück zu zerstören. Weil das ihr Grundanliegen ist, verfolgen die Rechtsnationalisten der AfD ausschließlich Vorhaben, mit denen sie meinen, Massen, eben „das Volk“ binden zu können. Ihr politisches Programm zielt nicht auf Verbesserung der sozialen, ökologischen Lebensverhältnisse der Bürger/innen. Alles, was auf Zukunft, auf Menschlichkeit, auf Vielfalt und Offenheit angelegt ist, ist ihnen ein Graus und wird darum zur Bedrohung erklärt: seien es die europäische Einigung, die Integration von Geflüchteten oder der Klimaschutz. Mit den natürlichen Ressourcen wird genauso rücksichtslos umgegangen wie mit den zu Sündenböcken deklarierten Minderheiten. Sie zertrumpeln die Natur genauso wie die Demokratie. Zukunftsperspektiven werden durch Angstszenarien ersetzt, die wiederum nur dann funktionieren, wenn sie mit Verfeindungsstrategien unterfüttert werden. Was Rechtsnationalisten am Leben erhält, ist die Zerstörung aller demokratischen Grundwerte. Im Umkehrschluss heißt das aber:
Nur wenn wir die Demokratie stärken, nur wenn wir die Grundwerte unserer Verfassung uneingeschränkt verteidigen, kann der Spuk des Rechtsnationalismus beendet werden. Das schließt jede Form von Kumpanei mit den Rechtsnationalisten der AFD aus! Darum geht es am kommenden Sonntag. Die Landtagswahl in Sachsen kann, muss zu einem Signal werden für den Rechtsstaat und die Demokratie. Wenn die AfD am Sonntag über 20 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen sollte, beinhaltet das zwei Botschaften:
- Viel zu viele Bürger/innen sind bereit, die Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt und Offenheit auf dem Altar des Rechtsnationalismus zu opfern. Dabei kommt es darauf an, sich die Demokratie neu anzueignen.
- Über Dreiviertel der Wähler/innen sagen Nein zum Rechtsnationalismus. Das muss sich konkret in der Politik und dem gesellschaftspolitischen Diskurs der nächsten Jahre niederschlagen.
Noch ist die Wahl nicht entschieden. Noch haben wir es in der Hand, die Rechtsnationalisten in die Schranken zu weisen und die Parteien links von der Mitte zu stärken. Dazu drei Anregungen:
- „AfD zu wählen, ist keine Protestwahl, sondern bestenfalls Dummheit und schlimmstenfalls Ignoranz.“ (Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender BMW Werk Leipzig)
- „Wählen ist wie Zähneputzen. Wenn es nicht gemacht wird, wird’s braun.“
- Am Sonntag beide Stimmen für die SPD: Die SPD hat viele Fehler gemacht, aber sie hat immer die Demokratie gegen die Rechtsnationalisten verteidigt und nie die Würde eines jeden Menschen zur Disposition gestellt. Ohne sie wird es keine vernünftige Regierung in Sachsen geben. Sachsen darf nicht der CDU überlassen bleiben.
Wer es noch detaillierter haben will, sollte diesen Artikel über eine Rede von Alexander Gauland vom 18. August 2019 in Brandenburg an der Havel lesen.
12 Antworten
Das ist wieder ein schöner Beitrag von Herrn Käfer, der durchaus wichtige Themen zu diskutieren anregt. Aber ein bißchen aufpassen muss man schon: Er kritisiert, daß ich das Argument „Neid“ in die Diskussion einbringe und bezeichnet es als „Totschlagargument“. Könnte es nicht sein, daß man sich den Realitäten stellen muss und es bei uns tatsächlich Neid gibt und daß diese Tatsache ganz wesentlichen Einfluß auf politische Entscheidungen hat? Allein der Umstand, daß unsere Regierung(en)(Bund und Länder) kein einziges Gesetz im sozialen Bereich mehr machen, daß sie nicht sogleich durch einen ganzen Schwall von Ausnahmenregelungen begleiten (als neuestes Beispiel das schwachsinnige Mietdeckelungsgesetz der Berliner Koalition), zeigt uns ja, daß man dem Neid bereits durch vorauseilenden Gehorsam ständig begegnen will (schwachsinnig deshalb, weil es dem Problem Wohnungsmangel und Mietpreise nicht beikommen kann – diese Probleme kann man nur durch Bauen lösen).
Und dann der schöne Satz „Im Zuge der Globalisierung gerieten über Jahrhunderte gewachsene Privilegien älterer, weißer, deutscher/europäischer, heterosexueller Männer immer mehr in Gefahr. Daher die Sehnsucht dieser Gruppe nach den „guten, alten Zeiten““ – keine Diskriminierung im ähnlichen Stil wie der Neid-Vorwurf?
Schrieben Sie nicht neulich, Herr Käfer, daß die CDU der Hauptgegner der SPD sei? Sie lehnen das Links-Rechts-Schema ab. Ich dagegen nehme Tatsachen zur Kenntnis und beziehe sie in meine politischen Urteile ein – Tatsachen sind kein Vorwurf gegen andere Meinungen sondern Grundlage vernünftiger Lagebeurteilungen und der daraus abzuleitenden Folgerungen.
Andreas Schwerdtfeger
Vielleicht war es zu drastisch, Neid als Totschlagargument zu bezeichnen; mir geht es aber schon darum, dass wir uns die großen (und in den letzten Jahren immer größer gewordenen) Unterschiede bei Einkommen, Vermögen und Vererben so nicht mehr leisten können oder zumindest sollten, wenn uns am sozialen Frieden und der Eindämmung der radikalen Ränder der Gesellschaft gelegen ist. Neid als primäre Motivation dieser Diskussion ins Spiel zu bringen, verniedlicht bzw. vernebelt deren Notwendigkeit.
Und warum es diskriminierend sein soll, neben volkswirtschaftlich zumindest zu hinterfragenden Entscheidungen auch schwindende Privilegien einer maßgeblichen Gruppe innerhalb unserer Gesellschaft als Grund für die „Systemfrage“ vieler Wähler zu vermuten, erschließt sich mir nicht.
Ich persönlich glaube stark daran, dass die Stimmengewinne der AfD (die fast 28% gestern tun mir fast körperlich weh!) auch viel damit zu tun haben, dass Wähler/innen sich im heutigen „System“ (ihrer selbst empfundenen Lebenswirklichkeit, der Demokratie), nicht so recht wohlfühlen, oder nicht damit zurechtkommen. Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber gesellschaftlichen Gruppen (z.B. mit anderer sexueller Orientierung, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit usw.) haben sich innerhalb meiner persönlichen Lebensspanne ziemlich grundlegend verändert!
Speziell im Osten dürfte bei der Unzufriedenheit mit dem „System“ auch die immer noch hohe Dominanz des Westens (Führungspersonal, Eigentumsverhältnisse) eine Rolle spielen.
Es wäre schön gewesen, wenn, wie jetzt in den interessanten letzten Beiträgen in diesem Blog, im aktuellen und zurückliegenden Wahlkämpfen Themen wie Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftsgerechtigkeit eine größere (oder überhaupt eine) Rolle gespielt hätten! Vielleicht sogar ohne sofort das immer gleiche (Totschlag-) Argument der „Neiddebatte“ ins Feld zu führen.
Aktuell noch wichtiger wäre für mich aber eine ernsthafte und substanzielle Klimadebatte gewesen, die sich nicht bloß an einem Phänomen wie FFF oder einem medialen Personenkult um eine 16 jährige schwedische Schülerin abarbeitet, sondern sich mit schnell wirkenden, gesellschaftlich machbaren Konzepten zur Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstosses befasst.
Aber auch über die Ursachen wachsender Stimmanteile für eine rechtspopulistische bis rechtsradikale Partei wie die AfD lohnt es, nachzudenken. Nach meiner Einschätzung spielen dabei folgende Gründe eine Rolle:
Unzufriedenheit mit verantwortlichen Politikern, in erster Linie Bundeskanzlerin Merkel
Ganz objektiv betrachtet hat sie Deutschland mit ruhiger Hand durch teilweise sehr schwierige Situationen (Finanzkrise, Fukushima, Flüchtlingszahlen) geführt; wobei man sicher nicht immer mit jedem einzelnen Detail ihrer Politik einverstanden sein musste. Was für mich jedoch immer fehlte, war „das große Ganze“, die grundsätzliche Orientierung, der Leitfaden; stattdessen eher persönliche und spontane Erkenntnisse/ Entscheidungen (spez. Fukushima und Flüchtlinge). Das führte dann zum populistischen „Merkel muss weg“. Andre Parteien/Personen hatten hier aber auch keine besseren/praktikableren Alternativen angeboten.
Unzufriedenheit mit dem „System“, also letztlich mit unserer heutigen Lebensform
In der Finanzkrise 2008/2009 wurden, quasi „über Nacht“, 70 – 80 Mrd. € zur Verfügung gestellt zur Rettung von Banken, die z.T. übelst gewirtschaftet bzw. gezockt hatten, während für marode Schulen und Straßen, Schienen- oder Glasfaserinfrastruktur (hier hätten schon 30-40 Mrd. € Entscheidendes bewirken können) angeblich immer kein Geld vorhanden war.
Im Zuge der Globalisierung gerieten über Jahrhunderte gewachsene Privilegien älterer, weißer, deutscher/europäischer, heterosexueller Männer immer mehr in Gefahr. Daher die Sehnsucht dieser Gruppe nach den „guten, alten Zeiten“.
Geschickte Internet-Nutzung und Vernetzung
Der für Viele, wenn nicht die Meisten, kaum erwartete Erfolg eines Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA, wohl wesentlich geplant von Stephen Bannon, ist hier für mich beispielhaft. Aber auch die in wenigen Jahren vollzogene Entwicklung der AfD von einer zunächst nur Euro-kritischen, konservativen Wirtschaftspartei zu einer, meiner Meinung nach, heute eher rechtsradikalen, ausländerfeindlichen und unsere Demokratie gefährdenden Partei (zumindest der Teilbereich des „Flügels“), ist mit demokratischen Diskussionsprozessen innerhalb der AfD nicht erklärbar.
Zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land
Wo heute kein Bäcker, Metzger, Geldausgabeautomat oder Bushaltestelle, kein Arzt oder Dorfkneipe mehr vorhanden ist, findet man nach meinem Eindruck am ehesten noch einen lokalen Ansprechpartner der AfD – nicht der CDU, SPD, FDP, oder Grünen, auch immer seltener der Linken. Und der hat dann leichtes Spiel, es doch „denen da oben“ mal zu zeigen, am besten in Form von zwei Stimmen für die AfD.
Wenn es gelingt, über solche Fragen wieder mehr als über Personen zu streiten, wenn dieser Streit wieder mehr mit abwägenden Argumenten statt persönlichen Diffamierungen oder Hasskommentaren stattfindet, dann können wir „Zukunft“ wieder positiv gestalten oder zumindest beeinflussen.
Es zeigt sich durchgehend in den Beiträgen von Herrn Lerchner und in seinen Reaktionen auf meine Beiträge, daß man durchaus in Sachlichkeit unterschiedlicher Meinung sein und dabei auf die jeweilige Argumentation des anderen eingehen kann. Das finde ich erfreulich.
In wirtschaftlicher Hinsicht zB unterscheiden wir uns. Ich halte nichts von der Vermögenssteuer und viel von der schwarzen Null; ich vergleiche auch nur die Zahl der Menschen einerseits mit ihrem Steueraufkommen andererseits, weil das ja von den Sozial-Gutmenschen umgekehrt auch so gemacht wird: 10% Menschen besitzen x % des Vermögens, so wird es uns von der Neidern der Nation ja dauernd vorgehalten. Immerhin: Herr Lerchner argumentiert mit wirtschaftlichen Interpretationen und Fakten, die ernst zu nehmen und aller Ehren wert sind (und sein Sachverstand auf diesem Gebiet ist ja möglicherweise dem meinen überlegen).
Etwas anders ist es bei seiner Argumentation im Bereich Verteidigung: Es ist eben leider keine „USA-hörige, verteidigungspolitische Unterwürfigkeit von AKK und von Ursula von der Leyen“, wenn man selbst nichts hat (dies gilt auch bezogen auf Europa als Ganzes) und seine außenpolitische Sicherheit seit Jahrzehnten unter dem verführerischen Manipulationsbegriff der „Friedensdividende“ anderen, nämlich den USA, anvertraut hat. Ich halte nicht viel von den verteidigunsgpolitischen Einsichten der beiden Damen, aber die Bundesrepublik Deutschland und die EU haben eben augenblicks wenig Spielraum in der Außenpolitik, weil ihnen EIN entscheidendes Instrument – Machtprojektion durch glaubwürdige Streitkräfte – fehlt (abgesehen von der Fehlbesetzung des AM-Postens bei uns).
Zurück zum Thema: Herr Wolff schreibt in seiner Reaktion auf Herrn Lerchner: „Da diese …“ (nämlich „die die wirtschaftliche Macht haben“) „ … ein sehr labiles Verhältnis zur Demokratie haben, sind sie keine verlässlichen Partner im Kampf gegen den Rechtsextremismus“. Und da es hier in seinem Beitrag ja um Deutschland und die Wahlen geht, muß man diese Aussage auf die deutsche Industrie/Wirtschaft beziehen dürfen. Wie manipulativ kann man eigentlich werden, wie ideologisch verbohrt muß man eigentlich sein, um der deutschen Nachkriegsindustrie und -Wirtschaft zu unterstellen, sie habe „ein labiles Verhältnis zur Demokratie“?
Zu Recht ergänzen Sie, Herr Wolff, mein Zitat von Frau Birthler in dem Sinne, daß Sorgen keine Rechtfertigung für AfD-Wählen sind – sie hat es so gesagt. Aber hat sie Recht? Warum ist die Sorge um falsche Staatsausgaben (wenn zB die LINKE und andere gegen das 2%-Ziel bei Verteidigungsausgaben sind) berechtigt und die Sorge um eine Veränderung unserer Gesellschaft durch bestimmte Strömungen nicht? Heute im DLF ging es um die Gefühlssituation der Ost- und Westdeutschen – warum sind die Sorgen der Ostdeutschen, die sich angeblich mehr als Ostdeutsche als als Deutsche fühlen) (übersehen wurde, daß ein Bayer sich wohl auch zuerst als Bayer fühlt) ernst zu nehmen, aber die Sorgen der gleichen Menschen in anderen Hinsichten zu verurteilen? Herr Wolff hält – ganz neu, weil es jetzt paßt – die AfD-Wähler nicht mehr für „Dummerchen oder armselige Trottel“, er hält sie für „bewußte“ Wähler – wenn das so ist, warum stimmt er mir nicht zu, daß dann doch wohl nur reden und überzeugen, nicht aber schimpfen und ausgrenzen hilft?
Wenn wir die Demokratie stärken wollen, wie es Herr Wolff fordert, dann kommen wir nicht darum herum (wie es zB Herr Lerchner tut) auf jegliche Manipulation zu verzichten. Klare Kante geht auch bei Anerkennung der Gegenmeinung und der Sorgen des anderen (die man nicht teilt oder sogar für vorgeschoben hält), sie geht auch ohne Polemik, sie geht auch – und eigentlich nur – bei Anerkennung der klaren Kante der Gegenseite und der realpolitischen Gegebenheiten.
Morgen ist es soweit – Herr Käfer, es wäre schön wenn Ihr Ziel „weniger als 20%“ erreicht würde. Aber ist das nicht in Wirklichkeit eine willkürliche Grenze, die an dem Grundproblem wenig ändert?
Ich wünsche einen frohen Sonntag,
Andreas Schwerdtfeger
Liebe alle,
das dieser Tage vernehmbare Geschrei wegen des Vorschlags einer kleinen, pseudolinken Partei , eine Vermögenssteuer (wieder) einzuführen, bestätigt mich in meiner Meinung, dass eine Überdramatisierung des AfD-Problems von den eigentlichen Problemen ablenkt. Ich unterstelle nicht, dass das hier bewusst geschieht. Eine AfD an der Macht wäre natürlich der Horror. Den von Christian Wolff gegen die AfD angeführten Punkten ist völlig zuzustimmen. 2019 ist aber nicht 1933 und einen Hugenberg-Konzern gibt es heutzutage nicht.
Ich stimme Andreas Schwerdtfeger zu, wenn er die mangelnde konkrete Untersetzung der These „Nur wenn wir die Demokratie stärken, nur wenn wir die Grundwerte unserer Verfassung uneingeschränkt verteidigen, kann der Spuk des Rechtsnationalismus beendet werden“ kritisiert und Wolff ein Flüchten in Allgemeinplätze vorwirft. Ich unterstütze auch seine Ideen, wie mit AfD-Anhängern umgegangen werden sollte. Meine Schlussfolgerungen sind aber ganz sicher andere.
Lieber Herr Wolff, warum verteidigen Sie nicht den jüngsten Vorschlag Ihrer Partei zur Einführung einer Vermögenssteuer? Der Vorschlag sieht Abgaben von 1 bis 1.5 % pro Jahr auf größte Vermögen vor und betrifft nur ein bis zwei Prozent der reichsten Vermögenseigentümer, d. h. Personen mit einem Vermögen von mehreren Millionen Euro. Will man nicht der Mainstream-Propaganda hilflos ausgeliefert sein (Handelsblatt: „Raubzug gegen die Reichen“; SZ: „… die Diskreditierung von Leistung und Erfolg salonfähig machen“; Spiegel: „… statt Neid zu schüren, sollten wir darüber reden, was Wirtschaft und Gesellschaft wirklich hilft“; und als Krönung in der FAZ: „Eine hohe Vermögensungleichheit ist ein Indiz dafür, dass der Wohlfahrtstaat in einem Land gut ausgebaut ist“ ), muss man konkret werden. Sehr beliebt ist z. B. die These, dass bereits jetzt 95 % der Einkommenssteuer von der Hälfte der Steuerpflichtigen erbracht werden, also eine enorme Umverteilung von oben nach unten stattfindet (z. B. Andreas Schwerdtfeger hier am 19. August). Diese Argumentation ist höchst manipulativ, wird doch eine Anzahl von Personen mit einer Geldmenge (Steueraufkommen) verglichen. Um die steuerliche Belastung einer Personengruppe beurteilen zu können, muss der Anteil des Einkommens der Gruppe am Gesamteinkommen gemessen werden. Wenn diese Gruppe 95 % des Gesamteinkommens erzielt, ist ein Anteil an der Steuerlast von 95 % selbstverständlich gerechtfertigt. Es drängt sich eher die Frage auf, wieso es zu einer solch hohen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen (beides korreliert) kommen konnte. Die Steuern sind also eher als eine partielle Rückverteilung anzusehen. Übrigens: Im Jahr 1998 besaßen zehn Prozent der Deutschen 45 % des gesamten Nettovermögens. 2013 waren es bereits 52 %, Tendenz steigend. Fünfundzwanzig Prozent der Erwachsenen besitzen überhaupt kein oder ein negatives Vermögen (Makroskop, 30.08.2019).
Bei der Diskussion über Steuererhöhung oder Steuersenkungen sollte auch daran erinnert werden, dass seinerzeit von der Rot-Grünen Regierung der Spitzensteuersatz von 56 % auf 42 % gesenkt worden war. Das hat aber die „Leistungsträger“ der Republik nicht zu erhöhter Investitionstätigkeit veranlasst. Die Produktivität ist kaum gestiegen. Die Absenkung der Unternehmenssteuern durch Rot-Grün (die Belastung der Kapitalgesellschaften aus Körperschafts- und Gewerbesteuer wurde fast halbiert) hat zwar die Einkommen der deutschen Unternehmen explodieren lassen aber leider auch nicht zu dem erwarteten Investitionsboom geführt. Was blieb, war ein Riesenloch in Münteferings Staatskasse (60 Mrd. Euro, wenn ich mich recht erinnere). Den Mittelstand vors Loch zu schieben, ist ein weiterer Trick, eine Steuererhöhungsdebatte zu diskreditieren.
Zurück zu AfD. Ich denke, Andreas Schwerdtfeger hat den richtigen Durchblick, wenn er in der Mehrzahl seiner Beiträge die Aufmerksamkeit auf die Rechts-Links-Kontroverse lenkt. Ich sehe es auch so, dass die SPD es vorrangig mit einem Rechtsblock aus CDU, AfD und FDP zu tun hat. In entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen wird die AfD immer mit der CDU und der FDP stimmen. Eine Einheitsfront, z. B. um einen AfD-OBM zu verhindern, wird die Ausnahme bleiben. Hauptgegner ist und bleibt die CDU. Welchem Propagandafeuer die SPD ausgesetzt sein wird, wenn sie sich notgedrungen mit anderen linken Kräften verbündet, hat Andreas Schwerdtfeger hier gerade durchblicken lassen.
Lieber Herr Wolff, einigen Ihrer Thesen kann ich ganz und gar nicht zustimmen. Wie eine von der AfD betriebene wirtschaftspolitische Abschottung den Reichtum der Reichen absichern soll, ist schwer nachzuvollziehen. Im Gegenteil, es ist die Liberalisierung, die Reichtum schafft. Und dass die AfD der USA-hörigen, verteidigungspolitischen Unterwürfigkeit von AKK und von Ursula von der Leyen Konkurrenz macht, ist mir auch noch nicht aufgefallen. „Die Diktatur im Zangengriff der Autokraten und Staatsdiktaturen“ ist eine These, die m. E. zu unreflektiert aktuellen Propagandamustern folgt. Über das chinesische Sozialkreditsystem sollte man sich genauer informieren. Dazu vielleicht später einmal mehr.
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Lerchner
Lieber Johannes Lerchner, vielen Dank für den differenzierten Kommentar. Ich kann nicht auf alles eingehen. Nur so viel:
1. Dass ich bis jetzt nicht auf die Forderung der Vermögenssteuer eingegangen bin, mag am Gesamtzustand der SPD liegen. Es ist erschütternd zu sehen, wie die SPD es nicht vermag, sich personell und programmatisch neu aufzustellen – und dies in einem dynamischen Prozess. Das wirkt sich lähmend auf alle aus, die sich im Wahlkampf befinden. Natürlich befürworte ich eine Vermögenssteuer und halte den Vorschlag des Parteivorstands für überzeugend.
2. Was den Umgang mit der AfD angeht, so kann ich in den Äußerungen von Herrn Schwerdtfeger keine vernünftige Strategie sehen. Meine Position ist da ziemlich eindeutig: Wer den Rechtsextremismus bekämpfen will, muss das rechts-links-Schema verlassen. Außerdem kommt es auf Klarheit in der eigenen Position an. Das habe ich zur Genüge dargelegt.
3. Es gehört zum Wesen des Rechts/Nationalsozialismus, dass er sich mit denen verbündet, die die wirtschaftliche Macht haben. Da diese ein sehr labiles Verhältnis zur Demokratie haben, sind sie keine verlässlichen Partner im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Das lehrt die Geschichte. Wieso meine These „Die (es muss natürlich heißen:) Demokratie im Zangengriff der Autokraten und Staatsdiktaturen“ „unreflektiert aktuellen Propagandamustern folgt“ kann ich nicht erkennen.
Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Christian,
vielen Dank für Deinen klaren, mit guten Argumenten unterfütterten Beitrag; auch mein Eindruck ist, dass am 1.9. mehr auf dem Spiel steht, als bloß eine Landtagswahl – den abgenutzten Begriff der „Schicksalswahl“ will ich dabei gar nicht verwenden.
Ja, unsere bisher gelebte Form der Demokratie in Deutschland droht zu erodieren. Sie ist uns vielleicht ein bisschen zu selbstverständlich geworden, als dass wir bewusst um sie kämpfen. Und ja, ich sehe sie in den letzten Jahren primär von rechts in wachsender Gefahr, was ich lange für gänzlich unmöglich gehalten hatte angesichts der jüngeren deutschen Geschichte! Das war nicht immer so (RAF), aber „Vogelschiss“, „Denkmal der Schande“, „Entarteter Künstler“ u.ä. haben einen fatalen Nährboden für ein vergiftetes Klima bereitet; und die parallel schwindende Gültigkeit früherer „Anstandsregeln“ in den Medien und auch im persönlichen Umgang miteinander hat ein Übriges dazu getan.
Gerne setze ich mich damit dem Vorwurf des hirnlosen Echos seines bewunderten Helden aus, widerspreche diesem aber in einem Punkt: schweren Herzens habe ich meine Entscheidung getroffen (Briefwahl), blieb standhaft und habe nicht beide Stimmen der SPD gegeben.
Der SPD muss es ja ohnehin gut genug gehen; wenn ich mir den Aufgalopp der Parteien heute in Leipzig anschaue, bietet die CDU AKK, Kretschmer, Spahn und Amthor auf, die Grünen Habeck, die Linke Kipping, die FDP vorgestern Lindner – nur SPD (und AfD) können es sich leisten, auf einen Wahlkampf-Abschluss zu verzichten! Kretschmer habe ich in den letzten Wochen (gefühlt ) 5-10 mal erlebt, Dulig einmal.
Ich träume/hoffe weiter auf < 20% für die AfD!!! Und jede einzelne Stimme für diese unsägliche Partei ist eine zu viel!!
Solange man, wie Sie es – so scheint mir – tun, lieber Herr Wolff, nur die Bedrohung unserer Demokratie von rechts erkennt, nicht aber die ebenfalls vorhandene Bedrohung unserer Demokratie durch die Individualisierung und die zunehmende Intoleranz und Polarisierung unserer Gesellschaft, solange bleiben solche Appelle Makulatur. Sie beschreiben im Detail – wenn auch nicht neu – Ihre Besorgnisse durch die, die Sie als die „bösen“ rechten Politiker in aller Welt und bei uns ausmachen. Aber es fehlt Ihnen völlig die Einsicht, so scheint mir, daß Ihre eigenen Beiträge genau die demokratischen Mängel enthalten, die Sie kritisieren:
– „Nur wenn wir die Demokratie stärken, nur wenn wir die Grundwerte unserer Verfassung uneingeschränkt verteidigen, kann der Spuk des Rechtsnationalismus beendet werden“ schreiben Sie und es wäre ja nun interessant zu hören, was Sie damit meinen und wie die Bürger dies konkret umsetzen sollen. Ich verstehe darunter, daß wir also den Wählern der AfD zuhören müssen, ihre Sorgen als demokratisch legitimiert anerkennen müssen, sie als innerhalb des demokratischen Spektrums befindlich verstehen müssen – und sie dann mit politischen Argumenten bekämpfen und sie mit unserer eigenen politischen Vernunft überzeugen müssen. Das genau aber scheint nicht Ihr Verständnis zu sein. „Aus Sorge wird Angst und aus Angst werden Wählerstimmen“, sagte Frau Birthler neulich im ZDF – richtig wohl! Abhilfe kann doch wohl nur geleistet werden, indem man als erstes die Sorge anerkennt – und nicht, indem man die Sorge schlicht als rechtsradikal abtut.
– Und was verstehen Sie denn unter „Stärkung der Demokratie“ und „Verteidigung der Verfassungsgrundsätze“? Wie machen wir das denn? Sie bleiben hier wie immer eine konkrete Antwort schuldig und flüchten sich in diese Allgemeinplätze. Tun wir dies, indem wir, wie Sie, die Andersdenkenden – von mir aus auch die Verführten, die Dummen – ausgrenzen und beschimpfen? Tun wir das, indem wir, wie Sie, ohne politische Argumentation ihre Anführer als „Kriminelle“ darstellen und so die Basis mit ihrer Führung zusammenschweissen? Tun wir das, indem wir, wie Sie, auf der Straße demonstrieren und damit der inhaltlichen Auseinandersetzung ausweichen? Tun wir das schließlich, indem wir, wie Sie, den moralischen Hügel besteigen, die weiße Weste vorzeigen und alle, die sich um gesellschaftliche Konsens in der Realität und mithilfe von Kompromissen mit den Problemen herumschlagen, gleich in die Nähe der selbst ausgemachten Radikalen rücken (… „offene Flanken“)?
– „Viel zu viele Bürger/innen sind bereit, die Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt und Offenheit auf dem Altar des Rechtsnationalismus zu opfern“ – ist Ihre Erkenntnis – und dann bringen Sie ein paar Zitate, mit denen sie diese Bürger beleidigen – demokratische Auseinandersetzung? Verteidigung der Grundrechte?
Die SPD hat, wie Sie richtig schreiben, „immer die Demokratie gegen die Rechtsnationalisten verteidigt“. Das stimmt und ehrt diese Partei. Was die SPD in jüngerer Zeit nicht getan hat, ist, die Demokratie gegen linke Diktaturen zu verteidigen, so ihre ideologische Kumpanei mit der „DDR“-Regierung in deren letzten Jahren; so auch Ihr Schweigen zu linken Diktatoren augenblicks, denn warum enthält ihre Liste der Bösewichte nicht auch Maduro und Kumpane? Ja, bei uns geht es zur Zeit um die Gefahr von rechts, aber Ausgewogenheit gehört auch zur Demokratie und macht sie glaubwürdig.
In Sachsen gibt es derzeit (nach Umfragen) eine klare Mehrheit von „rechts“ wählenden Bürgern. In Wirklichkeit geht es also weniger darum, beide Stimmen der SPD zu geben, sondern vielmehr darum, die demokratischen Kräfte in dieser rechten Mehrheit zu stärken, möglichst viele Wähler also bei der CDU zu halten und ihr abdriften weiter nach rechts zu verhindern. Beide Stimmen der CDU wäre also logischer als Ihr Petitum. Sachsen hat mit seiner CDU-geführten Regierung seit der Wende einen geradezu phänomenalen Aufschwung erlebt – Erfolg sollte belohnt werden (ist das nicht die weniger berechtigte SPD-Logik für Bremen, zB?).
Ein schönes Wochenende, an dessen Ende hoffentlich eine gute Koalitionsregierung unter CDU-Führung und ohne AfD stehen möge.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, offensichtlich haben Sie meine Unterscheidung zwischen Rechtsnationalisten der AfD und einer rechten Partei wie die CDU übersehen – anders kann ich mir Ihren Kommentar nicht erklären. Ebenso nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass es im demokratischen Spektrum genug sehr unterschiedliche Positionen der Parteien gibt, um in einen Wettstreit zu treten. Nicht nur AfD-Wähler/innen haben Sorgen und Ängste. Die von Ihnen zustimmend zitierte Marianne Birthler sagte in dem Interview auch noch, dass keine „Sorgen“ die Wahl der AfD rechtfertigen würden. Denn wer AfD wählt, wählt Nazis. Um diese Klarheit geht es im jetzigen Wahlkampf. Das hat mit „Beleidigung“ der Wähler/innen nichts zu tun. Denn eines sollte unstrittig sein: Für die Stimmabgabe ist allein der/die Wähler/in verantwortlich, niemand sonst. Auch AfD-Wähler/innen sind keine Dummerchen oder armselige Trottel. Sie geben ihre Stimme bewusst, d.h. im vollen Wissen um die Absichten dieser Partei ab. Ironie der Geschichte wird wahrscheinlich sein, dass die Partei, die die größte Verantwortung für das Aufkommen des Rechtsnationalismus in Sachsen trägt, nämlich die CDU, Profiteur des Engagement vieler Bürger/innen gegen den Rechtsnationalismus sein wird. Darüber können wir dann nach dem 01.09. debattieren. Beste Grüße Christian Wolff
offensichtlich haben Sie meine Unterscheidung zwischen Rechtsnationalisten der AfD und einer rechten Partei wie die CDU übersehen
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Nicht einmal die Sachsen-CDU ist eine „rechte Partei“. Wenn dem so wäre, gäbe es die AfD in dieser Stärke nicht.
Wenn die CDU in Sachsen keine rechte Partei wäre, dann hätten wir die heutigen Probleme nicht. Gerade weil die CDU offene, fließende Grenzen zum Rechtsextremismus hat(te), konnte der Rechtsextremismus in Sachsen blühen und gedeihen. Und auch jetzt zeigt sich in vielen Kommunen, was von dem Bekenntnis Kretschmers „keine Zusammenarbeit mit der AfD“ zu halten ist: relativ wenig. Christian Wolff
Die Beschreibung der Aktionen von aktuellen Demokratiefeinden ist richtig. Doch es fehlt die Analyse der Ursachen dafür, dass immer mehr Menschen – und das nicht nur in Europa – den Verlockungen der Popuilisten und Autokraten so gerne folgen!