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Was und wen sollen Christen wählen?

Es war vor einer Woche. Wahlkampfstand der SPD vor dem Hit-Markt. Ich gehe auf eine junge Frau zu, die gerade vom Einkauf kommt und ihr Rad samt Kid Car bepackt. Zwei kleine Kinder stehen um sie. Die Frau mustert mich und sieht mich fragend an: „Sind Sie nicht der Pfarrer Wolff?“ „Ja, der bin ich.“ „Hier hätte ich Sie jetzt nicht vermutet.“ sagt die Frau erstaunt. „Wundert es Sie, dass ich für die SPD werbe?“ erwidere ich. „Eigentlich schon. Ich hätte sie eher bei der CDU vermutet.“ „Weil ich Pfarrer bin?“ „Ja, irgendwie schon.“ „Wissen Sie, schon vor 50 Jahren habe ich mich darüber geärgert, dass CDU und Kirche bei vielen in eins gesehen wird. Damals aber war die CDU rechts und konservativ. Allein aus diesem Grund habe ich mich als Jugendlicher zur SPD hingezogen gefühlt. Denn für mich gibt es keine ‚christliche‘ Politik. Wohl engagieren sich Christen in verschiedenen Parteien. Ich trete für die SPD ein, weil sie in meinen Augen auch für Christen wichtige Anliegen vertritt.“ „Welche denn?“ fragt die Frau und ich versuche ihr zu erklären, was mich bewogen hat, 1970 in die SPD einzutreten. Entscheidend waren für mich:

  • die Friedenspolitik; ohne diese würde ich nicht in Leipzig leben. Friedenspolitik war immer ein Schwerpunkt und Aushängeschild der Sozialdemokratie.
  • die SPD ist die Partei, die in ihrer 154-jährigen Geschichte für Demokratie, Gerechtigkeit und für ein geeintes Europa eingetreten ist.
  • die SPD engagiert sich für gleiche Bildungschancen und für gesellschaftliche Vielfalt.

Deswegen empfehle ich auch als überzeugter Christ, die SPD zu wählen. Die Frau antwortet, auch um mir zu signalisieren, dass sie nun weiter will: „Na ja, ich werde es mir überlegen.“ Während sie ihr Fahrrad weiter bepackt und den Jüngsten ins Kid Car verfrachtet, unterhalte ich mich noch mit ihrer kleinen Tochter, die dem Dialog mit großen, erwartungsvollen Augen verfolgt. Wir verabschieden uns freundlich.

Da lebte ein sich permanent haltendes Vorurteil für einen kurzen Moment wieder auf. Christen wählen „christlich“, also CDU. Es wurde über Jahrzehnte gefüttert und erfuhr auch nach der Friedlichen Revolution gerade in Sachsen reichlich Nahrung. Als ich mich im September 1991 im Kirchenvorstand von St. Thomas vorstellte, fragte mich ein Mitglied: „Würden Sie denn aus der SPD austreten, wenn sie zum Pfarrer an der Thomaskirche gewählt werden?“ Nach kurzer Überlegung fragte ich zurück: „Hätten Sie mir diese Frage gestellt, wenn ich CDU-Mitglied wäre?“ Eine Antwort habe ich nicht erhalten, aber die Diskussion über diese Frage war damit beendet. Als 2010 die Kirchen die CDU-FDP Landesregierung des Freistaates Sachsen kritisierte, weil diese faktisch die Gründung von Schulen in privater, also vor allem kirchlicher Trägerschaft verunmöglichen wollte, da verstieg sich der damalige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Steffen Flath zu dem mehr als verräterischen Satz: „Kirche ja, aber nicht in Opposition zur CDU“. Und wie ist zu bewerten, dass nach dem Tod von Helmut Kohl im Juni 2017 in der Dresdner Frauenkirche ein Kondolenzbuch ausgelegt wurde, in das sich als erste in einer gemeinsamen Aktion Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU), Oberbürgermeister Hilbert und Landesbischof Carsten Rentzing eintrugen? Da war sie mit Händen zu greifen: die Symbiose von Freistaat Sachsen, CDU und evangelischer Kirche. Inhaltlich hat sie keine Basis, aber sie trägt dazu bei, dass nicht wenige Kirchenmitglieder denken: als Christ hast du CDU zu wählen.

Unbestritten: Die CDU ist eine demokratische Partei. Sie kann auch von Christen gewählt werden. Aber ob sie für christliche Werte einsteht, ist eine mehr als diskussionswürdige Frage. Man denke nur an die von der CDU geforderte Abschiebepraxis, an die Bedenkenlosigkeit in Sachen Rüstungspolitik, an das Vorhaben der CDU, den Rüstungshaushalt faktisch zu verdoppeln. Das hat mit christlichen Grundwerten sehr wenig zu tun. Und schließlich möchte ich an die drei Punkte erinnern, die Frank Richter, jetzt Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden, zum Austritt aus der CDU veranlasst haben: Rüstungsexportpolitik, verfehlte Bildungspolitik in Sachsen, mangelnde innerparteiliche Demokratie. All das müsste jeden von der Selbstverständlichkeit abhalten, als Christ CDU zu wählen. Die Wahlentscheidung ist alles andere als ein geistlicher Akt. Sie basiert auf nüchterner Abwägung. Da kann man sicher zu unterschiedlichen Präferenzen gelangen. Klar aber sollte sein: es gibt für einen Christenmenschen mindestens so viel Gründe SPD zu wählen wie der CDU die Stimme zu geben. In einem allerdings sollte sich Christen einige sein: eine Stimmabgabe für die AfD ist mit den Grundaussagen des christlichen Glaubens nicht vereinbar. Wer die Verbrechen der Nazis und der deutschen Wehrmacht während des 2. Weltkrieges relativiert und darauf einen „Stolz“ herbeireden und wer Flüchtlinge wie feindliche Eindringlinge, die es abseits aller Menschenrechte zurückzuschlagen gilt, behandeln will, der kann sich in die Tradition der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stellen, aber er kann dafür nicht den christlichen Glauben in Anspruch nehmen.

P.S. Am kommenden Donnerstag findet in Leipzig der sächsische Pfarrertag statt. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) soll in der Nikolaikirche ein Grußwort sprechen. Laut Landeskirchenamt wird der CDU-Politiker die Frage „Wie politisch soll, darf und kann Kirche heute (noch) sein?“ behandeln. Das also soll den ca. 700 Pfarrer/innen drei Tage vor der Bundestagswahl von der „Obrigkeit“ ex cathedra gesagt werden – eine mehr als peinliche Merkwürdigkeit im Jahr des Reformationsjubiläums und in der Kirche der Friedlichen Revolution. Martin Luther hat bekanntlich nicht die Fürsten gefragt, was sich für die Kirche ziemt. Mit seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ hat er 1521 ihnen seine klaren Erwartungen in Sachen Bildung und Beteiligung ins Stammbuch geschrieben. Da kann es kaum noch überraschen, dass auf besagtem Pfarrertag die AfD-Versteherin Antje Hermenau einen der beiden Hauptvorträge zum Thema „Kirche und Politik“ halten wird. Man reibt sich verwundert die Augen ob solcher Geschmacklosigkeiten.

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