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Vom demokratischen Umgang mit Kälbern und Metzgern

In einem Beitrag in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) bemerkt eine der profundesten Kenner:innen der rechtsextremistischen Szene in Ostdeutschland unter den Journalist:innen, Antonie Rietzschel, woraus sich die AfD speist: „Angst, Verunsicherung, Wut, Selbstermächtigung. Die AfD ist eine Partei, die in Krisenzeiten profitiert, weil sie schlichte Lösungen präsentiert, einfach nur dagegen sein will und ihren Anhängern ein gutes Gefühl gibt. Denn wer AfD wählt, hat Macht. Der kann es denen da oben zeigen.“ Diese Analyse ist sicher richtig. Nur kommt noch eines dazu. Diejenigen, die bereit sind, AfD zu wählen, tun dies auch, weil sie die „schlichten“ Lösungen akzeptieren – und das sind zumeist Lösungsangebote, die im Widerspruch stehen zu den demokratischen Grundwerten: keine Geflüchteten mehr ins Land lassen, die EU zerschlagen, eine kulturell homogene Volksgemeinschaft schaffen, in der für Diversität kein Platz ist. Bürger:innen wählen die AfD, weil sie deren rechtsextreme Programmatik teilen oder diese billigend inkauf nehmen. Dieser Aspekt fehlt in den meisten Analysen des derzeitigen Höhenflugs der Rechtsnationalisten von der AfD. Aber erst, wenn wir den:die Wähler:in der AfD in den Fokus nehmen, können wir die Gefahr für die Demokratie ermessen, die von der AfD und ihren Wähler:innen ausgeht. Erst dann können wir auch das merkwürdige Argument entkräften: die AfD sei doch eine demokratisch gewählte Partei und darum zu akzeptieren. Vor allem aber vermögen wir die Parallelen zum aufstrebenden Nationalsozialismus vor 100 Jahren zu erkennen.

Was folgt daraus? Das Wichtigste ist nach wie vor: die AfD keinen Moment zu verharmlosen geschweige denn, sich ihrer Rhetorik zu bedienen. Jede:r, ob ein Hubert Aiwanger (Freie Wähler) oder ein Dirk Oschmann, muss sich (selbst-)kritisch fragen und fragen lassen: Bediene ich mit dem, was ich in Reden äußere oder niederschreibe, die Narrative der Rechtsnationalisten oder leiste ich einen Beitrag zum demokratischen Selbstbewusstsein des:der Bürger:in? Bestärke ich den Bürger in seiner Rolle als „Opfer“ von geld- und geltungssüchtigen, aber ansonsten unfähigen Politikern, die verjagt gehören, oder zeige ich ihm seine eigenen Einflussmöglichkeiten auf?

Am Donnerstag, 22.06.2023, hat die Co-Parteivorsitzende der AfD Alice Weidel im Deutschen Bundestag in schonungsloser Offenheit die Ziele der AfD dargelegt: Ausländer aus Deutschland heraushalten, die bisherige Energiepolitik fortsetzen (Kohle, Atom, Gas) und eine Wirtschaftspolitik befördern, von der vor allem die Reichen profitieren. Damit folgt sie genau das Strickmuster, das schon die Nationalsozialisten beherrschten: Man will zuerst und vor allem all die Menschen aus dem Weg räumen, die die Homogenität der deutschen Gesellschaft stören. Gleichzeitig werden die besitzenden Schichten der Gesellschaft reichlich bedient auf Kosten der Menschen, deren Angst, Verunsicherung, Wut man sich zunutze macht. Die Geschichte lehrt: Diese Menschen werden die Zeche dafür bezahlen müssen, was sie sich mit der Wahl einer Partei wie die AfD zum Teil selbst eingebrockt haben. Insofern muss sich jede:r AfD-Wähler:in fragen lassen, ob er zu den Kälbern gehören möchte, die sich ihre Metzger selbst wählen.

Wer nun meint, das sei alles überzogen, der lese im Wortlaut, was Alice Weidel im Bundestag von sich gegeben hat:

Diese Regierung lässt die einheimische Bevölkerung mit dieser perversen importierten Kriminalitätsbelastung eiskalt im Stich: ein Vollversagen dieser Regierung und der Vorgängerregierung, CDU-geführt im Übrigen. … Abschied vom grünen Narrenschiff und dem Weltrettungsgrößenwahn, stattdessen Energiewende beerdigen, Energieversorgung sichern, Wiedereinstieg in die Kernkraft, Grenzen schließen, Sozialmigration verhindern, Ausreisepflichtige und Straftäter – ja, natürlich – endlich abschieben, Steuern senken, Bürokratie abbauen, Staatsausgaben beschränken, Scheckbuchpolitik beenden, unqualifizierte Regierungsbeamte rauswerfen, den Standort Deutschland stärken, anstatt vorsätzlich zu schwächen – zurück zur Normalität!

Die Herausforderungen, vor denen die Zivilgesellschaft und die demokratischen Parteien stehen, sind deutlich. Denn eine Rückkehr zur „Normalität“ würde nichts anderes bedeuten, als Deutschland durch eine nationalistische Politik von allen freiheitlichen und demokratischen Entwicklungen im Innern und nach außen abzuschneiden, von Kriegstreibern abhängig zu machen bzw. selbst zum Kriegstreiber zu werden. Wehe also, wenn Rechtsnationalisten jemals (wieder) einen Zugriff auf die Institutionen erhalten, die Freiheit, Vielfalt, Menschenwürde gewährleisten sollen. Wehe aber auch, wenn diese Institutionen sich schon jetzt so ein- und ausrichten, als sei der Nationalismus unvermeidlich.

Gleichzeitig ist es Aufgabe der demokratischen Parteien, den Bürger:innen glaubwürdig zu vermitteln: Verbesserung ihrer sozialen Situation und die Bewältigung von Krisen wie dem Klimawandel setzen voraus, dass alle Bürger:innen an den Lösungen beteiligt sind. Ohne freiheitliche Demokratie, ohne gesellschaftliche Vielfalt, ohne zivilgesellschaftliches Engagement, ohne gesellschaftliche Vielfalt, ohne gewerkschaftliche Orientierung und innerbetriebliche Demokratie, ohne demokratische Strukturen in den Bildungseinrichtungen, ohne aktive Inanspruchnahme aller, die an einem Ort wohnen, leben, arbeiten, trocknet Demokratie nicht nur aus, es wird auch keine gerechte Teilhabe an Bildung, Arbeit, Einkommen, Wohnen geben. Das aber ist etwas völlig anderes, als das eigene Interesse zum Volkswillen zu erklären und die eigene Wut und Enttäuschung über Entwicklungen zum Volkszorn gegen zumeist schwächere Minderheiten mutieren zu lassen. Doch genau darauf zielen alle Aktivitäten der Rechtsnationalisten.

Es wird darauf ankommen, dass wir in den nächsten Monaten die Auseinandersetzung mit denen offensiv führen, die auf autokratische Regierungsformen drängen, nationalistische Engführungen propagieren und auf die Strategie setzen: Problemlösung durch Problemvernichtung.

Nachtrag: Die Einschätzung des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zum Wahlerfolg der AfD in Sonneberg (Thüringen)  sowie die neueste Demokratie-Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig (EFBI)  belegen, dass die Wähler:innen der AfD in dieser Partei die politische Kraft sehen, in der sie ihren „autoritären Nationalradikalismus“ (Heitmeyer) gut aufgehoben sehen.

27 Antworten

  1. Bleiben Sie okay und selbstbewusst, lieber Michael Käfer. Die von Ihnen zitierten unhd uns Bloglesern mehrfach gelesenen diffamierenden Termini offenbaren den Geist des Schreiberlings AS, dessen Horizont am Begriff ANSTAND, RESPEKT, HUMANITAS dauerhaft zerschellt. Es ist schon fast sympathisch und bestaunenswert, wie Sie immerhin hier ablesbar gefasst mit diesen unsäglichen Entgleisungen umzugehen vermögen. Wer solche Verbalien als Diskursbasis in die Öffentlichkeit wirft, seziert sich selbst. Und noch meinerseits: Nicht alle Auffassungen von Joh. Lerchner teile ich, aber grundsätzlich bewegt er sich im Austausch mit anderen Haltungen und Sichtweisen in diesem Wolff`schen Blog souverän und respektvoll. Vor allem wird er nicht von subjektiv-elendigen Eitelkeiten gerieben. Nur so geht Diskurs!
    Ihnen, lieber M. Käfer, nun ein beruhigendes und nicht zu hitziges Wochenende. Aus DD Ihr Jo.Flade.
    Und als PS: Was Christian W. schreibt zu Metzgern, Malern, Sesselsitzern (seit Sonneberg) und so weiter ist die Realität, welche uns um die Ohren gehauen wird. Wie wir allesamt damit umgehen, ist eine ganz andere Sache. Die Zeit von: „Wehret den Anfängen“ und „Wir leben in einer wehrhaften Demokratie“ ist offenbar längst vorbei. Jetzt gilt es ein frei Geständnis in dieser unsrer Zeit – und zwar klar, deutlich und ohne verbalen Schwachsinn. Und ich hoffe wie viele, dass der Wahlbeamte Sesselmann den Landratsposten nicht besesseln wird. Das Interview heute morgen im DLF mit dem thüringischen Innenminister war aufklärend und in Details bedeutsam und unmissverständlich. Guten Tag!

  2. Was die Wahl eines AfD Landrates in Sonneberg doch alles freisetzt!
    Erkenntnisgewinne für mich, heftige Emotionen bei einigen Mit-Bloggern.
    Nach den Einlassungen von H. Lerchner führe ich eine hysterische Debatte über die AfD und Antifa, male fortwährend das Schreckgespenst „1933“ an die Wand. Das war mir nicht bewusst gewesen.
    Aber wer/was bin ich schon, um einer solchen „Tatsachenbehauptung“ zu widersprechen? Auf alle Fälle kein „Tiefdenker“, schon gar kein am möglichen Ausgang des Experiments einer „Liste Wagenknecht“ Interessierter. Nein, ich bin wohl eher der „Populismus-Keulenschwinger“, der aufdringliche „Gender-Propagandist“, der linksliberale Migrationspolitiker…
    Die noch höhere Instanz im Blog befördert mich vom hirnlosen Echo, würdelosen, bratwurstliebenden Don Quichotte und Ajatollah zum „Undemokraten“, weil ich eine persönliche Einordnung aktueller Themen abgegeben habe, und zum Freiheitsschwätzer im Wertschätzungstaumel.
    Vor einigen Tagen hatte ich den Wunsch nach Rückkehr zu einer „Diskussionskultur“ formuliert; einer Diskussionskultur, um die sich z.B. J. Flade mit seinem Beitrag zur „Liste Wagenknecht“ erkennbar bemüht. Die Inhalte dieses Beitrags (29.6., 16:56 Uhr) kann ich durchaus nachvollziehen und unterstützen.
    Oder eben (wie eigentlich immer) Christian Wolff mit seinem aktuellen Blog-Beitrag; ich persönlich kann diesen in allen Punkten nachvollziehen und unterstützen, halte ihn für eine sehr gute Basis für eine unaufgeregte, aktuell notwendige Diskussion.

  3. Lieber Joh. Lerchner – Ihre deutliche Affinität zur Linken vermag ich ansatzweise zu verstehen. Und es gab Zeiten, in denen auch ich Sahra Wagenknecht ob ihrer Intelligenz, Scharfsichtigkeit und souveränen Klugheit, gepaart mit verständlicher Rhetorik (im Gegensatz zu Banal-Äußerungen zahlreicher CDUCSUFDPAfD -Politscholaren in Berlin und anderswo…), fast sympathisch fand – vor allem aber glaubwürdig!
    Nur – was sie seit Jahren abliefert ohne Scheu und Selbstkritik desavouiert sie selbst. Und sie unterließ in erstaunlich kurzatmiger Weise nichts, was zur Spaltung „ihrer“ Linken führte und führt. Der Aufschrei ist unüberhörbar und S. Wagenknecht destabilisiert ohne Not in unaufhörlicher Weise diese Partei, die ein Regulativ sein könnte, sein sollte in dieser zunehmend problematischen Demokratieverfassung. Ich – und nicht nur ich – kann nicht verstehen, was sie permanent alles tut, um politisches Chaos zu provozieren – und es gelang ihr. Warum tut sie das, warum? Ist es die Nichtakzeptanz der von ihr selbst erreichten Bedeutungslosigkeit? Ist es das Kaschieren eines Minderwertigkeitskomplexes? Oder ist es Persönlichkeitsverlust? Die Gründung einer neuen Linken (?) nach der Fasson Wagenknecht – das wird nichts. Ihr ewiges Zaudern und Ankündigen einer solchen von ihr prognostizierten „Alternative“ – damit offenbart Wagenknecht Realitätsverlust und dokumentiert mit jeder ihrer Öffentlichkeitsäußerung eine schon fast peinliche Irrung. Es ist hohe Zeit zu schweigen, sich zurück zu ziehen! Aber sie kann nicht anders – warum nur?
    Schade – mit diesen undurchdachten Schachzügen wirft Wagenknecht all das auf den politischen Misthaufen, den sie sich selbst aufbaute und zerstört in fahrlässiger Weise das, was Sie, lieber Joh. Lerchner wollen: Eine wegweisende, nachhaltig wirkende Partei, die die politische teils konfus agierende Szenerie im Bundestag und in der deutschen Parteienlandschaft aufmischt, wachrüttelt und alles zu erreichen versucht, diese Demokratie zu stabilisieren.
    Ich bleibe bei Grün, hoffe aber, dass die Linke endlich wieder stark und allerorten akzeptiert wird als eine souveräne und solid agierende Partei!
    Guten Tag

    1. „Es ist hohe Zeit zu schweigen, sich zurück zu ziehen! Aber sie kann nicht anders – warum nur?“
      ______________________________________________________________

      Bitte vergessen Sie, Herr Flade, nicht den Einfluss Wagenknechts Ehemanns, des politischen Schlafwandlers Lafontaine. Erst ging es ihm um Rache an der einen Partei, der er vorstand und nun der anderen, deren Co-Chef er war.

  4. Eigentlich wollte ich mich nicht mehr an den hysterischen Debatten über AfD und Antifa beteiligen (M. Käfer: die Sonneberger unter dem Messer von Metzgermeister Sesselmann). Plausibel zu machen, wieso trotz Globalisierung auch heute (noch/wieder) die sozialökonomischen Voraussetzungen für die Machtergreifung einer Nazipartei gegeben sind, ist m. E. Bringschuld derjenigen, die fortwährend das Schreckgespenst „1933“ an die Wand malen.

    Vielleicht erleben wir demnächst ein Experiment, bei dem es sich womöglich herausstellt, dass nicht die in Teilen rechtsextreme AfD das Problem ist, sondern die Tatsache einer Lücke in der parlamentarischen Repräsentanz eines signifikanten Anteils der deutschen Bevölkerung. Es geht um eine mögliche „Liste Wagenknecht“. Klar, allseits bekannte „Tiefdenker“ lauern schon mit der Populismus-Keule hinter der Ecke. Frau Wagenknecht könnte aber all diejenigen an sich ziehen, die einer linksliberalen Migrationspolitik gegenüber kritisch eingestellt sind, weil sie eine Vernachlässigung ihrer sozialen Belange befürchten, das völkische Gedöns von Höcke & Co. über einen zu erwartenden Untergang des Deutschtums aber ablehnen; die sich der immer aufdringlicher werdenden Gender-Propaganda erwehren wollen, jedoch die neoliberalen Wirtschaftskonzepte von CDU, CSU und FDP (und auch der AfD) nicht akzeptieren. Und die mit der gegenwärtigen Politik der LINKEN nicht konform gehen, weil sie deren Opportunismus in Sachen Ukraine/Russland-Politik widersprechen (übrigens ein Grund für mich, demnächst nicht mehr die LINKE zu wählen). Selbstredend wäre eine Wagenknecht-Partei die Anti-Grünen-Kraft an sich. Ob es damit etwas wird, ist leider sehr fraglich.

    PS: Ähnliches hat übrigens neulich Herr Reitz im Focus angemerkt (https://amp.focus.de/politik/deutschland/analyse-von-ulrich-reitz-nur-sahra-wagenknecht-kann-die-afd-jetzt-noch-stoppen_id_197555951.html).

    1. Na, Herr Reitz und Focus sind wahrhaft glaubwürdige Experten für die Einschätzung des Rechtsextremismus!? Aber wenn das so ist, dann wundert mich auch nicht Ihre in meinen Augen abwegige, weil verharmlosende Analyse der aufstrebenden rechtsnationalistischen Parteien und ihre Wähler:innen, lieber Herr Lerchner. Dazu verweise ich nur auf die neueste Studie der Uni Leipzig (siehe „Nachtrag“ in meinem Blog-Beitrag.

      1. Herr Reitz überschätzt vollkommen die Wirkung Frau Dr. Wagenknechts auf das Wahlvolk. Sie ist eine Intellektuelle, und zieht so nur eine eng begrenzte Wählergruppe an, jedenfalls keine Dumpfbacken, die AfD wählen.

  5. „Was ist der Mensch?“. I. Kant hatte darauf bekanntermaßen keine Antwort…Herr Schwerdtfeger erstaunlicher Weise wohl. Und was zeichnet den Menschen aus? Moral, Intelligenz, Geistesfreiheit, Kultur, Weltoffenheit etc.pp.. Reflektieren Sie, Herr AS, dies doch einmal etwas näher nach Ihrem neuesten Skript versus M. Käfer. Ich denke, da bleiben ein paar dringende Fragen nach der dringenden Selbstreflektion (auch damit wiederhole ich mich sehr gern!) unbeantworte – oder? Eine nach Anstand und Wohlüberlegtheit ganz sicher.
    Lieber M. Käfer – Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden – bleiben Sie frei, diffamierendes Geschwätz hat noch nie irgend etwas bewirkt als: Kopfschütteln. Und damit dürfte dieser AfD-Truppe, bestehend aus verirrten Malermeistern und Metzgern und Lautrednern und Wutrednern kaum erfolgreich begegnet werden. Herr AS ergeht sich – wir müssen es immer wieder ertragen – in Selbstgenügsamkeit und Selbstüberschätzung. Bringt das diese arg wankende Demokratie weiter? Ganz sicher nicht!
    Bleiben Sie wohlauf – ich meine natürlich Herrn Käfer!
    Mit Grüßen Ihr Jo.Flade

  6. Käfers Beitrag ist ein glänzendes Beispiel für die Richtigkeit meiner Thesen, denn er kann ja wohl kaum ernsthaft glauben, daß die Themen, die er für sich als wichtig und grundlegend ansieht, auch für andere als so qualifizierbar gelten müssen und gleichzeitig behaupten, er sei Demokrat. „Gendern, Verbotskultur, Überfremdung, Kriminalität“ sind für ihn „populistische Pseudodebatten“ – und für das alberne Gendern mag das ja noch zutreffen. Die anderen Themen allerdings – und einige mehr – sind eben Themen des Volkes (übrigens auch der Medien und eines großen Teils der Gesellschaft), also der Wählerschaft, und bleiben das auch, selbst wenn ein überlegener Käfer sie als Nebensache bezeichnet. Mit derartiger Arroganz Anliegen anderer abzuwerten, ist großartiges Beispiel demokratischen Sinnes, das dann auch in seiner Formulierung zu den Vorteilen der Demokratie aufblitzt, wo er die Freiheiten rühmt und – wie inzwischen üblich hierzulande – die andere Seite der Medaille, Verantwortung und Eigenleistung, Anerkennung der Gegenseite und von Minderheiten, populistisch vergißt in seinem Wertschätzungstaumel. So genau treibt man Wähler in die Ecke, wo man sie eigentlich nicht haben will.
    Also, mit Verlaub, nochmal: „Der Mensch ist nichts an sich. Er ist nur eine grenzenlose Chance. Aber er ist der grenzenlos Verantwortliche für diese Chance“ (Albert Camus) – das ist es, was zählt, und nicht ein bißchen Freiheitsgeschwätz bei gleichzeitiger einschränkender Festlegung der einzig wichtigen Themen.
    Andreas Schwerdtfeger

  7. Es ist also tatsächlich geschehen: Sonneberg hat sich seinen Metzger, Robert Sesselmann, selbst gewählt!
    Der unterlegene bisherige Landrat hatte mit sauertöpferischer Miene in der Tagesschau vom 25.6. auch prompt eine plausible Erklärung parat: es habe sich nicht um eine Persönlichkeitswahl, sondern um eine Parteienwahl gehandelt. Und er bedankte sich bei den „Hauptschuldigen“ – der Ampelregierung und deren schlechter Performance!
    Wie wichtig und wohltuend aufrichtig dagegen Christian Wolff’s aktueller Blog-Beitrag. Hören wir auf, uns etwas vorzumachen! Natürlich sind die rund 53 % der Sonneberger Wähler nicht alle automatisch Nazis; sie haben aber billigend in Kauf genommen, dass ihre Interessen künftig von einem Björn Höcke sehr nahestehenden Landrat vertreten werden! Sie haben den Dammbruch gewählt, einen Rechtsextremen zum Amtsträger der kommunalen Exekutive gemacht! Für mich ist das eindeutig mehr als das Spiel mit dem Feuer. Um die eigene Unzufriedenheit mit „denen da oben“ zu zeigen, haben sie die Brandstifter ins Haus geholt! Armes Deutschland.
    Angesichts der anstehenden Wahlen im Osten muss sich unser Diskurs wieder auf die grundlegenden Probleme besinnen (Klimawandel, Friedensordnung, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe, Bildung, Infrastruktur), statt auf populistische Pseudo-Debatten (Gendern, Verbotskultur, Überfremdung, Kriminalität).
    Auch scheint mir zunehmend notwendig, die großen Vorteile der Demokratie wieder mehr ins Bewusstsein zu rufen, sie (vor allem die mit ihr verbundenen Freiheiten) wertzuschätzen!

    1. Jürgen Köpper von der CDU, bisheriger Landrat in Sonneberg und trotz Unterstützung von SPD, FDP, Grünen und Linken mit 47, 2 % der abgegebenen Stimmen unterlegener Kandidat, hat recht: Das war keine Personenwahl, sondern die Politik der Ampelregierung wurde abgestraft. Die Wahlbeteiligung war mit 59,6 % deutlich höher als im ersten Wahlgang mit 49,2 %. Es müssen sich als auch bisherige Nichtwähler aufgemacht haben, um dem AfD-Kandidaten ihre Stimme zu geben. Dabei ist die AfD Thüringens mit ihrem „Führer“ Höcke der rechtsnationalistischste Landesverband Deutschlands. Das verheißt für die Thüringer Landtagswahl im nächsten Jahr nichts Gutes. Da sollte die CDU über ihren Schatten springen und mit der Linken zusammenarbeiten.

  8. Der Beitrag enthält zwar nichts, was auch nur ansatzweise eine Richtung weist, wie man des Problems Herr werden könnte, aber er zeigt wenigstens das Dilemma auf, das ja gerade die Wahl in Sonneberg am Sonntag nochmal verdeuticht:
    1. „Die AfD sei doch eine demokratisch gewählte Partei und darum zu akzeptieren“, zitiert Wolff Andersdenkende und bezeichnet dies als „merkwürdiges Argument“ – in einer Demokratie, die er vorgibt, verteidigen zu wollen (was ich ihm ja gerne abnehme).
    2. „Eine Rückkehr zur „Normalität“ würde nichts anderes bedeuten, als Deutschland durch eine nationalistische Politik von allen freiheitlichen und demokratischen Entwicklungen im Innern und nach außen abzuschneiden, von Kriegstreibern abhängig zu machen bzw. selbst zum Kriegstreiber zu werden“, schreibt Wolff – und man fragt sich, wann je das von ihm beschriebene Szenarium „Normalität“ in Deutschland war, zu der man „zurückkehren“ könne.
    3. „Verbesserung ihrer sozialen Situation und die Bewältigung von Krisen wie dem Klimawandel setzen voraus, dass alle Bürger:innen an den Lösungen beteiligt sind“, schreibt uns Wolff und macht uns zugleich deutlich, daß die Wähler der AfD nach seiner Auffassung bitte schön eben NICHT zu „allen Bürgern“ zu gehören haben.
    4. „Das aber ist etwas völlig anderes, als das eigene Interesse zum Volkswillen zu erklären“, schreibt uns Wolff nach ausführlicher Aufzählung dessen, was er selbst als „Volkswillen“ vorschreibt und wo er genau das Dilemma beschreibt: „Ohne aktive Inanspruchnahme aller, die an einem Ort wohnen …“, gehe es nicht – und „alle, die an einem Ort wohnen“ schließt natürlich die AfD-Wähler nicht ein, die zB gerade in Sonneberg mehrheitlich „falsch“ gewählt haben.
    5. Und schließlich (es gäbe noch weitere Beispiele aus diesem EINEN Text): „Die Geschichte lehrt: Diese Menschen werden die Zeche dafür bezahlen müssen, was sie sich mit der Wahl einer Partei wie die AfD zum Teil selbst eingebrockt haben“ – schreibt er uns und dies ist genau das, was der AfD Wähler zutreibt – eine Quasi-Drohung, die eine „Jetzt erst recht“-Stimmung provoziert.
    Der Einschätzung, es handele sich um einen „hellsichtigen Beitrag“ kann man leider kaum zustimmen. Vielmehr zeigt der Beitrag das Dilemma auf: Wie berücksichtigt man die Bedürfnisse von Menschen, die emotional wählen aus Gründen wie Protest und Denkzettel, eigenen Ängsten und Unsicherheiten, schlichtem Unverständnis über die Komplexität der Probleme (um nicht „Dummheit“ zu sagen), Aufhetzung durch Verführer aller Art (zu denen teilweise leider auch die Medien gehören, denn wie kann man einer Landratswahl eine derartige Aufmerksamkeit schenken und damit die Wähler dort zu Schicksalsmachern erheben), Egoismus und Provinzialismus, etc. EINE Methode zur Auflösung dieses Dilemmas aber ist klar: Wiederholte, überwiegend beleidigende und hetzerische Attacken gegen die kritisierte Partei treiben ihr ebenso Wähler scharenweise zu wie unsichere Politik seitens der Regierung, vorsichtiges Taktieren der Opposition und vor allem gegenseitiges Zerfleischen dieser anstatt gemeinsamer Stand gegen die Flanken. UND: Man muß die AfD INHALTLICH unter Berücksichtigung der die Menschen bewegenden Themata bekämpfen und nicht polemisch; man darf nicht eigene Standards relativieren (siehe Punkt 1), weil man dies im Einzelfall für opportun hält.
    Die AfD – man muß es leider sagen – hat Positionen übernommen, die in unserem Volk mehrheitsfähig sind, wie zB die tatsächliche Lage vieler Kommunen in der Flüchtlingsfrage nach Aussage ALLER dortigen Politiker jeglicher Couleur zeigt. Diese Positionen ideologisch zu bekämpfen und sie gleichzeitig in der eigenen praktischen Politik zu verfolgen (wie es sowohl Ampel als auch Union tun), ohne den qualitativen Unterschied dieser Handlungsweise zu erläutern, ist kein Erfolgsrezept.
    Wolff täte gut daran, MP Weils Postulat zu befolgen: „Man muß halt besser werden!“.
    Andreas Schwerdtfeger

  9. Die inneren Strukturen von Universitäten sind von Mitbestimmung und demokratischen Prinzipien und Handlungsweisen in allen Bereichen durchzogen. Ich frage mich, auf welchen Fakten ihre vermeintliche Erkenntnis basiert, dass in Universitäten von Mitbestimmung nur schwerlich die Rede sein kann? Das ist einfach nicht zutreffend! Sie brauchen Iher vermeintliche Erkenntnis auch nicht für problematisch zu halten, denn sie trifft nicht zu.
    Ich finde ihren Umgang mit Ihrer Unkenntnis äußerst verantwortungslos.

    1. Ich möchte in aller Kürze nur auf die Zusammensetzung und den Wahlmodus des Hochschulrates und des Senates/erweiterten Senats nach § 51 und § 91 Sächsisches Hochschulgesetz verweisen. Danach wird die Mehrheit der Sitze des Hochschulrates durch das Wissenschaftsministerium besetzt. Der Hochschulrat hat aber eine wegweisende Funktion bei der Rektor:in-Wahl: Er schlägt bis zu drei Kandidat:innen dem erweiterten Senat vor. In diesem Senat haben aber die Hochschullehrer:innen eine garantierte Mehrheit von mindestens einer Stimme, d.h. weniger als die Hälfte der Sitze stehen dem akademischen Zwischebau, den Studierenden und dem nichtwissenschaftlichen Personal zur Verfügung. Das soll „Mitbestimmung und demokratischen Prinzipien und Handlungsweisen in allen Bereichen“ garantieren?

      1. Wenn man weiterhin Elfenbeintürme und keinen frischen Wind von außen haben will, dann müss einem der gesellschaftliche Einblick und gesellschaftliche Anregungen/Empfehlungen (§91,1, HFG) missfallen.

  10. Ich lese wohl nicht recht: „Die Universitäten in West- und Ostdeutschland sind eine Demokratiefreie Zone“. Dass ist so sehr neben der Realiztät, dass man nur den Kopf schütteln kann. Ich empfehle Ihnen dringend, sich die Universitäten einmal von innen aunzuschauen. Solche Behauptungen dienen jedenfalls nicht der Demokratisierung. Und Sie werden sagen (schreiben) das sie das auch nicht sollten. Nein aber ein Fünkchen Wahrheit sollte Ihre Aussagen doch beinhalten.

  11. Eine treffliche Beobachtung und Ergänzung zur Rietzschels Analyse. Wie oft musste ich, als es um AfD-Wählerinnen ging schon den Satz anhören: „Das sind nicht alles Nazis!“ – Als wenn das je jemand ernsthaft behauptet hätte. Aber Stimmabgabe heißt nun mal auch Zustimmung – und Reformverweigerung, Nationalismus und Xenophobie kreuzt man nicht an, nur weil man sich ohnmächtig fühlt, sondern weil sie einem auch in Teilen entsprechen. Diesen Umstand aus Rücksicht auf ggf. zurückkehrende Wählerinnen nicht klar zu adressieren, ist wenig zielführend. Geworben werden sollte für die Politik als gemeinsames Ringen um die besten Lösungen, was auch mal zwei Schritte nach vorne und einen zurück bedeuten kann. Dass das Korrigieren und Hinterfragen des eigenen politischen Handelns als Schwäche und Inkompetenz ausgelegt wird, ist ein ernsthaftes Problem dieser Tage, an dem auch so manche Regierende eine Mitschuld tragen. In Wahrheit ist das Meckern, das Rufen nach Autokratie und Festhalten an sicher Geglaubten der größere Beweis von Schwäche – es ist das Weglaufen vor all den Fragen, die sich uns heute so dringlich stellen.

    1. Ich habe nicht behauptet, dass Dirk Oschmann die Narrative der Rechtsnationalisten bedient – ich habe geschrieben, dass er sich wie ich übrigens auch sich selbstkritisch fragen und fragen lassen muss, ob er dies tut. Dass er sich klar von der AfD abgrenzt, habe ich zur Kenntnis genommen. Aber das ändert leider nichts daran, dass sein Buch viel Beifall von der falschen Seite erfährt.

      1. Jetzt sind aber Sie es, Herr Wolff, der das Spiel der AfD spielt und ihr Bedeutung erhöht. Wenn man immer höllisch aufpassen müsste, ob man Beifall von der falschen Seite bekommt, schränkt man seine Meinungsfreiheit ein. Deshalb darf es in Landesparlamenten auch nicht darauf ankommen, ob die AfD z. B. mit der CDU stimmt. Anders, wenn ein Antrag nur mit den Stimmen der AfD mehrheitsfähig ist.

        1. Lieber Herr Plätzsch, verantwortlicher Umgang mit dem eigenen Gesagten oder Geschriebenen hat nichts mit Einschränkung von Meinungsfreiheit zu tun! Im Übrigen würde mich sehr interessieren, was denn Herr Oschmann in Zukunft tun wird, um die AfD politisch zu bekämpfen. Auch frage ich mich, was Herr Oschmann 1989/90 gemacht hat, welchen Beitrag er leistet zur Demokratiesierung der Universitäten, die ja nach wie vor in West- wie Ostdeutschland eine Demokratiefreie Zone sind. Auch ist mir Herr Oschmann in Leipzig nirgendwo begegnet, wo es um zivilgesellschaftliches Engagement für die freiheitliche Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt ging. Aber vielleicht habe ich da etwas übersehen. Beste Grüße Christian Wolff

          1. Herr Oschmann ist ein Literaturwissenschaftler, übrigens seit voriger Woche Mitglied des Vorstands der Leipziger Goethegesellschaft. Er hat ein emotionales Buch geschrieben und ist sonst politisch bisher nicht in Erscheinung getreten, muss er auch jetzt nicht. Die deutschen Universitäten als demokratiefreie Zonen zu bezeichnen, halte ich für übertrieben.
            Jedenfalls gibt es genügend Eingriffe von Extremisten, die universitäre Veranstaltungen sprengen usw.. Ich erinnere mich an die widerlichen Querschüsse gegen den Politikwissenschaftler Herfried Münkler (SPD, bis zu seiner Emeretierung 2018 an der Humbold Uni) u. v. a..

          2. Meine Bemerkung zu den Universitäten bezieht sich auf die innere Struktur der Universitäten. Von Mitbestimmung kann da nur schwerlich die Rede sein. Das halte ich deswegen für höchst problematisch, weil die Universitäten die Führungskräfte einer Gesellschaft ausbilden, die sich demokratisch versteht.

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