Es gibt Situationen, da sind Solidarität und Empathie ohne Wenn und Aber geboten – in vollem Wissen darum, dass nichts ohne ein Vorher erklärbar ist. Der in seiner Brutalität unfassbare Überfall der Hamas-Terroristen auf verschiedene Kubbuzim und Ortschaften im Grenzgebiet zum Gaza-Streifen am 7. Oktober 2023 mit über 1.400 Toten und unendlichem Leid ist trauriger Anlass, ohne jede Einschränkung diese ungeheure kriegerische Aggression gegen die Bevölkerung Israels zu verurteilen und der Regierung Israels zuzubilligen, sich gegen den Hamas-Terror zu wehren. Dieser Gewaltexzess der Hamas, einschließlich der Raketenangriffe und Geiselnahmen, kann in nichts eine Rechtfertigung finden, kann und darf auch nicht aufgerechnet werden mit militärischen Aktionen Israels bzw. abgeleitet werden von einer – wie auch immer – verfehlten Politik Israels gegen das palästinensische Volk. Darum ist jetzt eines unerlässlich: Gerade Deutschland, d.h. die Bürger:innen Deutschlands, Deutschlands Institutionen, Parteien, Verbände, Vereine, Kirchen und Religionsgemeinschaften stehen aufgrund der von Deutschland zu verantwortenden Vernichtung jüdischen Lebens in der Zeit des Nationalsozialismus in einem hohen Maß in der Pflicht,
- sich für das Existenzrecht des Staates Israel einzusetzen,
- den Schutz, d.h. ein angstfreies Leben der jüdischen Mitbürger:innen und ihrer Einrichtungen in Deutschland zu gewährleisten,
- jeder Form von Antisemitismus zu wehren.
Diese drei Aufgaben dürfen durch keine noch so berechtigte Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern eine Einschränkung erfahren. Das bedeutet, dass sich die deutsche Bundesregierung in der Europäischen Union, in den Vereinten Nationen und in der arabischen wie islamisch geprägten Welt dafür einsetzen muss, dass das Existenzrecht Israels anerkannt und nicht weiter in Frage gestellt wird. Ohne ein solches, global wirkendes Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und damit auch zum Recht jüdischen Lebens an jedem Ort auf diesem Erdball wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben können. Mit dem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist ausdrücklich nicht ausgeschlossen, die Politik der Regierungen Israels sehr kritisch zu betrachten. Im Gegenteil: Niemandem kann und darf verwehrt werden, sich sehr kritisch mit der Politik der Regierung Israels auseinanderzusetzen. Niemandem kann und darf verwehrt werden, auch jetzt für eine Ein-Staat- oder Zwei-Staaten-Lösung im Israel-Palästina-Konflikt einzutreten und die dafür notwendigen Bedingungen einzuklagen. Niemandem kann und darf verwehrt werden, die innenpolitische Situation Israels, ihr Abdriften nach Rechts, kritisch zu kommentieren. Nur: Das darf niemals dazu führen, geschweige denn dass gerechtfertigt wird, dass bei uns Bürger:innen jüdischen Glaubens und Einrichtungen jüdischen Lebens wie Synagogen, Kitas bedroht und tätlich angegriffen werden und dass Terror gutgeheißen wird.
Durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel ist weltweit eine bedrohliche Situation entstanden. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten können jederzeit eskalieren. In Deutschland müssen wir besonders wachsam sein. Denn der Hass auf Israel, der leider unter Migrant:innen aus arabischen Ländern vorhanden ist und in zu vielen islamischen Gemeinden angeheizt wird, kann sich schnell verbinden mit dem alltäglichen Antisemitismus und mit dem leider nicht nur von Rechtsextremisten geschürten Zorn auf Geflüchtete islamischen Glaubens. Das ist eine mehr als gefährliche Gemengelage. Hier gilt es eine klare Haltung einzunehmen, die sich an der freiheitlichen Demokratie, an den Grundwerten unserer Verfassung, an der multikulturellen und multireligiösen Wirklichkeit, an der besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt orientiert. Niemals aber dürfen wir uns in der kämpferischen Solidarität mit denen, deren Existenz jetzt bedroht ist, von der religiös-ideologischen Propaganda einer Hamas und ihrer Praxis des Terrors anstecken lassen.
Der Publizist Carl Amery hat in seinem Buch „Hitler als Vorläufer. Ausschwitz – der Beginn des 21. Jahrhunderts“ (1998) die Frage aufgeworfen, die auch heute von großer Bedeutung ist und viele Menschen umtreibt: „Müssen wir Unmenschen werden, um die Menschheit zu retten?“ Es ist die Frage danach, wie wir mit den Krisen dieser Welt fertig werden und welchen Preis wir bereit sind, dafür zu zahlen. Amery betont, dass Hitler die Frage eindeutig mit Ja beantwortet hat, Stalin, Mao Zedong, Pol Pot auch. Diese Bejahung wohnt sicher auch den Hamas-Terroristen (wie vielen Autokraten) inne. Nach Amery beinhaltet dieses Ja gleichzeitig ein Nein zur „jüdisch-humanistischen Botschaft schlechthin“, also zur „Botschaft von der Friedfertigkeit, von der Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, von der Notwendigkeit der Diskussion und des Kompromisses.“ Das also ist unsere Aufgabe: der Verneinung dieser Botschaft zu widerstehen und ihre Bejahung zu leben – in Solidarität mit denen, die diese biblische Botschaft seit Jahrtausenden tradieren.
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P.S. Die politische Auseinandersetzung um die Positionierung im Israel-Palästina-Konflikt begleitet mich seit über 50 Jahren. 1973/74 war ich AStA-Vorsitzender an der Universität Heidelberg. Wenige Tage nach Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges am 7. Oktober 1973 kam es im Studentenparlament zu einer heftigen Auseinandersetzung. Die kommunistischen Hochschulgruppen (KHG und KBW) brachten eine Resolution ein, mit der die Solidarität mit der PLO in ihrem Kampf gegen den – wie es damals hieß – zionistischen und US-Imperialismus zum Ausdruck gebracht werden sollte. In der Diskussion wehrte ich mich vehement gegen diese Einseitigkeit und vertrat den Standpunkt, dass es am Existenzrecht Israels keinen Zweifel geben dürfe. Das Fatale: Einige Studentenvertreter:innen unserer Hochschulgruppe (Hopoko, linksliberal), die die Mehrheit im Parlament hatte, stimmten der Resolution der kommunistischen Gruppen zu, so dass diese mehrheitlich beschlossen wurde. Eigentlich wollte ich sofort zurücktreten, denn ich hielt den Beschluss für nicht hinnehmbar. Davon haben mich aber Mitstreiter:innen abgehalten. Ich habe dann erklärt, dass ich die inhaltliche Ausrichtung dieser Resolution für falsch halte und ihr nicht folgen werde.
Ähnliches erlebte ich 2006 bei einer Kundgebung anlässlich des Israel-Libanon-Krieges vor der Thomaskirche. An der Kundgebung nahmen einige Hundert Menschen teil, die meisten waren Migrant:innen aus dem arabischen Raum. Ich war gebeten worden, eine Rede zu halten. Diese löste damals heftige Proteste und Widerspruch aus – vor allem, weil ich die Anerkennung des Existenzrechts Israels als eine Grundbedingung für einen Friedensprozess im Nahen Osten genannt habe. Diese Auseinandersetzung müssen wir offensiv führen.
29 Antworten
Lieber Herr Lerchner,
Sie bauen eine beeindruckende Argumentationslinie auf, was mich schon deshalb freut, weil es sich ja von anderen Beiträgen positiv unterscheidet. Und viele Ihrer Argumente sind vollständig nachvollziehbar, entsprechen wohl auch weiten Teilen öffentlicher Argumentation in vielen Weltregionen und internationalen Organisationen – sind also nicht von der Hand zu weisen.
Einige Ihrer Argumente – ich komme zunächst darauf – scheinen mir nicht nachvollziehbar:
1. „Die Existenz Israels sei gefährdet und ist dringend zu verteidigen = Popanz“. Angesichts ständiger verbaler und physischer Angriffe seiner Nachbarn und von innen gegen das Land von Anbeginn an und über Jahrzehnte kann ich diese Ansicht nicht teilen. Sie begründen Ihre Ansicht mit der militärischen Übermacht Israels – aber ist eine solche Verteidigungsnotwendigkeit (kostenträchtiges Bereithalten von großen Streitkräften, insbesondere auch Reservistenverbänden, einschl aller Folgen für die Wirtschaft) Grund, eine Bedrohung zu negieren?
2. „Dass maßgebliche arabische Staaten im Nahen Osten seit einiger Zeit eher auf Aussöhnung mit Israel orientiert sind, möglicherweise auch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung, spricht auch nicht gerade für eine Existenzbedrohung Israels“. Dies ist eine neue Entwicklung, wenn man von Ägypten und Jordanien absieht – und ist wohl eher darauf zurückzuführen, daß die Nachbarstaaten endlich erkannt haben, daß sie Israel nicht „von der Landkarte tilgen“ können. Unabhängig davon aber sind einige dieser Staaten nicht bereit oder in der Lage, Terrorgruppen auf ihrem Gebiet (Hisbollah, Hamas, etc) zu verhindern und dulden also die Bedrohung Israels.
Unabhängig davon bin ich aber der Meinung, daß ganz andere Fragen für die Entscheidung der Israel-Palästina-Problematik entscheidend sind:
3. Israel kämpft mehr als gegen seine Feinde gegen Bilder und einseitige Kommentierung:
– Regelmäßig kommt Israel, nachdem es angegriffen wurde, in die Zeitfalle (so auch diesmal): Die demokratische und rechtsstaatliche Welt steht anfänglich geschlossen und mit markigen Erklärungen hinter dem Opfer arabisch-palästinensisch-muslimischer Angriffe – und diese Entschlossenheit weicht sich rapide in wenigen Tagen auf, weil eben diese Welt dann nicht die Kraft und Sicherheit hat, ihre Meinung auch gegen die Propaganda von Bildern und Kommentaren aufrecht zu erhalten. Daher mein Argument: Israel ist nicht der Aggressor – die Verantwortung für diese Entwicklungen liegt aber beim Aggressor. Konkret: Hamas verantwortet die Toten in Gaza.
4. Israel kämpft gegen eine überwiegend anti-israelische Weltmeinung, was sich sowohl in der Zahl als auch in der Verurteilungshäufigkeit der gegen Israel gerichteten VN-Resolutionen zeigt. Beispielsweise:
– 2018 21 von 28
– 2020 17 von 23
– 2022 15 von 22.
Beschämenderweise hat Deutschland häufig für die Verurteilung gestimmt, was dann deutlich macht, wie sehr sich der Staat Israel auf die „deutsche Staatsräson“ in der Praxis verlassen kann.
Es ist hier wichtig zu erkennen, daß die Vereinten Nationen – so sehr man begrüßen muß, daß es sie gibt – in keiner Weise auch nur annähernd ein objektives Gremium darstellen: Die undemokratische und nicht rechtsstaatliche Mehrheit dort – häufig von den Großen (und nicht nur Amerika, wie wir Deutsche es gerne darstellen) gekauft, zB alle über 50 afrikanischen Staaten von China und Rußland – stimmt nicht „zur Sache“ ab, sondern zum eigenen Vorteil, aus Vorsicht, mit Hintergedanken, etc.
5. Israel kämpft weiterhin gegen eine unselige Tendenz in vielen, wenn nicht allen Kommentaren der Gleichsetzung eigener Handlungsweisen mit denen seiner Gegner, also mit einer angeblich toleranten und aufrichtigen Äquidistanz in der Bewertung. Man muß dazu nicht den jüngsten unglücklichen Ausrutscher von Antonio Guterrez herbei ziehen. Schon während seiner Zeit als deutscher VN-Botschafter verglich der eitle, arrogante und unglückselige Christoph Heusgen (jetzt bekannt als Selbstdarsteller bei der Münchner Sicherheitskonferenz und gerne gehörter Gast im Fernsehen), was nicht zu vergleichen ist: „Heusgen verglich die Raketen der Terrororganisation Hamas, die seit 2007 auf Israels Städte und Zivilisten tausendfach herabregnen, mit den Bulldozern, die Israel gegen Häuser im Westjordanland einsetzt.“
6.Israel kämpft schließlich um seine Existenz als Staat und Heimat für Juden nach den traumatischen Erfahrungen von Jahrhunderten, gipfelnd im Holocaust. Es ist allzu leicht, mit angeblicher Objektivität diese Bedrohung klein zu reden. Die Araber überfielen das Land am Abend seiner Gründung (auf der Basis einer VN-Resolution!) mit dem Ziel seiner Auslöschung; sie überfielen es erneut mit dem Ziel seiner Auslöschung in den Jahren 1967 und 1973 und sie haben es ständig physisch und aktiv bedroht. Das baut kein Vertrauen auf gegenüber Palästinensern im Land, die dazu noch – wie schon oft gesagt – sich nicht an das internationale Recht halten, sondern in Zivil, durch Einsatz von Frauen und Jugendlichen, ohne Vorwarnung Terror gegen jüdische Bürger ausüben. Lebten wir Deutsche mit unserer Emotionalität in politischen Fragen (siehe die schwachsinnige Parteienbezeichnung „Bürger in Wut“) in diesem Lande – die AfD käme uns schrecklich zu sagen, noch gemäßigt vor.
Alle diese Tatsachen, Herr Lerchner, sollen nicht dazu dienen, israelische Fehler zu verschleiern, israelische Schuld zu minimieren, Alternativen für israelische Politik über die Jahrzehnte zu negieren. Aber diese sind eben im Gegensatz zu dem von den arabischen Staaten gewollten, massiv unterstützten und mit menschenverachtender Brutalität durchgesetzten Hass der sogenannten Palästinenser nicht auf eine Stufe zu stellen. Israel wehrt sich, so rechtsstaatlich es in dieser Lage kann, gegen gnadenlosen Terrorismus, gegen unglaublichen irrationalen Hass, gegen menschenverachtende Gegner, die bewußt die schrecklichen Bilder provozieren, und gegen eine parteiische Weltöffentlichkeit – alles dieses können seine Gegner nicht für sich in Anspruch nehmen.
Und was nun die Zwei-Staaten-Lösung angeht: Es gibt damit in der Welt sowieso keine sehr positiven Beispiele: China-Taiwan klappt nur über die Ein-China-Lüge; Korea ist gefahrenträchtiger Dauerbrenner; Zypern ist zu klein, um störend zu sein, aber Erfolg gibt’s da auch nicht; das Kosovo ist eine westliche Mißgeburt; der Sudan ist ein Massengrab. Israel hat durch fehlgeleitete arabische Arroganz und Selbstüberschätzung Territorien gewonnen, die für seine Sicherheit unerläßlich sind, was ein Blick auf die Landkarte bestätigt. Es hat historische Beispiele für die Annexion eroberter Gebiete von Aggressoren durch den Sieger. Es kann sich auf die VN nicht verlassen. Es hat – vielleicht zu Unrecht – Fakten geschaffen, die aber Basis sind für sein politisches Überleben. Das seit Jahren tote Pferd der „Zwei-Staaten“ wieder ins Leben zu prügeln, wäre Dummheit und Fahrlässigkeit. Die Welt wird sich wohl was anderes einfallen lassen müssen – und da sehe ich für den Westen nur eine bedingungslose Unterstützung Israels gegen den Terror seiner Umwelt.
Andreas Schwerdtfeger
„Unglücklicher Ausrutscher von Antonio Guterrez“?
Guterres selbst äußerte sich am Mittwoch erneut. Der Groll der Palästinenser könne die „schrecklichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen“, schrieb er auf X. Seine Formulierung einer „kollektiven Bestrafung des palästinensischen Volkes“ wiederholte er jedoch.
„Der UN-Generalsekretär hat natürlich das Vertrauen der Bundesregierung“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Situation sei gerade sehr aufgeladen, Rücktrittsforderungen seien aber im Augenblick nicht angebracht, sagte er.“
Zeit.online https://ogy.de/zftv
Wann dann, später?
Lieber Herr Schwerdtfeger,
schönen Dank für das ausführliche Eingehen auf meine Fragen. Für mich bleibt aber noch einiges offen. Es mag sein, dass ich die militärische Bedrohung Israels in ungerechtfertigter Weise heruntergespielt habe. Das ist aber nicht mein wesentlicher Punkt, sondern war Aufhänger, um darauf hinzuweisen, dass die israelische Okkupation nicht nur als Reaktion auf arabische Aggressionen zu sehen ist, sondern dass sie einer eigenständigen, davon unabhängigen Agenda folgt, nämlich dem biblisch begründeten Anspruch auf Eretz Israel. Ich hatte versucht, dieses anhand der Ereignisse unmittelbar um die Staatsgründung herum, zu erläutern. Die arabischen Aggressionen bestreitet keiner. Jedoch allein darauf zu fokussieren, wirkt auf mich wie ein Ablenkungsmanöver. Würde man dieses Okkupationsmotiv als solches anerkennen, wäre das Besatzerregime, insbesondere in der Westbank, in einem anderen Licht zu sehen, als Sie das darstellen. Es geht aso nicht nur um Israels Sicherheit. Übrigens, die Bemerkung …“ Palästinenser …, die dazu noch – wie schon oft gesagt – sich nicht an das internationale Recht halten, sondern … ohne Vorwarnung Terror gegen jüdische Bürger ausüben“ entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Als zweites wollte ich, leider erfolglos, mit dem Verweis auf das israelische Nationalstaatsgesetz und das Reizwort „Apartheit“ eine Diskussion darüber provozieren, wie man sich das Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem binationalen Staat vorstellen soll, ohne dass dessen zionistischer Charakter verloren geht.
Für die liebe Frau „Nur eine Frau“ sind das offenbar Spitzfindigkeiten. Der Versuch, „ja, aber“-Debatten zu diskreditieren und ihnen Empathielosigkeit und letztendlich israel-feindliche Tendenzen zu unterstellen, bringt aber nichts, wenn man ernsthaft um ein Verständnis für den Israel-Palästina-Konflikt und dessen Lösungsmöglichkeiten ringt. Er erzeugt Widerwillen und führt zu der beklagten Zurückhaltung gegenüber pro-israelischen Solidaritätsmanifestationen. Jedenfalls ist das mein Eindruck, wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre. Dabei handelt es ich zum großen Teil nicht um Antisemiten, ich schätze mal zu 100%.
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
Bewegendes Benefizkonzert des Leipziger Synagogalchors u. a. heute in der Leipziger Peterskirche. Hier ein kurzer Ausschnitt:
https://youtu.be/oOSGxIKBbz4?si=zF2pE7UDhWX7sKXN
Lerchner wünscht sich also, daß mehr auf das Leid der Palästinenser eingegangen wird. Da mag er Recht haben. Aber in diesem Zusammenhang stellt sich dann sofort die Frage nach der Verantwortung für dieses Leid – und diese ist eindeutig: Die arabischen Bruderstaaten haben über drei Generationen ihre palästinensischen Brüder in Flüchtlingslagern festgehalten, weil sie diese als Waffe gegen Israel einsetzen konnten. Sie haben dort den Terror gezüchtet, gegen den sich Israel wehrt. Sie sind alleine verantwortlich für das Leid der Palästinenser, wie sich ja auch jetzt zeigt: Niemand hat Hamas gezwungen, sich beim ausüben von Terror hinter seiner eigenen Bevölkerung zu verstecken und Israel, auch noch derart brutal, anzugreifen; niemand hat die Ägypter gezwungen, über eine Woche zu warten, ehe sie die Grenze öffneten. Es ist einfach Tatsache, daß die arabisch-muslimischen Staaten, allen voran Iran, aber eben auch die Nachbarn Israels, die Destabilisierung der Region durch Geiselnahme ihrer eigenen Brüder seit Jahrzehnten als politisch opportun ansehen.
Und Schneider spricht von Landraub. Was meint er damit wohl? Israel hat 1967 in einem ihm aufgezwungenen Krieg gesiegt und die Aggressoren haben verloren. Mit dem Verlieren von Kriegen geht nun mal fast immer der Verlust von Territorium einher. Israel tut Recht daran, die Westbank, den Golan und ganz Jerusalem nicht aufzugeben. Dies ist strategischer Imperativ für die Sicherheit des Landes – und ließe sich bestenfalls über absolut sichere Friedensverträge anders lösen. Es kann, bezogen auf Israel, nur eine Ein-Staaten-Lösung geben: EIN Israel nämlich vom Jordan bis zum Mittelmeer und mit bestenfalls einer gemeinsam verwalteten Hauptstadt Jerusalem unter VN-Aufsicht. Die andere und schon immer irreale Lösung von zwei Staaten in diesem Raum hat im übrigen Arafat abgelehnt, als sie ihm 2000 beim Dreier-Gipfel Clinton-Barak-Arafat in Camp David angeboten wurde.
Die Palästinenser – als „Volk“ ja erst entstanden als die zionistische Einwanderung begann, denn vorher waren sie schlicht arabische Nomaden – hätten über mehrere Generationen die Chance gehabt, sich zu integrieren und zB über rein demographische Gegebenheiten Einfluss in diesem Territorium aufzubauen. Der Weg des Terrors ist ihre Entscheidung gewesen und wurde befördert durch ihre muslimischen Brudervölker – und es war eben eine falsche Entscheidung. Die richtige Entscheidung wäre gewesen, den Staat Israel durch Integration und Mitarbeit von innen her zu „übernehmen“.
Zu glauben, die Israelis könnten Frieden erreichen, wenn sie die Westbank etc einem palästinensischen „Staat“ überließen, kann nur jemandem einfallen, der selbst in sicheren Grenzen anderswo lebt.
Andreas Schwerdtfeger
„bestenfalls über absolut sichere Friedensverträge“
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Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig utopisch. Eine politische Lösung des Nahostkonflikts ist mit dem Hamas-Massaker noch weiter weg gerückt als zuvor.
Zum Landraub z.b. Resolution 446 des UNO – Sicherheitsrats vom 22.3.73
Interessant. Die Verantwortung der arabischen Staaten im Nahen Osten für die Terrorismus fördernden Zustände in den Flüchtlingslagern Jordaniens und des Libanon sehe ich ähnlich. Das betrifft auch deren (zeitweiliges) Interesse an einer Destabilisierung der Region. Wenn überhaupt, hat das jedoch bestenfalls indirekt etwas mit der miserablen Lage der Palästinenser in den von Israel okkupierten Gebieten einschließlich Gaza zu tun (s. Bericht von Human Rights Watch vom 27. April 2021, A Threshold Crossed, Israeli Authorities and the Crimes of Apartheid and Persecution).
Wie Sie wissen, schätze ich Ihre nüchterne und sachliche Sicht auf die Dinge. Von Israel widerrechtlich besetzte Territorien als zu akzeptierende Beute aufgezwungener Kriege anzusehen, ist aber vielleicht doch etwas zu einfach. Als 1947 der UN-Teilungsplan für Palästina zur Debatte stand, gab es zionistische Kräfte (z. B. Ben-Gurion), die im Gegensatz zu zionistischen Hardlinern mit der Teilung Palästinas einverstanden waren, weil sie von den kommenden Möglichkeiten einer Eroberung des gesamten Landes überzeugt waren (Brumlik/Krell). Insofern kam der Angriff der arabischen Militärs und Freischärler im Mai 1948 zu pass. Und die Israelis reagierten gründlich. Die Flucht und Vertreibung von einer dreiviertel Million Araber, teilweise schon vor Ausbruch des Krieges, die Säuberung Jaffas, die Liquidierung von zwei Dritteln der 200 arabischen Dörfer in Galiläa sind ja bekanntlich unter dem Begriff Nakba in die Geschichte eingegangen.
Nun gut, Sie halten im Interesse Israels nur eine Ein-Staaten-Lösung für sinnvoll. Ich verstehe, dass Sie wahrscheinlich deshalb auch die israelischen Maßnahmen gutheißen, mit denen jegliche Voraussetzungen für die Bildung eines unabhängigen Palästinenserstaates zunichte gemacht werden sollen. Dazu gehören eben auch die oft kritisierten sukzessiven Enteignungen palästinensischen Landes und die Isolierung der Palästinenser in kleineren Enklaven, ähnlich den Bantustans in Südafrika (Flottau, Blätter 6/17). Dass die bisherigen Bundesregierungen zwar ständig von der Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung gesprochen (z. B. Koalitionsvertrag von 2013), aber niemals Anstalten getroffen haben, diese Position gegenüber Israel durchzusetzen, ist in Ihren Augen wahrscheinlich auch vernünftig, genauso wie das Ignorieren relevanter UN-Resolutionen durch Israel.
Was denken Sie, wie bei einer Ein-Staaten-Lösung die Rechte der Palästinenser gewahrt werden könnten? Ich nehme an, dass auch aus Ihrer Sicht apartheid-ähnliche Verhältnisse unausweichlich sind, um ein Ende des zionistischen Staates als Folge einer demokratisch-legalen Absegnung binationaler Strukturen zu verhindern (Zuckermann). Und auf diesem Weg befindet sich ja Israel bereits. Im Jahre 1948 hieß es noch in der Unabhängigkeitserklärung „Der Staat Israel wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen“. Jetzt wird mit dem Nationalstaatsgesetz von 2018 versucht, den Vorrang der jüdischen Bevölkerung per Gesetz zu zementieren (Zeit, 22.07.2018). Waren Hebräisch und Arabisch gleichberechtigte Amtssprachen, ist nunmehr Arabisch zu einer Sprache mit „besonderem Status“ degradiert (FAZ-Online, 27.07.2018). Die im Entwurf des Gesetzes vorgesehene Legalisierung rein jüdischer Gemeinden (Paragraph 7b) ist nach Protesten gerade noch gestrichen worden.
Sie berufen sich auf die Interessen Israels. Von (fast) überall her tönt es, die Existenz Israels sei gefährdet und ist dringend zu verteidigen. Ehrlich gesagt, ich glaube, hier wird ein Popanz aufgebaut. Wer hätte außer dem Iran die militärtechnischen Möglichkeiten für existenzbedrohende Schläge gegen Israel? Kämen diese zum Tragen, wäre es Irans sichererer Untergang. Dass maßgebliche arabische Staaten im Nahen Osten seit einiger Zeit eher auf Aussöhnung mit Israel orientiert sind, möglicherweise auch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung, spricht auch nicht gerade für eine Existenzbedrohung Israels. Und hat nicht die PLO mit der Unterzeichnung der Osloer Abkommen weite Teile des historischen Palästinas als israelisches Staatsgebiet anerkannt?
Man müsste vielleicht doch etwas gründlicher darüber diskutieren, was die bestimmenden Interessen der politischen Klasse in Israel sind. Geht es einem breiten Spektrum der israelischen Politik mit der beklagten Besatzungspolitik nicht vorrangig um eine als legitim empfundene „Fortsetzung des siedlungskolonialistischen Staatsbildungsprozesses“ (Brumlik/Krell), d. h. um mehr Grund und Boden für jüdische Siedler? Legitim meint hier, dass die Inbesitznahme gottverheißenen Landes keine Okkupation sein kann (Zuckermann). Und inwieweit soll dieses Möglichkeiten für die Palästinenser offen lassen, sich zu integrieren, wie Sie schreiben? Wohinein soll diese Integration eigentlich erfolgen?
Wie Sie sehen, sind mir eine ganze Reihe Fragen gekommen beim Lesen Ihrer kurzen Anmerkungen. Wie könnte also nun Frieden erreicht werden in Palästina? Sie meinen, ohne fortgesetzte Okkupation und damit robuste Einhegung der Palästinenser geht es nicht. Ich habe da meine Zweifel. Leider sehe ich keine Anzeichen dafür, dass Sie Recht haben. Eher im Gegenteil.
Gern verweise ich auf:
Palästinensischer Botschafter „Seit wann ist es illegal, pro-palästinensisch zu sein?“
Interview der Woche DLF / 22.10.2
Laith Arafeh im Gespräch mit Benjamin Hammer /
Palästinensischer Botschafter „Seit wann ist es illegal, pro-palästinensisch zu sein?“
Terrorangriffen der Hamas auf Israel beklagt der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith
(Audio Thek DLF)
Die schier unauflösbare Komplexität der Nahost-Problems wird auch mit diesem Interview sehr deutlich.
Ein Punkt an diesem Text von Christian Wolff ist einfach falsch: „Niemandem kann und darf verwehrt werden, auch jetzt für eine Ein-Staat- oder Zwei-Staaten-Lösung im Israel-Palästina-Konflikt einzutreten und die dafür notwendigen Bedingungen einzuklagen.“ – Auf eine Ein-Staaten-Lösung zielte ja die BDS-Bewegung, die sogar vom Bundestag (in verfassungswidriger Weise) im Jahr 2019 als antisemitisch gebrandmarkt wurde. Die meisten Beobachter würden die Befürwortung der Ein-Staaten-Lösung als Leugnung des Existenzrechts Israels ansehen, denn dann wäre es nicht mehr Israel als Staat mit jüdischem Charakter. Ich nehme an, dass Christian Wolff sich hier nicht gegen den Bundestagsbeschluss stellen würde, obwohl die AfD ihn unterstützte (und in typischer Manier noch verschärfen wollte).
Was ist denn für eine merkwürdige Argumentation: Was kann falsch sein an einem ergebnisoffenen Diskurs über zwei Möglichkeiten einer Lösung? Richtig ist: Eine Ein-Staaten-Lösung findet derzeit in der israelischen Bevölkerung keine Akzeptanz. Dennoch wurde sie in den vergangenen Jahren diskutiert. Vorschläge dazu gab es von Omri Boehm und Michael Wolffsohn, der eine Föderalstruktur für Israel ins Gespräch brachte.
Wenn ich es richtig verstehe, baut das heftig umstrittene Nationalitätengesetzt von 2018 (hat de facto Verfassungsrang) einer im Falle einer Ein-Staaten-Lösung hypothetischen arabischen Überfremdung vor, indem es Israel, mit einigen Konsequenzen, als den Nationalstaat des jüdischen Volkes definiert.
„BDS-Bewegung, die sogar vom Bundestag (in verfassungswidriger Weise) im Jahr 2019 als antisemitisch gebrandmarkt wurde.“
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Der Bundestag hat in einem Beschluss scharfe Kritik an der BDS-Kampagne geübt – drei Anhänger der Bewegung sahen sich dadurch in Grundrechten verletzt. Die Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht wurde nun zurückgewiesen.
© FAZ 07.10.2021 https://ogy.de/3ak1
Das Entsetzen über die „Grenzüberschreitung“ der Hamas wäre Anlass, auch über Europas Grenzen nachzudenken. Die hinter solchen Grenzen Ausgeschlossenen, schreibt Franz Hinkelammert, werden zu Feinden, gegen die die Gesellschaften mit hohem Einkommen Krieg führen:
„Die Ausgeschlossenen sind Teil des Systems, stehen nicht außerhalb. Indem die Eingeschlossenen im Namen der Markteffizienz jegliche Solidarität aufgeben, sind sie selbst durch den Konflikt betroffen. Sie stützen ein System, das ausschließt, zerstören menschliche Solidarität und beschuldigen die Ausgeschlossenen, an ihrem Ausschluss selbst schuld zu sein. Je mehr sie dies tun, umso mehr verändern sie sich. Um das ausschließende System zu erhalten, werden sie immer brutaler. Die Unmenschlichkeit fällt zunächst über die Ausgeschlossenen her, aber die Eingeschlossenen, die sie unmenschlich behandeln, müssen selbst auch immer unmenschlicher werden. So zerstören sie die Solidarität unter sich selbst, genauso wie sie sie zunächst gegenüber den Ausgeschlossenen zerstört haben.
Damit werden die menschlichen Beziehungen insgesamt immer brutaler, nicht nur die gegenüber den Ausgeschlossenen. Es entsteht eine Gesellschaft der Angreifer, in der jeder jeden angreift, eine brutalisierte Gesellschaft, die sich selbst immer unmenschlicher macht, um anderen gegenüber unmenschlich sein zu können. Der Krieg eines jeden gegen jeden ist nicht, wie es Hobbes wollte, der Beginn der Zivilisation. Er ist ihr Ergebnis.“
(„Das Subjekt und das Gesetz, 288,289)
Das Existenzrecht des Staates Israel ist völkerrechtlich garantiert, umfasst aber nicht das Recht auf Landraub.
Es wird aber leider nach wie vor von herrschenden Gruppen und Staaten im Nahen Osten (Iran) bestritten – mit der fatalen Folge, dass der berechtigte Kampf des palästinensischen Volkes um sein Lebensrecht sich immer wieder verbindet mit Bestreben, Israel zu vernichten.
Lieber Herr Wolff,
Ihrem Text habe ich ziemlich spontan und ohne großes Abwägen zugestimmt, weil ich einerseits die Verteidigung der Staatlichkeit Israels als selbstverständliches Gebot ansehe und es andererseits in meinen Augen ein Fortschritt in der Debatte ist, wenn Sie in gleichem Atemzug mit dem Rekurrieren auf Israels Sicherheit auch Kritik an dessen Vergehen gegen das Volk der Palästinenser als völlig legitim ansehen. Manche, die „Antisemitismus“ zum Kampfbegriff degradiert haben, versuchen eine solche zu unterdrücken. Ich halte es übrigens mit der „Erklärung von Jerusalem zum Antisemitismus“.
Inwieweit dieses Zugestehen von Israel-Kritik ernst gemeint oder eine Floskel ist, muss sich aber erweisen. Ich wünschte mir, dass auch auf diesem Blog das Leid der Palästinenser hin und wieder thematisiert würde. Der 75. Jahrestag der Nakba wäre ein guter Anlass gewesen.
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
PS: Ein Artikel in den „Blättern“ vom vorigen Jahr, der sich mit den Hintergründen und Umständen der israelischen Staatsgründung befasst, könnte für diesen oder jenen vielleicht interessant sein: https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/mai/der-neue-antisemitismusstreit
Ebenfalls: ZUSTIMMUNG !!
Zustimmung!
„Antisemitismus zu wehren“ ist viel zu vage (schließlich erlaubt unsere freiheitliche Grundordnung, andere nicht zu mögen), und das Existenzrecht Israels ist bereits durch unsere Regierung und die UNO anerkannt. Das führt uns beides also nicht weiter. Was man braucht, sind Verhandlungen, in denen es zu einem besseren Ausgleich der Interessen kommen kann, und vielleicht zu einem „kalten Frieden“. Ein Vorbild könnte das Verhältnis zwischen DDR und BRD nach 1961 sein, als beide Staaten das Existenzrecht des anderen NICHT anerkannt haben, abe trotzdem den Frieden und den Status Quo bewahrt haben. Die nächste Generation konnte dann auf diesem kalten Frieden aufbauen und allen die Freiheit und Gleichberechtigung bringen. Nur so kann es in Israel/Palästina irgendwann zu Frieden kommen – eher in 40 Jahren als in 20 Jahren. Bei diesen Verhalndlungen wird Deutschland aber sicher keine Rolle spielen. Insofern sollten wir uns wohl lieber mit anderen Themen beschäftigen, z.B. dem allmählichen Zerfall der Demokratie in den USA, oder der neuen Schuldenkrise in Afrika.
Ihr Vergleich mit den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR hinkt, Herr Dr. Haspelmath. Schließlich stand der größte Teil der DDR-Bevölkerung in Opposition zum SED-Regime, und als es die Verhältnisse zuließen, schaffte es die DDR ab. Die Situation im Nahen Osten ist anders: Hier haben vor allem die Völker einen Hass gegen die Juden, während zumindest einige Regierungen eine Annäherung an Israel wollen. Weil der jordanische König Rücksicht auf die Straße nehmen musste, sagte er ein Treffen mit dem US-Präsidenten ab.
Ja, der Vergleich hinkt (wie alle Vergleiche), aber im entscheidenden Punkt stimmen Sie mir ja zu: Es kommt darauf an, was die Bevölkerungen denken. In Russland gibt es 73% Zustimmung zum Ukraine-Krieg, und solange das so ist, werden NATO und Ukraine nicht siegen können. Ebenso wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben, solange nicht die Araber (und die übrigen 1,5 Milliarden Muslime) den jüdischen Staat akzeptieren. Wann und ob das passiert, hängt aber sicher nicht vom „Kampf gegen Antisemitismus“ in Deutschland ab. Im Gegenteil: Je mehr wir die Israel-Kritik dämonisieren, desto schwächer wird unsere Demokratie, weil demokratische Freiheit ja gerade darin besteht, dass auch scharfe Kritik (an allem) erlaubt ist.
Es geht nicht darum, „Israel-Kritik zu dämonisieren“. Es geht vor allem darum, dass wir dem Zynismus widerstehen, Solidarität mit den Palästinensern zu verwechseln mit der stillschweigenden Akzeptanz der Vernichtung Israels. Genau aber das ist insuiniert, wenn auf dem Hintergrund des Massakers der Hamas sich nun in Deutschland in den Vordergrund schiebt das Leid des palästinenschen Volkes und damit das antisemitische Narrativ bedient wird: Gäbe es den Staat Israel nicht, gäbe es im Nahen Osten auch keine Probleme für die Palästinenser. Das aber ist eine Lebenslüge. Die Palästinenser im Gaza leiden weniger unter den Israelis als vielmehr unter der Terrorherrschaft der Hamas.
Jetzt verstehe ich schon wieder etwas nicht. Sie verbinden Solidarität mit Palästinensern mit der stillschweigenden Akzeptanz der Vernichtung Israels. Derzeit mögen sich Leute auf unseren Straßen tummeln, denen man das wahrscheinlich unterstellen kann. Spielt das aber in seriösen Diskussionen wie z. B. in Ihrem Blog eine Rolle? Ich fühle mich wieder unsauber angegriffen. Und wieso bedienen Leute wie ich „das antisemitische Narrativ“, die insbesondere in diesen Tagen dafür plädieren, auch das Leid des palästinensischen Volkes nicht zu vergessen? Man sollte mit Antisemitismus-Vorwürfen sorgfältig umgehen, wenn man ernst genommen werden will. Sie könnten allerdings Recht damit haben, dass die Palästinenser ohne Israel auch nicht in einer heilen Welt leben würden. Die arabischen Nachbarländer des entstehenden Staates Israel waren keineswegs an einem unabhängigen Palästinenserstaat interessiert (s. Artikel von Brumlik und Krell). Auch der Unwille dieser Länder, palästinensische Vertriebene zu integrieren, ist bemerkenswert. Ihre These, dass die Palästinenser weniger unter den Israelis als unter der Hamas leiden, ist ziemlich steil (z. Z. leiden sie natürlich unter den Auswirkungen des Hamas-Terrors gegen Israel). Warum hat die von Netanjahu unterstützte Hamas in Gaza Wahlen gewonnen? Was haben Sie den Ausführungen von Zuckermann und Bartov entgegenzusetzen? Und im Übrigen: Solidarität z. B. mit Israel kann man nicht verordnen, man muss um sie werben. Das funktioniert nicht mit Unterstellungen und Diffamierungen.
Oh je, es ist schwierig etwas zu äußern, ohne gründlich missverstanden zu werden. Also: Ich plädiere ja gerade dafür, die Solidarität mit den Palästinensern nicht in einem Zusammenhang zu sehen mit der Existenz des Staates Israel. Meine Grundthese ist: Der Staat Israel ist nicht die Hauptursache für die Situation der Palästinenser und für die komplexe Konfliktsituation im Nahen Osten, sondern der Vorwand für viele arabische Staaten, um die eigenen Probleme zu verdecken. Und jetzt kann man trefflich darüber debattieren, wie weit die Regierungen Israels dazu beitragen, dass dieser Vorwand immer neu gefüttert wird. Und nur zur Information: die letzten Wahlen im Gaza fanden 2006 statt.
Ein großartiger Beitrag, lieber Herr Wolff, für den ich Ihnen danke und den ich nur in einer Hinsicht ganz wenig ergänzen möchte: Daß nämlich der Rekurs auf unsere Geschichte zwar durchaus richtig und nachvollziehbar ist, daß aber auch ohne ihn kein einziges Ihrer Argumente und Sichtweisen anders ausfallen könnte.
Und ich freue mich natürlich, daß Sie schon im Jahre 2006 erkannt und öffentlich ausgedrückt haben, was ich hier ständig schreibe und Sie – so scheint es mir immer in unseren Diskussionen – nicht anerkennen wollen: Kriege „beschreiben nur auf grausame Weise das Scheitern von Politik“, haben Sie dort einleitend gesagt und genau das ist es: Kriege sind POLITISCHE Phänomene und es ist die Politik, die dieses Mittel einsetzt, dafür die Verantwortung trägt, und die Konsequenzen tragen muss. Daß sie, die Politik, dennoch in extremis zu diesem Mittel greifen muß, zeigt das augenblickliche Geschehen in Israel nach dem Terror des 7. Oktober.
Andreas Schwerdtfeger
Ein sehr guter Beitrag. Was mich nachdenklich stimmt: Die Hamas hat die Folgen ihres verbrecherischen Attentats einkalkuliert und hofft, dass durch unverhältnismäßige Gewaltanwendung Israels der Nahe Osten entflammt und der Annäherungsprozess zwischen einigen arabischen Staaten wie Saudi-Arabien zum Stillstand kommt. Dabei ist zu bemerken, dass die Palästinenserfrage bei diesen Verhandlungen keine Rolle spielt. Wie kann Israel es vermeiden, in diese Falle zu tappen?
Aber wie konnte es überhaupt zu diesem Überfall kommen? Die israelischen Geheimdienste haben einen legänderen Ruf. Doch wenn nur wenige Hamas-Führer in die Planung des Verbrechens einbezogen waren, diese nicht auf elektronischem Weg kommunizieren und es dort keine Geheimdienstquelle gibt, ist auch der beste Dienst machtlos. Die Frage muss also lauten: Wie konnte es geschehen, dass an über 80 Stellen eine große Zahl von Terroristen den für unüberwindbar gehaltenen Sicherheitszaun überwinden konnte?
Hier zwei prominente jüdische Stimmen zu Ihrer Frage:
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/historiker-moshe-zuckermann-baerbock-ist-schlicht-und-ergreifend-keine-israelin-li.2149572
https://www.fr.de/kultur/genozidforscher-zu-hamas-attacke-netanjahu-hat-den-wind-gesaet-92581137.html
Im Gegensatz zu Herrn Wolff sprechen sich beide jüdische Historiker für eine Zweistaatenlösung aus. Selbst US-Präsident Biden hat dies jetzt wieder getan.
https://ogy.de/quwv
Prof Rieck bringt auch wieder interessante Aspekte, z. B. den Vergleich zwischen den Grenzanlagen Israels mit denen der DDR.
https://www.youtube.com/watch?v=oQkByKNBzQc