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Österliche Gedanken in Zeiten der Pandemie

Wer soll/kann das eigentlich noch glauben? Nein, es geht nicht um den österlichen Glauben an die Auferstehung Jesu von den Toten. Die Frage ist längst eine säkulare geworden. Wer glaubt eigentlich noch das, was seit Monaten an Informationen, Prognosen, Fakenews im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auf uns niederprasselt? Längst blickt kaum noch jemand durch: Lockdown oder Lockerungen? Heute Geschäfte auf, morgen Museen wieder geschlossen. Kitas und Schulen geöffnet, Tests Mangelware. Welche Zahlen sind verlässlich? Wird das Schreckensszenario Wirklichkeit: 200.000 durch das Coronavirus Neuinfizierte pro Tag, überfüllte Intensivstationen? Befinden wir uns schon im exponentiellen Wachstum, oder steigt die Anzahl der Infizierten doch nur linear an? Schenken wir den Mahnungen der Expert*innen noch Glauben oder vertrauen wir denen, die jetzt die Rückkehr zur Normalität einklagen? Wie würde sich „das Volk“ entscheiden, wenn jetzt die Frage anstünde, die den Karfreitag prägt: Jesus oder Barrabas? Was soll sich durchsetzen: absolute Kontaktsperre für jedermann oder ein Leben mit dem Risiko, Gesundheitsschutz oder Freiheitsrechte? Aber was verursacht Schmerzen, was bringt Erleichterung: der Stillstand des Alltags oder die Geschäftigkeit des Weiterso? Oder macht jetzt jeder Seins: Der eine zieht sich verängstigt zurück und meidet jeden Kontakt; der andere macht Party? Der eine vergräbt sich in die Welt seiner Ein-Raum-Wohnung und trister Gedanken, der andere versucht, sich mit dem Virus zu arrangieren. Aber kaum einer blickt durch, kann mit Gewissheit den richtigen Weg weisen, kann Vertrauen erzeugen und Akzeptanz finden. Glauben, dieses Gefühl des Richtigen im Leben, ist vielen Menschen abhandengekommen, ohne dass sich die Fakten als ein wirklicher Ersatz für verloren gegangene Gewissheit erweisen.

Wer sich dennoch in diesen Tagen mit der Leidensgeschichte Jesu auseinandersetzt, dem sollten zwei Dinge auffallen: zum einen die unerbittliche Zwangsläufigkeit, in der sich das Drama abspielt. Nichts scheint den gewaltsamen Tod Jesu am Kreuz aufhalten zu können. Zum andern wird in den biblischen Erzählungen schonungslos die Schwäche, Niedertracht, Machtbesessenheit von uns Menschen vorgeführt, entlarvt. Da ist auf der einen Seite die Bereitschaft Jesu, den Weg ans Kreuz konsequent zu gehen und alle Fluchtmöglichkeiten auszuschlagen. Auf der anderen Seite wird rücksichtslos, hinterhältig, verlogen der Störenfried Jesus dem Volkszorn preisgegeben und schließlich aus dem Weg geräumt. Die Passionsgeschichte wartet mit einer doppelten Botschaft auf:

  • Jesus opfert seine Überzeugungen nicht der Opportunität, zieht dabei aber niemanden mit ins Verderben. Sein Tod wird nicht begleitet von Aufstand und Terror. Jesus stirbt einen einsamen Tod.
  • Wir Menschen neigen immer wieder dazu, das, was uns stört, erbarmungslos zu beseitigen – und verschließen die Augen davor, dass dies nicht möglich ist. Alle Vernichtungsphantasien und –absichten des Menschen werden am Ende offenbar. Schon Kain wurde nach dem Mord an seinem Bruder Abel von Gott zugerufen: „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde“ (Die Bibel: 1. Mose 4,10)

An sich müsste uns beides in eine tiefe Verzweiflung führen. Denn zum einen werden wir erkennen, dass ein so konsequent aufrichtiges, dem Nächsten zugewandtes Leben, wie Jesus es geführt hat, uns kaum möglich ist. Zum andern blicken wir, wenn wir die Hohenpriester, Pilatus, seine Soldateska, das Volk, Petrus und Judas betrachten, nur in den Spiegel – und erkennen die dunklen Seiten in uns. Bleibt uns da nur das traurige Ende eines Judas, der verzweifelt aus dem Leben schied? Die Frage wäre zu bejahen, wenn der Karfreitag, wenn die Kreuzigung Jesu keine Fortsetzung gefunden hätte – wobei Fortsetzung das falsche Wort ist. Denn Ostern, die Auferstehung Jesu von den Toten, entspricht nicht dem uns vertrauten Lebensrhythmus: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick“ (Goethe, Osterspaziergang) … und alles geht weiter wie bisher. Ostern ist ein Quantensprung, ein Wunder, mit dem alle Zwangsläufigkeiten des Lebens radikal infrage gestellt und die Naturgesetzlichkeiten für einen Moment aus den Angeln gehoben werden. Ostern ist der Ausbruch aus dem Teufelkreis des Unerbittlichen an Karfreitag. Ostern eröffnet uns die Möglichkeit, sich der Wirklichkeit zu stellen und doch das Unmögliche zu glauben: Gott lässt aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen (Bonhoeffer) und wandelt so Versagen und Schuld um in eine befreite Lebenspraxis. Von dieser Möglichkeit wird niemand ausgeschlossen – man kann es nur selbst.

Vielleicht liegt ja die bleiernde Verzagtheit, angstbesessene Panik, provozierende Leichtfertigkeit, politische Ratlosigkeit, die derzeit zu spüren ist, mit daran, dass wir unsere Wirklichkeit nicht mehr in Beziehung setzen können zu den Botschaften des Lebens, die der Glaube für uns bereithält – und zwar abseits dessen, was uns gerade umtreibt. Vielleicht ist uns damit eine Möglichkeit abhandengekommen, mit Krisen anders umzugehen, als uns nur zwischen den Extremen des Alles oder Nichts zu bewegen. Vor allem aber vermögen wir kaum noch aus unserem Alltag herauszutreten und uns dem zuzuwenden, was uns auch in der Krise getrost und zuversichtlich bleiben lässt: das Gottvertrauen. In der Passionsgeschichte wird erzählt, wie ein römischer Hauptmann, also der, der die Exekution Jesu durchgeführt hat, den Gekreuzigten anblickt und ausruft: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ (Die Bibel: Matthäus 27,54) Eine zu späte Erkenntnis? Mitnichten! Denn das Entscheidende ist: auf dem Höherpunkt der Krise den Blick für das Wesentliche gewinnen – und das Leben neu ausrichten im Geist Jesu Christi.

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