Die Infektionszahlen steigen, der Sieben-Tage-Inzidenzwert auch. Vor allem: Die Menschen, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben und klinisch behandelt werden müssen, teilweise auch auf den Intensivstationen, werden immer mehr. Es ist absehbar, dass die Krankenhäuser an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten. Das ist mehr als beunruhigend – vor allem deswegen, weil es sich in einer seit November 2020 andauernden sog. Lockdown-Situation ereignet. Auch wenn in der öffentlichen Debatte so getan wird, als stünde uns ein neuer Lockdown bevor, muss betont werden: Viele Menschen können seit über einem Jahr ihrem Beruf nicht mehr nachgehen, müssen ihre Geschäfte, Betriebe, Einrichtungen, Restaurants, Hotels geschlossen halten, sind längst an das Ende ihrer wirtschaftlichen Überlebensmöglichkeiten angelangt. Seit Monaten finden keine Publikumsveranstaltungen im kulturellen und Sportbereich statt. Trotzdem breitet sich das Corona-Virus weiter aus, derzeit mit dramatisch steigender Tendenz. Offensichtlich greifen die Lockdown-Maßnahmen nicht. Ist also der absolute Stillstand des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, familiären Lebens der einzige Ausweg? Dafür plädieren diejenigen, die die sog. No-Covid-Strategie propagieren. In einer freien Gesellschaft ist das aber kaum möglich. Denn dieser Stillstand würde bedeuten: Einschränkung aller Lebensaktivitäten und absolute Kontrolle des privaten Lebens.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist wohl nur möglich, wenn wir uns von zwei Begriffen verabschieden: „Lockdown“ und „Lockerungen“. Beide Begriffe stehen für eine Sackgassenpolitik. Weder schützt uns ein Lockdown nachhaltig vor den tödlichen Gefahren der Corona-Pandemie, noch können uns Lockerungen eine Rückkehr zur viel beschworenen Normalität versprechen. Denn diese Normalität wird es so nicht mehr geben. So wie wir gesellschaftliche Regeln finden und immer neu justieren müssen z.B. im Umgang mit Kriminalität oder Terrorismus, ohne dabei die Grundsätze der freiheitlichen Demokratie aufzugeben, so müssen wir in Zeiten der Pandemie das gesellschaftliche Leben neu ausrichten und dabei die demokratischen Grundrechte wahren. Dabei geht es neben der Güterabwägung immer auch um ein Leben mit den Bedrohungen und eine Debatte um die besten Strategien und Lösungen. Im Zentrum muss aber stehen: ein menschenwürdiges Leben all derer, die nicht vom Virus getroffen sind, zu ermöglichen (Prävention) und eine bestmögliche Behandlung derer zu gewährleisten, die am Coronavirus erkrankt sind (Intervention).
Nun ist seit Monaten bekannt (beachte das Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung vom 11.04.2021): Das Corona-Virus breitet sich dort aus, wo sich viele Menschen in geschlossenen Räumen über eine längere Zeit aufhalten. Das ist in Kitas und Schulen, in Büros und Betrieben, in Bussen, Straßenbahnen und Zügen und im privaten Bereich der Fall – besonders dort, wo große Familien in kleinen Wohnungen leben. Wer also das Infektionsgeschehen beeinflussen will, muss in diesen Bereichen Vorsorge treffen und für nachhaltige Veränderungen sorgen – durch weniger Kinder bzw. Schüler*innen in größeren Räumen, Installation von Raumluftreinigern in Klassenzimmern, Büros und Heimen, Belegungsbegrenzung in Wagons des ÖPNV. Die Realität sieht leider anders aus: Bis heute gibt es mW keinen Bus, keine Straßenbahn, keinen Wagon der Deutschen Bahn mit klarer Beschränkung und Sitz-Bezeichnung zulässiger Belegung. Das führt seit Monaten zu überfüllten S- und Straßenbahnen und Bussen während des Berufsverkehrs (und leeren Bahnen und Zügen außerhalb der Stoßzeiten), ohne dass diesem Missstand in irgendeiner der vielen Corona-Maßnahmenverordnungen Rechnung getragen wird. Ebenso mangelt es an Raumluftreinigungsgeräten in Schulen, Alten- und Pflegeheimen und Geschäftsräumen. Bleibt der private Raum. Hier wirken sich die sozialen Gegensätze fatal aus. Wer über eine ausreichend große Wohnung mit Balkon oder ein Eigenheim verfügt, ist natürlich im Vorteil gegenüber den sehr viel mehr Menschen, die in kleinen Wohnungen leben. Wenn aber diesen Menschen alle Außerhaus-Freizeitangebote durch den Lockdown verwehrt werden, konzentriert sich der jeweilige Lebensraum auf wenige Quadratmeter im Inneren. Dabei hat die Gesellschaft für Aerosolforschung (GAEF) darauf verwiesen, dass das Corona-Infektionsgeschehen open air gegen Null geht – bei Beachtung von Abstand und Vermeidung von großen Menschenansammlungen.* Also: Spielplätze zu schließen, Freibäder nicht zu öffnen, Menschen zu empfehlen, die Wohnung nicht zu verlassen, sportliche Betätigung insbesondere für Kinder und Jugendliche in Schulen und Vereinen zu verbieten, verstärkt das Infektionsgeschehen im Inneren. Denn solche Maßnahmen zerstören Akzeptanz und drängen Menschen in den viel zu kleinen privaten Bereich.
Unabhängig von Inzidenzzahlen ist hier eine Änderung der Maßnahmen angesagt. Gerade weil jetzt die wärmere Jahreszeit beginnt, muss es zu einer neuen open-air-Strategie kommen. Es wurde schon viel Zeit verschenkt. Natürlich wird eine Umsteuerung umso erfolgreicher sein, je stringenter die Teststrategie greift und je mehr Menschen sich impfen lassen. Aber auch danach werden wir weiter mit der Realität dieser und weiterer Pandemien leben. So bleibt uns abseits von „Lockdown“ und „Lockerung“ nicht erspart, diese Pandemie als das große STOP-Schild zu verstehen. Es muss uns dazu veranlassen, unser ganzes gesellschaftliches Leben auf den Prüfstand zu stellen. Das aber kann kein Infektionsschutzgesetz verordnen. Das müssen wir schon selbst in Gang setzen.
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* Ironie am Rande: Die Sächsische Posauenmission weist daraufhin, dass bei einer Inzidenzzahl von über 100 höchstens fünf Bläser*innen draußen spielen dürfen. Vielleicht wäre eine Orientierung an den Erkenntnissen der GAEF auch für die Bläserarbeit hilfreich.
13 Antworten
Zitat Herr Schwerdtfeger: „Ich bin nur der Meinung, daß man in Pandemiefragen ohne Wahlkampf argumentieren sollte, weil dies eine auch so schon kontroverse Frage noch stärker – und an sachfremden Argumenten orientiert – polarisiert.“
Aber verehrter Herr Mitdiskutant – genau das passiert doch seit Monaten, Wochen – es ist schlechterdings die CDUCSU-Realität, die hier gerade explodiert und kein vernünftiger Mensch in diesem Pandemie-gebeutelten Land versteht es auch nur ansatzweise, was sich da derzeit in unverantwortlicher Art und Weise abspielt zwischen den „Schwestern“. Sach- und Realitätspolitik – DAS ist gefragt, nichts anderes! Wann endlich wacht man da in den Alfa-Tier-Zirkeln auf und wann endlich beginnt Frau Dr. Merkel (eine Analytikerin?) ihr politisches Erbe so zu organisieren, auf dass diese Demokratie nicht an den Baum fährt. Anstand und Verantwortung gerade jetzt – wann nur wacht hier jemand ganz schnell auf? Es ist wahrlich hohe Zeit!
Lieber Herr Käfer,
ich beglückwünsche Sie zu Ihren beiden Beiträgen in dieser Frage, der eine mit sachlichem, der andere mit ebenso legitimem emotionalen Ansatz. Um so trauriger, daß Sie dann im letzten Absatz der Versuchung nicht widerstehen konnten, Ihren Kommentar noch mit einem Wahlkampfzusatz zu versehen – wie es Flade (er kann nicht anders) natürlich auch tut. Die Pandemiefrage sollte eine gemeinsame Anstrengung sein und bleiben. Darüber hinaus aber ist vielleicht der Hinweis angebracht, daß in Deutschland das Recht nur individuelle Schuld kennt (mit guten Grund, Stichwort „Sippenhaftung“) und es deshalb falsch wäre, eine Partei für das Fehlverhalten einzelner, auch exponierter Mitglieder verantwortlich zu machen. Niemand kommt auf die Idee, die gesamte SPD als „verfassungsfeindlich“ zu bezeichnen, weil ihr Vorsitzender als NRW-Finanzminister zwei verfassungswirdrige Haushalte, oder der Regierungschef von Berlin ein verfassungswidriges Gesetz zum Mietrecht zustande gebracht haben. Niemand auch wird alle evangelischen Pfarrer verurteilen, weil einer von ihnen eine ungeheure Beleidigung im demokratischen Diskurs aus mangelndem Rückgrat offensichtlich nicht mit einem kurzen Satz aus der Welt schafft (auch dies scheint unser wackerer Dresdner nicht objektiv bewerten zu können).
Verstehen Sie dies nicht falsch: Ich respektiere Ihre politische Ansicht, wie sie in Ihrem letzten Absatz zum Ausdruck kommt, auch wenn ich sie nur begrenzt teile. Ich bin nur der Meinung, daß man in Pandemiefragen ohne Wahlkampf argumentieren sollte, weil dies eine auch so schon kontroverse Frage noch stärker – und an sachfremden Argumenten orientiert – polarisiert.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
….“(ganz abgesehen davon, daß (Un-)Fähigkeit zur Richtigstellung von eigenen Fehlern auch eine Charakterfrage ist).“ – Könnte es sein, dass mit dieser Sequenz aus seinem Kommentar zum Corona-Beitrag von Chr. Wolff unser notorisch beleidigter „Mitdiskutant AS“ fast aus Versehen genau den Finger in die große Wunde dieser unserer Pandemie-Epoche der Bundesrepublik DEU legte, die als Covid-19-Epidemie seit Frühjahr 2020 (!) alles, was bisher unumstößlich schien, grundsätzlich in Frage stellt?
Eine solche Virus-Katastrophe gab es so bisher noch nicht in einem zivilisierten Wohlstands-Staat, dessen Strukturen, hier vor allem im sozialen, medizinischen und Pflegebereich, man als unantastbar und stabil erachtete.
Und wird man mit einem derart gnadenlosen Unbekannten von dann auf jetzt konfrontiert, passieren zwangsläufig Fehler mangels empirischer Studien – dass sollte man bei aller Kritik bitte zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen (wer nicht arbeitet, macht keine Fehler!).
Nach meiner Wahrnehmung wurde bis spätestens Sommer 2020 seitens der Politik leider nicht inne gehalten und grundlegend das Virus-Problem angepackt: Nämlich Installation einer professionell zusammengesetzten Arbeitsgruppe, bestehend aus Virologen, Epidemiologen, Psycho-Therapeuten, Theologen, Soziologen, Intensivmediziner, Pädagogen, die als autorisiertes, kompetentes Experten-Team dann mit einer komplexen, einheitlich gefassten Empfehlung der Politik Sachverhalte und den sich daraus ergebenden Sachzwänge und Handlungsempfehlungen aufzeigt, wie unmissverständlich zu handeln sei!
Eine solches Team gibt es bis dato nicht.
Das fehlt also bis dato, und die verwirrende Vielzahl der teilweise selbstverliebt und medienwirksam hinausposaunten, alleinvertretenden Maßnahmen zur (angeblichen) Bekämpfung der aktuell schockierend de facto zunehmenden Pandemie verunsichert die Bevölkerung, stößt auf Ablehnung und provoziert solcherart Unsäglichkeiten wie „Querdenker-Aufmärsche“, AfD-Parolen, getarnt als Parteiprogramm (siehe Dresden) und elendige Hilfslosigkeiten.
Vor allem verstärkend die Frage: Wer trägt für alles, was getan bzw. nicht getan oder eben falsch getan wird letztlich die Verantwortung?
Einzelne exzellente, fachwissenschaftlich autorisierte Virologen, Mediziner und Institutschefs (z.B. Drosten, Lauterbach, Wieler etc.pp.) drängen und drängen und mahnen und liefern sich damit u.a. auch verbalen Katastrophen in den sogenannten „Sozial-Medien“ aus und müssen gar personenengeschützt werden!!. Und die immer wieder hin und her föderal argumentierte Solitärentscheidungen wahkampfgetriebener MPs und Parteijünger konterkarieren genau diese Experten-Sachzwangsempfehlungen, welche als wissende und erfahrene Mahner und Forderer überdeutlich Klartext reden, deutlicher geht es doch gar nicht mehr. Und – durch Unbedarftheit und Ignoranz der Realitäten – steigen die Inzidenzzahlen horrend, die Covid-Sterberaten erschreckend, das tägliche, wöchentliche Auf und Ab von Auf und wieder Zu im öffentlichen Leben steigen und steigen mit allen teils unerträglichen Auswirkungen auf das verunsicherte, hilflose Individuum. Und ganz schlimm wird es aktuell, liefert sich eine erbärmlich agierende, unübersehbar ohnmächtige und realitätsentsagende CDUCSU in arroganter Weise einen hilflosen Machtkampf mit zwei immer deutlicher werdend untragbaren Kanzlerkandidaten und demonstrieren somit die Unfähigkeit und Hilfslosigkeit, die wahren Probelme unserer Zeit in unserem Land lösen zu können, zu wollen. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen werden gravierend sein!
Die seit Frühjahr 2020 (!) unglaublich engagierten und rund um die Uhr tätig sein müssenden Intensivmediziner, die Ärzte, Schwestern, Pfleger, alles Personal in den Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeinrichtungen stöhnen, geraten an ihre Grenzen – und die Politik pflegt Eitelkeiten, tummelt sich im humorlosen Politzirkel und verschwendet gerade derzeit alle dringenst gebotene Energie für das, wofür sie per se im Amt sein sollten – diesen Staat, dieses Gemeinwohl stabil und am Leben zu halten, der Souverän hat sie dafür auserwählt und verpflichtet.
Und über allem steht nach einem Jahr die Kardinalfrage: Wann wird wer geimpft, mit welchen Serum, mit welchen Aus- und ggf. Nebenwirkungen und was kommt eigentlich DANACH ???
Herr Lerchner formuliert es unmissverständlich: „Die Wahl der Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Verbreitung des Virus hat sich danach zu richten.“ Damit ist alles gesagt und ich schließe mich nur ausnahmsweise den Koch-Zitaten, die Herr Lerchner in seinem Kommentar bemüht, an, klar mit der Bemerkung, dass auch ich Herrn Koch nicht zu den Granden der Nation zähle.
Schlussendlich noch einmal zurück zum eingangs erwähnten Schwerdtfeger-Zitat: Herr Schwerdtfeger – denken SIE doch noch einmal genauer nach, was Sie da eigentlich schreiben!
Mit Grüßen an Chr. Wolff und die Souverän-Kommentatoren – alles Gute, Jo.Flade
Es tut mir leid, Herr Wolff, daß Sie sich auf die Kritik der Voreingenommenheit und des „Nicht-sehen-wollens“ zurückziehen, wenn Sie offensichtlich nicht bereit sind, in der Sache zu diskutieren. Aber ich freue mich, daß Sie Ihren Humor nicht verloren haben: Wer in der Diskussion anderen unterstellt, sie gingen auch über Leichen, der hat gut reden in Sachen „verlassen des Diskurses“.
Herr Lerchner führt uns mit seinen Koch-Zitaten vor Augen, wie man am Thema vorbeireden kann: EINE Aussage darin ist richtig, nämlich „Es liegt daran, dass die Bedingung für das Ende zu sein scheint, dass der Virus besiegt wird.“ Alles andere? Naja, Herr Koch (und Herr Lerchner) ziehen sich auf den Standpunkt zurück, den wir Deutsche so gerne auf alle Probleme anwenden: Keine Lösung, sondern Verschleppung. Wenn das Virus grassiert, richten wir einfach mehr Intensivbetten ein; wenn viel Virus ist, vergrößern wir einfach die Nachverfolgungskapazitäten; wir leben einfach „normal“ weiter, auch wenn das Virus mutiert (fragen Sie mal die Angehörigen von Intensivpatienten, was sie davon halten). Und dann schwafelt man mit ein paar seriös klingenden Vokabeln herum: „allumfassende Zwangsbewirtschaftung“, „selbstbestimmtes Leben“, wo wir in Wirklichkeit die Wahl haben zwischen einem regierungsbestimmten Leben mit Chancen auf Ende des Grauens oder auf ein virus-bestimmtes Leben mit langanhaltenden und gravierenden Folgen für – konkret – das Leben und die Gesundheit von Mitmenschen. Herr Kochs Anmerkungen zeigen nur eines: Er hat eine Rechnung mit Merkel offen.
Unsere Politiker haben Fehler gemacht – unbestritten. Aber Sie haben auf dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse in ungewisser Situation and angesichts nicht ihrer Kontrolle unterliegender Rahmenbedingungen (zB Mutationen oder Impflogistik) entscheiden müssen. Und sie haben zu berücksichtigen, daß die Deutschen in ihrer Unvernunft alles vor Gericht anfechten, was nicht nur vernünftig ist, sondern auch in allen Demokratien um uns herum von den Menschen akzeptiert wird um der gemeinsamen Sache willen. Und sie müssen sich mit Besserwissern rumschlagen, die bereits von Anfang an von „allzu sorglosem Umgang mit den Rechten“ schwafelten, anstatt die Gefahr richtig einzuschätzen und die Gesellschaft als ganze vor das Individuum (d.h. sich selbst) zu stellen. Und schließlich kämpfen sie mit den Leuten, die immer post faktum wissen, was man hätte tun müssen, und sich dann mit diesem enormen Wissen rückwirkend als Belehrer erweisen.
Alles, was uns Herr Lerchner schreibt, sollte er mal intensiv mit dem Virus diskutieren. Denn gerade, wenn er mit einem langen Andauern des Pandemieproblems rechnet (und das kann ja gut sein), dann muß er wohl mit künftigen Einschränkungen zum Schutze der Gesellschaft einverstanden sein. Man kann nicht glaubhaft in Ökologiefragen ein vollständiges Umdenken der Gesellschaft fordern und dieses gleichzeitig in Pandemiefragen ablehnen. Und man darf nicht aus ideologischen Gründen Mittel und Ziel verwechseln: Polizeikontrollen zur Einhaltung der gesetzlich beschlossenen Einschränkungen haben nichts zu tun mit „Kontrolle“ im „DDR“-Staatssicherheitssinne.
Andreas Schwerdtfeger
Ich möchte meine Überlegungen von gestern erklärend ergänzen:
Es geht mir aktuell nur deshalb sehr gut, weil ich, nach einem Schlaganfall Ende Dezember, innerhalb kürzester Zeit in der Notfall-Ambulanz und danach auf der Intensivstation der UKL, von erstklassigen Fachleuten betreut wurde. Es hat seither für mich grundlegende Bedeutung, dass immer eine ausreichende Anzahl freier Intensiv-Betten und motivierte Pflegekräfte verfügbar sind!
Daher plädiere ich , angesichts der aktuellen Zahlen und deren Entwicklung, unerbittlich für einen sofortigen harten Lockdown – dieser kann dann zwar vermutlich eine kommende Notsituation auf den Intensivstationen allenfalls zeitlich begrenzen (wegen der Verzögerung zwischen Inzidenzen und Bettenbelegung), ohne einen solchen wird die Überforderung des Gesundheitssektors aber wohl unkalkulierbare Ausmaße annehmen.
Zur Verbesserung der Akzeptanz von Grundrechtseingriffen sind Transparenz und Entwicklungsperspektiven unabdingbar. Deshalb setze ich vehement auf den Einsatz digitaler Lösungsansätze. Hier haben wir uns in Deutschland bislang blamiert. Wir waren einmal stolz auf unsere Innovationskraft und unser Organisationstalent…. Zeit, aufzuwachen!
Schließlich bin ich beschämt, dass die jetzt eigentlich so dringend notwendigen Beschlüsse durch Kasperltheater um persönliche Machtansprüche überlagert werden! Hoffentlich reicht das Gedächtnis der Mehrheit der Wähler in Deutschland, sich daran und an die (vielen) „Einzelfälle“ der persönlichen Bereicherung durch die Pandemie in fünf Monaten zu erinnern.
Lieber Michael, auch ich habe die Segnungen der Medizin und einer erstklassigen medizinischen Versorgung während der Pandemie genossen, lag mehrere Tage auf der Intensivstation einer Klinik, die auch Covid-19-Patienten zu versorgen hatte. Insofern stimme ich Dir zu: Es muss jetzt konsequenter gehandelt werden. Dennoch kann ich nicht erkennen, dass ein wie auch immer gearteter Lockdown das Allheilmittel darstellen soll. Für mich ist entscheidend, dass vor allem die von mir genannten Bereiche, in denen sich das Infektionsgeschehen abspielt, so gestaltet werden, dass Neuinfektionen möglichst ausgeschlossen werden. Beste Grüße Christian
Ich stimme mit Herrn Wolff in allen wesentlichen Punkten überein. Der Grundtenor in seinen Ausführungen scheint mir klar. Nach einem Jahr Pandemie kann die Politik nicht mehr so reagieren wie zu deren Beginn. „Lockdown“ oder „Lockerung“ kann nicht mehr die grundlegende Frage sein. Meine Zustimmung hat ins besondere die Bemerkung, dass es Priorität haben muss, „… ein menschenwürdiges Leben all derer, die nicht vom Virus betroffen sind, zu ermöglichen … und eine bestmögliche Behandlung derer zu gewährleisten, die am Coronavirus erkrankt sind …“. Die Wahl der Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Verbreitung des Virus hat sich danach zu richten. Insofern widerspreche ich dezidiert Herrn Schwerdtfeger. Die Frage nach der „Entwicklung möglicher Maßnahmen“ ist damit auch eine politische (Widerspruch zu M. Käfer).
Sehr interessant finde ich einen Beitrag von Roland Koch (Vorsitzender der Ludwig-Ehrhard-Stiftung, ehemaliger Ministerpräsident in Hessen) in der FAZ vom 10.04.2021 („Lockdown für immer?“), in dem er genau auf diese Frage eingeht. Wie sich mancher hier denken kann, habe ich politisch mit diesem Mann wenig am Hut, vieles, was er schreibt, ist mir aber einleuchtend. Hier ein paar Zitate:
„… individuelle Freiheit, das Recht auf wirtschaftliche Betätigung, das Recht auf Bildung … (haben) in unsrer Verfassungsordnung einen Rang … , der es verbietet, sie dauerhaft einem Krisenregime des Stillstandes und der allumfassenden Zwangsbewirtschaftung zu unterwerfen.“
„Der Lockdown in Serie ist eben irgendwann verfassungswidrig, selbst wenn man ihn per Gesetzt be-schließt.“
„Warum trauen wir der Hoffnung, dass es wirklich der letzte Lockdown ist, so wenig? Es liegt daran, dass die Bedingung für das Ende zu sein scheint, dass der Virus besiegt wird.“
„Wir müssen … wieder weitgehend normal leben, (auch) wenn das Virus mutiert.“
„Die Apologeten einer … „No-Covid-Strategie“ haben misstrauisch gemacht.“
„Nach einem Jahr ist es die Pflicht des Staates, diese Bürokratie so aufzustellen, dass sie auch eine Inzi-denz von 200 routiniert nachverfolgen kann.“
„Und wenn die Intensivstationen nicht ausreichen, müssen wir nach zwölf Monaten weitere eingerichtet haben.“
„Ich erwarte von meiner Regierung, dass sie mir glaubhaft nachweist, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, mir ein selbstbestimmtes Leben … zu erlauben, auch wenn wir mit diesem oder einem anderen Virus noch lange leben müssen.“
Die „klugen“ Worte des Herrn Koch sind weder interessant noch einleuchtend, sondern mehr als flüssig, weil keinem dienlich. Am Ende seiner Amtszeit war man nicht ohne Grund froh, dass man ihn los war (Merkel ebenso). Seine Art Fehler der Anderen, und seine Erwartungen propagandistisch für sich zu nutzen, als könnte nur er das besser, sprechen für sich. Derartige Trittbrettfahrer die aus der Versenkung kommen, auf aktuell fahrende Züge aufspringen um auf sich wieder aufmerksam zu machen gibt es leider immer mehr, was die öffentliche Verwirrung komplett macht.
Kein Wunder das die konservative FAZ unter mangelnden Verkaufszahlen leidet.
Es ist ja ziemlich verschwurbelt, was Sie uns da schreiben, lieber Herr Wolff, und erinnert ein bißchen an genau die Hilflosigkeit, die Sie an anderen – der Politik – so gerne kritisieren.
„Trotzdem breitet sich das Corona-Virus weiter aus, derzeit mit dramatisch steigender Tendenz. Offensichtlich greifen die Lockdown-Maßnahmen nicht“ – schreiben Sie und widersprechen damit der Realität: Jedes mal, wenn wir runtergefahren haben, gingen die Zahlen, natürlich mit entsprechender Zeitverzögerung, erkennbar runter.
„Denn dieser Stillstand würde bedeuten: Einschränkung aller Lebensaktivitäten und absolute Kontrolle des privaten Lebens“ – schreiben Sie und wissen natürlich, daß dies Unsinn ist, denn die Kontrolle des privaten Lebens ist weder absolut noch dient sie eben der „Kontrolle“ im allgemeinen sondern dem Schutz der Gesellschaft. Hier verwechseln Sie Mittel mit Ziel.
„Im Zentrum muss aber stehen: ein menschenwürdiges Leben all derer, die nicht vom Virus getroffen sind, zu ermöglichen (Prävention) und eine bestmögliche Behandlung derer zu gewährleisten, die am Coronavirus erkrankt sind (Intervention)“ – schreiben Sie und wieder liegen Sie daneben, denn das Hauptziel muß sein, die Verbreitung des Virus zu begrenzen und dann zu beenden.
Und dann betonen Sie die Ergebnisse aus der Aerosol-Studie – „solche Maßnahmen (Sperrung öffentlicher Räume) zerstören Akzeptanz und drängen Menschen in den viel zu kleinen privaten Bereich“ -, die nun aber wieder weder neu noch alleine eine Lösung sind. Denn fest steht ja, daß das Virus sich bei Öffnungen vehement ausbreitet und bei Eingrenzungen eingeschränkt wird. Richtig ist also, daß Ansteckung im Freien weniger wahrscheinlich ist; aber richtig ist auch, daß wir alle eben viel zu oft und zu lange zuhause sein MÜSSEN – home-working und -schooling, normales Leben (Mahl- und Ruhezeiten), Wetterbedingungen, etc, – als daß der freie Raum eine Lösung wäre.
Es ist eben so, daß Gefühle noch keinen Experten machen, wie ja auch Ihre und Herrn Käfers Beleidigungsthesen zeigen: Wer den anderen Diskutanten mit „geht über Leichen“ bezeichnet (Wolff, 5. Januar), wer dies erst mit „der Adressat rechtfertigt die Beleidigung“ entschuldigt und dann, nachdem das natürlich nicht klappen kann, mit der neuen Entschuldigung punkten will es geht ja nur „um EINEN Mitdiskutanten“ – wer also solche Expertise aus dem Bauch zeigt, der ist in Wirklichkeit nicht problemorientiert (ganz abgesehen davon, daß (Un-)Fähigkeit zur Richtigstellung von eigenen Fehlern auch eine Charakterfrage ist).
In Sachen Pandemie sollte man vielleicht besser den wahren Experten glauben: Lauterbach (Parteigenosse), Montgomery, den damit befassten Politikern, die umfassend beraten sind (allerdings im Wahljahr leider auch schleudern). Und man muß wohl erkennen, daß die EU und auch Deutschland EIN Problem haben, daß die Masse der sogenannten Beispiele anderer Länder nicht haben: Zentrale Lage (Deutschland) und den Föderalismus, der das Virus zum „Wellen-Verhalten“ geradezu einlädt – immer wenn einer gerade zumacht, macht der Nachbar auf und was mehr will wohl das Virus. Insofern ist es richtig, daß nun der Versuch gemacht wird, die Lösung zu zentralisieren, und besser wäre es, dies sogar europäisch zu machen.
Ein weiteres Problem haben wir natürlich auch: Andere demokratische Länder wie Niederlande, Großbritannnien, Frankreich, etc, haben kein rechtliches und auch kein freiheitliches Problem mit (zB) Ausgangsbeschränkungen, denn dort werden Notwendigkeiten erkannt. Nur wir diskutieren sachfremd und puristisch anstatt das Problem zu bekämpfen.
Ihre Lösung – „diese Pandemie als das große STOP-Schild zu verstehen. Es muss uns dazu veranlassen, unser ganzes gesellschaftliches Leben auf den Prüfstand zu stellen. Das aber kann kein Infektionsschutzgesetz verordnen. Das müssen wir schon selbst in Gang setzen“ – ist ein schönes Postulat. Allerdings erforderte es, daß wir genau das tun: Das gesellschaftliche Leben auf den Prüfstand zu stellen: Und was bedeutet diese von Ihnen wie immer nicht mit Inhalt gefüllte Floskel? Doch wohl, daß wir das Stop-Schild dann auch auch anerkennen, anwenden und gesetzlich regeln und nicht, wie Sie, es individuell immer besser wissen als alle Experten. Und die Feststellung, kein Gesetz könne das? Da hat Sie dann der Realitätssinn wohl gänzlich verlassen in unserer deutschen Welt, denn wer sind wohl „wir“ und wer ist der Maßstab für Ihren „Prüfstand“, wenn nicht sich beides im repräsentativ gewählten Parlament vereinigt?
Herr Käfer: Meine Hochachtung für Ihren Beitrag! Herr Wolff, der – wie hier auch – wesentlich zum „schief laufen“ beigetragen hat, wie immer uneinsichtig!
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
So schreibt eben jemand, der a) nur noch mit Voreingenommenheit die Texte anderer zur Kenntnis nimmt, und der b) das Problem der mangelnden Akzeptanz von Verordnungen sowie des Dauer-Lockdowns, in dem sich zu viele Menschen und Betriebe seit über einem Jahr befinden, gar nicht sieht oder sehen will. Schade, denn so wird die Ebene des Diskurses verlassen. Christian Wolff
Zu „Lockdown und Lockerungen“ möchte ich die folgenden, grundsätzlichen Überlegungen anstellen:
1) Wir haben es mit einer veritablen Pandemie zu tun (es wird nicht die letzte sein!); starke Kontaktbeschränkungen und Impfen sind die beiden wichtigsten Instrumente zu ihrer Bekämpfung.
2) Dies hat gravierende Grundrechtseingriffe zur Folge, die zeitlich und in ihrer Reichweite weitest möglich eingeschränkt werden müssen.
3) Beim Überschreiten definierter Schwellwerte müssen bundes- (besser europa-) weite Regelungen ergriffen und durchgesetzt werden.
4) Die Festlegung der Schwellwerte und Entwicklung möglicher Maßnahmen inkl. deren Auswirkung auf das Infektionsgeschehen, muss außerhalb der politischen Diskussion erfolgen.
5) Beschluss und Durchsetzung geeigneter Maßnahmen erfolgt dann im Rahmen bestehender demokratischer Institutionen.
Nach meinem Eindruck ist die gegenwärtige Lage chaotisch, weil:
1) Die objektiven Zahlen der dritten Welle ein exponentielles Wachstum anzeigen, das unsere Intensivstationen in wenigen Tagen an ihre Leistungsgrenzen führen wird, oder gar darüber hinaus.
2) Die Bevölkerung sich immer mehr einem gefährlichen Zustand der „Gleichgültigkeit“, vereinzelt sogar der „Fundamentalopposition“ nähert.
3) Die politischen Entscheidungsträger aus unterschiedlichen Gründen aktuell sehr schwach agieren, bzw. überfordert erscheinen.
4) Politik, „Experten“, Medien und Pharmafirmen zunehmend für Verunsicherung und Unruhe bei der Impfstrategie sorgen.
Ohne den Anspruch auf allzu umfassende eigene „Expertise“ zu erheben, wären mir zwei Dinge absolut wichtig:
Wir brauchen jetzt ganz, ganz schnell einen wirklich harten Lockdown mit nur dringend notwendigen, minimalen Ausnahmen (dieser Lockdown sollte zeitlich so eng wie möglich begrenzt sein).
Wir müssen Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung im 21. Jahrhundert im Industrie- und Innovationsland Deutschland endlich nutzen und unsere Bedenken/Ängste hinsichtlich „Big Brother“ zumindest für die Zeit der Pandemie-Bekämpfung etwas relativieren.
Die politische Herausforderung besteht darin, wie eine größtmögliche Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen in der Bevölkerung erzeugt werden kann. Da ist seit November 2020 sehr viel schief gelaufen.
Schon bezeichnend: Da werden die in einer Marathonsitzung der Ministerpräsidentenkonferenz gefassten undurchdachten Beschlüsse über eine „Osterruhe“ zurückgenommen und die nächste bereits terminierte MPK wird einfach abgesagt. Jetzt sollen Bundestag und -rat eilig das Infektionsschutzgesetz ändern. Das sieht mir sehr nach Aktionismus aus.