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Nie wieder Faschismus? Es brau(n)t sich was zusammen!

Am 08. Mai 1985 hat der damaligen Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer historischen Rede vor dem Deutschen Bundestag ausgerufen: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Damit hatte von Weizsäcker deutlich gemacht: Mit dem 8. Mai 1945 konnte in Deutschland eine Freiheitsgeschichte beginnen, die Westdeutschland 1949 mit dem Grundgesetz eine demokratische Entwicklung ermöglichte und die in der Friedlichen Revolution 1989 ihre Fortsetzung fand. Doch seltsam: Heute, am 08. Mai 2023 ist in den Nachrichtensendungen des Deutschlandfunks nur noch vom „Ende des 2. Weltkrieges“ die Rede. Mit keinem Wort wird die Befreiung vom Faschismus thematisiert – und das in Tagen, in denen der alltägliche Faschismus vor allem in Ostdeutschland unverhohlen seine Fratze zeigt und der Demokratieverachtung Vorschub leistet:

  • Am vergangenen Mittwoch, 03. Mai 2023, wurde auf das Wahlkreisbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle/Saale ein Brandanschlag verübt. Durch die Aufmerksamkeit und das schnelle Eingreifen von Passanten konnten der Brand schnell gelöscht und der Täter kurz nach dem verübten Anschlag gefasst werden. Merkwürdig nur: Für Karamba Diaby ist der Täter kein Unbekannter. Er ist schon öfters durch seine rassistischen Äußerungen aufgefallen. Doch die Polizei sagt, dass „der mutmaßliche Täter … den Beamten bereits bekannt (sei).“ Er sei zuletzt „wiederholt aufgefallen“. Derzeit werde geprüft, ob der Mann in eine Psychiatrie eingewiesen werden solle. Und die Staatsanwaltschaft hat sich bis jetzt im Blick auf das Motiv des Täters noch nicht festgelegt. Seit einigen Tagen hört man über den Anschlag nichts mehr.
  • In der Nacht vom 06. auf den 07. Mai 2023 wurde in der Ferienanlage „Nora Runneck“ in Heidesee (Brandenburg) am Frauensee gelegen eine 10. Klasse aus Berlin rassistisch beleidigt und bedroht – von einer Gruppe, die teilweise auch in der Ferienanlage untergebracht war. Sie wollte dort mit ortsansässigen Gästen einen 18. Geburtstag zu feiern. Viele der bedrohten Schüler:innen haben Migrationshintergrund, etliche Schülerinnen trugen ein Kopftuch. Die Schulklasse aus Berlin wollte sich auf eine Mathematikprüfung vorbereiten. Die verantwortlichen Lehrer baten die Eltern der Schüler:innen, diese noch in der Nacht abzuholen. Sie selbst fuhren am frühen Sontagmorgen mit den verbliebenen Schüler:innen nach Berlin zurück.
  • In einem Offenen Brief haben Lehrer:innen einer Schule in Spree-Neiße auf den wachsenden Rechtsextremismus im Schulalltag hingewiesen: „Wir werden in unserem Arbeitsalltag als Schulpersonal täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert. … Schulmobiliar wird mit Hakenkreuzen beschmiert, rechtsextreme Musik wird im Unterricht gehört und das Rufen von demokratiefeindlichen Parolen füllt die Schulflure.“ Täglich würden die wenigen migrantischen Schüler bedroht und gemobbt. Lehrkräfte seien „damit beschäftigt, Schüler vor psychischer und physischer rechter Gewalt zu schützen und demokratische Grundwerte zu vermitteln“ heißt es in dem Brief. Lehrkräfte und Schüler, die offen gegen rechtsorientierte Schüler- und Elternhäuser agieren, würden um ihre Sicherheit fürchten. Aus Gespräche mit Lehrer:innen in Sachsen weiß ich, dass gerade im ländlichen Bereich rechtsextremistische Ansichten unter Schüler:innen, aber auch unter Lehrer:innen  weit verbreitet sind.

Dazu passt, dass die rechtsnationalistische AfD in Ostdeutschland laut dem Meinungsforschungsinstitut INSA derzeit bei der Bundestagswahl mit 27 Prozent der Stimmen stärkste Partei würde. Das zeigt: Inzwischen hat sich ein festes Wählerpotential für den organisierten Rechtsextremismus von gut einem Viertel der Wahlberechtigten gebildet. Dies ist mehr als alarmierend. Denn auch wenn es sich „nur“ um eine Meinungsumfrage handelt – deutlich ist: Der Rechtsnationalismus ist in vielen Regionen Ostdeutschlands längst zur gesellschaftlichen Normalität geworden, fest verankert in den Köpfen und Herzen zu vieler Menschen bei gleichzeitiger Verachtung der Grundlagen der repräsentativen Demokratie. Dieses weiter mit den Verwerfungen der deutschen Einheit zu erklären und damit zu verharmlosen, greift viel zu kurz. Vielmehr stehen wir vor dem alarmierenden Ergebnis verfehlter, bzw. kaum vorhandener Demokratiepolitik in den vergangenen über 30 Jahren.

Doch die eigentliche Hauptursache für die durchaus bedrohliche Lage sehe ich woanders: Die Führungskräfte vor Ort: Bürgermeister:innen, Rektor:innen der Schulen, Kita-Leiter:in, Sparkassen-Filialleiter:in, Vereinsvorsitzende, Pfarrer:innen, Handwerksmeister:innen, sind ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung nicht gerecht geworden. Denn eines ist deutlich: Überall dort, wo Persönlichkeiten, die das Leben einer Ortschaft prägen, eine klare Haltung zur Demokratie, zum Rechtsstaat, zur Vielfalt und Weltoffenheit einnehmen, hat der Rechtsextremismus wenig Chancen. Überall dort, wo dem Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit, der Demokratieverachtung deutlich entgegengetreten wird, werden die Höckes, Urbans, Weidels, Chrupalla schnell entzaubert – vor allem wird den wenigen Mutigen vor Ort der Rücken gestärkt und Angst genommen. Doch das geschieht viel zu wenig. Darum ist die politische Lage in Ostdeutschland nicht nur im Blick auf die kommenden Wahlen mehr als beunruhigend: Es brau(n)t sich was zusammen! Hier sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefordert. Es muss aufhören, dass wir dem rechtsextremistischen Denken immer mehr Raum geben – durch Beschwichtigen, Verharmlosen, Schweigen. Am heutigen Tag möchte ich erinnern an den berühmten Ausspruch von Pastor Martin Niemöller (1892-1984). Er war ab 1937 persönlicher Gefangener Adolf Hitlers im KZ Dachau: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

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