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Der neue, alte Irrweg: Aufrüstung und Kriegsgewöhnung

So langsam gerät er in die zweite und dritte Reihe der Berichterstattung: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen dauert dieser in seinen Auswirkungen unfassbare Krieg nun schon 14 Monate an. Ein Ende des Zerstörens und Mordens ist nicht absehbar. Zum andern flammen an vielen Stellen in der Welt neue, militärisch ausgetragene Konflikte auf, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Sie deuten an, dass der von Russland initiierte Waffengang gegen die Ukraine kein isoliertes Geschehen ist, sondern bestehende Konflikte zusätzlich militärisch aufheizt.

Was leider auch deutlich wird: Das alte, ernüchternde Clausewitz-Diktum „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ scheint weiter Handlungsmaxime internationaler Politik zu bleiben. Darum eine Erinnerung: Als wenige Monate nach der Friedlichen Revolution 1990 auf dem Balkan bewaffnete Auseinandersetzungen begannen und sich der zweite Golfkrieg abzeichnete, der dann im Januar 1991 ausbrach, ging von diesen militärischen Auseinandersetzungen für mich vor allem eine Botschaft aus: Niemand soll darauf setzen, dass die Erfahrungen des jahrzehntelangen europäischen Friedensprozesses und der Friedlichen Revolutionen in Deutschland und Osteuropa, zu einer bewussten Abkehr von militärisch bestimmter Interventionspolitik auf internationaler Ebene führen wird. Deswegen sollte mit dem Krieg einer internationalen Koalition unter Führung der Vereinigten Staaten gegen den Irak aller Welt klar gemacht werden:

Das Motto „Keine Gewalt“, das tatsächlich Gewalt begrenzte, taugt nicht für die internationale Politik. Wir werden in Zukunft politische Veränderungen (wieder) mit kriegerischen Mitteln durchführen – und zwar bis zu dem Punkt, an dem von einem Land, einer politischen Machtgruppe keine Gefahr für die eigenen Interessen ausgeht; und dies völlig unabhängig davon, in welchem Zustand sich das mit Krieg überzogene Land befindet.

Diese Politik hat in den vergangenen über drei Jahrzehnten zu verbrannter Erde in vielen Regionen dieser Welt geführt (Naher Osten, Afghanistan, Mali) und die Politik der Länder diskreditiert, die jetzt aktuell eine politische Front gegen den Aggressor Russland aufbauen wollen. In Deutschland führte dieser leider mit vollzogene Politikwechsel dazu, dass im Januar 1991 der damalige Finanzminister Theo Waigel meinte, die Deutsche Einheit „aus der Portokasse“ bezahlen zu können, während er 17 Milliarden DM für den Golfkrieg zur Verfügung stellte. Mit dem zweiten Golfkrieg war die europäische Friedenspolitik de facto beendet.

Von daher gesehen ist es kein Wunder, dass 2022 weltweit 2,24 Billionen US-Dollar für Rüstungsgüter ausgegeben wurden – so viel wie noch nie. Das ist das Ergebnis des jährlichen Berichtes des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI. Allein für Europa wird eine Steigerung der Militärausgaben von 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausgewiesen. An der Spitze der weltweiten Ausgaben stehen die USA, gefolgt von China, Russland, Indien und Saudi-Arabien. Deutschland nimmt den 7. Platz auf der Rankingliste ein. Die weltweit weiter rasant steigenden Ausgaben für Rüstungsgüter zeigen an, dass die meisten Nationen nicht nur mit mehr kriegerischen Auseinandersetzungen rechnen. Militärische Interventionen sind wieder bewusst einkalkulierter Teil politischer Prozesse geworden – mit der allgemeinen Folge, dass weltweit wie national für eine Akzeptanz kriegerisch ausgetragener Konflikte gesorgt werden muss – auch bei uns. Das wird allein daran sichtbar, wie sehr die Kriegsrhetorik die politische Debatte bestimmt. „Muss Deutschland Krieg können?“ fragte „Hart aber fair“ am 03. April 2023, nachdem zuvor die ARD eine Doku sendete „Wie kriegstauglich ist die Bundeswehr heute?“. Es ließen sich viele weitere Beispiele anführen. Widerspricht aber diese Tonlage nicht diametral und fundamental den Grundaussagen und Werten unserer Verfassung? Müssen wir in unserer Gesellschaft nicht intensiv über die Frage debattieren, ob die derzeitige massive Aufrüstungspolitik noch vereinbar ist mit der Präambel (in Zusammenhang mit Art. 26) des Grundgesetzes? Dort heißt es, dass sich das Deutsche Volk „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen das Grundgesetz gegeben hat.

Völlig unabhängig davon, ob man für oder gegen Waffenlieferungen an die sich gegen die russische Aggression verteidigende Ukraine ist, müssen wir äußerst beunruhigt darüber sein, dass gerade in Deutschland mit zunehmender Intensität Waffen jeder Art produziert und exportiert werden. Deren einziger Zweck ist doch: dass sie eines Tages in einer kriegerischen Auseinandersetzung eingesetzt werden. Heute weiß aber niemand, wann, wo und mit welchen Absichten diese Waffen gebraucht werden. Nur eines wissen wir: Mit jeder Waffe, die produziert wird, wird auch gehandelt und sie wird eines Tages eingesetzt werden. Wir sind also auf dem besten, nein: schlechtesten Wege, wieder einen kapitalen politischen Fehler zu machen. Ersetzte nach 1990 eine eiseitige Energiepolitik friedenspolitische Initiativen auf europäischer Ebene, die bewusst anknüpfen an den 40-jährigen Friedensprozess nach 1949, so wird derzeit das Bemühen um eine europäische Friedensordnung überlagert von einer massiven Aufrüstungs- und Kriegspolitik. Man muss über keine prophetischen Fähigkeiten verfügen, um zu ahnen: Dieser gefährliche Irrweg wird uns in wenigen Jahren wieder schwer auf die Füße fallen. Niemand weiß derzeit, in welchen Ländern sich freiheitliche Demokratie gegen den aufkommenden nationalistischen Autokratismus durchsetzt bzw. erhält. Autokratismus ist aber die wesentliche Keimzelle für Krieg. Darum ist es dringend erforderlich, dass wir gerade angesichts des Angriffskrieges Russlands eine neue europäische Friedenspolitik einschließlich restriktiver Rüstungsbegrenzung entwickeln und eine restriktive Rüstungspolitik betreiben. Wenigstens die Kirchen hätten hier jeden Tag die Stimme zu erheben.

14 Antworten

  1. „Darum ist es dringend erforderlich, dass wir gerade angesichts des Angriffskrieges Russlands eine neue europäische Friedenspolitik einschließlich restriktiver Rüstungsbegrenzung entwickeln und eine restriktive Rüstungspolitik betreiben. “
    ___________________________________________________________________

    Die Rüstungsbegrenzung darf nicht restriktiv (einschränkend) sein, die Rüstungspolitik aber sehr wohl.

    Die Gewerkschaft Verdi hat seit Beginn des Jahres 70.000 neue Mitglieder gewonnen;
    die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie rund 30.000 neue Mitglieder im Jahr 2022.

    Ich sehe hier eine Analogie zum wachsenden Interesse insbesondere junger Leute an der Landesverteidigung. Auch Nichtgewerkschaftler profitieren von den ausgehandelten Tarifverträgen etc. – so wie Pazifisten vom Dienst der Soldaten, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.

    1. „zum wachsenden Interesse insbesondere junger Leute an der Landesverteidigung“
      ????
      Deshalb gelingt es der Bundeswehr wohl folgerichtig seit Jahren nicht ihre Zielsollstärke
      zu erreichen? Es gibt einfach nicht genug Bewerber. Auch die Zahl der Ausbildungsabbrüche in der Bundeswehr ist recht hoch.
      Oder meinten Sie mit wachsendem Interesse die Einstellung: Ja das ist sehr wichtig , aber da sollen mal die Anderen ihre Haut zum Markte tragen?
      MfG
      Erwin Breuer

  2. Krieg ist in der gesamte menschliche Geschichte ein ständiger Begleiter der Entwicklung.
    Wirklich große Kriege treten alle 3 bis 4 Generationen oder alle 80 bis 100 Jahre auf:
    z.B. WK1 + WK 2, davor die napolionischen Kriege 1790 bis 1815….
    In der Bevölkerung werden die Opfer und Schrecken des Krieges in der 3. und 4. Generaton vergessen und relativiert, schließlich Leben wir in gloreichen Zeiten (z.B. „im besten Deutschland ever“). Sterben tuen immer nur die Anderen und in Literatur und Film ist der eigene Tod, wenn er dann doch einmal eintritt in jedem Fall heldenhaft, glorreich und für eine gute und gerechte, sinnvolle Sache.
    Die Redewendung „Opa erzählt vom Krieg“ wird zur sinnbildlichen Redewendung dafür, dass ein alter (weißer) Mann belangloses, was in den heutigen Zeiten auf keinen Fall mehr auftreten kann daherplappert.
    Onkel Gernot, bei dessen Anblick einem der Appetit vergeht, weil beim Feuersturm in Hamburg sein Gesicht verbrannte, sitzt nicht mehr am Mittagstisch, der in Stalingrad gebliebene Ehemann ist lange vergessen, weil Oma auch schon Tod ist und von den enteigneten Besitztümern im Osten existieren bestenfalls noch Fotos. Vollkommen Verkommene skandieren „Do it again Bomber-Harry“…..
    Die eigenen Kinder sehen einen entgeistert an, wenn man ihnen rät, sich vom Wehrdienst befreienzulassen, weil sie das Kanonenfutter für den nächsten Krieg sind.
    Das ist ein erster Grund für das stetige auftreten großer Kriege. ( Der Ukrainekrieg ist wohl noch nicht dieser große Krieg)
    Als 2. scheint die Übergangsphase von einer alten Weltmacht (USA) zur neuen führenden Weltmacht (China) immer eine sehr unruhige Zeit, die häufig mit großen Kriegen verbunden ist, zu sein. Das war beim Übergang von GB zur USA so und auch von Frankreich zu GB. https://www.meisterdrucke.de/kunstdrucke/Joseph-Keppler/184720/Geschichte-wiederholt-sich,-1885.html
    Diese Phasen sind auch mit wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen…Verwerfungen verbunden. Der Fondmanager Ray Dalio hat über 30 solche Übergänge analysiert und eine hohe Wahrscheinlichkeit für kriegerische Auseinandersetzungen ermittelt. Hier eine kurze verständlicher Zusammenfassung: https://www.youtube.com/watch?v=xguam0TKMw8
    Bei Uwe Berggold und in dem Buch „Die 4. Wende“ ( Howe / Strauß ) werden aus ähnlichen Überlegungen schon 1996 bzw 2000 für die 2020er ein Kriegsjahrzehnt vorausgesagt.
    Einen 3. Grund nannte Papst Franziskus sinngemäß: Kriege werden geführt, weil es Menschen gibt, die daran verdienen.
    Beispielhaft der Aktienkurs der Firma Lockhead Martin: https://www.finanzen.net/aktien/lockheed_martin-aktie – eine Ver-10-fachung seit 2000 – der allgemeine Index DowJons hat sich nur ver 3,5 facht. Die Firma ist übrigens der Hersteller der Himarsraketenwerfer, bei dem jede Rakete 150000 kostet – da lacht das Aktionärsherz.
    Das Rüstungsgeschäft ist eine sehr elegante Methode, mit starkem Hebel, um Steuergelder zu privatisieren. Nach dem es gelungen ist, ein 2% Ziel zu etablieren entsteht ein ständiger Geldfluss von 0,5 % bis 1% des BSP (je nach Gewinnspanne) auf die Privatkonten der Aktionäre . Für unser 100Mrd Sondervermögen mag sich das jeder selbst ausrechnen. Ein Krieg erweist sich da natürlich als wahrer Glücksfall für die Bilanzen der entsprechenden Unternehmen und deren Besitzer, da das Material, was sonst 50 Jahre hält, ständig verbraucht wird.
    Die aufzählung der Gründe ist natürlich nicht vollzählig und nur meine begründete Meinung.
    ErwinBreuer

  3. Und murmeltierhafte Wiederholung bestimmter Vokabeln, lieber Herr Wolff, bringt uns eigentlich auch nicht weiter:
    Was verstehen Sie wohl unter dem Kampfbegriff „Hochrüstung“? Wo bestimmen Sie mit Ihrer Expertise auf diesem Sektor die Grenze zwischen Hochrüstung und – was? – „normaler“ Rüstung? Orientieren Sie sich dabei an einer von Ihnen definierten militärischen Bedrohung, einem von Ihnen definierten strategischen Ziel oder woran sonst? Berücksichtigen Sie die Vielfalt des Gebiets nach Waffensystemen und -kategorien, nach Land-, Luft- und Seestreitkräften plus die immer bedeutsameren Gebiete der Weltraum-, Cyber-, Hybridstrategien, der immer problematischeren Vermischung zwischen Streitkräften und irregulären Kräften, von militärischen und zivilen Zielkategorien, des Terrorismus in Konflikten? Bewerten Sie veröffentlichte Verteidigungshaushalte nach ihren absoluten Zahlen oder berücksichtigen Sie Faktoren wie Inflation, Personal- und Forschungs-/Entwicklungskostensteigerungen, in Diktaturen übliche „versteckte“ Rüstungsausgaben in anderen Haushalten, etc? Wie kommen Sie zu einer so undifferenzierten Behauptung, daß Ihre schwammige „Hochrüstung“ „die nächste kriegerische Auseinandersetzung ermöglicht“, wenn man mit demselben Recht behaupten könnte, daß Rüstung die nächste kriegerische Auseinandersetzung durch Abschreckung verhindert (wie der Kalte Krieg bewiesen hat)? Also: Ihre Frage 1 ist offensichtlich zu einfach, um der Komplexität des Problems gerecht zu werden – und ich bin überzeugt, Sie wissen das auch.
    Und Ihre zweite Frage ist ebenso diffus: Der Unterhalt und die angemessene Ausrüstung von Streitkräften einschl der dazu erforderlichen Forschung, Entwicklung, etc, IST eine Friedensstrategie, nämlich in der Form notwendiger und einer Regierung auferlegter Sicherheitsvorsorge im Zuge des Mandats, „Schaden zu wenden“. Zu „Initiativen, um Interessensauseinandersetzungen möglichst gewaltfrei“ zu bewältigen, gehören bekanntlich ALLE Interessierten, und – so schön die Vorstellung ist – Sie selbst glauben ja vielleicht auch nicht so recht daran, daß Leute wie Lukashenko, Putin, jetzt die beiden Streithähne im Sudan, die Ayatollas im Iran, Kim JongUn, die Taliban oder die Hamas/Hisbolla/IS glaubhafte Vertreter der Gewaltfreiheit sind. Nicht mal im Inneren unserer Republik scheinen Sie viel Vertrauen in Gewaltfreiheit zu haben, schimpfen Sie doch dauernd (zu Recht) gegen die Rechten im Lande und fordern deren Bekämpfung eben nicht durch Dialog, sondern durch rechtstaatliche Mittel einschl exekutiver Polizeimaßnahmen. Natürlich gibt es sinnvolle „friedliche Initiativen“ – und DEU tut ja auch viel auf diesem Sektor, aber das entbindet eben die Verantwortlichen nicht von der Pflicht zur Vorsorge. Auch das wissen Sie natürlich.
    Gut schließlich, daß wir hier im Blog unseren Rechercheur haben, der uns über korrektes Zitieren belehrt, auch wenn es ja eigentlich um die inhaltliche Aussage geht. Clausewitz hat, ich schrieb es schon, seine Maxime in unendlich vielen verschiedenen Formen ausgedrückt:
    – „der Krieg ist ein Instrument der Politik“
    – „der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“
    – „ist nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres (der Völker und Regierungen) Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik“.
    Wir sind dabei – in den westlichen Demokratien – dieses letztere zu überwinden, zum Glück. Aber bis ALLE Regierungen es überwunden haben, löscht man besser als Staat nicht sein Immunsystem durch Abschaffung gut ausgerüsteter und auf alle Eventualitäten vorbereitete Streitkräfte.
    Man sollte nicht nur das erste Buch „Vom Kriege“ lesen!
    Herrn Plätzsch ist aber zuzustimmen, daß die UKR wahrscheinlich nicht angegriffen worden wäre, hätte sie ihre Nuklearwaffen behalten (können). Ein guter Beleg dafür, daß die NATO gut daran tut, ihre atomare Bewaffnung als Abschreckung zu behalten.
    Andreas Schwerdtfeger

  4. Lieber Herr Wolff,

    die Thesen in Ihrem Aufsatz halte ich, falls ich Sie richtig verstanden habe, teilweise für widersprüchlich. Es ist wohl leider wahr, dass versucht wird, in Deutschland die Menschen zu einem neuen Verhältnis zum Krieg zu bewegen. Ja, Deutschland soll wieder Krieg können. Wenn z. B. Cem Özdemir in Bundeswehruniform vor den Kameras poussiert, ist das bezeichnend. Ralf Ostner hat das in seinem Blog schön kommentiert („Hurrah, es ist Krieg“, https://www.global-review.info/2023/04/06/hurrah-es-ist-krieg/). Zu vermuten, dass sich in diesem Sachverhalt eine allgemeine, globale Tendenz zum Militärischen widerspiegelt oder, wie Sie es formulieren, dass „militärische Interventionen wieder (!) bewusst einkalkulierter Teil politischer Prozesse geworden“ sind, scheint mir aber eine ziemlich deutschzentrierte Sicht widerzuspiegeln. Es stimmt eher Ihre dazu im Widerspruch stehende These, dass nach wie vor und unverändert Krieg probates Mittel internationaler Politik ist („Handelsmaxime“ ist wahrscheinlich nicht der korrekte Begriff, wie AS richtig anmerkt), es sich also nicht viel geändert hat in den letzten Jahrzehnten.

    Sie möchten gern die Aufmerksamkeit auf Autokratien als die vermeintlichen Hauptkriegstreiber lenken (Autokratien als „die wesentliche Keimzelle für Krieg“). Dann konterkarieren Sie aber Ihre These, indem Sie, etwas verschwommen zwar, an den völkerrechtswidrigen, mit Lügen („Hufeisenplan“, Racak-Massaker) begründeten NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien erinnern (*) und sinngemäß die Wolfowitz-Doktrin zitieren (kriegerische Mittel einsetzen bis zu dem Punkt, „an dem von einem Land, einer politischen Machtgruppe keine Gefahr für die eigenen Interessen ausgeht“). Zur Erinnerung: Paul Wolfowitz war stellvertretender Verteidigungsminister unter Minister Donald Rumsfeld und seinerzeit einer der führenden Neocons. Ob sich ein Land imperialistisch verhält und rücksichtslos Kriege zur Durchsetzung eigener Interessen anzettelt, hängt also offensichtlich nur sehr eingeschränkt davon ab, in wie weit dessen Staatsform durch Demokratie oder Autokratie geprägt ist. Wollte man die Beiträge sog. Demokratien und Autokratien zum globalen Kriegsgeschehen quantifizieren, erwiese sich wahrscheinlich ein unlängst veröffentlichtes Dokument des Forschungsdienstes des US-Kongresses als nützlich (https://www.directupload.net/file/d/6899/oouzpbel_pdf.htm, https://www.directupload.net/file/d/6899/hmpazjrw_pdf.htm).

    (*) Übrigens wurde schon damals die Vernichtung ziviler Infrastruktur zugunsten vermeintlicher militärischer Vorteile demonstriert (https://www.directupload.net/file/d/6769/yovs7cca_pdf.htm).

    Beste Grüße,

    Johannes Lerchner

    1. Sie verlinken hier zum wiederholten Mal die „Nachdenkseiten“. Waren oder sind Sie noch dort für Leipzig an hervorgehobener Stelle engagiert, Herr Lerchner? Und stimmt, was der SPIEGEL schreibt, dass dieser Blog Frau Dr. Wagenknecht nahesteht?

      1. Wenn Sie mich so direkt fragen: Ja, ich hatte mich vor einiger Zeit im Leipziger Gesprächskreis der NDS stark engagiert. Leider hat dieser die Corona-Zeit nicht überlebt. Es war zumindest für mich eine sehr fruchtbare Veranstaltung, da wir Teilnehmer aus sehr unterschiedlichen politischen/ideologischen Richtungen kamen. Gegründet worden war er von dem ehemaligen Bürgerrechtler Oliver Kloss (IFM), der aber mit Leuten wie mir auch ganz gut zurechtkam, und umgekehrt. Seit vorigem Jahr gibt es eine Neugründung, mit der ich aber nicht viel zu tun habe. Wenn Sie die Ausrichtung der Nachdenkseiten interessiert, sollten Sie selbst dort nachlesen.

  5. Und jährlich grüßt das Murmeltier, lieber Herr Wolff; der Jahresbericht des SIPRI-Instituts löst einen Pawlov’schen Reflex aus. Ihr ganzer Beitrag steht zu Recht unter der Überschrift „der neue, alte Irrweg“ (auf dem Sie sich befinden). Inhaltlich verweise ich deshalb auf längst erfolgte Widerlegungen in den letzten Jahren.
    Also nur zwei Anmerkungen zu Ihren Zitaten:
    1. Clausewitz: Er hat in seinem Werk „Vom Kriege“ an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Formulierungen darauf hingewiesen, daß „Krieg Fortsetzung der Politik unter Beimischung anderer Mittel“ sei. Die inhaltliche Aussage dieser Erkenntnis ist, daß POLITIK das bestimmende Element bleibt, auch wenn Krieg ausbricht, und daß also a. der Primat der Politik als Auftrag wie als Richtschnur, insbesondere auch als Verantwortung erhalten bleibt und b. die Streitkräfte EIN Mittel der Politik unter vielen anderen sind, um die politischen Interessen des handelnden Staates zu verfolgen. Er drückt also nicht aus , was „weiter Handlungsmaxime internationaler Politik“ sei, wie Sie es formulieren, sondern er drückt eine Binsenweisheit, die POLITISCHE Verantwortung auch im Kriege, aus. (Deshalb zB ist ja der in DEU so übliche Satz „im September 1939 überfiel die Wehrmacht Polen“ so unsinnig; richtig wäre „… überfiel das Deutsche Reich Polen“).
    2. GG, Präambel: In der Tat stipuliert die Präambel GG, daß deutsche Politik „dem Frieden der Welt zu dienen“ hat, und der Art 26, den Sie herbeiziehen, beschreibt dies im Näheren und enthält nichts von dem, was Sie andeuten, denn die Herstellung einer nachweisbar notwendigen Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung eines Nachbarlandes in seiner Verteidigung stellen wohl kaum den Tatbestand dar, „das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“ oder „die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“ (beides Art 26). Daß die augenblickliche Politik der westlichen Staaten, einschließlich Deutschlands, dem Ziel der WIEDERHERSTELLUNG des Friedens dient, ist fast vollständig Konsens in den westlichen Bevölkerungen und Regierungen. Diese Politik mit „derzeitige massive Aufrüstungspolitik“ zu beschreiben, ist legitime politische Meinung, aber eben nur Meinung, nicht Tatsache und durch nichts bewiesen. Insofern ist umgekehrt die Meinung, die Regierung, die EU, das NATO-Bündnis, die USA betreiben eine Politik, die „dem Frieden der Welt“ dient, mindestens ebenso legitim – und sie hat den Vorteil, daß sie praxistauglich ist im Gegensatz zu unrealistischen Friedensträumereien. Minister Lavrov hat gerade im SR der UNO Anmerkungen zur Wagner-Gruppe gemacht, die zeigen, wo in Wirklichkeit die Probleme liegen, wie ich es in einigen Beiträgen schon angedeutet habe: Internationales Recht und schüren von Konfliktherden an vielen Stellen zur Aufsplitterung von Aufmerksamkeit und Ressourcen des Gegners. Murmeltierhaftes Beschwören des Friedens wird da keine Lösung sein.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Lieber Herr Schwerdtfeger, selbst wenn ich Ihren Einlassungen inhaltlich folgen würde, blieben zwei Fragen unbeantwortet:
      1. Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass jede Form von Hochrüstung die nächste kriegerische Auseinandersetzung ermöglicht?
      2. Warum investieren die meisten Länder mehr Geld, Ressourcen, Forschung und Wissenschaft in Hochrüstung als in friedenspolitische Initiativen, um Interessensauseinandersetzungen möglichst gewaltfrei auszutragen?
      Beste Grüße Christian Wolff

      1. Zu 1) Hätte die Ukraine im Jahr 1994 nicht auf die Sicherheitsgarantien des Budapester Memorandums vertraut, sondern die auf ihrem Territorium lagernden Nuklearwaffen behalten und einsatzfähig gemacht – eine Form der Hochrüstung, wäre sie niemals von Rußland angegriffen worden. Wie gehen wir (wer ist das?) nun mit diesen Tatsachen um? Wir unterstützen internationale diplomatische Bemühungen, um Abkommen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung zu erzielen.

        Zu 2) Die Motivation der einzelnen Länder zur Hochrüstung ist unterschiedlich: Brutale Diktaturen wie Rußland wollen sich in die Lage versetzen, andere Länder zu erpressen bzw. mit Krieg zu überziehen. Andere Länder sehen sich gezwungen, darauf zu reagieren, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten (siehe auch den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands nach jahrzehntelanger Neutralität).

    2. Ich schrieb Ihnen schon einmal, dass Sie Clausewitz falsch zitieren. Es heißt nicht, dass
      „Krieg Fortsetzung der Politik unter Beimischung anderer Mittel“ sei. Die Überschrift des 24. Kapitels „Vom Kriege“ erstes Buch lautet:

      „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“

      Weiter heisst es:

      „So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.“

      https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Clausewitz/cla_kri1.html#1

      Dass im Erscheinungsjahr 1832 der Terminus „Beimischung“ völlig ungebräuchlich war, ist offensichtlich. Auch heute würde man ihn außerhalb von Naturwissenschaft und Technik höchstens im Börsenjargon für die Zusammensetzung eines Wertpapierportfolios verwenden. Google verweist bei Ihrem Zitat auf eine Veröffentlichung des Historikers Prof. Michael Stürmer: „Welt Ohne Weltordnung“.

      1. Tja, Herr Plätzsch, das kommt eben davon, daß man sich per google zum Experten machen will:
        Clausewitz, Vom Kriege, Dritter Teil, Zweites Kapitel „Natur des strategischen Angriffs“:
        „… daß der Angriff selbst nicht ohne Beimischung von Verteidigung sein kann …“. So viel zu Ihren klugen Anmerkungen über die Vokabel „Beimischung“ im Jahre 1832.
        Andreas Schwerdtfeger

  6. Der damalige Finanzminister Dr. Waigel hielt sich an die allgemein bekannte DDR-Propaganda von der zehntgrößten Industrienation und BK Dr. Kohl sprach vor der Bundestagswahl 1990 von den im Osten bald vorhandenen „blühenden Landschaften“. Auch glaubte man, dass die Treuhandanstalt mit einem Überschuss abschließen würde. Die Freie Universität Berlin spricht von 2 Billionen € bis zum Jahr 2014 Transferleistungen in den Ostteil Deutschlands. Man sollte aber auch und gerade im Zusammenhang mit dem Blogthema die sog. Friedensdividende beachten. So hatte die NVA eine Stärke von 170.000 Mann und die Bundeswehr von 495.000. Der Verteidigungshaushalt verringerte sich von 20% auf 10% vom Bundeshaushalt.

    So bedenklich Aufrüstung und Waffenproduktion auch sind, so dienen NATO-Waffen in erster Linie der Abschreckung von Aggressoren. Nicht jede vorhandene Waffe wird auch eingesetzt. Das gilt vor allem für Atomwaffen. Die von Ihnen, lieber Herr Wolff, aufgezeigten Risiken, z. B die Machtübernahme durch Autokraten bzw. Diktatoren, lasse ich dabei nicht außer acht. Leider sind große Teile der internationalen Abrüstungsabkommen z. T. gekündigt oder anderweitig obsolet geworden.

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