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Der österliche Quantensprung: von Knechtschaft zur Befreiung

Für die einen ist das große Ärgernis an Karfreitag, dass Tanzveranstaltungen und laute Musik einem allgemeinen Verbot unterliegen. Ein Tag ohne Disco, an einem Tag im Jahr sich den religiösen Gefühlen einer Minderheit beugen zu müssen – für etliche Zeitgenossen:innen selbst in Krisen- und Kriegszeiten eine schier unerträgliche Zumutung! Für andere steht – Tanzverbot hin oder her – an Karfreitag das im Mittelpunkt, was jeden Menschen zumindest einmal im Jahr beschäftigen sollte: seine Knechtschaft, sein Gefangensein im Alltagstrott, sein Gefängnis, dessen Gitterstangen sich aus sich Abfinden, Egoismus, Herrschsucht, Maßlosigkeit, Verbitterung zusammensetzen; seine Abhängigkeit von Menschen und Mächten, durch die er sich selbst und andere schädigt. Christen belegen diese Knechtschaft mit dem schillernden Begriff Sünde. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als: wissentlich das Falsche tun; die eigene Freiheit vorschnell für ein Linsengericht des Konsums, der Bequemlichkeit, des Vorteils aufgeben; sich den Sachzwängen anpassen und ergeben; sich in selbstverschuldeter Unmündigkeit gütlich einrichten. Sehr bedauerlich, dass viele Menschen auch einen entschleunigten, eher stillen Tag wie Karfreitag verstreichen lassen, ohne sich auch nur einen Augenblick Zeit zu nehmen, um die eigene Knechtschaft zu bedenken und Wege aus der Verstrickung zu suchen. Unbemerkt beteiligen sie sich damit an dem, was durch die Passion Jesu schonungslos aufgedeckt wird: die Sünde verdrängen und auf andere abwälzen.

Derzeit sind wir kollektiv gefangen in der Knechtschaft des Krieges. Eine unschuldige Zone scheint es nicht zu geben, obwohl wir stark damit beschäftigt sind, die Hände in Unschuld zu waschen. Wir folgen unerbittlich den Gesetzen des Wie-du-mir-so-ich-dir, des Ohne-mich, des Sieh-du-doch-zu. Die Leidensgeschichte Jesu zeigt in aller Dramatik die damit verbundene Verstrickung auf: Menschen, die an sich genau wissen, was richtig und falsch ist, werden zu mordenden Monstern; folgen den Gesetzen, die sie für falsch halten; wenden die Gewalt an, die ihnen eigentlich zuwider ist; erklären andere für Sündenböcke, um von der eigenen Verantwortung abzulenken – und landen so im Gefängnis von Vernunft und Verblendung, von Banalität und Verbrechen. Was viele dabei nicht mitbekommen: In dieses Gefängnis begibt sich auch Jesus. Er bleibt nicht außen vor. Er sieht sich aber nicht als Opfer unserer Knechtschaft. Nein: Er, der zum Sündenbock gemacht wird, erweist sich als der, der unser Gefängnis von innen aufbricht, damit die Knechtschaft beendet wird. Er lässt uns so an seiner Freiheit teilhaben. Diese Bewegung wird im zentralen Choral der Johannespassion von Johann Sebastian Bach (1685-1750) beschrieben:

Durch dein Gefängnis Gottes Sohn
Muss uns die Freiheit kommen:
Dein Kerker ist der Gnadenthron,
Die Freistatt aller Frommen;
Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein,
Müsst unsre Knechtschaft ewig sein.
Christian Ritter (1645/50- nach 1725)

Das ist die zentrale Botschaft an Karfreitag: Des Menschen Knechtschaft, sein Gefangensein in den Zwangsläufigkeiten von Gewalt und Gegengewalt, seine Sünde sind eine erschreckende Realität, die das persönliche wie gesellschaftliche Leben in Krisen stürzt und auf Dauer zerstört. Aber: Diese Realtität ist endlich! Sie kann aufgebrochen werden – und zwar von innen. Genau das geschieht an Ostern: Jesus, der sich den Bedingungen der Knechtschaft ausliefert hat, bleibt darin nicht gefangen. Er bricht am Ostermorgen die Gefangenschaft des Grabes auf. Dann dringt er in die abgeschlossenen Räume ein, in die sich seine Anhänger verbarrikadiert hatten, und stößt die Türen von innen auf. Womit? Mit einem Schlüsselwort: „Ich bringe euch Frieden.“ (Die Bibel: Johannes 20,21) Da wird sehr konkret, was Bach alle Mauern überwindend strahlend singen lässt: „Durch dein Gefängnis Gottes Sohn muss uns die Freiheit kommen …“. Jetzt können, ja müssen wir neu unsere Verantwortung wahrnehmen – so wie sie in dem anderen zentralen Choral der Johannespassion beschrieben wird:

O Mensch, mache Richtigkeit,
Gott und Menschen liebe,
Stirb darauf ohn alles Leid
Und dich nicht betrübe.
Paul Stockmann (1602/03-1636)

Auch wenn unser Alltag weiter von Knechtschaft geprägt ist – wir können trotzdem richtig leben, müssen nicht zwangsläufig wissentlich das Falsche tun, können uns dem nahen und fernen Nächsten zuwenden. Doch das setzt eines voraus: das Vertrauen darauf, dass nichts unumstößlich ist, auch nicht die Knechtschaft. Darum muss sich niemand den vermeintlichen Zwangsläufigkeiten ergeben. Der österliche Quantensprung von der Knechtschaft zur Freiheit lässt uns schon vor dem eigenen Sterben dem folgen, was durch Jesu Tod ausgeschaltet werden sollte: die Wirklichkeit des Friedens.

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