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Für Juden schreien

Vor 79 Jahren, am 09. April 1945, wurde der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer von den Nazis im KZ Flossenbürg ermordet. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gehörte zu wenigen Theologen und Pfarrern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die von Anfang an den verbrecherischen Charakter des Naziregimes durchschauten. Er wandte sich auch entschieden gegen den nationalsozialistischen Rassismus, der sich vor allem gegen die Menschen jüdischen Glaubens richtete. Von Bonhoeffer ist der berühmte Ausruf überliefert: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ (1935 im Predigerseminar Finkenwalde).

Heute muss wieder für Jüdinnen und Juden geschrien werden, die weltweit unerträglichem Hass und Gewalt ausgesetzt sind – und das nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Zu keinem Zeitpunkt hat sich der militante Antisemitismus nach dem Holocaust in Luft aufgelöst – auch nicht in Deutschland. Dabei war und ist auffällig: Auch dort, wo Menschen überhaupt keine persönliche Berührung mit Jüdinnen und Juden haben, sind antisemitische Stereotypen lebendig. Seit der Corona-Zeit und dem Aufkommen von Verschwörungsmythen ist das Gerede vom „Weltjudentum“, das angeblich im Geheimen die Fäden zieht und das Finanzkapital steuert, bei viel zu vielen Menschen wieder sehr lebendig. Nicht zuletzt dieses Narrativ führt dazu, dass zwischen Menschen jüdischen Glaubens, dem Staat Israel und der Regierung Israels kein Unterschied gemacht wird – mit der Folge, dass das arabische Narrativ „From the River to Sea – Palestine will be free“, durch das dem Staat Israel jede Legitimation und jedes Existenzrecht abgesprochen wird, gerne übernommen wird. Denn: Gäbe es den Staat Israel nicht, dann würden sich viele Probleme im Nahen Osten wie von selbst erledigen … von wegen!

In Deutschland kommt noch eines erschwerend hinzu: Je kritikwürdiger die Politik der Regierung Israels ist (und die nationalistische, in Teilen rechtsradikale Netanjahu-Regierung ist eine Katastrophe nicht nur für Israel!), desto größer die Gefahr, dass dies eine kaum ausgesprochene, an sich absurde, aber sehr präsente „Versöhnung“ mit dem Naziregime ermöglicht: Die Israelis sind auch nicht viel besser als die Nazis. Genau darin erkenne ich einer der Gründe, warum es so schwierig ist, Menschen gegen den Antisemitismus, gegen den Hamas-Terror auf die Straße zu bringen. Dabei ist es ja so: Viele Menschen jüdischen Glaubens in Israel und außerhalb Israels sind überhaupt nicht einverstanden mit der Netanjahu-Regierung, befürworten die Zwei-Staaten-Lösung, kritisieren die aggressive Siedlungspolitik und halten die gegenwärtige Kriegführung Israels im Gaza für verhängnisvoll. Aber alle Jüdinnen und Juden haben einen Anspruch darauf, dass bei aller Kritik an der Politik Israels kein Zweifel daran gelassen werden darf:

  • Die Existenz des Staates Israel darf nicht zur Disposition gestellt werden.
  • Israel ist nicht das Grundproblem in der arabischen Welt, sondern in Vielem willkommener Ablenkungsgegenstand von den eigenen Problemen.
  • Eine Zwei-Staaten-Lösung scheitert nicht nur an der Netanjahu-Regierung.
  • Die Terrororganisationen, die in Israel/Palästina wirken und von vielen arabischen Staaten Unterstützung erfahren, verhindern jede Verständigung mit Israel.
  • Antisemitismus wirkt in der arabischen Welt genauso verheerend wie jede Form von Rassismus.

Dies bedenkend ist es wichtiger denn je, der Politik der Netanjahu-Regierung deutlich entgegenzutreten, wie es seit über einem Jahr Millionen Bürger:innen Israels tun, und auch dadurch die Zivilgesellschaft in Israel zu unterstützen. Denn es ist verheerend, dass in dieser Regierung ausgewiesene Rechtsradikale und Rassisten den Ton angeben, die ihrerseits die Vertreibung bis Vernichtung des palästinensischen Volkes fordern und vor Kriegsverbrechen nicht zurückschrecken. Der Minister für die nationale Sicherheit Ben Gvir, Vorsitzender der Partei „Jüdische Stärke“, ist ein ausgewiesener Rechtsradikaler. Er treibt massiv die Bewaffnung der Zivilbevölkerung voran. Sein Parteikollege und Minister für Kulturerbe, Amihai Eliyahu, schlug vor, über Gaza eine Atombombe abzuwerfen oder wenigstens die Palästinenser nach Irland oder in die Wüste zu vertreiben. Wie soll mit solchen Leuten eine Gesellschaft befriedet und ein Frieden in Israel/Palästina entstehen? Das kann nur in einem militärisch-apokalyptischen Desaster unvorstellbaren Ausmaßes enden.  Dennoch muss klar sein: Diese Auswüchse an Zerstörung, auch mögliche Kriegsverbrechen, rechtfertigen keine Sekunde, dass hier in Deutschland und weltweit Menschen jüdischen Glaubens eingeschüchtert und zusammengeschlagen, Attentate auf Synagogen verübt und der Hamas-Terror glorifiziert werden. Darum gilt auch jetzt: Nur wenn wir für Juden schreien, können wir glaubwürdig bleiben – in unserer Kritik an der Regierung Israels und in der politischen Auseinandersetzung um eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel/Palästina, vor allem aber als Bürger:innen eines demokratischen Rechtsstaates.

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