Vor 79 Jahren, am 09. April 1945, wurde der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer von den Nazis im KZ Flossenbürg ermordet. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gehörte zu wenigen Theologen und Pfarrern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die von Anfang an den verbrecherischen Charakter des Naziregimes durchschauten. Er wandte sich auch entschieden gegen den nationalsozialistischen Rassismus, der sich vor allem gegen die Menschen jüdischen Glaubens richtete. Von Bonhoeffer ist der berühmte Ausruf überliefert: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ (1935 im Predigerseminar Finkenwalde).
Heute muss wieder für Jüdinnen und Juden geschrien werden, die weltweit unerträglichem Hass und Gewalt ausgesetzt sind – und das nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Zu keinem Zeitpunkt hat sich der militante Antisemitismus nach dem Holocaust in Luft aufgelöst – auch nicht in Deutschland. Dabei war und ist auffällig: Auch dort, wo Menschen überhaupt keine persönliche Berührung mit Jüdinnen und Juden haben, sind antisemitische Stereotypen lebendig. Seit der Corona-Zeit und dem Aufkommen von Verschwörungsmythen ist das Gerede vom „Weltjudentum“, das angeblich im Geheimen die Fäden zieht und das Finanzkapital steuert, bei viel zu vielen Menschen wieder sehr lebendig. Nicht zuletzt dieses Narrativ führt dazu, dass zwischen Menschen jüdischen Glaubens, dem Staat Israel und der Regierung Israels kein Unterschied gemacht wird – mit der Folge, dass das arabische Narrativ „From the River to Sea – Palestine will be free“, durch das dem Staat Israel jede Legitimation und jedes Existenzrecht abgesprochen wird, gerne übernommen wird. Denn: Gäbe es den Staat Israel nicht, dann würden sich viele Probleme im Nahen Osten wie von selbst erledigen … von wegen!
In Deutschland kommt noch eines erschwerend hinzu: Je kritikwürdiger die Politik der Regierung Israels ist (und die nationalistische, in Teilen rechtsradikale Netanjahu-Regierung ist eine Katastrophe nicht nur für Israel!), desto größer die Gefahr, dass dies eine kaum ausgesprochene, an sich absurde, aber sehr präsente „Versöhnung“ mit dem Naziregime ermöglicht: Die Israelis sind auch nicht viel besser als die Nazis. Genau darin erkenne ich einer der Gründe, warum es so schwierig ist, Menschen gegen den Antisemitismus, gegen den Hamas-Terror auf die Straße zu bringen. Dabei ist es ja so: Viele Menschen jüdischen Glaubens in Israel und außerhalb Israels sind überhaupt nicht einverstanden mit der Netanjahu-Regierung, befürworten die Zwei-Staaten-Lösung, kritisieren die aggressive Siedlungspolitik und halten die gegenwärtige Kriegführung Israels im Gaza für verhängnisvoll. Aber alle Jüdinnen und Juden haben einen Anspruch darauf, dass bei aller Kritik an der Politik Israels kein Zweifel daran gelassen werden darf:
- Die Existenz des Staates Israel darf nicht zur Disposition gestellt werden.
- Israel ist nicht das Grundproblem in der arabischen Welt, sondern in Vielem willkommener Ablenkungsgegenstand von den eigenen Problemen.
- Eine Zwei-Staaten-Lösung scheitert nicht nur an der Netanjahu-Regierung.
- Die Terrororganisationen, die in Israel/Palästina wirken und von vielen arabischen Staaten Unterstützung erfahren, verhindern jede Verständigung mit Israel.
- Antisemitismus wirkt in der arabischen Welt genauso verheerend wie jede Form von Rassismus.
Dies bedenkend ist es wichtiger denn je, der Politik der Netanjahu-Regierung deutlich entgegenzutreten, wie es seit über einem Jahr Millionen Bürger:innen Israels tun, und auch dadurch die Zivilgesellschaft in Israel zu unterstützen. Denn es ist verheerend, dass in dieser Regierung ausgewiesene Rechtsradikale und Rassisten den Ton angeben, die ihrerseits die Vertreibung bis Vernichtung des palästinensischen Volkes fordern und vor Kriegsverbrechen nicht zurückschrecken. Der Minister für die nationale Sicherheit Ben Gvir, Vorsitzender der Partei „Jüdische Stärke“, ist ein ausgewiesener Rechtsradikaler. Er treibt massiv die Bewaffnung der Zivilbevölkerung voran. Sein Parteikollege und Minister für Kulturerbe, Amihai Eliyahu, schlug vor, über Gaza eine Atombombe abzuwerfen oder wenigstens die Palästinenser nach Irland oder in die Wüste zu vertreiben. Wie soll mit solchen Leuten eine Gesellschaft befriedet und ein Frieden in Israel/Palästina entstehen? Das kann nur in einem militärisch-apokalyptischen Desaster unvorstellbaren Ausmaßes enden. Dennoch muss klar sein: Diese Auswüchse an Zerstörung, auch mögliche Kriegsverbrechen, rechtfertigen keine Sekunde, dass hier in Deutschland und weltweit Menschen jüdischen Glaubens eingeschüchtert und zusammengeschlagen, Attentate auf Synagogen verübt und der Hamas-Terror glorifiziert werden. Darum gilt auch jetzt: Nur wenn wir für Juden schreien, können wir glaubwürdig bleiben – in unserer Kritik an der Regierung Israels und in der politischen Auseinandersetzung um eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel/Palästina, vor allem aber als Bürger:innen eines demokratischen Rechtsstaates.
16 Antworten
So liest und interpretiert man also ein Interview: An keiner Stelle scheint mir Wolffsohn von „Lösungen“ zu sprechen, die die Westbank oder Gaza in jordanische oder ägyptische Verantwortung überweisen. Stattdessen bestätigt er, was ich hier auch geschrieben habe: Die Palästinenser hätten IHRE Lösung (2 Staaten) längst haben können – und jetzt ist sie leider tot. Und er bestätigt auch, dass die Verantwortung für das ganz Chaos und Elend bei der Hamas und bei der Abbas-Behörde liegt. Wer also für die Menschenrechte der Palästinenser eintritt – was ja wohl jeder tut –, der muss seine Vorwürfe für deren augenblickliche Verletzung eben dort verorten. Was nicht heißt, dass Israel mit einer flexibleren Politik und einem strengeren Vorgehen gegen die eigenen Extremisten einen positiveren Beitrag leisten könnte – aber da sollten wir Deutsche uns mit rechthaberischen Vorschlägen sehr zurückhalten. Man sieht ja an den unausgegorenen Kommentaren Haspelmaths, wie sehr ideoligische Verbohrtheit den Blick trüben kann: Es gab in der Pandemie keine „Ausgrenzung“, sondern es gab Schutz der Bevölkerung nach dem jeweiligen Erkenntnisstand. Und es gibt in Berlin keinen „rechten“, sondern einen CDU-Bürgermeister. Und schließlich hat die Polizei niemanden „auseinandergetrieben“, sondern bis zum juristischen Beweis des Gegenteils eine Versammlung rechtsstaatlich aufgelöst, die staatsgefährdend war.
Dass die Menschenrechte für alle gelten, ist ebenso richtig, wie es falsch ist, dass das GG für die Palästinenser in Gaza gilt. Aber das heißt ja nicht, dass man die Verantwortung dafür bei den Falschen, den Israelis nämlich, ansiedeln muss.
Andreas Schwerdtfeger
Dietrich Bonhoeffer stellte in seinem Aufsatz von 1933 „Die Kirche vor der Judenfrage“ (DBW 12. München: Kaiser, 1997, S. 349-58) fest, dass die damalige bürgerliche und politische Entrechtung der Juden durch das Nazi-Regime und der Eingriff des Staates in Religionsangelegenheiten den status confessionis für die Kirche bedeute. Das heißt, hier handelt es sich nicht um eine sekundäre politische, sondern um eine Frage des Glaubens und der Integrität der Kirche, was die verschiedenen Traditionen verschieden ausdrücken, die reformatorischen mit dem Bekenntnisbegriff. Was bedeutet diese Erinnerung an Bonhoeffer für das Verständnis der gewaltsamen Entrechtung der PalästinenserInnen durch den Staat Israel und die Rechtfertigung dieses Unrechts mit der Bibel? Der Schrei nach Hoffnung aus den palästinensischen Kirchen knüpft an Bonhoeffer an und fordert die Kirchen weltweit auf, hier einen Prozess des Erkennens und Bekennensdurchzuführen (https://www.cryforhope.org/media/attachments/2020/06/26/0-aufruf-schrei-nach-hoffnung—german.pdf). Auch die ÖRK-Vollversammlung hat zu einem Studien- und Entscheidungsprozess zu den Berichten der Menschenrechtsorganisationen und der UNO zu Israel als Apartheidsystem aufgerufen (https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/seeking-justice-and-peace-for-all-in-the-middle-east). Mehrere Gemeinden beteiligen sich schon daran. Sie nutzen das dazu veröffentlichte Material des Kairos Palästina Solidaritätsnetzes in Deutschland (https://kairoseuropa.de/wp-content/uploads/2023/08/KPS-Flyer-Buch-4-Broschueren-FINAL.pdf).
So könnte es sein, dass heute im Sinn Bonhoeffers sein nach wie vor gültiges Wort (s-o.) ergänzt werden muss zu. „Nur wer für die PalästinenserInnen schreit, darf auch Taizélieder singen“.
Natürlich muss man auch für die Palästinenser:innen schreien, so wie überhaupt für alle Unterdrückten, und man muss den Anfängen wehren. Die Menschenrechte und das Grundgesetz gelten ja für alle gleich (z.B. auch für Ungeimpfte, die viele Monate lang schlimm ausgegrenzt wurden). Wer sich für Frieden und universale Menschenrechte einsetzt, wird aber immer häufiger verunglimpft und an den Rand gedrängt. Gestern wurde ein Pro-Palästina-Kongress in Berlin von der Polizei des rechten Bürgermeisters Wegner auseinandergetrieben, unter dem Applaus der Höcke-AfD – völlig ohne Rechtsgrundlage. Genau das sind die Anfänge, gegen die wir uns wehren müssten. Natürlich ist „22 nicht 89“, denn es gibt noch viel Freiheit, und manche kritischen Richter. Aber letztlich braucht es eine wache, kritische Gesellschaft, um die freiheitlich-demokratische Ordnung zu bewahren – dass diese Ordnung immer mehr in Gefahr ist, liegt inzwischen auf der Hand.
Der Berliner „Palästina-Kongress“ wurde nicht „auseinandergetrieben“, Dr. Haspelmath, sondern schlicht aufgelöst. Nicht nur der konservative Regierende Bürgermeister, sondern auch die SPD-Innensenatorin hatte konsequentes Handeln angekündigt.
„Bei der Veranstaltung war eine Videobotschaft des palästinensischen Autors Salman Abu Sitta abgespielt worden. Gegen Abu Sitta liegen ein Einreiseverbot nach Deutschland sowie ein politisches Betätigungsverbot vor. Der inzwischen 86-Jährige soll nach Medienberichten Anfang des Jahres in einem Blog geschrieben haben, dass er an dem Überfall der Hamas teilgenommen hätte, wenn er jünger gewesen wäre.“
© RBB https://ogy.de/bbqb
Gute Reportage: https://www.nzz.ch/international/palaestina-kongress-in-berlin-das-treffen-der-israel-hasser-eine-reportage-ld.1826102
Lesen Sie mal die Ziemann-Biographie über Niemöller, dann wissen Sie, was von dem Zitat zu halten ist. Niemöller hat sich selbst immer anders dargestellt, als er gehandelt hat, und nach dem Krieg sehr stark an seiner eigenen Glorifizierung gearbeitet. Seine KZ-Haft, vor allem in Dachau, war bei aller Gesetzeswidrigkeit und psychologischer Belastung mit Besuchen seiner Frau, Gesellschaft durch andere (katholische) Pfarrer, keinerlei Arbeit und gelegentlichem „Ausgang“ vergleichsweise „human“. Richtig ist, was Haspelmath schreibt: Dass es Niemöller bei starkem Antisemitismus – auch von der Kanzel herab – um den Beistand zu konvertierten Juden im Pfarreramt ging, nicht aber um „die Juden“.
Und: Ich halte sehr viel von Wolffsohn, aber sein hier von Ihnen dargestellter Vorschlag ist abwegig. Weder Jordanien noch Ägypten werden sich den palästinensischen Terror in die eigene politische Verantwortung holen (man sieht ja am Libanon und der Hisbollah, wie das dann für das eigenen Land ist). Und Israel wird mit Recht die Westbank nicht mehr aufgeben, weil sie wenigstens etwas räumliche Tiefe in die israelische Verteidigung bringt. Es ist eben so: Wer Kriege anzettelt (1948, 1967, 1973) und sie dann verliert, der muss die Resultate akzeptieren. Da nützen nicht mal VN-Sicherheitsratsresolutionen, denn auch dort wissen wir ja, dass sie nicht nach juristischen, sondern nach politischen Kriterien zustande kommen.
Andreas Schwerdtfeger
„Ich halte sehr viel von Wolffsohn, aber sein hier von Ihnen dargestellter Vorschlag ist abwegig.“
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Eine Lösung des Nahost-Konflikts ist nach diesem Krieg (Kann man den bewaffneten Kampf eines Staats gegen eine Terrormiliz so bezeichnen?) weiter entfernt denn je.
Nun bringen Sie doch mal was Inhaltliches, Herr Plätzsch, anstatt immer nur an einzelnen Sätzen herum zu nörgeln. Ich habe begründet, warum ich einen Vorschlag von Wolffsohn für abwegig halte (wenn er überhaupt so formuliert wurde). Sie haben ihn ins Gespräch gebracht – man würde erwarten, dass Sie ihn auch erläutern, ggf verteidigen. Stattdessen: Nur heiss Luft!
Andreas Schwerdtfeger
TAZ: “ Sehen Sie eine Lösung für das politische Chaos in Israel?“
Wolffsohn „Ja, ich habe es in meinem Buch zum Weltfrieden dargelegt. Es wäre eine Mischung aus bundesstaatlichen und staatenbündischen Elementen mit mehreren Kammern und Quotenregelungen. In Ansätzen ein Schweizer Modell. Es gibt Möglichkeiten, einen friedlichen Weg zu finden, wenn man sich vom Nationalstaat als einziger Lösung löst. Was jetzt wieder gesagt wird, Zweistaatenlösung, das ist doch gar nicht durchdacht. Von den meisten Politikern aller Parteien bekomme ich auf mein Friedensmodell die Antwort, interessant, aber unrealistisch, auch von der Linken. Mit der AfD spreche ich nicht.“
© https://taz.de/Historiker-Wolffsohn-ueber-Nahostkonflikt/!5976741/
Was kann denn Bonhoeffer für Niemöllers Verhalten?
Lieber A. Schwerdtfeger – Ihrem Kommentar zu Wolffs Beitrag kann ich geradezu uneingeschränkt zustimmen. Besonders Ihren angenehmen Ton unserem Thomas-Pfarrer a.d. und in Unruhe (Gott sei Dank gibt es ihn), interpretiere ich in Bach`schem Sinne fast als wohltemperiert.
Zunehmend sind die teils bedenklich polarisierenden Medien mit deren Darstellungen des Israel-/Hamas-Konfliktes ein Problem (nicht erst seit dem 7. Oktober 23), welches ja längst zu einem weltpolitischen geworden ist ohne derzeitig greifbare und vor allem realistische Idee, dieses Problem auch nur ansatzweise lösen zu können.
Jedenfalls ich höre so gut wie nicht die klare Forderung an die Terror-Hamas, deren tödliche Diktatur dem palästinensischen Volk im Gaza durch die Freilassung der Geiseln sofort ein Ende zu bereiten. Vielmehr wird Israel – und Chr. Wolff schildert völlig zutreffen die politische Katastrophe der Netanjahu-Regierung mit Ultraextremisten – aufgefordert, ihre Militärattacken, um den Völkermord in Gaza, an den über eine Million Palästinenser zu beenden.
Und nun betritt Nicaragua die Völkerrechtsbühne und verklagt Deutschland auf Mithilfe zum Völkermord an den Palästinensern in Gaza durch dessen militärische Unterstützung Israels (Waffen, Logistik) – seit der Wiederwahl Ortegas 2021 für weitere 5 Jahre mit Austritt aus der OAS! Ist dieses Land eine Diktatur. Auch dazu breite Berichterstattung. Wie der EUGH entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Aber gab es eine Stimme internationalen Gewichts, die dem Ankläger ganz allgemein signalisiert: Stopp?
China und Russland favorisieren bei jüngster Begegnung Lawrows, ein Bündnis zu etablieren gegen die EU und den USA, der Gaza-Israel-Konflikt dürfte dabei keine unwesentliche Rolle gespielt haben, vom Ukrainekrieg ganz zu schweigen!
Die Welt, unsere Welt (noch), ruckelt gewaltig und alle Analysen, von wem auch immer publiziert, offenbaren: Was nur ist zu tun oder auch mal zu lassen??
In diesem gewissermaßen weltpolitischen Interregnum, kommen wir zurück auf derzeitige lautstark vernehmbare Stimmungsbilder hier in unserem arg gebeutelten Land DEU (wir erleben es seit Monaten auf Straßen, Marktplätzen, Podien, Parteitreffen unterschiedlichsten Colours), macht sich Angst breit, das Schlechteste, was uns allen passieren kann. Und Ohnmacht und Ratlosigkeit.
Und dann noch dieses Jahr Wahlen, wahrlich sehr entscheidende und sehr zahlreich und dazu auch noch seit reichlich zwei Jahren diese Dürftigkeit dieser zerrissenen, laborierenden Ampel in Berlin unter Olaf, dem die linke Hand am Jackett festklebt und mit dieser Körpersprache offenbart, dass er sich immer wieder selbstisoliert…Kein guter Hirte für diesen Schafshaufen!
Und jetzt, lieber Herr Schwerdtfeger rechne ich mit Ihren Ideen, was aus Ihrer Sicht hohe Zeit wäre anzupacken, ich würde mich freuen, denn auch ich neben vielen anderen Zeitzeugen spüre, dass Dinge auf uns zurollen, denen wir allesamt vermutlich kaum gewachsen sein dürften.
Herzliche Grüße aus DD – Jo.Flade
Lieber Herr Wolff:
Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, vor allem den fünf Häkchen.
Es fällt hier in Deutschland auf:
– Dass die Medien zwar jeden Tag irgendeine arme palästinensische Frau vor der Kamera, aber noch nie Israelis interviewt haben, die aus ihren Wohnungen im Norden des Landes vertrieben sind;
– dass Politik und Medien ständig eine Waffenruhe fordern und dann im Nachsatz die Geiseln erwähnen, anstatt umgekehrt: Die Freilassung der Geiseln ist Vorausetzung für eine Waffenruhe;
– dass Politik und Medien in Deutschland uns ständig sagen, im Ukraine-Krieg habe es Putin in der Hand, den Frieden wiederherzustellen – er brauche nur seine Truppen zurückziehen und den Angriff einzustellen. Irgendwie fehlt hier wohl der logische Schluss: Die Hamas braucht bloss die Geiseln freizulassen und sich aus Gaza zurückziehen, dann haben die Palästinenser dort wieder Frieden und wohl auch wieder Versorgung;
– und schließlich: Es muss ja wohl eine Lösung gefunden werden – durch die arabische Welt – zur wirtschaftlichen Selbständigkeit von Gaza. Seit Übergabe an die Palästinenser durch Israel wird dieser Raum von außen vollständig versorgt (überwiegend zu Lasten des Westens) mit Lebensgrundlagen, Finanzen und dem Versuch von Bildung (Stichwort: 500 Lkw ) und dies ist wieder ein typisches Beispiel für Ressourcenverbrennung und Problemverlängerung.
Ich freue mich, dass auch Sie sich langsam der Tatsache nähern, dass eine Zwei-Staaten-Lösung höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich ist. Arafat hätte sie haben können um den Preis, das Jerusalem-Problem zu verschieben. Er hat sich nicht getraut und diese Gelegenheit verstreichen lassen. Nun wird es darauf ankommen, dass die Welt eine andere Lösung findet und dabei berücksichtigt: Die Israelis haben keine Möglichkeit auszuweichen – die Palästinenser schon. Friede wird also nur entstehen, wenn die Palästinenser sich bewegen (im Kopf wie auch physisch). Die Israelis allerdings – Sie haben Recht – müssen ihren inneren politischen Frieden ebenfalls finden (und dies in der politischen Mitte, was ihnen in ihrer kurzen Geschichte als Staat immer schwer gefallen ist) – eine sehr schwierige Forderung angesichts der Tatsache, dass der Terrorismus eben leider Alltag im Lande ist.
Andreas Schwerdtfeger
„Die Israelis haben keine Möglichkeit auszuweichen – die Palästinenser schon. Friede wird also nur entstehen, wenn die Palästinenser sich bewegen (im Kopf wie auch physisch)“
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Was ist mit den militanten Siedlern im Palästinensergebiet? Es ist also umgekehrt. Der bekannte jüdisch-deutsche Historiker Michael Wolffsohn hat einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht: Das Westjordanland sollte von Jordanien verwaltet und vertreten werden, wo ohnehin der größere Teil der Bevölkerung palästinensischen Ursprungs ist. Der Gazastreifen sollte Ägypten wie ein Kanton zugeschlagen werden.
Bonhoeffer war ein wichtiges Vorbild, und er mahnt uns, heutige Ausgrenzungen kritisch zu sehen. Jeder Nationalismus war ihm fremd, und deshalb hätte er weder mit Zionismus noch mit PLO-Nationalismus etwas anfangen können. Auch den militanten Kampf der Hamas für eine rein islamische Gesellschaft hätte er sicher abgelehnt. Aber er hatte wohl keine Ideen dazu, wie man nationale Konflikte löst – zu den schrecklichen ethnischen Säuberungen in Griechenland und der Türkei in den 1920ern hatte er zum Beispiel nichts beizutragen. Und meinte er damals (1937) wirklich diejenigen Juden, die sich noch nicht zum Heiland bekehrt hatten, oder vor allem diejenigen Menschen jüdischer Abstammung, die bereits Christen geworden waren? Denn das war ja die hauptsächliche Streitthema im Kirchenkampf – welche Menschen (nach „biologischen“ Kriterien) aus der evangelischen Kirche ausgeschlossen werden sollten oder doch in der Kirche bleiben dürfen sollten. Soweit ich weiß, ging es Niemöller, Bonhoeffer und ihren Gleichgesinnten aus der Bekennenden Kirche vor 1938 in erster Linie um das Bekenntnis der Kirche in Deutschland (das mit Nationalismus unvereinbar war), nicht um die ethnischen Ungereichtigkeiten überall in der Welt.
Was Bonhoeffer zu heutigen Konflikten sagen würde, ist rein spekulativ. Allerdings gab es zwischen einem Martin Niemöller, der noch 1933 Hitler wählte, und Dietrich Bonhoeffer einen großen Unterschied: Bonhoeffer erhob von Anfang an seine Stimme gegen den sog. Führer-Staat. So hielt er im Januar 1933 seinen berühmten Rundfunkvortrag über „Der Führer und der einzelne in der jungen Generation“, der von den Nazis unterbrochen wurde. Auch war Bonhoeffer wegen seiner entschiedenen Haltung kein Mitglied einer der Bekenntnissynoden. Das verhinderten damals die lutherischen Bischöfe.
Ja, Bonhoeffer entstammte ja auch dem weltläufigen Großbürgertum und kannte z.B. die Situation in den USA, wo er die Diskriminierungen und Ausgrenzungen gegenüber den Schwarzen beobachtete. Diese Weltkenntnis fehlte den meisten deutschen Protestant:innen, wo man lange stark national(istisch) dachte. Es wäre gut, wenn wir diese nationale Sichtweise überwinden würden, und z.B. mit Blick auf Israel auch die britisch-antikoloniale Perspektive wahrnehmen würden. Im Guardian kann man heute z.B. lesen: „This war has exposed the profound weakness of the secular liberals in Israel and their near total rallying behind the supposed might of the Israeli army, while failing to consider the longer-term consequences of their army’s murderous excesses. There is a distressing lack of readiness among the Israeli Jewish population to pursue peace with its neighbours, and an almost unchallenged commitment to the use of force to destroy Palestinians regardless of the human cost.“ https://www.theguardian.com/commentisfree/2024/apr/09/50-years-mourned-palestine-parents-israel-gaza-hope. Ohne die großen Umbrüche der letzten Jahrzehnte in Israel zu verstehen, können wir wohl kaum Fortschritte in diesen Diskussionen machen.
„Martin Niemöller, der noch 1933 Hitler wählte“
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Nur wer sich ändert, bleibt sich treu (wolf Biermann).
Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.
Zur Entstehungsgeschichte dieses Niemöller-Zitats:
http://martin-niemoeller-stiftung.de/martin-niemoeller/was-sagte-niemoeller-wirklich