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Das Fanal der NRW-Wahl: 44,5 % Nichtwähler*innen

Eigentlich müssten alle Parteien unabhängig von ihrem jeweiligen Wahlergebnis seit Sonntagabend in Schockstarre verharren: Nur noch 55,5 % der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW). Das sind 10 % weniger Wähler*innen als bei der Landtagswahl 2017 und über 20 % weniger als bei der Bundestagswahl 2021. In Großstädten wie Duisburg und Wuppertal ist noch nicht einmal jede*r Zweite*r zu Wahl gegangen. Demgegenüber ist die durch die Wahl verursachte neue parteipolitische Gewichtung in NRW und deren Folgen fast zweitrangig. Denn die niedrige Wahlbeteiligung nimmt sich noch dramatischer aus, wenn man bedenkt: Parteien wie die AfD und DIE LINKE, die sog. Protestwähler*innen binden könnten, haben bei den diesjährigen Landtagswahlen erheblich an Stimmen verloren und konnten nicht in die Landtage einziehen. Die niedrige Wahlbeteiligung hat in NRW auch dazu geführt, dass nur Bündnis 90/Die Grünen an absoluten Wähler*innenstimmen hinzugewinnen konnten. Auch die CDU als stärkste Partei hat trotz prozentualem Zuwachs von 2,5 %  absolut ca. 250.000 Stimmen verloren. Wir müssen festhalten: 45 % der Wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger haben sich – aus welchen Gründen auch immer – im bevölkerungsreichsten Bundesland der Stimmabgabe verweigert. Deutlich ist: In Stadtteilen, in denen viele Menschen in sozial prekären Verhältnissen leben, war die Wahlbeteiligung besonders gering.

Allerdings dürfen wir unabhängig von allen Gründen, die für die geringe Wahlbeteiligung angeführt werden, eines nicht aus den Augen verlieren: Für das Nichtwählen sind vor allem und in erster Linie die Menschen verantwortlich, die nicht zur Wahl gehen. Es ist ihre freie Entscheidung. Mündigkeit ist keine Frage des sozialen Status. Dennoch müssen wir uns mit dem Problem auseinandersetzen, dass sich gerade diejenigen nicht (mehr) an demokratischen Prozessen beteiligen, die auf Verbesserung ihrer sozialen Lage und damit auf Veränderung der politischen Mehrheitsverhältnisse in besonderer Weise angewiesen sind. Ebenso sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn so erfreulich der Niedergang der rechtsnationalistischen AfD ist – die Nichtwähler*innen bieten ein riesiges Potential für die ständig lauernde Gefahr eines nationalistischen Autokratismus.

Was also kann zu der niedrigen Wahlbeteiligung beigetragen haben? Noch liegen genauere Untersuchungen nicht vor. Dennoch können Gründe ausgemacht werden. Ich nenne vier:

  • Die Lähmung des gesellschaftlichen Lebens und der Eigeninitiative durch vielfältigen Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Sie haben langfristige Auswirkungen auf die Lebenseinstellung vieler Menschen. Hinzu kommt: In der Pandemiezeit waren die Lasten sehr ungleich verteilt. Von den Auswirkungen der Corona-Pandemie waren/sind in besonderer Weise die Menschen betroffen, die in prekären Verhältnissen leben: enger Wohnraum, Verlust des Kontaktes zu den Bildungseinrichtungen, Digitalisierung ging an ihnen vorbei.
  • Die Anzahl der Menschen, die sich völlig aus dem öffentlichen politischen Diskurs ausgeklinkt haben, wird immer größer. Sie sind nur noch schwer erreichbar. Das gilt auch für die sog. neuen Medien. Sie führen ja nicht zur Vernetzung unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft, sondern eher zur Blasenbildung. Es gibt immer weniger Kommunikation zwischen den unterschiedlichen ideologischen Welten außerhalb des traditionellen Parteienspektrums.
  • Der Ukrainekrieg hat dazu geführt, dass die politische Debatte fast ausschließlich um sog. Waffenlieferung ging. Milliarden Euro werden ohne große Debatte für Rüstung aufgewandt. Hinzu kommt die Botschaft, dass die Ukraine deswegen so viel Unterstützung benötigt, weil sie gegen Putin-Russland die Demokratie und die offene Gesellschaft verteidigt. Doch das bleibt für viele Menschen sehr abstrakt – während die galoppierende Inflation, die steigenden Preise, die Auswirkungen der Energiekrise sehr konkret geworden sind. Mit der ernüchternen Feststellung, dass mein Geld nicht reicht, werden viele Menschen allein gelassen.
  • In der wachsenden Anzahl der Bürger*innen, die nicht (mehr) zur Wahl gehen, spiegelt sich am deutlichsten die abnehmende Bedeutung der gesellschaftlichen Institutionen wider, die in der Breite den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Diskurs geprägt und gefördert haben: Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Vereine, Parteien. Bis jetzt ist weder institutionell noch ideologisch für das Vakuum ein Ersatz sichtbar – jedenfalls keiner, der Menschen zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben animiert.

Wohlgemerkt: Diese vier Punkte beziehen sich auf diejenigen, die nicht zur Wahl gegangen sind, und nicht auf die, ihre Stimme abgegeben haben. Es hilft uns wenig, auf die Problemlage der Nichtwähler*innen mit dem Hinweis auf  die Wähler*innen zu antworten, bei denen vieles anders aussieht. Wir werden und in der kommenden Zeit parteiübergreifend und verstärkt mit der Frage auseinanderzusetzen haben, wie wir den gesellschaftspolitischen Diskurs unter und mit denen führen und initiieren können, die sich nicht (mehr) an der Demokratie beteiligen wollen. Denn es nutzt uns wenig, wenn die Ukraine die Demokratie verteidigt, die wir im eigenen Land ausfransen lassen.

13 Antworten

  1. Herr DR. HANS GEORG VON HEYDEBRECK – eine solche Interpretation zur erschreckenden Wahlabstinenz in NRW vertauscht Ursache und Wirkung und ist – gelinde formuliert – im höchsten Maße kurios, um nicht zu sagen völlig daneben. Wirklich, so etwas habe nicht noch nicht gehört.
    Na dann Prost Mahlzeit, liebe Demokratie!

    1. Schon ist Flade wieder auf seinem üblichen Kurs der Bewertung anderer und der oberlehrerhaften Rechthaberei: „Völlig daneben“ – das stimmt, wenn man es auf Sie bezieht. Es ist eben das Problem, daß Flade sehr viel „noch nie gehört hat“. Was wird Käfer wohl sagen?
      Andreas Schwerdtfeger

    2. Herr Flade, so abwegig ist der Gedanke nicht. Viele in NRW, die das Fernseh-Duell zwischen Kutschaty und Wüst – den Bewerbern um das Ministerpräsidentenamt – verfolgt hatten, meinten süffisant: Das war kein Duell, das war ein Duett. Ich, Jahrgang 1950, habe in meinem Leben bisher keine Wahl versäumt. Aber bei dieser Wahl musste ich mit mir ringen, nicht nur einen ungültigen Wahlzettel in die Urne zu geben. Ich musste mich zur Wahl zwingen, dass ich den Eindruck hatte, keine Wahl zu haben bei denen, die Chancen hatten, in den Landtag zu kommen. Dass Kopieren Kopieren von Scholz durch den eigentlich SPD-Linken Kutschaty war ein Schuss ins eigene Parteiknie und hat mir seine Wahl sehr schwer gemacht. Und dieses Empfinden hatten viele Menschen meines Umfeldes. Wenn die Grüne Neubauer vollmundig verkündet , dass es für sie keine roten Linien gibt, dann heißt es für mich: sie will regieren um jeden Preis und ist deshalb nach allen Seiten offen. Von nach allen Seiten offen sagt man im Rheinland auch flapsig, es bedeute, nicht ganz dicht zu sein.

  2. Lieber Herr Wolff, Ihre 4 Gründe für die geringe Wahlbeteiligung in NRW, vor allem im Vergleich zur Bundestagswahl, sind richtig. Es kommt aber noch ein wichtiger fünfter Grund hinzu, der zugleich die Besorgnis darüber geringer macht: Die 4 wichtigsten demokratischen Parteien in NRW sind sich – insbesondere nach Putins Angriff auf die Ukraine – in allen wesentlichen politischen Fragen einig (Umweltschutz, soziale und ökologische Marktwirtschaft, Gleichberechtigung insbes. der Frauen, Förderung und breiter Zugang zu Bildung und Gesundheit, finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine und schließlich Wiederaufrüstung der Bundeswehr). Insofern ist es offenbar für immer mehr Wähler gleichgültig, welche dieser Parteien nun die Regierung stellen. Insofern erklärt sich die geringere Wahlbeteiligung auch als Einverständnis mit der politischen Führung durch die 4 Parteien!

  3. Ich sah gestern eine gut gemachte und sehr ausführliche Doku bei 3sat: Der Fall Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit. (am 12. Juni nach Mitternacht und in halbierter Länge auch im ZDF).
    https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/der-fall-tellkamp-film-100.html

    Während der „Turm“ ein Millionenseller war, wird das neue Buch Tellkamps „Der Schlaf in den Uhren“ überall verrissen.

    Tellkamp ist extrem subjektiv und emotional (ihm kamen bei einer Lesung die Tränen) , nicht mein Fall. Er griff in einer Veranstaltung den Ost-FAZ-Korrespondenten Stefan Locke an, der im Publikum saß. Die FAZ sei „links-grün“. Der erzählte, dass Zuschauer ihn fragten: „Kennen Sie diesen FAZ-Journalisten?“ Monika Maron kommt auch vor und meinte, sie könne nur noch in der WELT und der NZZ veröffentlichen, sicher Nonsens.

  4. Was die NRW-Wahl aus meiner Sicht für die SPD bedeutet, habe ich bereits ausgeführt.
    Ja, auch die dramatisch geringe Wahlbeteiligung von nur 55,5 % (bei einer LANDTAGSWAHL!!) ist ein deutliches Alarmzeichen!
    Den Punkten 2 bis insbesondere 4 von Christians neuestem Blog-Beitrag stimme ich vollständig zu. Zweifel habe ich ein wenig bezüglich der Bedeutung der Corona-Einschränkungen…

    Erschütternd fand ich gestern Abend im Rahmen des 21. Mitteldeutschen Mediendialogs in Leipzig eine Wortmeldung aus dem Publikum, dass wir in Deutschland doch gar nicht in einer Demokratie leben würden, der Redner sich in der DDR viel geborgener und sicherer gefühlt habe. Ob er in NRW zur Wahl gegangen wäre und wenn ja, welcher Partei er seine Stimme gegeben hätte, will ich, glaube ich, gar nicht wissen! Viel wichtiger war mir die Wortmeldung des Ärztlichen Direktors einer Kinderklinik, der den Vater eines krebskranken Kindes in seinem Besprechungszimmer ultimativ vor die Wahl gestellt hat, entweder sein T-Shirt mit Nazi-Parolen sofort auszuziehen, oder des Hauses verwiesen zu werden.
    Wenn nach dem Entstehen von Pegida in Dresden, Legida als dessen Leipziger Derivat relativ schnell wieder eingeschlafen ist, zeigt auch das, dass bürgerschaftliches Engagement wirkt (siehe auch den Beitrag von Jo.Flade, heute 10:16 Uhr)!
    Aber dieses Engagement muss gelernt und erlebt werden, angefangen in Kindergärten, über Schulen, Vereine, Gewerkschaften, Kirchen, am Arbeitsplatz usw. Das haben wir über Jahre nicht nur vernachlässigt, sondern sogar bewusst unterminiert durch Outsourcing, Minijobs, Forderungen nach immer mehr beruflicher und räumlicher Flexibilität, letztlich immer stärkeren Vereinsamungsbestrebungen… Und haben uns die ganzen sogenannten Sozialen Netzwerke diese „Vereinsamung“ am Ende nicht nur verschleiert?

    Könnte man nicht einmal darüber nachdenken, Gemeinschafts-/Gemeinsinn-Initiativen und bürgerschaftliches Engagement wieder stärker in den Fokus zu nehmen und finanziell zu unterstützen (statt immer nur mehr „Ehrenamt“ zu propagieren)?
    Ist es wirklich sinnvoll und notwendig, dass die Herren Musk, Bezos, Zuckerberg, Gates usw. innerhalb weniger Jahre Milliardenvermögen anhäufen können und sich danach nach eigenem Gutdünken und ohne gesellschaftliches Konzept und Kontrolle mit Weltraumfahrt, Hyperloop Verkehrs-Projekten, Entwicklung von Medikamenten gegen AIDS oder Bekämpfung des Hungers in der Welt widmen?

    Zugegeben: damit ist vielleicht ein zu großer Bogen gespannt – schließlich ist das Thema ja (nur) die geringe Wahlbeteiligung in NRW. Aber spätestens seit der BT-Wahl 2021 gehen mir diese grundsätzlichen Fragen nicht mehr aus dem Kopf.

  5. Auch ich finde die niedrige Wahlbeteiligung sehr bedenklich. Zu DDR-Zeiten wußte ich, warum ich mich an den sogenannten Wahlen nicht beteiligte und habe das z.B. auch gegenüber den Leuten vertreten, die mir mit der Wahlurne in der Hand ins Haus geschickt wurden. Heute stehe ich vor jeder Wahl vor intensiven Überlegungen wen ich wählen will und kann. Leider finde ich oft nur wenige zustimmungsfähige Aussagen und Inhalte bei den zur Wahl stehenden Politikern. Ich denke viele intransparente und auch skandalöse Ereignisse im Politikgeschehen verlangen nach Veränderungen und erzeugen Widerwillen und Ablehnung. Stichworte: undurchsichtige Gesetzgebungsverfahren, undurchsichtige Einflüsse von Lobbyisten, die mit ausreichenden Mitteln agieren können, Maskenskandale in der Coronazeit und verborgene Nebeneinkünfte von Politikern, die das Gefühl erzeugen es gehe nur um die eigenen Interessen, letzteres trifft auch auf die vielen Politiker und Politikerinnen zu, die möglichst schnell ihre politischen Verbindungen in der Wirtschaft verkaufen – Herr von Guttenberg, Herr Schröder, Herr von Kläden, Herr Niebel, um nur einige Prominente zu nennen. Hier müssen klarere und überzeugendere Verhältnisse geschaffen werden. Ich denke es sollte zu bestimmten Fragen auch deutlicher die erfragte Volksmeinung eine wichtige Rolle spielen. Das trifft m.E. auf Umweltfragen zu, auf die große Mehrheit, die längst für Geschwindigkeitsbegrenzungen votiert. Das trifft auch auf Volksabstimmungen zu, die leichter zu erlangen sein müssen und deren Ergebnisse im politischen Geschehen unbedingt auch zeitnah berücksichtigt und bedacht sein müssen. Was sollen die Berliner davon halten, die mehrheitlich für die Enteignung der sie über unangemessene Mieten ausplündernden Immobilienkonzerne abgestimmt haben, wenn der dafür notwendige Entscheidungsprozeß verzögert oder gar hintertrieben wird. Warum sind Bürgerräte, wie sie von Mehr Demokratie e.V. angestrebt werden nicht auf allen Ebenen verpflichtend ? Warum gibt es nur in sehr wenigen Kommunen Bürgerhaushalte über die die Bürger auf bestimmte Ausgaben direkt mit ihrem Abstimmungsverhalten Einfluß nehmen können. Wer den Eindruck hat, daß seine Stimme letztlich doch keinen Einfluß hat, wird sich aus dem politischen öffentlichen Leben früher oder später ganz verabschieden und die fortlaufenden, oft irrationalen Individualisierungsprozesse bestärken noch ein solches Rückzugsverhalten. Ich halte auch das Gebaren mit dem die Parteien auftreten und gegeneinander agieren für kontraproduktiv. Wie soll das glaubwürdig sein, wenn man ständig behauptet, daß Inhalte entscheidend sind, bei der Wahlwerbung aber nur Personen ohne Inhalte präsentiert werden oder bestenfalls mit meist inhaltsleeren wohlklingenden Phrasen ? Wie soll das überzeugen, wenn Politiker sich auch gern zu Problemen äußern, die sie inhaltlich nicht erfaßt haben oder über die sie nicht informiert sind ( So ist es schon des öfteren in der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung gewesen, weil man z.B. die Untersuchungen des UBA offensichtlich nicht kennt. Oder wen, außer Rechtsextremisten soll eine Aussage überzeugen wie: „Die Mutter aller Probleme ist die illegale Einwanderung“ ? Ich vermisse oft das Eingeständnis in einer Angelegenheit nichts sagen zu können. Ich wünsche mir mehr Ehrlichkeit, die z.B. gebietet nach dem Verlust der Regierungs – oder Mitregierungsfunktion nicht plötzlich hart eine Position zu kritisieren, die man vorher stillschweigend oder ausdrücklich mitgetragen hat – so z.B. in der Bewertung von Nordstreem 2. Eine meiner häufigen Erfahrungen ist, daß Politiker auf ihnen gestellte Fragen keine Antworten geben oder nur den Teil der Anfrage beantworten, der ihnen keine besondere Mühe bereitet. So ist es mir nicht erstmals, aber z.B. ergangen als ich einen Leipziger Bundestagsabgeordneten bat mir zu erklären inwiefern uns die plötzlich und ohne parlamentarischen Prozeß ins Gespräch gebrachten 100Mrd für die Bundeswehr sicherer machen, wenn doch laut Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm die finanziellen Aufwendungen der Nato im Verhältnis zu denen Rußlands etwa bei 15:1 stehen ? Wie sehen demgegenüber, ich spreche noch von den 100Mrd, die fehlgeschlagenen Bemühungen der UNO aus, die wenigen Mrd. für die Hungernden im Jemen und in Afghanistan aufzubringen? Politiker, die ständig von unseren westlichen Werten reden, sich aber weitgehend vor überzeugenden Antworten in den Fragen sozialer Verantwortung hier im Lande und darüber hinaus weltweiter Gerechtigkeit drücken, sind für alle die in genau diesen Bereichen leiden oder deren Gewissen nicht beruhigt ist, wenn ihre nur eigenen Interessen berücksichtigt werden, leider nicht überzeugend.
    Klaus Pohl, Leipzig, Pfr.I.R.

  6. Christoph Butterwegge, Soziologe / 17. Mai DLF, Interview zur Nichtwahlbeteiligung annähernd 50% der NRW-Wähler; s.d.
    Lieber Christian – völlig richtig und vor allem erschütternd, was Du analysiersen musstest nach dem Wahlergebnis. Und erst recht wird das Wahldesaster in NRW dann noch problematischer, wählen von diese Hälfte der Wahlbeteiligten auch noch immer 5,4% AfD. Dass der aufmerksame Beobachter nach Jahren dieser Alternativ-Katastrophe nicht endlich merkt, wenn ein Tino Chrupalla als rechter „Gesinnungsgenosse“ von A. Weidel und auch noch als Bundesprecher dieser Chaotentruppe vor die TV-Kamera tritt und sein unsägliches Palaver von sich gibt und nicht zu überhören ist, dass von einer parteipolitischen Alternative weit und breit nun wirklich nichts zu sehen ist und es einen nur noch graust. Aber Leute: „Die Stärke des einen ist die Schwäche des anderen“, eine längst bekannte Dialektik. Wie Butterwegge feststellt, begaben sich eben die um Stimmen buhlenden Parteien wie stets in die Zentren, wo sie sich der Stimmen ziemlich sicher sein können, in die entlegenen, peripheren NRW-Land-Bereiche, wo die sozialen Unruhen und die Politikverdrossenheit real sind, trauten sie sich nicht.
    Nicht die seit reichlich 2 Jahre bestimmenden akuten Probleme allein waren Ursachen für die Abstinenz (Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation), sondern die Abwendung vom Mitspracherecht, ja von der Pflicht, diese Demokratie mitzugestalten, sich einzubringen, die diätensatten Politiker am Kragen zu packen und aufzuschreien: Uns gibt es auch noch! Warum reflektiert der Bürger nicht, welch Möglichkeiten er haben könnte, einzugreifen. Es werden immer weniger, die sich aktiv einbringen, woraus sich freilich die Frage nach den gründen stellt.
    Lieber Herr Plätzsch – Ihren Herrn Patzelt würde ich weniger zitieren. Der ist längst überholt, hatte bedenkliche Affinitäten und macht dieser Demokratie nur Schaden, faselt er von einem nationalistischen Autokratismus. Soll er doch de facto allein für diese Verfassung mit aller Vehemenz eintreten, dafür werben, sich engagieren als sog. Politikwissenschaftler für die Würde des Menschen und alles unternehmen, um Nichtwähler zu animieren, an diesem zivilisierten Rechts-System aktiv mitzutun!!! Was passieren würde, wenn – ja so ein Schwachsinn und vor allem völlig uneffektiv!
    Nicht immer nur in den historischen Rückspiegel (so wichtig dies auch sei) schauen, sondern die Gegenwärtigkeiten zur Kenntnis nehmen und für eine Weiterentwicklung und Stärkung dieser unserer Gesellschaft streiten – das scheint mir sinnvoller.
    Nun hoffe auch ich auf eine kluge Regierungsbildung in NRW – schaun wir doch mal, wie weitsichtig die Damen und Herren entscheiden – die Welt dreht sich inzwischen anders, als mancher noch immer denkt. Und ich setze alle Hoffnung auf die Grünen! Guten Tag.

    1. Lieber Herr Flade, Sie haben recht, wenn Sie auf zweifelhafte Aktivitäten des Herrn Patzelt verweisen, veröffentlicht er doch z. B. in der „Jungen Freiheit“ oder in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ https://wjpatzelt.de/ Mir liegt es auch völlig fern, je Protest zu wählen, wenn ich mich auch über Politik oder Personal der Parteien der Mitte gelegentlich ärgere.

  7. „Parteien wie die AfD und DIE LINKE, die sog. Protestwähler*innen binden könnten, haben bei den diesjährigen Landtagswahlen erheblich an Stimmen verloren und konnten nicht in die Landtage einziehen.“
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    In NRW zog die AfD mit 5,4 % in den Landtag ein. Ganz so dramatisch sehe ich den hohen Nichtwähleranteil nicht. Das kommt vielleicht daher, dass man in der DDR Nachteile befürchten musste, wenn man nicht zum „Zettelfalten“ ging.
    Der Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Em. Patzelt äußerte mir gegenüber, Nichtwählen treffe eine Partei bei Weitem nicht so stark wie eine Protestpartei zu wählen. Eine Wahlpflicht einzuführen wie z. B. in Australien wo bei Zuwiderhandlung sogar mit Haft gedroht gedroht wird, lehne ich ab.

    „Denn so erfreulich der Niedergang der rechtsnationalistischen AfD ist – die Nichtwähler*innen bieten ein riesiges Potential für die ständig lauernde Gefahr eines nationalistischen Autokratismus.“
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    Diese Gefahr ist real wie das Ende der Weimarer Republik zeigt. Ein sprunghafter Anstieg der Wahlbeteiligung ging einher mit großen Stimmengewinnen für KPD und NSDAP – Parteien also, deren Ziel es unter anderem war, die Demokratie abzuschaffen und durch totalitäre Ordnungssysteme zu ersetzen. Das Ergebnis der Wahlen vom März 1933 ist bekannt.

  8. Lieber Christian,
    am Sonntag Abend um 18:05 Uhr war das die erste Reaktion meiner Frau und von mir, das ist erschreckend mit der geringen Wahlbeteiligung. Wir dürfen uns nicht an solche geringe Wahlbeteiligungen gewöhnen, wie es schon oft bei Bürgermeisterwahlen geschieht. Wir brauchen einen breiten Diskurs über unser gesellschaftliches Leben und positive Beispiele von gelingendem demokratischen Handeln. Ist meine Generation groß geworden mit dem ermutigenden Aufruf „mehr Demokratie“ wagen, so werden viele Jüngere immer stärker enttäuschter und mutloser, was eine Demokratie leisten kann. Gerade mit ihnen ist das Gespräch zu suchen. Hier haben auch die Journalist:innen eine wichtige demokratische Aufgabe. Nur im gesellschaftlichen Miteinander können wir das „Ausfransen“ der Demokratie aufhalten. Danke für Deinen Beitrag und die vier wichtigen Punkte.
    Herzliche Grüße Hans Scheffel

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