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„beleidigte Leberwurst“ – oder: Solidarität ist keine Einbahnstraße

Seit Monaten provoziert er, der ukrainische Botschafter in Berlin Andrij Melnyk. Von Teilen der deutschen Medien begierig promotet, angestachelt von medialer Präsenz und genüsslich seine Unangreifbarkeit einkalkulierend (schließlich muss man einem Botschafter, dessen Land sich eines Vernichtungsfeldzuges erwehrt, manchen Ausrutscher nachsehen), gefällt er sich in immer neuen und wüsten Beschimpfungen gegen führende Politiker*innen insbesondere der SPD: Keiner bleibt vor seinen Attacken verschont, kein Bundespräsident und kein*e Bundeskanzler*in, ehemalig wie aktuell. Letzter Ausbruch gestern: Weil Bundeskanzler Olaf Scholz es ablehnt, vor dem Bundespräsidenten nach Kiew zu reisen (dessen vor Wochen beabsichtigte Reise von der Kiewer Regierung als „unerwünscht“ abgelehnt wurde), bezeichnet Melnyk ihn als „beleidigte Leberwurst“. Als ob das eine völlig normale Qualifizierung politischen Handelns ist, wird diese Beleidigung sofort von etlichen Medien mit dem Unterton übernommen: der Bundeskanzler solle sich bitte nicht so haben …

Würden diese Beschimpfungen aus einem Bunker in Kiew oder Charkiw nach außen dringen, könnte man noch ein gewisses Maß an Verständnis aufbringen. Aber Melnyk lebt gut beschützt in Berlin. Was er sagt, ist wohl überlegt – auch dann, wenn er sich der Gossensprache bedient. Doch das ist nicht alles. Melnyk gefällt sich darin, Forderungen, was Deutschland der Ukraine an Waffen zu liefern habe, mit der nächsten zu toppen, um dadurch anzuzeigen: alles unzureichend. Dass es in Deutschland aber demokratische Entscheidungsprozesse zu beachten gilt, ist für Melnyk genauso unerheblich, wie die Beachtung der Versammlungs-, Presse- und Redefreiheit. Wenn es nach ihm ginge, dürften bestimmte Personen in den Medien nicht mehr auftreten und Meinungen nicht mehr öffentlich vertreten werden. So beschwerte er sich kürzlich per Twitter darüber, dass der Merkel-Berater Brigade-General a.D. Erich Vad in einer Talkshow auftreten durfte – und beschimpfte diesen unflätig.

Mit Diplomatie hat das alles nichts zu tun, mit weitsichtiger Politik schon gar nicht. Dennoch sollte man Melnyks Auftritte nicht unterschätzen. Ich lasse einmal die Frage beiseite, welche persönlichen Ambitionen er mit seinem Wirken als Botschafter verbindet. Dann bleiben zwei strategische Absichten übrig:

  • Zum einen versucht Melnyk die Sozialdemokratie als aktiven Teil, als Marionette Putin‘scher Expansionspolitik zu diskreditieren, die nach der Pfeife des Kreml tanzt. Nicht anders ist ja sein Vorwurf zu verstehen, Steinmeier habe als Außenminister ein „Spinnennetz der Kontakte mit Russland“ geknüpft. Darum macht Melnyk die Politik, die bis zum 24. Februar 2022 darauf ausgerichtet war, in der Region keinen Krieg entstehen zu lassen bzw. dort wie im Donbas, wo kriegerische Auseinandersetzungen geführt wurden, diese einzugrenzen, direkt für den Überfall Russland auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verantwortlich.
  • Zum andern versucht er, Deutschland in die Rolle einer kriegführenden Partei zu drängen. Darum die immer neuen Forderungen nach „schweren Waffen“ und zuvor nach einer Schließung des Luftraums über der Ukraine.

Nun kann man an der Politik Deutschlands gegenüber Russlands viel kritisieren – nur ihr zu unterstellen, sie habe den Angriffskrieg gegen die Ukraine befördert oder den Weg zu einer Vernichtung der Ukraine bereitet, ist absurd und in der Intension nur noch böswillig. Was aber an den Einlassungen Melnyks besonders beunruhigend ist, sind zwei Dinge:

  • Melnyk stellt mit seinen Eskapaden auch die Politik der Europäischen Union im Blick auf eine europäische Friedensordnung infrage. Denn Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren nicht isoliert gehandelt. Das Minsker Abkommen war der Versuch, den von Putin beabsichtigten Zerfall der Ukraine zu stoppen. Dass dieses Abkommen gescheitert ist, lag nicht an Deutschland oder Frankreich, sondern daran, dass vor allem Russland dieses nie beachtet und zwei Tage vor dem Überfall auf die Ukraine faktisch aufgekündigt hat.
  • Melnyk konterkariert das Narrativ, dass die Ukraine im von Russland aufgezwungenen Krieg die Freiheit, Demokratie, Werte Europas verteidigt. Dazu gehört, dass die demokratischen Institutionen und die gewählte Repräsentanten eines Landes anerkannt werden – auch wenn man politisch anders denkt als die jeweilige Regierungsmehrheit in einem Land.

Kurzum: Wenn Botschafter Andrij Melnyk als Repräsentant der politischen Klasse der Ukraine gelten soll, die nach dem hoffentlich baldigen Ende des Krieges die Geschicke der Ukraine bestimmt, dann sehe ich mit einiger Skepsis einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine entgegen. Denn Melnyk erfüllt in seinem Verhalten alle Kriterien eines autokratischen Politikertyps. Das erkennt man allein daran, dass er sich um die rechtsstaatlichen Gepflogenheiten von Regierungspolitik nicht sonderlich schert. Wir sollten aber sehr wachsam sein gegenüber Entwicklungen, die uns am Ende einen Orbán II bescheren. Auch in Kriegszeiten ist Solidarität keine Einbahnstraße – vor allem dann nicht, wenn es wie in diesem Krieg auch um die Verteidigung der Demokratie gegen nationalistischen Autokratismus geht. Das sollten alle bedenken, die sich derzeit dem ukrainischen Botschafter allzu zu eilfertig an die Brust werfen.

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