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Appell an alle in Sachsen, Thüringen und anderswo, die kirchenleitend tätig sind

Am 1. September 2023 jährt sich zum 84. Mal der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen. Dieser verbrecherische Akt des Nazi-Regimes markiert gleichzeitig den Beginn des 2. Weltkrieges, durch den Europa in Schutt und Asche gelegt wurde. Zeitgleich wurden sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens von den Nazis ermordet – die unfassbare Endstufe eines wahnhaften, aber auch tiefverwurzelten Rassismus und Antisemitismus. Erst sechs Jahre später, am 08. Mai 1945, wurde Deutschland vom Faschismus befreit.

Es ist richtig und angemessen, dass der 1. September seit langem als Weltfriedenstag begangen wird. Denn jeder Krieg ist Ausdruck von friedenspolitischem Totalversagen. Auch unterstreicht jeder Krieg, dass Frieden nicht mit Waffengewalt geschaffen werden kann. Diese Überzeugung beinhaltet: Zu einem aus dem christlichen Glauben abgeleiteten, pragmatischen Pazifismus gehört, im eigenen Verantwortungsbereich alles zu tun, damit kriegerische Aggressionshandlungen im Innern und nach außen eingedämmt werden. Als Kirche tragen wir hier eine besondere Verantwortung – gerade auch dann, wenn offensichtlich die Erfahrungen der vor 60 Jahren entwickelten Friedens- und Ostpolitik und der Friedlichen Revolution 1989/90 in Vergessenheit geraten und Kriegshandlungen wieder als Teil politischen Wirkens angesehen werden.

Im Rahmen dieser Verantwortung und im Blick auf den kommenden Weltfriedenstag richte ich diesen Appell an alle, die leitend in unserer Kirche tätig sind:

  • Beenden Sie jede Form der offiziellen Zusammenarbeit mit Kirchen und Religionsgemeinschaften, die den Angriffskrieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine religiös rechtfertigen.
  • Treten Sie jeder Form von Nationalismus in Deutschland und Europa entgegen. Denn dem Nationalismus wohnt der Keim zum nächsten Krieg inne: Ausgrenzung nach innen, imperiale Machtansprüche nach außen.
  • Sorgen Sie dafür, dass auf allen kirchlichen Ebenen, in Verkündigung, Seelsorge und Unterricht, eindeutig und unmissverständlich dem völkischen Rechtsnationalismus, wie ihn die AfD vertritt, widerstanden wird.
  • Ermutigen sie alle Christinnen und Christen im ländlichen Raum, sich nicht länger vom zunehmenden und immer aggressiver auftretenden Rechtsextremismus einschüchtern zu lassen.
  • Leiten Sie dazu in ihrem Verantwortungsbereich einen breit angelegten, öffentlichen Diskurs ein: völkischer Nationalismus und rechtsextremistische Ausgrenzungspolitik, wie sie von der AfD verfolgt werden, widersprechen den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens und der biblischen Botschaft.
  • Machen Sie dies zum Hauptthema in den kommenden Monaten: auf Pfarrkonventen, diakonischen Konferenzen, Zusammenkünften kirchlicher Werke und vor allem in der öffentlichen Kommunikation einschließlich der Gottesdienste. Alle, die in der Kirche tätig sind, stehen vor der Herausforderung, für Klarheit und Wahrhaftigkeit zu sorgen.
  • Deklarieren sie Ihre Haltung bitte nicht als „persönliche Meinung“, sondern als Notwendigkeit kirchenleitenden Handelns. Nennen sie die Gefahr beim Namen: AfD.

Es wird immer deutlicher: Die völkisch-nationalistische Politik der AfD und anderer rechtsextremistischer Gruppierungen bedroht nicht nur die Demokratie, sie trägt auch nichts zu einer neuen Friedensordnung in Europa bei. Darüberhinaus widerspricht sie diametral allen Grundüberzeugungen des Glaubens. Da, wo die AfD sich im kirchlichen Raum bewegt, missbraucht sie den Glauben als ideologischen Überbau für Ausgrenzung, Menschenverfeindung, Demokratieverachtung. Das müssen wir auch gegenüber den Menschen und vor allem den Kirchenmitgliedern verdeutlichen, die derzeit noch die Rechtsnationalisten der AfD unterstützen. Wir müssen den Menschen sagen: Wer AfD wählt, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus! Dabei kommt es darauf an, den Verwerfungen, Demütigungen, Niederlagen, denen sich Menschen hilflos ausgeliefert sehen, mit neuem Selbstbewusstsein gegenüberzutreten. In diesem Sinn haben wir den Menschen den Rücken zu stärken und sie vor denen zu schützen, die ihnen über kurz oder lang das Rückgrat brechen werden.

So folge ich mit meinem Appell gerne dem Aufruf des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum „Leute, wacht auf!“: »Es müssen … viel mehr meinungsbildende Persönlichkeiten Farbe bekennen – Intellektuelle, Künstler, Unternehmer und Bischöfe« und ich füge an: Schulrektor:innen, Kita-Leiter:innen, Ärzt:innen, Lehrer:innen, Pfarrer:innen, Diakon:innen … Auf sie, auf uns alle kommt es jetzt an!

22 Antworten

  1. Die Schwerdtfeger’schen Einlassungen waren wieder mal gut. Danke. Ansonsten möchte ich den erhobenen Opportunismus-Vorwurf präzisieren:

    Zu diesem Blog bin ich seinerzeit aus Sympathie für das Wolff’sche Engagement gegen die Legida-Bewegung in Leipzig gestoßen. Seitdem haben habe ich hier niemals Zweifel daran gelassen, was ich inhaltlich von AfD und Neuer Rechten halte. Die Zeiten sind komplizierter geworden, wir haben es mit der Gefahr der Ausweitung des Ukraine-Krieges auf ganz Europa zu tun, eine Gefahr, die ich als gravierender einschätze als die der Machtergreifung einer NSDAP 2.0. Ob letzteres stimmt, darüber habe ich mehrfach versucht, sachlich zu streiten. Grund, warum ich die Art und Weise der Debatten um die AfD kritisiere, ist ein gewisser Hauch von Opportunismus, der diese m. E. umweht.

    In einer Kleinstadt in der Oberlausitz oder im Erzgebirge gegen Neonazis aufzutreten, dazu gehört Mut. Auf großer Bühne vor Hunderten von Fans den engagierten Kämpfer gegen „Rechts“ zu geben, befördert das Renommee. Rückgrat ist dagegen wiederum erforderlich, um öffentlich Kritik an der vorherrschenden Sicht auf den Krieg mit Russland zu äußern. Diejenigen, die es tun, laufen Gefahr, massenhaft mit Unrat beworfen zu werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet in der Regel nicht statt. Das alles ist weitgehend irrelevant für Rentner und Pensionisten wie mich oder die Autoren der von mir letztens verlinkten Dokumente. Für aktiv im Leben stehende kann es dagegen existenzgefährdend werden (s. die Fälle Ulrike Guérot, Patrik Baab, Johannes Varwick). Andere, wie Frau Krone-Schmalz oder Michael Lüders sind durch erfolgreiche publizistische Tätigkeit geschützt. Sebastian Krumbiegel unterstelle ich Opportunismus, weil, von Allgemeinplätzen abgesehen, nicht zu erkennen ist, an welcher Stelle er inhaltlich Frau Krone-Schmalz, die vorgesehene Co-Preisträgerin für den Löwenherz Friedenspreis, kritisiert. Daraus leite ich ab, dass er möglicherweise nur die optische Nähe zu einer zur Unperson Degradierten vermeiden will. Hinreichend Druck wurde ja auf ihn ausgeübt. Ich habe einiges von Frau Krone-Schmalz gelesen („Eiszeit“ ist besonders gut; nahezu ein wissenschaftliches Werk) und finde viele der Anwürfe gegen sie unsachlich und geradezu banausisch. Dann denke ich, dass die Vehemenz, mit der hier gegen die AfD zu Felde gezogen wird, mit dem Akzeptieren bestimmter, durch die Wucht der täglichen Propaganda errichteter politischer Tabus kontrastiert. Das ist übrigens die Entpolitisierung, die ich meine und die auch von anderen als solche empfunden wird (Bodo Ramelow, „Ich mache den Alarmismus um die AfD einfach nicht mehr mit“, WELT 28.08.2023). Und es ist das, was mich zum Widerspruch treibt. Kurz gesagt, ich finde es opportunistisch, unter großem gesellschaftlichem Beifall gegen die AfD zu fechten, gegen wesentliche Widersprüche bzw. Schwächen in der derzeitigen Außen- und Sicherheitspolitik aber bestenfalls nur leisetreterisch anzugehen. Und übrigens: Relativierung einer AfD-Gefahr bedeutet nicht deren Verharmlosung. Die Bemerkung von neulich war eine (gelungene) Provokation.

    1. Schön, wenn es den geben würde -„den großen gesellschaftlichen Beifall“, wenn man auf die Gefahren der AfD hinweist. Das ist ja gerade nicht der Fall, lieber Herr Lerchner. Darüber lohnt sich auch mit Sebastian Krumbiegel zu reden. Denn es ist eine billige Unterstellung, ihm „Opportunismus“ zu unterstellen. Nein, es ist eine Haltung, die er an den Tag legt. Denn sicher wäre ihm gerade in Ostdeutschland viel Zuspruch zuteil geworden, wenn er den Preis angenommen hätte. Einen Satz allerdings kann ich nur mit drei Ausrufezeichen versehen: „In einer Kleinstadt in der Oberlausitz oder im Erzgebirge gegen Neonazis aufzutreten, dazu gehört Mut.“!!! So weit ist es also gekommen – und das soll etwas mit „Entpolitisierung“ bzw. „Alarmismus“ zu tun haben? Also frage ich mich immer wieder: Was beabsichtigen Sie eigentlich damit, die Debatte um die AfD als opportunistisch zu degradieren?

  2. Ich fürchte halt, Wolff hat es immer noch nicht begriffen: Brandt hat seine Ostpolitik NUR auf der Basis einer starken westlichen Verteidigungs- und Abschreckungskomponente als Grundlage seiner gesamten Außenpolitik machen können – und insofern war es natürlich keine Appeasementpolitik. Es stellt sich ja sowieso die Frage, ob das Wort – oder das Konzept – „Appeasement“ unter nuklearen Auspizien überhaupt noch reale politische Option ist. Appeasement ging, solange man Überlegenheit erzielen und entweder nutzen oder eben nicht nutzen konnte oder weil man aus der Unterlegenheit Zeit gewinnen wollte. Unter nuklear gerüsteten Mächten gibt es aber keine militärische Überlegenheit mehr – und deshalb ist Politik auf der Basis militärischer Abschreckungskraft um so gefragter. Der augenblickliche westliche Verzicht auf Politik und sein Ersatz durch moralische Rhetorik ist deshalb schwer nachvollziehbar.
    Lerchners Analyse der Lage muß man wohl teilen: „die ukrainische Frühjahrs-/Sommeroffensive (hat) keine Chance, ihre Ziele zu erreichen, der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist weitgehend erfolglos, ein Regime-Wechsel in Moskau nicht absehbar und von einer internationalen Isolierung Russlands reden nur Ignoranten.“ NATO und EU, auch Deutschland, täten gut daran, anstelle ausschließlich auf militärische Lösungen zu setzen, endlich die militärische Unsinnsparole „UKR muss gewinnen; RUS darf nicht gewinnen“ in ein politisches Konzept umzuwandeln, das dann sinnvoll und richtig wäre. Und insofern widerspreche ich auch Herrn Plätzsch: Der einzige Weg zur Sicherheit der UKR ist eben nicht die Aufnahme in die NATO (das ist vielmehr EIN möglicher, aber für die NATO riskanter Weg); eine bessere Möglichkeit wäre (jedenfalls langfristig, aber das ist der Weg in die NATO auch) eine vernünftige trilaterale (EU, RUS, UKR) Handelspolitik mit dem Ziel, Europa wieder herzustellen und RUS von CHN zu trennen. Diese Lösung wäre VOR dem Konflikt (2014) relativ leicht möglich gewesen; sie war in der Zwischenzeit bis Kriegsbeginn 2022 noch möglich; sie ist durch den Krieg enorm erschwert und durch die westliche Rhetorik gegenüber Putin (und dem unsinnigen Haftbefehl – sowas macht man NACH dem Krieg) praktisch ausgeschlossen. Egal ob Status-Quo- oder revisionistische Macht – der Krieg muß POLITISCH beendet werden und dazu führt derzeit kein Weg an Putin vorbei. Und dies gilt, egal ob nun ein UKR-Vorstoß ein bißchen weiter oder ein bißchen weniger vorankommt (u.a. schon deswegen, weil ja die inner-ukrainischen Probleme der Minderheiten, der Korruption, der Ungeübtheit in Demokratie nicht verschwunden sind). Und es gilt auch, daß POLITISCH eine Bindung der NATO-/EU-Ziele AUSSCHLIESSLICH an Selenskyis Äußerungen einer Kapitulation eigener Formulierung von Politik gleichkommt.
    Man sieht an dieser Diskussion, daß sich jeder für seine Thesen nur seine Argumente aussucht und die gegenläufigen vernachlässigt. Wolff verweis im Zusammenhang mit der AfD-Gefahr auf „… vor 90 Jahren …“ und übersieht dabei völlig, wie die Lage damals war im Gegensatz zu heute:
    – es gab eine zunehmend instabile Demokratie, die von rechts wie links angegriffen wurde und sich nur noch mit präsidialen Diktaten dahinschleppte; heute haben wir eine nach wie vor starke Demokratie, die von einer deutlichen Mehrheit getragen wird.
    – es gab eine in demokratischen Verfahren ungeübte und in grossen Teilen diese ablehnende Bevölkerung; heute – noch – haben wir eine Wählerschaft, die sich im entscheidenden Moment doch noch zum System bekennt, auch wenn die Maßstäbe leider sinken.
    – es gab eine erhebliche Unzuverlässigkeit der staatlichen Monopolorganisationen – Justiz, Polizei, Streitkräfte, Beamtenschaft -, die aus Angst, Opportunimus oder Revisionismus das demokratische System nicht wirklich stützten; heute sind diese Organisationen eindeutig staatstreu und erkennen den politischen Primat in Form der Parlamente an.
    Ein Vergleich mit „vor 90 Jahren“ ist also Angstmache und zeigt Angst.
    Richtig ist, daß Europa einen „Rechtsruck“ erlebt. Dies liegt ganz erheblich, wenn auch nicht ausschließlich, daran, daß eine ausgeglichenere Politik von links her mit ideologischem Dogmatismus verhindert wird: Die Migrations-, Sozial-, Klima- und – soweit überhaupt vorhanden – Wirtschaftspolitik unserer derzeitigen Regierung ist offensichtlich kaum vermittelbar und treibt die Menschen aus der Mitte.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. „und übersieht dabei völlig, wie die Lage damals war im Gegensatz zu heute:“
      Ein ganz wesentlicher Aspekt waren auch die historischen Ereignisse, die die Bevölkerung in den Jahren vorher ertragen mußte. Vom Deutschen Reich, dass vor dem 1. WK zu den führenden 3 Ländern der Welt gehörte, war man über den opfer- und entbehrungsreichen WK 1, die Inflation und die Weltwirtschaftskrise nach unten durchgereicht worden.
      Dabei sind sämtliche moralischen und gesellschaftlichen Werte stark verändert worden bzw. verloren gegangen.
      Die Kriegsanleihen des 1. WK, die man zur Finanzierung des Krieges an die Bevölkerung verkauft hatte (> 100 Mrd Reichsmark) waren nach der Inflation insgesamt!!! nur noch Pfennige wert, die Bevölkerung also enteignet. Weitere Enteignungen fanden statt.
      Insgesamt ergaben sich so Verhältnisse und Einstellungen, die es leicht machten die Unzufriedenheit und Wut auf Sündenböcke zulenken und Rattenfänger hatten ein leichtes Spiel.
      Erwin Breuer

      1. Wie bitte? Sie nehmen die Debatte um die Ostpolitik zum Anlass, uns ein Märchen über die Entstehung des Faschismus zu erzählen? Niemand wurde gezwungen, die NSDAP/Hitler zu wählen. Allein die Wortwahl ist verräterisch: Welche „moralischen und gesellschaftlichen Werte“ sind denn verlorengegangen nach dem 1. Weltkrieg? Etwa die, die ihn ermöglicht haben? Das leider nicht!

  3. Soll der Text vom 28. August zur Einführung in das aktuelle Thema allen Ernstes als Beitrag zur Würdigung des Weltfriedenstages verstanden werden? Wenn ja, fühle ich mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass der Alarmismus um die AfD zu einer schädlichen Entpolitisierung der gesellschaftlichen Debatten führt.

    Es ist wohl wahr, dass Nationalismus und Krieg nahe beieinander liegen. Das haben nicht zuletzt die tragischen Entwicklungen in der Ukraine gezeigt. Dmytro Dontsov (galizischer Nationalist und Autor): Eine ständige nationale Mobilisierung für einen Krieg mit Russland wäre für die Ukraine eine hervorragende Möglichkeit, den nationalen Willen zu entwickeln, den sie braucht, um in einem feindlichen internationalen Umfeld zu überleben. Arsen Avakow (ehemaliger ukrainischer Innenminister) im Juni 2014: Ein Krieg mit Russland ist nicht zu fürchten, da er eine heilsame und reinigende Wirkung auf die Nation haben würde [1]. Einzusehen, dass die wahrscheinlich auch perspektivisch machtlose AfD wesentlichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in Europa und der Welt haben könnte („Kriegspartei AfD“?), dafür fehlt mir die Phantasie.

    Den Weltfriedenstag zu würdigen, bedeutete für mich, sich mit den tatsächlichen Widerständen gegen eine Friedenslösung in der Ukraine zu befassen. Nach Ansicht prominenter Fachleute hat die ukrainische Frühjahrs-/Sommeroffensive keine Chance, ihre Ziele zu erreichen [2], der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist weitgehend erfolglos, ein Regime-Wechsel in Moskau nicht absehbar und von einer internationalen Isolierung Russlands reden nur Ignoranten. Es gibt offensichtlich keinen Weg vorbei an einem Kompromiss. Weitere Verwüstungen des Landes und noch mehr Tote und Verwundete hinzunehmen, nur hehrer Prinzipien wegen, ist inakzeptabel. Den „Kriegsfreunden“ mit ihren dauernden, penetranten Rufen nach noch mehr „Wunderwaffen“ für die Ukraine sollte energisch Paroli geboten werden. Auch wenn das Gewicht der Stimme Deutschlands in der Welt gelitten hat (wer hat schon Respekt vor einem Land, das sich klaglos seine Infrastruktur von „Freunden“ wegsprengen lässt?), ist m. E. eine breite Mobilisierung der Bevölkerung nötig, um Druck auf die Regierenden auszuüben, sich energisch für einen Kompromissfrieden in der Ukraine einzusetzen. Das Feld sollte nicht der AfD überlassen werden. Vorschläge für die Ausgestaltung eines Kompromissfriedens gibt es einige (gerade erst: Harald Kujat, Peter Brandt, Hajo Funke und Horst Teltschik, „Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden“, [3]; Günter Verheugen, „Das Gemetzel muss beendet werden“, [4]). Den Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie nicht einseitig Kiewer Forderungen übernehmen, sondern die Komplexität des Ukrainekrieges berücksichtigen. Klar, widerstrebt es Opportunisten, sich ernsthaft und öffentlich mit der komplizierten Vorgeschichte des Ukrainekrieges auseinanderzusetzen und die Lösung der inneren Konflikte der Ukraine als eine der Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in diesem Land anzuerkennen (s. die Affäre um die beabsichtigte Verleihung des Löwenherz Friedenspreises an Gabriele Krone-Schmalz und den Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel).
    [1] Nicolai N. Pedro, The Tragedy of Ukraine, W. de Gruyter, 2023, S. 175/176
    [2] https://mearsheimer.substack.com/p/bound-to-lose
    [3] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/705608/den-krieg-mit-einem-verhandlungsfrieden-beenden
    [4] http://www.e-pages.dk/weserkurier/171502/article/1882601/3/1/external/?token=77e29aefc7e0fe09d5d2329bbc98048b&s=09

    1. Nein, lieber Herr Lerchner, umgekehrt: der Weltfriedenstag ist für mich Anlass, einen Appell an diejenigen zu richten, die kirchenleitend tätig sind. Ihre Würdigung des Weltfriedenstages ist in meinen Augen zum einen mehr als fragwürdig, zum andern kann ich ihr durchaus folgen. Allerdings muss ich Ihnen in zwei Punkten sehr deutlich widersprechen:
      1. Ihre Verharmlosung der AfD gehört bei Ihnen offensichtlich zum Setting Ihrer politischen Lageanalyse. Da frage ich mich natürlich: Was bezwecken Sie damit? Wen wollen Sie damit „beruhigen“ oder schützen? Dass Ihnen in Sachen AfD die Phantasie fehlt sich vorzustellen, dass diese Partei einmal die Politik in Europa bestimmen könnte, nehme ich Ihnen als sehr informierten Menschen nicht ab. Natürlich steckt in der AfD dieses Potential, zumal es in fast allen europäischen Ländern die AfDs gibt. Wenn sie erst einmal ihren Nationalismus ausleben können … ach, das muss ich nicht weiter ausführen. Wir brauchen nur 90 Jahre zurtückzudenken.
      2. Dass es in der Ukraine Natioanlisten gibt, ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis. Nur: Was Sie damit insinuieren wollen, ist sehr durchsichtig: Es handelt sich beim Ukrainekrieg um ein „tragisches“ Ereignis. Nein: Dass der Konflikt Russland-Ukraine jetzt kriegerisch ausgetragen wird, liegt vor allem am Despoten Putin. Niemand hat ihm diesen Krieg aufgezwungen. Er hat ihn begonnen. Darin sind sich übrigens Peter Brandt, Hajo Funke, Harald Kujat und Horst Teltschik einig.
      Ansonsten bin ich Ihnen dankbar für den Link, der zu dem Memorandum von Brandt u.a. führt. Diesem Memorandum kann ich nur zustimmen. Es ist sehr klar und wegweisend. Was allerdings auch deutlich wird: eine so differenzierte Haltung eignet sich derzeit (noch) nicht für eine Massenbewegung – vor allem dann nicht, wenn die Haltung zur AfD so ist wie bei Ihnen. Insofern bin ich froh, dass Sebastian Krumbiegel die Entgegennahme des sog. Löwenherz-Friedenspreises abgelehnt hat.
      Beste Grüße Chriostian Wolff

      1. Zu dem „klaren und wegweisenden Memorandum“ von Brandt et al.:

        Wer glaubt, dass sich Herr Dr. Putin ( trotz Plagiatsvorwürfen so korrekt – https://ogy.de/gvxthttps://ogy.de/8y7n) an irgendwelche Vereinbarungen ohne massive militärische Abschreckung durch den Westen halten wird, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Letztlich kann nur eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine eine echte Sicherheitsgarantie gewähren.

        1. Diese Einlassung erinnert mich sehr an die Kritik an Brandts Ost- und Friedenspolitik. Auch da waren die Gegner Brandts der Meinung, dass man mit der UdSSR nicht verhandeln kann und dass, wenn man es tut, morgen der Iwan in Bonn einmarschiert.

          1. Zwischen der UdSSR zur Breshnew-Zeit und dem heutigen Rußland besteht ein signifikanter Unterschied: Die Macht lag damals in den Händen des Politbüros der KPdSU, also einem kollektiven Organ unter dem Vorsitz des Generalsekretärs, der abgewählt werden konnte (Chruschtschow). Heute regiert eine Mafia nach deren Gesetzen. Außerdem war die SU eine Status-Quo-Macht, während die heutige Russische Föderation eine revisionistische Macht ist. Selbstverständlich muss mit deren Paten verhandelt werden, aber nur aus einer Position der Stärke heraus – wie übrigens Vater Brandt damals auch .

            https://www.tagesspiegel.de/politik/zur-entspannung-gehort-von-anfang-an-die-eindammung-8129434.html

          2. Ja, 50 bis 30 Jahre später mag man das so sehen, aber das ändert nichts daran, dass damals, in den 60er und 70er Jahren die Gegner der Ostpolitik nicht müde wurden, vor dem imperialistischen Politik des Kommunismus in Gestalt der UdSSR zu warnen und die Ostpolitik als gefährliche Appeasement-Politik zu verunglimpften.

      2. Und hier noch Bemerkungen zu Details:
        Selbstverständlich habe ich mit Bedacht von einer „tragischen“ Entwicklung gesprochen, sehr wohl erwartend, dass diejenigen, die sich dem herrschenden Narrativ über den Krieg mit Russland unterworfen haben, an dieser Stelle aufschreien werden. Zum gefühlt hundertsten Mal: Es bestreitet kein vernünftiger Mensch, dass Putin der Aggressor in diesem Krieg ist und keiner ihn zu diesem Krieg gezwungen hat. Von einer Tragödie spreche ich deshalb, weil sich über die Jahre zwei Prozesse entwickelt haben, die mit aller Macht aufeinander zugerast sind, ohne dass jemand die Weichen bedient hat, die die Katastrophe hätte abwenden können. Damit meine ich einerseits den Versuch des Westens und vor allem den der USA, das sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ergebende freie Terrain im Osten politisch und militärisch zu besetzen und insbesondere die Ukraine zu einem westlichen Bollwerk an Russlands Grenze zu machen [1], und andererseits das Bestreben des aus der Misere der neunziger Jahre wieder herauswachsenden Russlands, seinen Machtbereich sich nicht weiter einengen zu lassen bzw. diesen wieder zu erweitern. Darüber ist mittlerweile so viel geschrieben worden, dass ich mir weiteres erspare.

        Es mag ja sein, dass die Kenntnis vom Nationalismus in der Ukraine keine neue ist. Sie fand und findet in der westlichen Politik aber keinen Niederschlag. Und dass sie praktisch unterdrückt wird, ist Grundlage für zahlreiche Lügen, die Eingang in die herrschende Propaganda gefunden haben. Hier nur zwei Beispiele:

        Als im Frühjahr 2014 die Aufstände gegen den gewaltsamen Maidan-Umsturz in Kiew auch auf der Krim Fahrt aufnahmen, gab der damalige Präsident Turchynov die Parole heraus „Wir müssen mit dem Mythos aufräumen, dass die Krimbewohner eine Rebellion gegen die Ukraine angefangen haben. Das sind keine Krimbewohner. Es handelt sich ausschließlich um eine (russische) Militäroperation …“. Das war eine Propagandalüge, die sofort vom Westen bereitwillig übernommen wurde. Unmittelbar nach Beginn des Aufstandes wechselten 70-80% der ukrainischen Armee auf der Krim die Seite. So auch die Chefs der Marine, des Innenministeriums und des Grenzschutzes. 189 ukrainische Militäreinheiten hissten sofort die russische Flagge. Der Aufstand wäre niedergeschlagen worden ohne die russischen Truppen im Rücken, so wie das in Odessa geschah (Massaker von Odessa) und im Donbass versucht wurde. Jetzt reden wir nur noch von den „grünen Männchen“, die die russische Annexion der Krim bewerkstelligt haben sollen.

        In einer Spiegel-Diskussion bemühte vor einigen Wochen Frau Strack-Zimmermann wieder mal die Falschdarstellung (Lüge?), dass Russland 2014 im Donbass den Krieg begonnen hat. Richtig ist, dass als Reaktion auf die Machtergreifung durch die russlandfeindliche Regierung in Kiew es auch im Donbass zu heftigen Protesten kam, in deren Folge zahlreiche Verwaltungszentren von Rebellen besetzt wurden. Am 27. April 2014 ist die Lugansker Volksrepublik ausgerufen worden. Nachdem blutige Attacken rechtsextremer Freiwilligen-Bataillone von den Rebellen abgewehrt worden waren, startete Poroschenko am 30. Juni 2014 einen Bombenkrieg gegen den Donbass mit Tausenden von Toten als Folge. Bekanntermaßen erlitten die ukrainischen Streitkräfte entscheidende Niederlagen, so dass die ukrainische Führung die beiden Abkommen von Minsk akzeptieren musste, die eine weitgehende Autonomie der Donbass-Gebiete zum Ziel hatten. Von den mehr als 30 Tausend Mann, die auf Seiten der Rebellen kämpften, waren nach ukrainischen Quellen ungefähr 10% russische Kräfte. Die OSZE-Beobachtungsteams hatten keine gefunden. Dass die Umsetzung dieser Abkommen von Beginn an von der Kiewer Seite torpediert worden war, kann nicht bestritten werden. Und wenn Frau Merkel nicht gelogen hat, geschah das mit Billigung Deutschlands und Frankreichs. Belege dafür finden sich in dem von mir letztens zitierten Buch von Nicolai N. Petro.

        Ist es nicht ärgerlich, tagein, tagaus für dumm verkauft zu werden?

        [1] https://mearsheimer.substack.com/p/the-darkness-ahead-where-the-ukraine

        1. „Tragisch“ im Sinne von schicksalshaft ist eigentlich ganz wenig im Leben. Es sind immer Menschen und Mächte für Entwicklungen verantwortlich. Darum bin ich mit dem Gebrauch des Wortes „tragisch“ sehr vorsichtig. Meistens soll damit etwas verschleiert werden. Das will ich nicht Ihnen, lieber Herr Lerchner unterstellen, aber wir reden jetzt über einen Krieg. Dieser wurde von Russland begonnen. Eine schicksalhafte Zwangsläufigkeit bestand dafür nicht – unabhängig davon, dass bestimmte Vorgänge aus den Jahren und Jahrzehnten zuvor als Erklärung dafür dienen können, warum das Putin-Regime sich zur Kriegsführung entschlossen hat. Erklärungen sind aber keine Rechtfertigung! Insofern können Ihre Ausführungen höchstens als Erklärung dienen (wobei es sehr andere Einschätzungen der Vorgänge auf dem Maidan 2014 gibt). Aber das ändert für mich nichts daran, dass Russland die Hauptverantwortung für das grausame Geschehen seit dem 24.02.2022 trägt – auch dies unabhängig davon, dass sicher nicht alle militärisch-kriegerischen Reaktionen der Ukraine gerechtfertigt sind und dass auch auf Seite der Ukraine Kriegsverbrechen stattfinden.
          Klar ist für mich: Es muss jetzt – im Sinne des Memorandums von Peter Brandt u.a. – dringend zu Verhandlungen kommen. Dass diese Priorität derzeit auch von der Bundesregierung nicht gesetzt wird, halte ich auch für einen gravierenden Fehler. Christian Wolff

  4. 1. Ich habe nicht zu „diversen Fragen“, sondern konkret zum Thema Ihres Beitrages Stellung genommen.
    2. Meine Einlassung zur Wehrmacht ist nicht nur teilweise nachvollziehbar; sie beschreibt vielmehr die „Rangordnung“ politischer Ebenen; das was von Clausewitz bis heute „der Primat der Politik“ genannt wird. Daß die Wehrmacht in die Verbrechen des Nazi-Regimes verstrickt war, wird durch diese meine Anmerkungen weder bestritten noch geleugnet. Das Problem freilich ist, daß ja ALLE Berufsgruppen durch diese Diktatur korrumpiert wurden – die Beamtenschaft, die Juristen, die Professoren und Lehrer, große Teile der Kirchen, der Sport, die Gewerkschaften und die Kultur, auch das „einfache Volk“ in Form von Blockwarten und Spitzeln, „unabhängig davon, dass sich später aus (allen diesen Gruppen) heraus Widerstandsgruppen gebildet haben“. Es ist das Kennzeichen von Diktaturen, daß sie immer das ganze Volk „gleichschalten“.
    3. Ihre sonstigen Anmerkungen, lieber Herr Wolff, zeigen wieder einmal, wie sehr Sie Meister im argumentativen ausweichen und wegducken sind: Ich zitiere einen Minister Ihrer bevorzugten Partei in dem Sinne, daß militärische Vorsorge notwendig ist; Sie machen daraus ein „No-Go für militärische Interventionspolitik“, die hier gar nicht zur Debatte steht – abgesehen davon, daß Sie sich also gegen den Einsatz des Westens in der UKR äußern? Ich sprach von der Notwendigkeit, nicht nur den Ist-Zustand zu beklagen (was Sie dauernd aggressiv tun), sondern die Zukunft zu gestalten (was Sie regelmäßig versäumen), was nichts mit „vor Ort“ zu tun hat, wenn Sie sich zB auf Baums Appell beziehen. Immerhin schön, daß Sie anerkennen, daß „reale Politik … anders aussieht“ als es sich die Gutmenschen hierzulande vorstellen. Das genau ist ja die Erkenntnis, die ich bisher bei Ihnen so schmerzlich vermißt habe.
    Andreas Schwerdtfeger

      1. Na, das erklärt ja dann Ihre politische Naivität. Im übrigen verweise ich gerne auf Erich Kästner, „Pünktchen und Anton“, (14. Nachdenkerei „Vom Respekt“):
        „In der Gegend, wo ich geboren bin, gibt es ein Wort, das heißt: dummgut. Man kann vor lauter Freundlichkeit und Güte dumm sein, und das ist falsch.“
        Andreas Schwerdtfeger

  5. Mit einem Satz, der leider die hier verbreitete Unkenntnis politischer Zusammenhänge widerspiegelt, beginnt Ihr Beitrag, lieber Herr Wolff. Denn nicht die Wehrmacht überfiel Polen, sondern das Deutsche Reich, das sich hierzu eines seiner politischen Instrumente, der Wehrmacht, bediente. Wer diesen Unterschied nicht kennt und auch sprachlich verdeutlicht, ist entweder böswillig (was ich hier nicht unterstelle) oder er versteht eben nichts von Politik (was ich hier unterstelle). Es ist dies keine semantische Frage; ich will es auch nicht zu einer „ideologischen“ Frage erklären (obwohl sicherlich viele im heutigen Deutschland es sich auf diese Weise einfach machen und sich selbst aus der Verantwortung für heutige Politik stehlen wollen). Es ist vielmehr eine Frage der Einsicht in die Tatsache, daß POLITIK die Dinge steuert, dort die Verantwortung liegt (wie man ja gerade heute auch an den Bemühungen der Bundesregierung im UKR-Konflikt deutlich sehen kann) und die Instrumente zwar nicht freigesprochen werden können, aber eben doch „nur“ die Ausführenden sind. Dies begründet ja auch die MITschuld einer obersten militärischen Führung wie der der Wehrmacht, die sich in den Nürnberger Prozessen zu Recht spiegelte, die aber eben der POLITISCHEN Führung die Verantwortung nicht abnehmen kann. Einer der wichtigen Unterschiede zwischen Diktaturen und Demokratien ist ja, daß der politische Führer des demokratischen Staates KEIN Soldat ist (was nicht heißt, daß er oder seine Minister nicht ehemalige Soldaten sein können), daß Diktaturen im Gegensatz gerne und absichtlich Verantwortung durch „Personalunion“ verwischen, sondern die ZIVILE Autorität des Staates und damit das weit über die Streitkräfte hinaus gespannte instrumentelle Spektrum des Staates verkörpert. Das Deutsche Reich also überfiel Polen und verantwortet damit den Krieg – und das bedeutet, daß ALLE Bürger dieses Reiches in der Verantwortung standen, nicht nur die in der Wehrmacht dienenden. Die politische und ethisch-moralische Nähe von Repräsentanten der Gesellschaft, der Kirchen UND der Streitkräfte untereinander im Widerstand gegen Hitler und seine politische Diktatur verdeutlicht dies von der oppositionellen Seite her.
    Ansonsten, Herr Wolff: ALLE Ihre Einzelappelle sind nachvollziehbar und richtig. Man darf nur nicht stehen bleiben bei einem Appell à la Baum, sondern das „Farbe bekennen“ muß sich in konkreten politischen Handlungsvorschlägen äußern, weil es ansonsten Alibi bleibt. Von der Kanzel herab zu schimpfen und wohlfeile, aber nichtssagende Ratschläge zu geben, wie Baum es tat, ist billig und unproduktiv im besten, kontraproduktiv im schlimmeren Fall.
    Konkret: Wer gewählte Bürgermeister aus der demokratischen Mitte wegen anderer Meinungen als „Teil des Problems“ bezeichnet, insbesondere wo wir ja alle wissen, daß kommunale Beamte heute unter besonderem Druck, unter besonderer Anfeindung und (schon aufgrund ihrer Zahl) mit ungenügendem Schutz ihrer Person und Familie ihre wertvolle und wichtige Arbeit machen, der schadet unserer Demokratie und bekämpft die Falschen (was den Radikalen nützt). Wer nicht erkennt, daß die Parteien des demokratischen Spektrums über Meinungsgrenzen hinweg zusammenhalten und sich verbal mäßigen müssen im Umgang miteinander gegen die gemeinsame Bedrohung aus den Flanken, der fördert die Bedrohung. Wer nicht über Schlagworte hinaus denkt, zB „Brandmauer“ (ein taktisch untaugliches Konzept), und glaubt, mit dem Ableiern solcher Vokabeln seine demokratische Gesinnung zu beweisen, der bleibt unter der Schwelle dessen, was Sie, Herr Wolff, hier zu Recht fordern. Wer aus populistischer Augenblicklichkeit heraus nur die Positionen der Radikalen auch dann angreift, wenn sie erkennbar die „Sorgen des Volkes“ sind, anstatt ihren Primitivlösungen und -zielen bessere eigene Vorschläge gegenüberzustellen, der paßt sich dieser Primitivität an. Baum hätte gut daran getan, sein „Wacht auf“ mit einem Vorschlag für das „Wie“ und „Was folgt daraus“ zu untermauern.
    Und nun noch kurz zum Militär: Verteidigungsminister Hans Apel (SPD)(1972-74 ParlStS im AA, 1978-82 VgMin, also kenntnisreicher Außenpolitiker) schrieb 1980: „Daher ist heute Friede der zentrale Auftrag an die Politik, zu dessen Erfüllung sie auch militärische Mittel braucht, die aber primär keine Kriegsführungsmittel sind, sondern durch ihr Vorhandensein und durch die nicht auszuschließende Möglichkeit ihres Einsatzes Krieg unführbar machen. … Von daher hat zugleich der Dienst des Soldaten einen zutiefst humanen Sinn.“ Eben dieser richtige Grundsatz rechtfertigt heutzutage die Militärseelsorge und in eben diesem Sinne ist soldatischer Dienst heute in Demokratien moralisch hochwertig und „pazifistisch“ – nicht wegdrücken nämlich, sondern angesichts der Realität sich einzusetzen für die Vermeidung des Unglücks. Pazifismus ist eben nicht die Negierung der Realität und Verlagerung der Bürde auf andere, sondern die aktive Unterstützung der politischen Notwendigkeiten zur Erhaltung / Wiederherstellung des Friedens – einer POLITISCHEN Aufgabe unter Beimischung militärischer Mittel, hoffentlich nur als Vorsorge.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Schön, lieber Herrschwerdtfeger, wie Sie meinen Blog-Beitrag zum Anlass nehmen, sich zu diversen Fragen zu äußern. Ihre Einlassung zur Verantwortung der Deutschen Wehrmacht ist nur zum Teil nachvollziehbar. Was den Überfall auf Polen angeht, haben Sie Recht. Der Überfall geschah auf Befehl von Adolf Hitler. Insofern ist das Deutsche Reich für die Aggression verantwortlich. Das wäscht aber die Wehrmacht nicht rein. Sie war aktiver Teil des Faschismus – unabhängig davon, dass sich später aus der Armee heraus Widerstandsgruppen gebildet haben.
      Schön auch, dass Sie meine Appelle für „nachvollziehbar und richtig“ halten. Schön auch, dass Sie konkrete Schritte anmahnen. Um die geht es ja! Sie müssen vor Ort getätigt werden – und werden es hoffentlich an vielen Orten, z.B. auch in Seligenstadt und Klein-Krotzenburg. Ein Bürger hat einen konkreten Schritt vollzogen.
      Ja, das Zitat von Hans Apel zeigt, dass militärische Interventionspolitik eigentlich ein No-go ist. In diesem Sinn hat sich bis zuletzt auch Helmut Schmidt geäußert. Leider sieht die reale Politik an vielen Stellen anders aus.
      Beste Grüße, Christian Wolff

  6. Haben Sie, lieber Herr Wolff, einen konkreten Anlass für Ihren Appell, also dass kirchenleitende Gremien nicht genug gegen die AfD tun? Gilt Ihre Aufforderung, Gläubige zu einem „pragmatischen Pazifismus“ anzuhalten auch für die Mitarbeiter des Evangelischen Militärpfarramts Dresden? https://ogy.de/80l4

    1. Ja, es gibt ausreichend Anlass für diesen Appell – nicht zuletzt die Umfrageergebnisse für die AfD und die allerorten wachsweiche Reaktion auf den ganz alltäglichen Faschismus. Ja, ein pragmatischer Pazifismus sollte auch Leitlinie für die Arbeit der Militärseelsorge sein.

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