War’s das nun mit der sog. Flugblatt-Affäre des Hubert Aiwanger? Vielleicht ja – es sei denn, man stellt den Vorgang in einen ihn angemessenen Kontext. 2010 erschien das Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“. Dieses wurde von erstaunlich vielen Medien zum Bestseller gehypt. In meinem Weihnachtsbrief 2010/11 machte ich mir Gedanken darüber, welche gesellschaftspolitischen Signale von einem Buch ausgehen, das eigentlich nur als „zynisch, überflüssig und nicht der Rede wert“ betrachtet werden kann:
Gefährlich allerdings sind für mich die Beweggründe eines großen Verlages und verdächtig vieler Medien, ein solches Buch auf den Markt zu werfen und zu einem Großereignis zu pushen. Offensichtlich sollen menschenverachtende Pauschalurteile, eugenische und nationalistische Diktionen, die mit den Grundwerten unseres Glaubens und mit einem respektvollen Umgang auch mit schwierigen Menschen nicht vereinbar sind, salonfähig gemacht werden. Vor allem sollen moralisch gebundene Grundpositionen als für Bereinigungsstrategien hinderlich diskreditiert werden. Also werden diejenigen, die sich illusionslos und unverdrossen der Integrationsaufgabe stellen, mit einer verächtlichen Überheblichkeit als „Gutmenschen“ verhöhnt – wobei ich es als einen Tiefpunkt in der politischen Debatte betrachte, wenn der Begriff „guter Mensch“ zum Schimpfwort geriert. Und ebenso frage ich mich, wieso derzeit so leichtfertig vom „Scheitern der Integration“ gesprochen wird. Dabei ist in unserem Land das Gelingen von Integration die Regel – auch dank des Integrationswillens vieler Ausländer:innen. Doch eine solche Sicht können die nicht gebrauchen, die jetzt die Zeit gekommen sehen, sich von gesellschaftlichem Ballast zu „befreien“. Mehr denn je stehen wir aber vor der Aufgabe, uns so verschiedene Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und uns gegenseitig abzuverlangen, diesem Geschenk gerecht zu werden.
Die hier beschriebene Diskursverschiebung nach rechts hat sich in den vergangenen 13 Jahren dramatisch verschärft: als 2015ff Hunderttausende Geflüchtete zuwanderten, während der Corona-Pandemie, in einer Zeit multipler Krisen (Inflation, Ukraine-Krieg, Energiewende, Klimawandel). Politische Entwicklungen, die genügend Einflugschneiden für diejenigen öffnen, die den Systemwechsel wollen und darum Ressentiments gegen missliebige Menschengruppen schüren und Sündenbockmentalität schüren. Insofern ist es wenig rätselhaft, warum die rechtsextreme AfD derzeit ein Umfragehoch erlebt und warum die Auseinandersetzung um den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger so verläuft, wie es sich jetzt abzeichnet: gezwungenermaßen zu bereuen, mit Äußerungen von vor 35 Jahren „Gefühle“ anderer verletzt zu haben – um dann ganz schnell weiterzumachen wie bisher, nämlich nicht das besagte Flugblatt, sondern die angebliche Pressekampagne, durch die das „einschneidende Erlebnis“* aus dem Jahr 1987 an die Öffentlichkeit kam, als „schmutziges Machwerk“ zu bezeichnen. Damit unterstreicht nicht nur ein Hubert Aiwanger: Die 2010 gezielt initiierte Diskursverschiebung begann nicht in einem extremistischen Lager, sondern in den Wohnzimmern (und Amtsstuben) wohliger Bürgerlichkeit unserer Gesellschaft – so wie sich der Antisemitismus, Rassismus und die Demokratieverachtung vor allem in der sog. Mitte der Gesellschaft breitmachen, so wie auch die AfD einst als „Professorenpartei“ an den Start ging (doch ihr Weg in den Rechtsextremismus war schon durch Bernd Lucke, Frauke Petri, Jörg Meuthen vorgezeichnet).
Insofern ist es wenig überraschend, dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Bierzelt des Gillamoos (und zuvor im Sauerland und thüringischen Apolda) mottomäßig ausruft: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, sondern …“ Ach so, jetzt werden Bezirke Deutschlands zum Ausland erklärt, in denen viele Migrant:innen leben, kulturelle Vielfalt herrscht und soziale Konflikte aufbrechen. Die gehören also nicht zu Deutschland – es sei denn, sie passen sich der Kultur bayerischer Volkstümlichkeit an. Was damit bezweckt wird, ist klar: eine Trennunglinie zwischen „die“ und „wir“, genau das, was jede Integration scheitern lässt und sich als Baustein für Nationalismus bestens eignet. Kein Wunder also, dass in einem solchen ideologischen Umfeld ein Hubert Aiwanger nichts zu befürchten hat und sich wenig um Glaubwürdigkeit scheren muss. Denn er kann ja davon ausgehen, dass inzwischen zu viele Bürger:innen, die ihm im Bierzelt zujubeln, ihren Ressentiments freien Lauf lassen: Liegt alles lange zurück … man soll sich nicht so haben … wer hat schon nicht einmal einen Judenwitz gerissen … und wenn man nach Israel blickt – so viel besser als die Nazis sind die auch nicht … der sagt wenigstens mal, was wir denken … solche Flugblätter wären heute auch mal angebracht, dann würde endlich der rot-grün versiffte Mainstream aufgemischt … Klar auch, dass man erst einmal alles auf den Bruder schieben kann, der so zum zweiten Helden dieses Schmierentheaters wird. Wahrscheinlich laufen in seinem Rosenheimer Waffenladen nun die Geschäfte bestens … schließlich leben wir in einem Land, in dem man sich auf der Straße nicht mehr sicher fühlen kann …
All das geschieht, wenn eine Frage der Grundwerte rein taktisch abgehandelt wird – und wenn Grundwerte durch das Reden und Handeln von Führungspersönlichkeiten nur noch als taktisches Instrument Bedeutung haben. Dann kann von den Sarrazins und Aiwangers so getan werden, als müsse man sich jetzt das Land zurückholen, das in Kreuzberg und anderswo „abgeschafft“ worden ist, und als wäre der Zeitpunkt gekommen, der Presse ihre Schranken aufzuzeigen. Diese Denke zieht sich wie ein roter Faden durch die neuere Zeitgeschichte. Das Entscheidende: Bei Leuten wie Sarrazin und Aiwanger handelt es sich nicht um Rechtsextremisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, sondern um ach so bodenständige Politiker und Autoren, die endlich mal aussprechen, was schon lange hätte gesagt und geschrieben werden müssen … und die immer noch oder wieder hofiert werden und sich wie zu viele andere doch als nichts anderes erweisen als Brückenköpfe zur AfD.
Gesagt werden muss jetzt aber vor allem: NEIN, Nein zu diesen schmutzigen Machwerken, und JA zu einer Presse und zu Journalist:innen, die das aufdecken und damit die Demokratie stärken.
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* So bezeichnet Hubert Aiwanger in seiner Antwort auf Frage 23 des Söderschen Fragenkatalogs den Vorgang aus dem Jahr 1987. Wenn das Erlebnis aber so einschneidend gewesen sein und „wichtige gedankliche Prozesse angestoßen“ haben soll, dann ist die Frage, warum Aiwanger nicht mehr wusste, wer das Flugblatt verfasst hat – einmal ganz davon abgesehen, dass offen bleibt, welche „gedanklichen Prozesse“ bei Aiwanger in Gang gesetzt wurden.
28 Antworten
Lieber Herr Joh. Lerchner – Sie kommentieren jüngst: Amüsant! ich will gar nicht weiter fabulieren, was Sie mit amüsant zu meinen glauben. Die Causa Aiwanger war, ist und bleibt bis auf weiteres gar nicht amüsant, sie ist ja ziemlich komplex. Mich macht es zunehmend betroffen, wie banalisierend man auch medial mit diesem Thema umgeht. Wir verfolgen, wie es politisch in Thüringen und eben auch in Sachsen aussieht, und es sieht derzeit ziemlich schlecht aus. Und betrachten wir nur mal kurz, dass es die Idee gibt, die Finanzbasis für die Politische Bildung reduzieren zu wollen – Bildung hat in diesem Staat DEU lt. Verfassung einen exponierten Stellenwert. Die Analysen zu Bildungsqualitäten in den einzelnen Bundesländern fallen erschreckend aus, Schülerinnen, Schüler wissen teilweise mit dem Begriff Holocaust nichts anzufangen, sind wissend unbedarft, was die deutsche Geschichte (1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, jüdisches Leben in der SED-DDR, SED-Diktatur) betrifft und haben selbst mit jüngster Geschichte (Friedlicher Herbst 1989) Probleme. Und es soll finanziell gekürzt werden (s.o.). Ich will jetzt gar nicht aufmachen, dass diesem Gedanken zum beschlossenen sog. Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden (Bundeswehr) rein thematisch einigermaßen aber auch wirklich nichts abzugewinnen ist; über den Terminus „Sondervermögen“ soll hier gar nicht vertieft verhandelt werden. Es handelt sich eindeutig um eine verdeckte Verschuldung! Eines steht fest: Amüsant ist dies alles nicht – oder?
Ihr Jo.Flade
Werter Herr Plätzsch – wenn Sie 0:04 h in der Früh (?) meinen in diesen Blog einzufügen: „Prof. Christian Rieck betrachtet die Aiwanger-Affäre aus spieltheoretischer Sicht.“ versuche ich, Ihnen zu verzeihen. Morgenstund` hat offensichtlich in diesem Falle kein Gold im Mund…. Ein solches Flugblatt, welches hier thematisiert wird (und es muss ein Thema sein!!), ist bitte kein Spaßthema! Hier wäre ich an Ihrer Stelle sorgsamer und überlegter. Werden solche höchst problematischen Entgleisungen – wann auch immer geschehen – bagatellisiert, dann lädt man Schuld auf sich. Mehr ist dazu nicht zu sagen! Jo.Flade
Amüsant!
@ Herr Flade: https://www.spektrum.de/magazin/nobelpreis-fuer-wirtschaftswissenschaften-die-spieltheorie-wird-hoffaehig/822009
Dort können Sie sich über das Thema informieren.
Wie schon bei der Diskussion um Martins Mantel vor einiger Zeit, ist es erstaunlich, wie man bei völliger Ahnungslosigkeit ganz viel Meinung äußern kann. Herr Wolff qualifiziert Äußerungen, die außerhalb seines Horizontes sind, auch gerne mal als „Märchen“ ab.
Hier ist doch zu allseits zu etwas mehr Respekt aufzurufen.
Bedenklich ist es , dass seit einigen Jahren Fälle, wie z.B. Aiwanger, Lindemann, Bhakdi, Wedel, Schröder…, bei denen juristisch keine Handhabe besteht (keine Zeugen, Verjährung, einfach nicht strafbar…..) von einer Art „Moralgerichtshof“ von der Pressemeute am Leben gehalten bzw. durchgezogen werden und damit Existenzen vernichtet oder beschädigt werden können oder politische Ziele durchgesetzt werden.
Eine mMn sehr bedrohliche Entwicklung.
Erwin Breuer
Bei all den Genannten kann ich nicht erkennen, dass „Existenzen vernichtet oder beschädigt“ worden sind. Auch kann ich nicht erkennen, dass eine „Pressemeute“ die Genannten vor einen „Moralgerichtshof“ gestellt haben. Was geschehen ist: die Genannten wurden aufgrund ihrer Äußerungen und ihres Verhaltens kritisiert, bzw. es wurden deren Wirken aufgedeckt. Gott sei Dank haben wir eine freie Presse, die dies macht – unabhängig davon, ob mir persönlich das gefällt oder nicht oder ob Äußerungen und Verhaltensweisen strafrechtlich relevant sind. Also bitte keine Märchen erzählen.
Die Vorsitzende der Grünen in Bayern, Katharina Schulze, duzt sich mit Herrn Aiwanger. Das täte sie sicher nicht, wenn sie der Auffassung wäre, dass dieser ein Rechtsradikaler sei. Mir war der Mann schon immer unsympathisch, nicht nur wegen seines nervigen Dialekts, sondern wegen seines dominanten und populistischen Auftretens. Hinzugekommen ist sein extrem schlechtes Krisenmanagement. Aber wahrscheinlich ist auch dieses Ausdruck seiner Authentizität. Offenbar lehnt er die Inanspruchnahme von PR-Profis ab.
Prof. Christian Rieck betrachtet die Aiwanger-Affäre aus spieltheoretischer Sicht.
https://www.youtube.com/watch?v=Se7UVa_8amQ
Skandal und Gedenken: Unser Aiwanger
7. September 2023, 15:16 Uhr
Verblüffend: Hubert Aiwanger konnte sich nur an Entlastendes erinnern. Im Nachhinein war man über die Abscheulichkeiten „beschämt und hat die Sache sehr bereut“.
(Foto: POOL/via REUTERS)
Büßen sollen andere: Was der Skandal um das Flugblatt über den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte lehrt.
Gastbeitrag von Volker Weiß
Als der Soziologe Heinz Bude 1992 als „Bilanz der Nachfolge“ die Beziehung der gerade verschwindenden Bonner Republik zu ihrem nationalsozialistischen Vorgänger auslotete, leitete ihn die Frage, „wie man sich als Mitglied einer Gesellschaft fühlt, die die Barbarei nicht nur ermöglicht, sondern gefeiert hat?“
Die Betrachtung verschiedener Abschnitte des deutschen Gedenkens zeigte, dass das jeweilige Verhältnis der Deutschen zur eigenen Geschichte abhängig von Generationen und politischen Ereignissen war. Für die „kollektive Seelenlage“ machte es einen Unterschied, ob man vor oder nach Willy Brandts Kniefall in Warschau erinnerte, ob es ein Kriegsteilnehmer war, oder seine Tochter, die sprachen, oder Überlebende der NS-Vernichtungspolitik. Die Frage blieb, die Antworten divergierten, und auch kritische Stimmen konnten zur Selbstgefälligkeit neigen. Bude zeigte sich gegenüber der Erinnerungsarbeit äußerst skeptisch, da sie zu sehr an die jeweiligen Sprechorte und Interessen ihrer Akteure gebunden gewesen sei.
Fragebögen zur Entnazifizierung hatten sich schon einmal als recht praktisch bewährt
Dieses Problem ist auch der Berliner Republik erhalten geblieben, wenn sich auch sonst entscheidende Koordinaten verändert haben. Die APO-Generation war als letzte noch unmittelbar mit dem Zweiten Weltkrieg in Berührung gekommen. Der Zugang ihrer Nachfahren zum Thema, zumal in einer von Migration veränderten Gesellschaft, sollte ein anderer werden. Welcher – das ist nach wie vor umkämpft. Den Repräsentanten des Landes gilt heute dasjenige Werk der Aufarbeitung als „vorbildlich“, das häufig gegen sie überhaupt erst durchgesetzt werden musste. Von rechts war man seit jeher ablehnend. Fürsprecher des „globalen Südens“ wiederum fürchten um die mangelnde Aufmerksamkeit für ihre Belange.
Die zukünftige Erforschung der deutschen Selbstbefragung, hatte Bude geschrieben, hänge vom „empirischen Material“ ab, ob man also „Fälle entdeckt hat, die etwas Eigensinniges und Fremdes repräsentieren, was den normalen Verständigungsdiskurs stört“. Die Aiwanger-Affäre nun hat solches Material in doppelter Hinsicht geliefert und damit die aktuelle Bilanz erneut der Selbstzufriedenheit überführt. Zum einen rief das Flugblatt die „anderen“ 80er-Jahre in Erinnerung und konfrontierte die übliche Erfolgsgeschichte dieses Jahrzehnts mit den damals gar nicht so unüblichen Auschwitz-Sprüchen.
Zum anderen perpetuiert die Krisenbewältigung dieser Affäre jenen Unwillen zur Erinnerung, den man doch gerade noch aus der eigenen Biografie getilgt hatte. Interessanter als die Frage der Verjährung ist daher, was eigentlich diese Geschichte über das Nachleben des Nationalsozialismus erzählt und ob sich in ihr Bekanntes wiederholt.
Noch die 25 Fragen, die Markus Söder seinen Stellvertreter beantworten ließ, fügten sich in ein historisches Schema: Fragebögen zur Entnazifizierung haben sich hierzulande administrativ bewährt. Ganz nach diesem Muster konnte sich Hubert Aiwanger auch nur an Entlastendes erinnern. Im Nachhinein war man über die Abscheulichkeiten „beschämt und hat die Sache sehr bereut“. In seinem politischen Machtwillen war Söder dennoch nur klar darin, sich von den Grünen abzugrenzen. Die weitere Aufarbeitung sollte den jüdischen Gemeinden und NS-Gedenkstätten überantwortet werden.
Die Hauptfrage betrifft nicht das Flugblatt aus den 80ern, sondern die Gegenwart
Im Flugblatt selbst hatte sich kein Schulfrust Bahn gebrochen, sondern politisches Ressentiment. Es war ersichtlich nicht aus der Wut des Halbstarken geboren, sondern in seiner speziell deutschen Thematik der Umwelt entsprungen. Da wurde kein Joint geraucht, kein Mofa geklaut und kein Schaufenster eingeworfen, sondern ein Grundverständnis negiert. Denn deutsche Staatlichkeit, so wollte man sich zumindest seit den 80er-Jahren glauben machen, hatte sich nach 1945 als Antithese zu „Genickschuss“, „Dachau“ und „Auschwitz“ für „Vaterlandsverräter“ zu beweisen. Der angegriffene Geschichtswettbewerb war Ausdruck jener „Aufarbeitung der Vergangenheit“, um welche die Nachkriegsgenerationen gerungen hatten. Das Flugblatt war nun Zeugnis dafür, dass diese keineswegs konsensual stattfand. Sein Auftauchen störte das Läuterungsnarrativ, die hereinbrechende Vergangenheit war eine andere als die gewünschte.
Schon die milde Sanktion der Schule hatte in scharfem Kontrast zu anderen Fällen zuvor gestanden. In Regensburg hatte das Tragen eines „Stoppt-Strauß“-Buttons zu einem Schulverweis geführt. In Passau wurde Anja Rosmus wegen Nachforschungen zur Stadtgeschichte so bedroht, dass sie schließlich in die USA auswanderte. Der Impuls für ihre Arbeit war durch einen solchen Schülerwettbewerb gekommen, an dem sich das Aiwanger’sche Machwerk abarbeitete.
Die Hauptfrage bleibt aber nicht die Schulzeit, sondern die Gegenwart. Aiwangers Wahlkampf-Forderung, die „Demokratie zurückzuholen“, und die Rede von einer lediglich „formalen Demokratie“ hinterlassen den Eindruck, dass er noch immer mit der Ordnung fremdelt, die er repräsentieren soll. Seine Gillamoos-Rede bestand vor allem aus der historisch bewährten Verbindung von Besitz und Ressentiment. Der rhetorische Ausschluss der Grünen aus Bayern kann vom Motiv der „Vaterlandsverräter“ nicht lassen.
In der Konfrontation mit der Vergangenheit entschied er sich wie die heute vergessenen Teile der Nachkriegsgesellschaft für Leugnung und Gegenangriff. Indem er die Medienberichte als „schmutziges Machwerk“ bezeichnete, „von dem sich manche noch distanzieren werden müssen“, kehrte Aiwanger die Affäre in Richtung derer um, die sie aufgeworfen hatten. Auch hier wurde ein bewährtes Muster wiederholt: Büßen soll der Überbringer der schlechten Nachricht, nicht der Verursacher. Immerhin, so viel hatte Aiwanger aus dem Documenta-Skandal gelernt, entschuldigte er sich dafür, „Gefühle verletzt“ zu haben.
Es leben diese Figuren, was viele kaum laut zu begehren wagen
Hubert Aiwangers Bruder wartete mit einer Entlastungserklärung auf, die ganz rechten Deutungsmustern entsprach. In einem Milieu, das für Diskriminierungserfahrung sonst nur Spott übrig hat, präsentierte er sich erfolgreich als Opfer. Die Behauptung, „linksradikale“ Lehrer hätten Bauernsöhne wie ihn vom Gymnasium fernhalten wollen, stellt zugleich die Demokratisierungsgeschichte von Bildung auf den Kopf. Hatten doch gerade Progressive das bürgerliche Bildungsmonopol kritisiert und gefordert, die soziale Struktur der höheren Schulen zu ändern – meist gegen starken konservativen Widerstand. Als Auslöser für das Nazi-Flugblatt machte er rückblickend die ökologischen Kritiker der Landwirtschaft aus. Damit hatten wieder einmal die Grünen an allem Schuld.
Insgesamt zeigt sich in diesen Tagen, wie sehr der Politikstil von Donald Trump oder der AfD Schule gemacht hat. Trump hatte die Affäre um sexuelle Belästigung nicht geschadet, Berlusconis Bunga-Bunga-Skandal weckte eher Neid und Bewunderung. Derartigen Figuren fliegt die Sympathie zu, weil sie leben, was andere nur heimlich zu begehren wagen. Die aktuell positiven Umfragen für die Freien Wähler scheinen das zu bestätigen, doch welches Licht wirft das im Fall der Wähler Aiwangers auf ihr Verhältnis zur Aufarbeitung der Vergangenheit?
Heinz Bude hatte über die frühe Bundesrepublik geschrieben, es seien „dieselben Menschen“ gewesen, „die von 1933 bis 1945 eine nationalsozialistische Gesellschaft und nach 1945 eine demokratische Gesellschaft getragen haben. Sie haben sich irgendwie geändert und sind sich irgendwie gleich geblieben“. In dieser „Dialektik von Bruch und Kontinuität“ lag und liegt die Herausforderung in der Erinnerungsarbeit.
Aiwangers Geschichte ist diese Geschichte Deutschlands, nur verschoben auf die nächsten Generationen.
Volker Weiß, geboren 1972, ist Historiker und Publizist. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Geschichte und Gegenwart der extremen Rechten. Er forscht in Hamburg.
Süddeutsche Zeitung
https://www.sueddeutsche.de/kultur/flugblatt-aiwanger-antisemitismus-deutschland-geschichte-umgang-1.6203370
Die Lektüre dieses Beitrages könnte ggf. auch unseren „Meister AS“ zum Nachdenken animieren und eventuell auch seine dauerhaften Aggressionen im verbalen Austausch mit Chr. Wolff mal beiseite legen lassen… Allen Vernunftbegabten in diesem Blog ein kühlen Kopf bewahrendes Wochenhende; Jo.Flade
Herrr Flade, Herr Prof. Dr. Rieck ist Professor für Finanzwesen an der Frankfurt University of Applied Sciences https://ogy.de/yke5 und beschäftigt sich mit der Spieltheorie https://www.spieltheorie.de/ . Ein ernsthafter Mann also mit einem ernsthaften Thema. Ich schaue seine Analysen regelmäßig, weil sie oft einen anderen Blick auf Ereignisse haben als den üblichen.
Im Schuljahr des Vorfalls 1987/88 galt die bayerische Lehrerdienstordnung in der Fassung von 1984. Danach hat ein Lehrer auch nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Verschwiegenheit über dienstliche Angelegenheiten zu wahren. Die allgemeine Schulordnung von 1979 verpflichtet Mitglieder des Disziplinarausschusses ausdrücklich zur Verschwiegenheit. Daran hat sich Aiwangers Lehrer, ein SPD-Mitglied, nicht gehalten als er das inkriminierte Flugblatt nach 35 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Seit wann ist ein Flugblatt, das für die Öffentlichkeit bestimmt ist (sonst würde es nicht geschrieben) eine Angelegenheit der Verschwiegenheit?
Die Schule ist ein geschützter Raum. Auch das Aiwanger-Flugblatt, das in Anlehung eines Schülerwettbewerbs zu einem weiteren Wettbewerb aufruft, war zum innerschulischen Verbleib bestimmt. Es ist jedenfalls nichts Gegenteiliges bekannt. Jedenfalls haben die Interna eines schulischen Disziplinarverfahrens gegen einen Schüler außerhalb der Schule nichts zu suchen, schon gar nicht nach 35 Jahren. Ich erinnere mich an meine Schulzeit in der Leipziger Erweiterten Leibniz-Oberschule Ende der 60er Jahre: Ein Schüler beschimpfte einen anderen als „Kommunistenschwein“; dieser antwortete mit „Faschistensau“. Der beliebte Biologielehrer legte die Sache bei; beide entschuligten sich bei dem jeweils Anderen. Doch der Lehrer wurde denunziert und an eine andere Schule versetzt, weil er die Sache der Schulleitung nicht gemeldet hatte.
„Wettbewerb“ im Flugblatt natürlich in Paranthese.
Pardon, ich meinte den Aiwanger’schen „Wettbewerb“.
Unser Meister im wegducken und ausweichen sowie selektiver Wahrnehmung der Fakten ist hier wieder am Werke und verbindet dies zur Ablenkung mit Hinweisen auf Weihnachten und Karfreitag und die Frage, ob das Thema nun A oder B heisst.
Nehmen wir zwei Beispiele:
1. „ … zumal Scholz mit dem Cum-Ex-Skandal nichts, aber auch (gar) nichts zu tun hat“ – schreibt uns Wolff. Es scheint ihm nicht bekannt zu sein, daß Scholz damals 1. Bürgermeister Hamburgs war (sein Finanzsenator war Tschentscher) und daß die Frage zur Klärung im Raum steht, ob die politische Führung der Stadt – also Scholz – Einfluß auf die Finanzverwaltung genommen hat bezüglich der Rückzahlung von Steuern, die eine Bank sich offenbar widerrechtlich zugeeignet hatte. Es ist schon merkwürdig zu behaupten, der oberste politische und Verwaltungschef habe nichts mit der Frage zu tun, ob Steuern nach einem strafbaren Tatbestand in die Staatskasse zurückkommen oder nicht. Und in dieser Frage kann sich nun Scholz nicht mehr erinnern, ob und was er mit dem Vertreter dieser Bank besprochen hat. Wolff kann sich auch nicht erinnern – wie es ihm ja auch schwer fällt, einen Fehler einzuräumen.
2. Wolff schreibt uns, die Einlassungen Wolffsohns seien „mehr als merkwürdig – um es vorsichtig auszudrücken“. Sagt er uns nun, warum das so sei. Wolffsohn ist in gewisser Hinsicht als Jude durch den Aiwanger-Skandal betroffen. Er hat diese Betroffenheit in einer engagierten, aber anständigen Form und mit nachvollziehbarer Begründung vorgetragen. Er ist überdies bekannt als ein ehrlicher Makler zwischen den Menschen in Deutschland und als ein Mann mit großer Sachkenntnis in historischer Hinsicht, gerade auf dem Gebiet, das hier berührt ist. Wolff dagegen zeigt in allen seinen Äußerungen Intoleranz und einseitigen Eifer – und eben ausweichen und wegducken.
Also, Herr Wolff, was konkret ist mehr als merkwürdig? Diffamieren Sie nicht – argumentieren Sie!
Andreas Schwerdtfeger
Vielen Dank für die Ehre, mich nun „Meister“ nennen zu dürfen! Das erlaubt mir nachzufragen:
1. Wo ist der Beweis, dass Olaf Scholz in irgendeiner Weise an der strafbaren Steuerhinterziehung durch die Cum-Ex-Geschäfte beteiligt war?
2. Was ist das für eine Argumentation, wenn Wolffsohn begrüßt, dass Aiwanger als Schüler offensichtlich „Mein Kampf“ mit sich herumgetragen haben soll: dann hat er wenigstens lesen können, was Hitler mit den Juden vorhatte? Klingt so, wie wenn ich begrüße, dass ein 16-jähriger eine Flasche Korn lehren soll, dann weiß er wenigstens, dass man sich so nicht ans Steuer eines Autos setzen darf … Und was ist von dem Vorwurf zu halten, dass die Kritiker Aiwangers unter Hinweis auf das Flugblatt den Holocaust machtpolitisch instrumentalisieren bzw. missbrauchen würden? Und wie kommt ein Wissenschaftler dazu, die Recherche einer Zeitung damit zu entwerten, dass er ihr unterstellt, mit der Recherche „ihr judenpolitisches Image aufzupolieren“?
Ansonsten bin ich leicht amüsiert, dass sich offensichtlich ein angelernter Tonfall immer wieder durchsetzt … Jawoll, Herr General!!!
Lese ich in Ihrem letzten Satz vielleicht eine „Vergabe von Haltungsnoten“, die Sie doch so sehr stört?
Können Sie immer noch nicht unterscheiden zwischen einer strafbaren Steuerhinterziehung (von der niemand behauptet, Scholz sei in sie verwickelt) und dem Versäumnis (das hier aufzuklären ist), die Steuerhinterzieher zur Rückzahlung der Steuern zu veranlassen, was die Pflicht des zuständigen Politikers ist?
Erkennt Ihr Rechtsempfinden nicht, daß eine Pflicht zur Verschwiegenheit sich auf den dazu Verpflichteten und nicht auf den davon Betroffenen bezieht?
Ja, Sie sind Meister im ausweichen und verwischen – oh wären Sie es doch im klaren Denken!
Es gab mal einen Untersuchungsausschuss, in dem der (danmals noch) Grünen-Abgeordnete Otto Schily Franz-Josef Strauß nervte. Dieser keilte zurück:
„Sie mit Ihrem schnarrenden Kasinoton!“
Lt. einer INSA-Umfrage für „Bild“ zur bevorstehenen Landtagswahl in Bayern liegen die Freien Wähler dort jetzt bei 15 % im Vergleich zu 11 % bei der letzten Umfrage. Das entspricht einem Plus von 36 %. In diesem Zusammenhang muss auch die Rolle der Medien betrachtet werden. „Man liebt den Verrat, nicht den Verräter.“ heißt es. 35 Jahre lang hatte der in der „Bildzeitung“ namentlich genannte Lehrer das inkriminierte Pamphlet zu Hause, bot es zuerst dem „Spiegel“ an. Doch der lehnte eine Veröffentlichung ab, weil die Beweislage ihm zu wackelig erschien. Die „Süddeutsche Zeitung“ dagegen griff wenige Wochen vor der bayerischen Landtagswahl gierig zu und brachte die Sache auf die Titelseite der Samstagsausgabe. Die SZ legte immer wieder mit neuen Aussagen ehemaliger Schüler, die zumeist anonym blieben, nach.
Da sollte Aiwanger das Hitler-Buch „Mein Kampf“ in der Schultasche gehabt haben. Der jüdische Historiker Prof. Michael Wolffsohn bewertete dies kürzlich in einer „Phoenix-Runde“ sogar positiv, so es stimmte, weil man durch diese Lektüre Hitlers abgrundtiefen Judenhass kennenlernen könne. Eine Schülerin wurde (natürlich anonym) zitiert, Aiwanger hätte auf der Innenseite eines Hefters Naziparolen stehen gehabt. Andere behaupteten, er hätte vor dem Spiegel Hitler-Jargon geübt, antisemitische Witze gerissen u. v. a.. Für mich stellt sich das so dar, dass die SZ mit aller Kraft versuchte, Aiwanger zu Fall zu bringen. Das Gegenteil ist eingetreten.
Die Frage von richtig und falsch wird nicht per Umfrage entschieden. Dass Hubert Aiwanger offensichtlich durch die Anwendung der Trump-Strategie profitiert, bedeutet noch lange nicht, dass es falsch war, das Flugblatt zu veröffentlichen. Vielmehr wird offenbar (auch durch die Einlassung von Michael Wolffsohn), wie fortgeschritten die Rechtsverschiebung des politischen Diskurses ist. Ich habe übrigens die Sendung mit Wolffsohn gesehen und empfand seine Argumentation ziemlich grotesk.
Ein Vertreter der „Süddeutschen“ erschien trotz „Phoenix“-Einladung nicht zur Diskussion – ein Anhaltspunkt, dass die Zeitung sich mit ihrem Agieren in dieser Sache nicht ganz wohlfühlt. Michael Wolffsohn war schon immer meinungsstark:
„Als Jude wehre ich mich dagegen, dass Denunzianten uns Juden für ihre tagespolitischen Zwecke missbrauchen. Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit „Nazi“ und „Antisemit“ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch. Wer es dennoch tut, lasse uns Juden aus diesem miesen Spiel raus.“
„Bild“ vom 28. 8. 23 https://ogy.de/j0o3
Die Einlassungen von Michael Wolffsohn sind mehr als merkwürdig- um es vorsichtig auszudrücken.
Man muß die Causa Aiwanger wohl unter verschiedenen Aspekten sehen, zB formalen und politischen; inhaltlich dagegen braucht das Schmierblatt nicht näher kommentiert zu werden, weil über die Charakterlosigkeit des Verfassers (oder der Verfasser) und die Niveaulosigkeit und Scheusslichkeit Einigkeit besteht. Ein Vergleich mit dem Sarrazin-Buch ist Polemik und Populismus und wird außerdem der Schande Aiwangers nicht gerecht.
Zum Formalen:
– Wie schwer es bestimmten Leuten fällt, einen Fehler einzugestehen, sehen wir hier im Blog, wo Wolff es seit mehreren Jahren nicht fertig bringt, einen Satz wie „ich habe im Übermaß des Zornes überreagiert“ zu schreiben. Wie leicht könnte man eine solche Sache aus der Welt schaffen – er schafft es nicht.
– Ich schrieb neulich, daß man Jugendlichen, wenn sie wählen dürfen sollen, auch die entsprechende Verantwortung für ihr Tun in Form von Strafmündigkeit zumessen muss, und das wurde, insbesondere von einem verwirrten Opa hier im Blog, vehement angegriffen. In diesem Fall aber (Aiwanger) gibt es kaum jemanden, der nicht genau meine Meinung vertritt: 17-Jährige (Aiwanger) sind für ihr Tun verantwortlich und diese Verantwortung soll sie, bitteschön, auch nach 30 Jahren noch einholen (ich stimme zu).
– Gedächtnislücken sind kein Aiwanger-Phänomen, wie wir von unserem Bundeskanzler wissen, und da ist nicht nur die Cum-Ex-Sache gemeint, sondern auch – seine Bundestagsrede (6.9.) zum Haushalt hat es gezeigt – seine Vergesslichkeit in aktueller Politik: Er kann sich nicht mehr erinnern, daß die SPD in den letzten 25 Jahren 21 Jahre mitregiert hat; er kann sich nicht mehr an die klaren Aussagen seiner „Zeitenwende-Rede“ von vor anderthalb Jahren erinnern.
– Im übrigen erinnern wir uns schon, daß andere Politiker auch gelegentlich in ihrer Jugend in den Sumpf geraten sind: Joschka Fischer knüppelte auf Polizisten ein; Trittin hatte seine Probleme mit jugendlichen Aussagen zur Pädophilie; Özdemir, bei weitem der Anständigste, trat wegen Mißbrauchs freier Flugmeilen zurück und landete sicher im EU-Parlament.
Zum „Politischen“:
– Die Tatsache, daß Aiwanger Täter- und Opferrolle populistisch umzudrehen sucht, ist sehr schlimm, allerdings folgt er da dem augenblicklichen Muster, das Trump eingeführt hat und dem ja auch viele andere folgen (Diskussionsverweigerer zB, die stattdessen sich stilistisch angegriffen fühlen und sich als Opfer verkaufen, weil sie keine Argumente haben).
– Die Tatsache, daß diese Taktik bei so vielen Menschen verfängt, ist ebenfalls sehr schlimm. Aber man sieht ja auf diesem Blog, daß es zu viele Menschen gibt, die eben in Bierzeltmanier einer Diskussion ausweichen, weil sie in ihrer Blase gar nicht gestört werden wollen. Die Unfähigkeit hierzulande, der anderen Meinung zuzuhören, sie intelligent abzuwägen und dann, meinetwegen, begründet zurückzuweisen, zeigt sich nicht nur in Bierzelten, sondern kann hier im blog täglich bestaunt werden.
– Die Tatsache, daß Leute ständig die Verfassung für sich in Anspruch nehmen, sie aber gleichzeitig nur selektiv ihrem Handeln und Sprechen zugrunde legen, kann hier ebenfalls täglich festgestellt werden. Das alles zeigt, daß – wie auch im Fall Aiwanger – zu viele Leute mit großer moralischer Autorität über das urteilen, was sie selbst nicht leben. Und DAS, übrigens, ist die Definition des Begriffs „Gutmensch“: Menschen, die mit großer moralischer Entrüstung über andere urteilen, keinerlei eigene Verantwortung übernehmen, dafür aber die, die das tun, mit verbalem Schmutz bewerfen.
– Schliesslich ist es auch schlimm, daß ein Ministerpräsident in unserem Lande heutzutage keine andere Wahl mehr hat (MPs anderer Couleur hätten nicht anders gehandelt), als den Mann im Amt zu halten, weil er sonst noch mehr Zulauf bekäme. Das Anstandsniveau ist auf der schiefen Bahn, wie man bestimmten Beiträgen hier auch ansehen kann.
Nun werden mir einige entgegenhalten, der Fall Aiwanger sei durch seine Verflechtung mit dem Holocaust, singulär. Ich stimme zu; und deshalb wünschte ich, der Mann hätte den Anstand, von sich aus zurückzutreten. Aber, siehe oben, Fehler einzugestehen, ist nicht jedermanns Sache. Und wenn auch die Qualität der Fehler sich enorm unterscheidet – das Prinzip ist das gleiche.
Andreas Schwerdtfeger
„Kein Wunder also, dass sich in einem solchen ideologischen Umfeld ein Hubert Aiwanger nichts zu befürchten hat und sich wenig um Glaubwürdigkeit scheren muss.“
Lieber Christian,
ja, das hast Du richtig beobachtet, und ich stimme dem zu. Wenn der amtierende Bundeskanzler – angezeigt wegen angeblicher uneidlicher Falschaussage in einem Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft zur Cum-Ex-Affäre, durch die dem deutschen Staat ein Schaden von geschätzt mehr als 10 Milliarden Euro entstanden ist – uns glauben zu machen versucht, jegliche Erinnerung daran verloren zu haben, ob er sich 2016 und 2017 mit den Gesellschaftern der Warburg-Bank getroffen hat oder nicht, und in der Causa Aiwanger öffentlich fordert, es dürfe nichts „vertuscht und verwischt“ werden, dann frage ich mich unausweichlich, wer für mich unglaubwürdiger ist: derjenige mit der sechs-/siebenjährigen Erinnerungslücke oder jener mit der fünfunddreißigjährigen.
Bedenke ich noch dazu, daß für den Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg eine Dokumentationspflicht dienstlicher Zusammenkünfte galt, für den Gymnasiasten hingegen nicht, dann muß ich erkennen, daß Du die gesellschaftlichen Verhältnisse stringent beschrieben hast:
„Kein Wunder also, dass sich in einem solchen ideologischen Umfeld ein Hubert Aiwanger nichts zu befürchten hat und sich wenig um Glaubwürdigkeit scheren muss.“
Lieber Thomas, vielen Dank für Deinen Kommentar. Du wirst sicher gemerkt haben, dass mich die Erinnerungslücken von Hubert Aiwanger relativ wenig beschäftigen. Insofern kann ich auch den Erinerungslücken von Olaf Scholz nicht das Gewicht beimessen, das Du Ihnen gibst – zumal Scholz mit dem Cum-Ex-Skandal nichts, aber auch agr nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Er hat als Bundesfinanzminister wesentlich dazu beigetragen, dass die Bedingungen, die zu diesem Skandal geführt, beseitigt wurden. Insofern gehört für mich Olaf Scholz nun wahrlich nicht zum „ideologischen Umfeld“ des Herrn Aiwanger. Beste Grüße, Christian
Wie nennen Sie das, was Sie hier gerade machen, lieber Herr Wolff: Problemlösung durch Problemvernichtung? Den „Erinnerungslücken von Olaf Scholz nicht das Gewicht beimessen“, ist also da Ihre Maxime, wo es nicht in Ihr Konzept passt – und das soll politische Glaubwürdigkeit erzeugen!
Andreas Schwerdtfeger
Wir können gerne über Weihnachten an Ostern, über Heiligabend an Karfreitag diskutieren. Nur wird dann die Verständigung etwas schwierig. Aber es bleibht Ihnen unbenommen über B zu reden, wenn A angesprochen wird.
„mit Äußerungen von vor 35 Jahren „Gefühle“ anderer verletzt zu haben“
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Das Zitat Aiwangers lautet: „Ich bereue, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe.“
Eigenartig: Angeblich hat er das Flugblatt nicht verfasst; da gibt es auch nichts zu bereuen.
Wenn Herr Aiwanger vor Gericht stünde, hätte die Unschuldsvermutung zu gelten. Steht er aber nicht; hier geht es um das wichtigste Kapital eines Politikers: seine Glaubwürdigkeit. Da sind berechtigte Zweifel angebracht. Joschka Fischer hat sich mit dem Polizisten ausgesprochen, den er geschlagen hat. Aber okay, Aiwangers Bruder hat ja die Missetat auf sich genommen…
„Nicht Kreuzberg ist Deutschland, sondern Gillamoos.“ lautet das vollständige Merz’sche Zitat. Dabei ist Gillamoos kein Ort, sondern ein Volksfest.