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Reformation in der Krise – die sächsische Landeskirche nach dem Bischof-Rücktritt

„Reformation in der Krise“ – unter dieser Überschrift veröffentlichten Friedrich Schorlemmer und ich im September 2017 ein Memorandum zum Reformationsjubiläum. Eine Reformation in der Krise – die steht jetzt auch in der sächsischen Landeskirche an, nachdem Dr. Carsten Rentzing vom Amt des Landesbischofs zurückgetreten ist. Dieser Rücktritt ist mehr als eine Personalie. Er steht für eine in sich erstarrte, nach wie vor autoritär strukturierte Landeskirche, die nun in einer zugespitzten gesellschaftlichen Situation an ihre Grenzen gestoßen ist. Sie hat es seit der Friedlichen Revolution 1989/90 nicht vermocht, dem vor 500 Jahren ausgegebenen Motto gerecht zu werden: ecclesia semper reformanda, Kirche kann sich erneuern, ist zu erneuern. Es besteht also viel Nachholbedarf. Dieser kann dann angstfrei in Gang gesetzt werden, wenn wir den biblischen Gebrauch des griechischen Wortes κρίσις im Sinn von Gericht Gottes bedenken. Dabei sind zwei Dinge zu beachten: die Notwendigkeit eines selbstkritischen Blicks auf das eigene Tun und die Bereitschaft zur Umkehr bzw. Umsteuerung – also Beichte und die Bitte um Vergebung, genau das, womit die Reformation 1517 begonnen hat. Übrigens nicht im Verborgenen, sondern streitbar und öffentlich. Schließlich lautet die erste der 95 Thesen: „Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‘, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“ Entscheidend ist: Niemand kann sich der Verantwortung für die jetzige Situation entziehen. Ich selbst auch nicht. Schließlich bin ich, wie jede/r andere/r Pfarrer/in auch, Teil dieser Landeskirche, Teil ihrer Krise.

Was aber ist jetzt zu tun? Ich sehe mehrere Aufgaben – wohlwissend, wie begrenzt die jeweils eigenen Möglichkeiten sind:

  1. Wir haben endlich in einen offenen Diskurs darüber einzutreten, wie sich die Landeskirche in all ihren Gliederungen verhalten soll zu gesellschaftspolitischen Strömungen und politischen Gruppierungen, die seit Jahren Nationalismus, völkisches Denken, Ausgrenzen von Menschen mit Migrationshintergrund und Demokratieverachtung in den Köpfen und Herzen zu implementieren versuchen. Dieser kritische Diskurs hätte spätestens Ende 2014 in Gang gesetzt werden müssen. Nichts dergleichen ist aber geschehen. Zwar gibt es eine ökumenische Arbeitsgemeinschaft „Kirche für Demokratie und Menschenrechte“ (sie hat eine ausgezeichnete Broschüre herausgegeben unter dem Titel „Nächstenliebe Leben. Klarheit zeigen“). Aber das ist in den Kirchgemeinden kaum angekommen. Auch haben schon am 11. November 2014 kurz nach dem Aufkommen von Pegida Dresdner Kirchenvertreter/innen eine ausgezeichnete Erklärung veröffentlicht. Diese wurde aber kaum kommuniziert. Stattdessen schloss sich die sächsische Kirchenleitung dem allgemeinen „Man muss die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen“ an und hat damit den Scharfmachern um Lutz Bachmann in die Hände gespielt. Dabei wurde – wie auf der politischen Ebene – eines vom Ernstnehmen ausgeschlossen: der tatsächliche Rechtsextremismus bei Pegida/AfD und ihren Anhänger/innen.
  2. Diese gefährliche Schieflage gilt es zu beenden – gerade nach der Landtagswahl in Thüringen. Keine Wählerstimme für die AfD macht aus der hasserfüllten, menschenverachtenden Pegida/AfD-Programmatik eine Haltung, die kompatibel wäre mit den Grundwerten des christlichen Glaubens. Im Gegenteil: Jede Stimme für die AfD ist als Zustimmung zu ihrer rechtsradikalen, antidemokratischen Grundhaltung zu werten. Der gerade gewählte Bischof der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) Friedrich Kramer hat es auf den Punkt gebracht: „Ich warne davor, das Ergebnis der AfD als reine Protesthaltung oder politische Unreife abzutun. Es handelt sich hier um manifeste politische Grundüberzeugungen.“ Als Christen und als Kirche müssen wir diesen klar und streitbar entgegentreten. Das schließt ein, dass wir mit den Menschen, die meinen, als Christen die AfD wählen oder sich dieser anschließen zu müssen, reden – aber unmissverständlich und der biblischen Botschaft treu. Ich kann nicht erkennen, dass es biblisch verantwortbar sein soll, von Geflüchteten als „Messermigranten“ oder als „Invasoren“ zu sprechen, den Tag der Geburt von Angela Merkel zu verfluchen, wie es die AfD-Bundestagabgeordnete Verena Hartmann aus Pirna getan hat oder die Frage zu stellen „Was ist schlimmer: eine beschädigte Synagogentür oder zwei tote Deutsche?“ – so der AfD Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich nach dem Terroranschlag von Halle. Hier handelt es sich nicht um bedauerliche Ausrutscher, sondern um die Pegida/AfD-Programmatik. Das sollen Christen gut heißen, tolerieren, dafür Verständnis aufbringen? Niemals!
  3. Darum müssen wir in der Kirche offen darüber debattieren, was eigentlich Bibeltreue bedeutet und was wir unter den Grundwerten des Glaubens verstehen? Dabei gilt es einen Konsens darüber zu finden, dass der christliche Glaube nicht an eine bestimmte Nation oder kulturelle Herkunft gebunden werden kann und darf. Der biblische Glaube hat eine universale Dimension, wie sie auch im Glaubensbekenntnis zum Ausdruck kommt: Gott ist der „Schöpfer des Himmels und der Erde“ und darum auch der Schöpfer eines jeden Menschenlebens. Darum sollte es uns mehr als beunruhigen, wenn in Teilen der sächsischen Landeskirche so getan wird, als seien Bibeltreue und Frömmigkeit mit den Grundsäulen des Rechtsextremismus kompatibel; als könne man mit dem Glauben in lutherischer Tradition das Rad der Geschichte zurückdrehen und den autoritären Führerstaat wieder auferstehen lassen – wie es ein Björn Höcke mit seiner faschistischen Rhetorik zu tun gedenkt und dafür „Bürgerlichkeit“ und lutherischen Geist reklamiert. Doch all das hatten wir schon einmal vor 90 Jahren – mit verheerenden Folgen.
  4. Hier sind nun alle gefordert: die Theologische Fakultät, die Ausbildungsstätten für kirchlich-diakonische Berufe, die Erwachsenenbildung, die Kirchvorstände. Wir haben zum einen die Verirrungen lutherischer Theologie im Vorfeld des Nationalsozialismus gründlich aufzuarbeiten. Zum andern gilt es zu begreifen, dass geistliche Ausrichtung und prophetisches Wächteramt, Kontemplation und gesellschaftspolitische Geistesgegenwart keine Gegensätze sind, sondern sich bedingen. Es gilt Theologie und gesellschaftspolitische Verantwortung zu verbinden. Wie schrieb Martin Luther in seiner hochpolitischen Reformationsschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ 1520: „Warum ist dein Leib, Leben, Gut und Ehr so frei, und nicht das meine, so wir doch gleich Christen sind, gleiche Taufe, Glauben, Geist und alle Dinge haben? Wird ein Priester erschlagen, so liegt ein Land im Interdikt; warum nicht auch, wenn ein Bauer erschlagen wird? Wo kommt her solch großes Unterscheiden unter den gleichen Christen? Allein aus Menschen-Gesetzen und Dichten!“ Luther begründet hier das „Priestertum aller Gläubigen“ theologisch und politisch – und macht klar: Wenn wir Menschen aufgrund ihrer Herkunft abwerten, dann verfälschen wir den biblischen Glauben.
  5. Wenn wir in dieser Weise unsere Kirche erneuern, dann werden wir auch sehr schnell merken, wie verfehlt, zumindest aber fragwürdig die Weichenstellungen sind, die mit der sog. Strukturreform in Gang gesetzt wurden und nun von Oben durchgestellt werden. Diese sog. Strukturreform befördert das, was viele Menschen beklagen: Heimatlosigkeit. Ohne personale Präsens vor Ort, also ohne die reformatorische Errungenschaft, der Aufbau der Kirche von unten nach oben, und ohne die Wiederbelebung des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung werden wir im Strudel des Niedergangs verbleiben. Denn wir verlieren das, was unser größtes Pfund sein sollte: die Menschennähe – und sollten uns nicht wundern, dass deswegen Menschen der Kirche den Rücken zukehren. Praktizierte Menschennähe aber ist die unmittelbare Antwort auf die Menschennähe Gottes, wie sie in Jesus Christus sichtbar geworden ist, und die wir an Weihnachten mit Recht kräftig feiern. Also sollten wir das Paket der sog. Strukturreform neu aufschnüren und alle Vorschläge daraufhin überprüfen, ob sie der Menschennähe dienen oder nicht. Wenn wir das tun, werden wir sehr schnell merken, wie Gräben überbrückt werden können und gemeinsames Leben in den Mittelpunkt rückt.

Noch einmal: All dies ist nur möglich, wenn wir uns als Menschen verstehen, die der Buße verpflichtet und der Vergebung bedürftig sind. Das schließt Streit nicht aus, sondern macht ihn zu dem, was er sein soll: ein Ringen um einen guten Weg, den wir nur erreichen können im gemeinsamen Bemühen. Lassen wir uns dazu am Reformationsfest ermutigen.

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