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Vom Niedergang im Scheinwerferlicht und vom Neubeginn im Abseits

Kurz vor Weihnachten bekommt die Kirche in Deutschland durch den Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung den Spiegel vorgehalten: Sie ist in Deutschland eine Institution in der Dauerkrise. Sie verliert dramatisch an Mitgliedern und vor allem an Bedeutung. Der Grund dafür liegt im selbst verschuldeten Glaubwürdigkeitsverlust – insbesondere durch den Missbrauchsskandal und in einem um sich selbst kreisenden Institutionenverständnis. Kirche beschäftigt sich zunehmend mit sich selbst. Kirche ist ein Mitarbeiter*innen orientiertes Unternehmen, das zunehmend die Kundschaft, sprich: die Menschen aus den Augen verloren hat. Der seit Jahren andauernde und nicht enden wollende Prozess von strukturellen Veränderungen hat in seiner Außenwirkung vor allem eine Botschaft produziert: Wir müssen sparen, ohne den institutionellen Charakter von Kirche samt ihrer bürokratisch-hierarchischen Verwaltung anzutasten. Das führt dazu, dass sich Kirche und was von ihr übrigbleibt nur noch selbst verwaltet. Dabei wird sie der Menschennähe verlustig. Dieser Prozess des institutionellen und inhaltlichen Niedergangs ist deswegen so verheerend, weil sich gleichzeitig die Säkularisierung und die Individualisierung in der Gesellschaft verstärken – nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Das zusammengenommen, erscheint vielen Menschen unabhängig von ihrer religiösen Einstellung Kirche als überflüssig. Die Ergebnisse des Religionsmonitors zeigen, dass vor allem junge Menschen in der Selbstfindungs- und Orientierungsphase Kirche nicht mehr benötigen. Damit bricht eine wichtige Erfahrung weg: Glaubensüberzeugungen, religiöses Leben und praktisches Engagement für ein menschliches Miteinander gehören untrennbar zusammen. Diese in der Gemeinde vor Ort gemachte Erfahrung hat vor allem nach 1945 bei vielen Menschen gesellschaftspolitische Verantwortung wachsen lassen – ein für die demokratische Entwicklung nicht unwesentlicher Faktor.

Wenn man nach den Ursachen für den Niedergang der Kirche fragt, dann sehe ich vor allem eine: Wir haben zu lange in der Illusion gelebt, dass Traditionen des Glaubens sich schon irgendwie von einer Generation zur anderen überträgt. Auch haben wir den Zusammenhang von Glaubensbildung, Ritus, Gottesdienst, geistlichem Leben auf der einen und Wahrnehmung von gesellschaftspolitischer und diakonisch-caritativer Verantwortung auf der anderen Seite nicht ausreichend verdeutlicht. Kirche hat ihren Ritus, ihren Ereignischarakter, den Gottesdienst, die Predigt qualitativ verkümmern lassen – und sich zunehmend auf fremdem Terrain getummelt, ohne zu merken, dass sie ohne eigenes Profil in der Unkenntlichkeit verschwindet. Konkret zeigt das ein Plakat aus der Werbekampagne des Bundesgesundheitsministeriums für’s Impfen. „Ich schütze mich, weil Gesundheit keine Glaubenssache ist“ verkündet eine Pfarrerin namens „Tatjana“ in vollem Ornat. Da wird der Glaube auf den Kopf gestellt. Hat Jesus keine Kranken geheilt, indem er ihre inneren, brachliegenden Kräfte mobilisiert hat? Spielen Glaube, Gebet, Gottvertrauen keine Rolle im Prozess der Gesundung eines Menschen? Warum stehen Seelsorger*innen dann noch Kranken bei? Aber die eigentliche Frage ist: Wo sind wir als Kirche gelandet, dass wir auf offener Bühne unseren Glauben, aber auch uns selbst, so billig verramschen? Eine solche Tatjana-Kirche braucht niemand. Genau das legt der Religionsmonitor schonungslos offen.

Was ist zu tun? Kirche muss unter veränderten Bedingungen ihr Schwergewicht auf glaubwürdiges Wirken vor Ort setzen; da, wo die Menschen leben und nach Sinn, Orientierung, Anerkennung, Stärkung suchen, ist Präsens einer von der biblischen Botschaft her wirkenden Kirche wichtig. Sie hat in einer Zeit, in der es vielen Menschen an Zukunftsgewissheit mangelt, den Menschen das Rückgrat zu stärken durch Hoffnung (Blick über den Tellerrand dieser Welt) und Gottvertrauen. Beides ist nicht durch Staatstreue, Anpassung und Selbstsäkularisierung zu erreichen. Vielmehr sollten wir uns an der Weihnachtsgeschichte (Die Bibel: Lukas 2,1-20) orientieren: Das Entscheidende spielt sich mitten im, aber dennoch abseits des Weltgeschehens und der Schlagzeilen ab. Da brechen die Hirten zu Stall und Krippe auf, nachdem sie sich über ihre Aufgabe Klarheit verschaffen konnten. Nach der Anbetung geht es zurück in den Alltag, aber mit einer erneuerten Anschauung der Welt. Gott sei Dank gibt es auch heute noch Hirten, Pastores und andere, die in der Kirche für die Menschen in dieser Bewegung arbeiten. Sicher: Sie benötigen dafür einen institutionellen Rahmen – aber einen, der bewusst auf alle Hierarchie und bürokratische Machtallüren verzichtet. Vor allem aber ist die Glaubensgewissheit vonnöten, von der die Engel singen: Gott die Ehre, der Erde Frieden, den Menschen Gerechtigkeit.

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P.S. Ich spreche ganz bewusst von Kirche im Singular. Kirche ist nur allumfassend, also „katholisch“ zu verstehen. National-Kirchen sind genauso ein Widerspruch in sich wie der Anspruch einer Konfession, nur sie sei die einzig richtige „katholische“ oder „orthodoxe“ Kirche. Kirche so verstanden kann nur eine Kirche sein, die ihren institutionellen demokratisch, also an den Menschen orientiert, organisert. (siehe auch Jürgen Moltmann, Politische Theologie der Modernen Welt, Gütersloh 2021, S. 158ff)

 

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