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Scheibchenweise

Irgendwie passt es zusammen:

  • Ministerpräsident Bodo Ramelow darf laut Thüringischen Verfassungsgerichtshof Mitglieder der NPD nicht als „Nazis“ bezeichnen. Fast gleichzeitig stellt die Staatsanwaltschaft Leipzig ihre Ermittlungen gegen Tatjana Festerling wegen Volksverhetzung ein. Diese hatte im Januar 2016 dazu aufgerufen, „zu Mistgabeln (zu) greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern (zu) prügeln.“ Sie sieht Festerlings Gewaltaufruf durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Also posiert die Pegida-Frontfrau mit einer Mistgabel triumphierend im Leipziger Rathaus und hetzt weiter im völkisch-nationalsozialistischen Jargon – so wie sie und viele andere es Montag für Montag auf den Kundgebungen von Pegida/Legida/AfD tun.
  • Pünktlich zum Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich fordert der selbsternannte Patriotismus-Beauftragte der sächsischen CDU, Landtagspräsident Matthias Rösler, in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (LVZ) „mehr Nationalstolz“. Ebenso klagt er die christlich geprägte Leitkultur ein. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, fordert er von den Einwanderern das Erlernen der deutschen Sprache und erklärt Deutschland zum Einwanderungsland. Vergessen, dass es die CDU war, die über Jahrzehnte das Erlernen der deutschen Sprache bei Asylbewerber/innen bewusst nicht fördern wollte, um jeder Integration vorzubeugen, und dass es die CDU war, die bis vor kurzem bestritt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist?
  • Einen Tag später sekundiert der Dresdner Politologe und Pegida-Versteher Werner Patzelt dem Landtagspräsidenten in der LVZ und redet über den Nationalsozialismus so, als sei dieser wie eine Naturkatstrophe über Deutschland hereingebrochen. Das hört sich dann so an: „Wir sind eine traumatisierte Nation, die … von den Nazis eine gewaltige moralische Last aufgeschultert bekam.“ Nein, der Nationalsozialismus war keine Angelegenheit von „Nazis“, sondern basierte zunächst auf einem großen Konsens innerhalb der Gesellschaft, war ein Produkt der „Nation“. Wer das verkennt, ist nicht in der Lage, das derzeitige Wiedererstarken rechter Bewegungen auf dem Hintergrund der Vorgänge Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu analysieren und den Folgen deutlich ins Auge zu sehen.

Es ist mehr als offensichtlich: Scheibchenweise wird so rechtes Denken gesellschaftsfähig gemacht und zur Normalität erklärt. Mehr noch: Wer jetzt der Wiederbelebung des Patriotismus, des Nationalstolzes das Wort redet, der verkennt, dass es genau dieser von den Grundwerten unserer Verfassung losgelöste „Patriotismus“ war und ist, der sich in den vergangenen 25 Jahren wie ein brauner Mehltau über Sachsen gelegt hat. Darum ist es mehr als verräterisch, wenn Rößler in dem gleichen Interview die Rede vom „Verfassungspatriotismus“ als zu kurz gegriffen bezeichnet und weiter ausführt: „Doch zum Patriotismus gehört auch die tiefe Verwurzelung in der eigenen Kultur, Sprache und Geschichte, in allem, was uns Deutsche ausmacht und zusammenhält.“ Klar, so werden erst einmal alle ausländischen Bürgerinnen und Bürger ausgegrenzt bzw. sie in die Rolle von „Eindringlingen“ gedrängt, was dem montäglichen Pegida-Jargon entspricht. Aber noch bedenklicher: Einen solchen Satz können auch ein Erdoğan, Orbán, Kaszyński, Hofer, Le Pen jeweils auf ihre Nation bezogen sagen. Ein solcher Gedanke verträgt sich problemlos mit der Verachtung der Europäischen Union (Europa wird von Rößler mit keinem Wort erwähnt), der Demokratie und mit der neuen Lust auf nationalistisch-autoritäre Systeme. Mit einer solchen Forderung lassen sich all diejenigen bedienen, die – sich irrlichternd im ideologischen und religiösen Niemandsland bewegend – nach neuen Gewissheiten suchen und bereit sind, alle Errungenschaften einer freiheitlichen Gesellschaft über Bord zu werfen. Denn wenn jeglicher Gottesbezug ad acta gelegt oder dieser von seiner universalen Bedeutung losgelöst wurde und wird, dann muss eben die Nation in Abgrenzung zum globalen Fremden als Ersatzreligion herhalten – und es bleibt nur noch ein verschriemeltes Gerede von einer „Kultur“ übrig, die „christlich geprägt“ ist – ohne auch nur im Ansatz die Prägung beschreiben zu können. Was leider verkannt wird: Mit einem lebendigen Glauben geht auch die globale Perspektive verloren, die sich nicht zuletzt in Artikel 1 des Grundgesetzes wiederfindet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Hier ist eben nicht von dem die Rede, was „den Deutschen ausmacht“, sondern hier wird die Grundlage für ein menschenwürdiges Zusammenleben aller Menschen, die in Deutschland leben, benannt – und das macht unsere Verfassung, unsere Demokratie, unsere Gesellschaft aus. Von dem müssen wir reden, dafür müssen wir werben, das müssen wir jeden Tag leben und an die weitergeben, die in unserem Land aufwachsen und hier eine neue Heimat suchen. Darum: Höchste Wachsamkeit gegenüber allen Tendenzen, die uns scheibchenweise unterjubeln wollen, dass die Grundwerte unserer Verfassung nicht geeignet sind, Menschen zu binden und zu begeistern und die uns darum wieder in die gefährliche Sackgasse von Nationalismus und autoritären Strukturen zu treiben versuchen.

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