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Pfingsten – das Ende des Fundamentalismus

Als ob es nicht ausreicht, dass sich die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland in einer tiefen Krise befinden – derzeit scheinen weltweit viele Glaubensgemeinschaften die Vorurteile bestätigen zu wollen, die die säkulare Religionskritik schon immer gegen sie aufgefahren hat: Religionsgemeinschaften unterstützen autoritäre Regime, liefern Kriegen eine ideologische Rechtfertigung, schränken Freiheiten von Minderheiten ein, lehren eine menschenfeindliche Sexualmoral, verhindern Emanzipation, hindern den wissenschaftlichen Fortschritt. Für die Vorwürfe lassen sich schnell Belege finden:

  • Die russisch-orthodoxe Kirche legitimiert den Angriffskrieg gegen die Ukraine;
  • Victor Orbán beruft sich mit seiner „illiberalen Demokratie“ auf das Christentum;
  • in Israel versuchen orthodoxe Juden, per Gesetz ihren Fundamentalismus im gesellschaftlichen Leben zu verankern;
  • in den USA bilden Evangelikale Kirchen den Nährboden für „Gotteskrieger“ und unterstützen den Trump’schen Faschismus.
  • Noch immer leugnet die römisch-katholische Kirche den systemischen Zusammenhang zwischen den diktatorisch-autoritären Strukturen einer Männergesellschaft und dem sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen, Frauen.

All das zeigt eines auf: Religiöser Fundamentalismus verbunden mit einer undurchdringlichen Machthierarchie auf der einen und politischer Autokratismus auf der anderen Seite bilden zu oft eine unheilige Allianz. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Art von politisch motivierter Religiosität als eine ideologische Verballhornung der eigenen Glaubensgrundlagen. Denn am Ende steht immer die religiös verbrämte Vergottung des Menschen – entweder in der Figur eines politischen Führers, in der ideologischen Überhöhung eines Volkes oder einer Rasse oder in einer Anmaßung eines Absolutheitsanspruchs der eigenen religiösen Überzeugung. Das aber widerspricht – auf den jüdischen und christlichen Glauben bezogen – diametral dem ersten der zehn Gebote: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Sklaverei befreit habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. (Die Bibel: 2. Mose 20,2.3). Dieses Gebot egalisiert jede Form institutioneller Machtanhierarchie und lässt keine der skizzierten Handlungsweisen einer Religionsgemeinschaft zu.

Von daher gesehen rechtfertigt der Glaube keine politisch oder religiös verabsolutierten Machtapparate. Vielmehr veranlasst er Menschen dazu, sie beherrschende ideologisch-religiöse Gebäude oder Zwangsjacken zu verlassen und erweist sich gerade darin als Freiraum des Denkens und Handelns. Darin liegt die Bedeutung dessen, was Jesus gegenüber dem römischen Statthalter Pontius Pilatus ausgerufen hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Die Bibel: Johannes 18,36) Wohl leben und wirken Jesus wie auch die Menschen, die sich auf ihn berufen, in dieser Welt und sollen sich auch am gemeinschaftlichen Leben beteiligen. Aber Christen lassen sich nicht diktieren, wem sie zu folgen und was sie zu denken haben. Ein Abglanz dieser Überzeugung findet sich in der Präambel unseres Grundgesetzes. Wenn da von der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ die Rede ist, dann bedeutet dies: Alles, was wir Menschen bewerkstelligen, muss sich vor dem bewähren, der außerhalb aller weltlichen Bezüge wirkt: Gott. Das wirft die Frage auf, die zum Pfingstfest gehört: In welchem Geist wollen wir unser Leben gestalten? Von welchem Geist wollen wir unsere Existenz durchdringen lassen?

Diese Frage lässt sich beantworten, wenn wir uns das ursprüngliche Pfingstgeschehen vergegenwärtigen. Damals hatten sich Menschen, die aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen stammten, in der Metropole Jerusalem versammelt. Das Besondere war: Sie konnten die Botschaft der Anhänger Jesu verstehen, nachvollziehen – mussten dazu aber ihre religiöse oder nationale Identität nicht aufgeben. Sie begriffen, dass es sich beim Glauben an den einen Gott nicht um eine regional, kulturell bestimmte Überzeugung, sondern um eine weltumspannende neue Anschauung dieser Welt handelte, zugänglich für jede und jeden. Der Glaube an den einen Gott, in dessen Dienst sich Jesus verstand und sein Wirken stellte, steht im krassen Gegensatz zu jeder Form von Nationalismus. Der Glaube an den Gott lässt keinen religiösen Fundamentalismus zu, weil dieser immer der eigenen Vormachtstellung und der Ausgrenzung anderer dient. Der Glaube an den einen Gott stellt jede Form von Hierarchie zur Zementierung von Macht radikal infrage. Nicht von ungefähr wird berichtet, dass in den ersten christlichen Gemeinden eine Art urchristlicher Kommunismus praktiziert wurde: Alles gehörte allen und alles wurde geteilt – ein Gleichnis dafür, dass unter der Prämisse, dass Gott die einzige, legitime Autorität ist, der sich ein Mensch zu beugen hat, alle Bedingungen von Machthierarchien benannt und vermieden werden müssen (vgl. Die Bibel: Apostelgeschichte 2,44ff). Dazu gehört an vorderster Stelle die ungleiche Verteilung der Güter.

Zugegeben: Diese Art des Zusammenlebens lässt sich kaum auf ganze Gesellschaften übertragen. Kirche oder Religionsgemeinschaften haben eben nicht die Aufgabe, das gesellschaftspolitische Zusammenleben zu organisieren. Aber sie können durch ihr eigenes Wirken zeichenhaft aufzeigen, was die Egalisierung menschlicher Machtstrukturen durch den Gottesglauben konkret bedeutet. Vor allem aber sollen sie aufzeigen, dass Nationalismus, Autokratismus, religiöser Fundamentalismus, der auf Ausgrenzung Andersdenkender und -glaubender aus ist, und die damit verbundenen Machtstrukturen sowie gravierende soziale Ungleichheiten auf der einen und christlicher Glaube auf der anderen Seite sich ausschließen. Der Gottesglaube beinhaltet den entscheidenden Freiheitsimpuls in dem Sinne, dass er den Menschen befreit aus allen autoritären und darum „gottlosen Bindungen dieser Welt zu dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“ (so die 2. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934). In diesem Geist leben und wirken zu können, ist das Geschenk des Glaubens. Es ist aber auch die Grundlage für kirchliches Wirken heute. Nur eine Kirche, die jede Form von innerweltlicher Macht kritisch hinterfragt, ihre eigenen Machtansprüche auf den Prüfstand stellt und sich für gerechte Teilhabe aller Geschöpfe Gottes am Leben zwischen Geburt und Tod im Blick auf die verheißene neue Welt Gottes einsetzt, wird auch in einer säkularen Gesellschaft Bestand haben. Man kann nur hoffen, dass ein solcher Geist der Erneuerung wenigstens in die Kirchen einziehen möge.

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