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„Nichts ist gut in Afghanistan …“

In diesen Tagen wird sich manche*r an den einen Satz aus der Neujahrspredigt von Margot Käßmann in der Dresdner Frauenkirche am 1. Januar 2010 erinnern: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ (https://www.ekd.de/100101_kaessmann_neujahrspredigt.htm) Damals war Käßmann noch Landesbischöfin und Vorsitzende des Rates der EKD. Ein Sturm der Entrüstung entlud sich über sie. Aber entsprang ihr Ausruf vor 11 Jahren nicht prophetischer Geistesgegenwart? Vor allem, wenn man sich die dem Ausruf folgenden Sätze der Predigt in Erinnerung ruft:

All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Das wissen die Menschen in Dresden besonders gut! Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. …

Wahrhaft prophetische Sätze – nicht weil das Erfolg gehabt hätte, was Käßmann damals forderte: „mehr Fantasie für den Frieden“. Vielmehr ist das eingetreten, wovor sie warnte: „Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan.“ Seit einigen Wochen werden Truppen der USA und der NATO aus Afghanistan abgezogen, darunter auch die Soldaten der Bundeswehr. Die Folgen sind dramatisch: Die Taliban, deren Gewalt-Herrschaft durch den von der UNO legitimierten Militäreinsatz „International Security Assistance Force (ISAF)“ 2001 gebrochen werden sollte, erobern in kürzester Zeit eine Provinzhauptstadt nach der anderen. Jetzt stehen sie – genau 20 Jahre nach ihrer Entmachtung – vor Kabul und werden auch die Hauptstadt Afghanistans einnehmen. Niemand kann genau vorhersagen, wie die politischen Folgen aussehen werden. Aber eines ist offensichtlich: All die Rechtfertigungen für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan fallen nun wie ein Kartenhaus in sich zusammen. „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“, sagte 2003 der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD). In seinen Erinnerungen ergänzte er:

Jeder, der leichthin davon spricht, dass die Bundeswehr sich schnellstens zurückziehen müsse, sollte wissen, dass dies genau das Ziel der Terroristen ist. Sie würden diesen Rückzug nicht als humanitären Erfolg für die Menschen in Afghanistan sehen, sondern als Sieg in einer Auseinandersetzung, die für sie ein Krieg sowohl gegen das afghanische Volk als auch gegen die westlichen Truppen ist. (Peter Struck, So läuft das. Politik mit Ecken und Kanten, Berlin 2011, S. 110 ff)

Doch wie hören sich diese Sätze zehn Jahre später an? Was ist aus der Behauptung geworden, dass durch die Anwesenheit der westlichen Truppen gesellschaftliche Veränderungen in Afghanistan ermöglicht werden sollten: Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen und Bildungseinrichtungen insbesondere für Frauen? Unbestritten ist, dass in vielen Ortschaften eine soziale Infrastruktur entstanden ist, Schulen gebaut wurden, der Benachteiligung von Mädchen und Frauen entgegengewirkt werden und ansatzweise so etwas wie eine offene Gesellschaft entstehen konnte. Doch was nicht gelungen ist: Lebensverhältnisse aufzubauen, die nicht angewiesen sind auf eine Dauerpräsens des Krieges. So bleibt am Schluss die bittere Erkenntnis, dass sich in Afghanistan die militärische Interventionspolitik selbst ad absurdum geführt hat: zu glauben, man könne mit einem riesigen Militärapparat eine Gesellschaft transformieren. Was vielleicht noch durch eine militärische Intervention gelingen mag: einen bewaffneten Konflikt/Bürgerkrieg zum Stillstand zu bringen, um so Bedingungen zu schaffen für zivilgesellschaftliche Veränderungen. Aber zu glauben, innerhalb eines jahrzehntelangen Krieges ein Staatswesen aufbauen zu können, dass die Menschenrechte zur Grundlage hat, ist eine gefährliche, vor allem sehr teure Illusion.

So steht zu befürchten, dass in wenigen Wochen in Afghanistan wieder die Verhältnisse herrschen, die 2001 zur militärischen Intervention geführt haben. Genau diese Gefahr hatte Margot Käßmann 2010 im Blick. Sie und viele andere aus der Friedensbewegung haben den Anspruch der USA und NATO-Staaten infrage gestellt, als sei eine Befriedung Afghanistans nur durch kriegerische Gewalt möglich. Denn unabhängig davon, wie ein bewaffneter Konflikt ausgeht – zwei Dinge bleiben: die Menschen vor Ort müssen auch nach einem Krieg in Frieden leben, existieren können; und: zu diesen Menschen gehören auch diejenigen, gegen die der Krieg geführt wurde. Denn Frieden bedeutet: auch mein Feind lebt. Dafür ist aber die Fantasie nötig, die Margot Käßmann 2010 eingeklagt hat – und zwar nicht am Ende eines Kriegs, sondern zu Beginn eines drohenden militärischen Konfliktes, um diesen zu vermeiden und mögliche Gewalt zu minimieren. Darum: Nicht der Abzug der Truppen aus Afghanistan ist der Fehler, sondern der Beginn des Waffengangs am Hindukusch ohne Friedensperspektive war der große Irrtum. Die dramatische Frage bleibt: Wer übernimmt nun Verantwortung dafür, dass sich Afghanistan jenseits von Terror und Krieg entwickeln kann?

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