Waren die Morde und der Angriff auf die Synagoge in Halle/Saale ein „Alarmzeichen“, wie die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer meint oder ein „Anfang“, dem man wehren muss? Nein, das offensichtlich beabsichtigte Massaker in der Hallenser Synagoge am Feiertag Jom Kippur ist der dramatische Tiefpunkt einer Entwicklung, die seit mindestens drei Jahrzehnten anhält: das Wachsen des Rechtsextremismus, der wesensmäßig im Antisemitismus verankert ist, und seine Verleugnung bzw. Verdrängung („Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsextremismus“ Kurt Biedenkopf). Es sind die kleinen Erlebnisse, die die politische Katastrophe offenbar machen: wie Anfang 1997 während der Vorstellung des Entwurfs für das Mendelssohn-Fenster in der Thomaskirche eine Gruppe junger Neonazis in die Kirche stürmte und am kleinen Altar mehrfach schrie „Sieg Heil!“ und wieder verschwand; wie 2004 antisemitische Vorurteile auflebten, als die Planungen für das Begegnungszentrum der Israelitischen Religionsgemeinde „Ariowitsch-Haus“ bekannt wurden; wie im gleichen Jahr mein Wagen in der Nacht vom 30.04. auf den 01.05.2004 im Innenhof des Dittrichring mit Hakenkreuzen beschmiert wurde.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Es sind nicht mehr die „kleinen“ Ereignisse, die man doch bitteschön nicht so aufbauschen soll. Zwei Tage vor dem antisemitischen Gewaltakt eines rechtsextrem eingestellten Menschen geschah in Dresden Folgendes: Pegida hatte wieder einmal zum montäglichen „Abendspaziergang“ aufgerufen. Teilnehmer u.a.: Jörg Urban, Landesvorsitzender der AfD Sachsen, und André Wendt, der gerade mit CDU-Stimmen gewählte neue AfD-Vizepräsident des sächsischen Landtages. Damit wird zum wiederholten Mal in aller Öffentlichkeit dokumentiert, dass es zwischen der rechtsextremistischen Pegida-Bewegung und der AfD einen engen Schulterschluss gibt. Lutz Bachmann, der Sprecher von Pegida, rief auf der Kundgebung am 07. Oktober 2019 dazu auf, die „links-grünen Volksschädlinge und Volksfeinde“ in „den Graben“ zu stoßen und diesen dann „zuzuschütten“. Ein Aufschrei in Sachsen war nicht zu vernehmen. Im Gegenteil: Landtagspräsident Matthias Rößler, der selbst ernannte Patriotismusbeauftragte der CDU, beschwichtigt, dass Wendt „nicht im Rahmen seines Amtes als Vizepräsident teilgenommen (habe), sondern als Abgeordneter“. Macht es den Auftritt harmloser? Zwar ermittelt der Staatsschutz gegen Lutz Bachmann. Doch der eigentliche Skandal sind nicht die sattsam bekannten Hasstiraden eines Lutz Bachmann. Skandalös wie aufschlussreich ist die Teilnahme der AfD-Repräsentanten an der Pegida-Veranstaltung und ihre damit zum Ausdruck gebrachte inhaltliche Übereinstimmung mit den Rechtsextremisten von Pegida und dem mehrfach vorbestraften Lutz Bachmann.
Nun wissen wir seit bald 100 Jahren, dass wesentliche Säulen des Rechtsextremismus Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind. Darum besteht zwischen der Tatsache, dass mit der AfD Rechtsextremisten und Faschisten wie Jörg Urban und Björn Höcke (und viele andere) in den Parlamenten sitzen, und dem Erstarken eines wieder gewalttätigen Antisemitismus ein unmittelbarer Zusammenhang. Denn mit jedem Mandat, mehr noch: mit jeder Stimme, die bei Wahlen für die AfD abgegeben wird, und mit bald jedem Post eines AfD-Abgeordneten erfährt der Antisemitismus neue Nahrung. Das wird auf schreckliche Weise durch die Gewalttat in Halle offenbar. Daraus kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Nicht die Morde in Halle sind ein „Alarmzeichen“, nein: sie sind ein aus dem Rechtsextremismus heraus gewachsenes Verbrechen – und sie sind die schreckliche Konsequenz aus jahrelang übersehenen, verharmlosten Alarmzeichen wie
- die Wahlerfolge für die NPD, DVU und jetzt AfD seit 2000;
- die Auftritte und Reden der Rechtsnationalisten um Urban, Bachmann, Höcke, Kalbitz, Weidel, Gauland;
- das von Anfang an menschenfeindliche Wirken von Pegida;
- die rechtsextremistischen Kapitalverbrechen, denen seit 1990 in Deutschland über 200 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Mit ihrem unsäglichen Treiben geben die Rechtsnationalisten der AfD ein Signal an alle aus, die sich im rechtsextremistischen Denken verstrickt haben und in sich den Drang verspüren, zur Tat zu schreiten und zur Waffe zu greifen: Wenn es all die Fremden, die von Merkel gerufenen „Messermigranten“, all die links-grün versifften „Volksschädlinge“, und dann auch all die Juden und ihre weltumspannende Macht nicht geben würde, dann ginge es den Deutschen gut, dann hätte Herr Gauland jeden gerne zum Nachbarn. Deswegen verfolgt die AfD ein Ziel: Sollte sie an die Macht kommen, „dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet“ (Markus Frohnmaier, AfD-Bundestagsabgeordneter). Alles andere, was die AfD gerade heute verlautbaren lässt, ist nur Ausfluss ihrer perfiden Strategie der „Selbstverharmlosung“ *. Im Kern verfolgt sie die Ziele, die schon einmal Europa in den Abgrund geführt haben.
Hieraus kann es nur eine Konsequenz geben: Jede Stimme für die AfD, jedes Gewährenlassen oder widerspruchlose Hinnehmen ihrer Hetze und Häme, ist eine aktive Unterstützung all dessen, was den Rechtsextremismus ausmacht: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Demokratieverachtung, Verherrlichung autokratischer Systeme, Nationalismus, Antipluralismus, Religionsfeindlichkeit und: Antisemitismus. Darum gilt es schnörkellos zu kommunizieren: Jede Stimme für die AfD ist ein Pflasterstein auf dem Weg in einen zuletzt militanten Rechtsextremismus. Darum ist nur zu begrüßen, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute in Halle unmissverständlich klargestellt hat: „Wer jetzt noch einen Funken Verständnis für Rechtsextremismus und Rassenhass zeigt, wer Hass schürt, wer politisch motivierte Gewalt gegen Andersdenkende und Andersgläubige rechtfertigt, der macht sich mitschuldig.“
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* Wer wissen will, was hinter der Strategie der Selbstverharmlosung steckt, sollte den Aufsatz von Götz Kubitschek, dem Chefideologen der AfD, lesen. Nach der Lektüre ist es noch erschreckender, dass so viele Bürger/innen den Rechtsnationalisten von der AfD ihre Stimme geben (wollen).
Hier noch ein an sich unglaublicher Vorgang aus dem Landkreis Rostock (Ausländeranteil: ca. 5 %). Er unterstreicht deutlich, wess‘ Geistes Kind die AfD ist: Die Rechtsnationalisten von Pegida/AfD arbeiten in der Tradition der NSDAP. Das Gerede von Jörg Meuthen, die AfD habe nichts zu tun mit dem Verbrechen in Halle und sei eine „pro-jüdische Partei“ (!), ist ein Musterbeispiel für die Strategie der „Selbstverharmlosung“.
15 Antworten
Ich frage mich, warum das Gerichtsurteil aus Thüringen, in dem „erlaubt“ ist Herrn Höcke als Faschisten zu bezeichnen, in der Diskussion keine Rolle spielt. Satttdessen wird sich an Herrn Wolff „abgearbeitet“, der den Finger in die Wunde legt.
Sehr geehrter Herr Pfarrer Wolff, es wäre das Schönste für Leipzig, wenn SIE als Friedensstifter auftreten könnten und nicht in völlig achristlicher Manier diese Spaltung der Christen, die durchaus ihrem Bischof vertraut haben und ihn auch verehren, durch bösartige Wortschlachten auf Trab halten. Außerdem scheinen Sie nicht zu wissen, daß auch Pfarrer die AFD gewählt haben. Also bitte senden Sie möglichst Liebe in die Welt, damit unsere Kirche nicht täglich mehr Schaden erleidet. Es macht einen ganz schlechten Eindruck, wenn Pfarrer im Internet auf ihren Bischof eindreschen. „…alles zum Besten kehren“.
Herzliche Grüße! Anne-Kristin Mai
Sehr geehrte Frau Mai, dass Pfarrer/innen die AfD wählen, macht die Sache leider nicht besser. Sie geben damit einer Partei ihre Stimme, die in ihrer Politik allen christlichen Grundwerten zuwider handelt. Oder finden Sie es mit dem christlichen Glauben vereinbar, wenn die Bundestagsabgeordnete Hartmann die Geburt von Angela Merkel verflucht oder Herr Gauland die Schreckensherrschaft der Nazis und damit auch den Holocaust zum „Vogelschiss der Geschichte“ erklärt. Ich könnte jetzt mit vielen weiteren Zitaten fortfahren. Sie werden – hoffentlich nicht erst, wenn es zu spät ist – erkennen müssen, dass der Rechtsnationalismus mit dem biblischen Glauben nichts zu tun hat. Leider mangelte es nicht nur Herrn Rentzing an dieser Einsicht. Im Übrigen sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass Herr Rentzing nicht wegen der öffentlich vorgetragenen Kritik zurückgetreten ist, sondern weil er über Wochen die Unwahrheit gesagt hat und vor Jahren Artikel geschrieben hat, von denen er sich jetzt erst, nachdem mit ihnen konfrontiert wurde, pauschal distanziert. Damit hat er die Vertrauensbasis, die für eine gedeihliche Amtsausübung unerlässlich ist, selbst zerstört. Aber ich kann mit der Tatsache durchaus leben, dass für viele Menschen nicht der Dreckhaufen das Problem ist, sondern diejenigen, die auf ihn hinweisen. Mit freundlichen Grüßen Christian Wolff
Man stelle sich nur kurz vor, der wahnsinnige Anschlag in Halle wäre nicht von einem Deutschen, sondern von einem, womöglich 2015 nach Deutschland eingereisten Flüchtling islamischen Glaubens begangen worden. Beiträge im Internet, Presse, Talkshows, allen voran das schrille Geschrei der AfD wären hysterisch, zumindest hochgradig empört und würden mehr oder weniger unverhohlen den Rücktritt Angela Merkels als alleiniger Schuldiger fordern. So aber waschen alle AfD-Verantwortlichen ihre Hände in Unschuld und betonen ihre pro-jüdische Einstellung. Das ist ekelerregend und perfide!
Ein Hoffnungsschimmer immerhin die Maybrit Illner Sendung vom Donnerstag zum Thema, bei der Weisband und Thevesen klare Worte und Analysen präsentierten, Haseloff nachdenklich und beeindruckt schien und auch der thüringische Leiter des Verfassungsschutzes auf mich sehr kompetent wirkte – wohltuend im Vergleich zu den Einlassungen von Maaßen nach Chemnitz!
Aber es müssen auch Taten folgen. Angefangen beim entschiedenen Benennen und Bekämpfen von sprachlichen (s.o. „Überfremdungsnotstand“, „Asylantenflut“) und inhaltlichen Entgleisungen (deutsche/europäische Grenzen notfalls mit Waffengewalt gegen Flüchtlinge verteidigen) der Rechten in der öffentlichen Debatte bis hin zur Relativierung rechtsextremer Gewalt durch die, auch in diesem Blog immer wieder erhobene Forderung, man dürfe diese nur bei gleichzeitigem Hinweis auf linksextreme Gewalt anprangern!
Für mich persönlich gehört spätestens jetzt die volle Ablehnung jedweder Zusammenarbeit (auch auf kommunaler und Projekt-Ebene) mit der AfD dazu, auch wenn diese sich durch demokratische Wahlen „legitimiert“ oder gar „bürgerlich“ fühlt.
Bei aller tief empfundenen Scham über diesen terroristischen Angriff auf eine Synagoge dürfen wir aber auch nicht übersehen, wie menschenverachtend der Mord an zwei völlig Unbeteiligten und die schweren Verletzungen weiterer Zufallsopfer dieses irren Rechts-Terroristen war!!
Sehr geehrter Herr Käfer,
kurz zu Ihrem ersten Satz Ihres Beitrages:“
Man stelle sich nur kurz vor, der wahnsinnige Anschlag in Halle wäre nicht von einem Deutschen, sondern von einem, womöglich 2015 nach Deutschland eingereisten Flüchtling islamischen Glaubens begangen worden…“
Ich finde es leider schon etwas kurzsichtig wenn man solch einen Satz schreibt mit dem Wissen (oder Nichtwissen) das 4 Tage vor diesem schändlichen Akt ein Syrer versucht hat in eine Berliner Synagoge mit erhobenem Messer einzudringen.
Antisemitismus ist leider eben auch im Islamismus schon immer vorhanden und ich denke das man, auch wenn man vielleicht eher politisch links ausgerichtet ist, nicht so tun sollte als wenn s das nicht gäbe.
Viele Grüße
Sie haben Recht, Herr Seume, Antisemitismus gibt es sehr wohl unter Anhängern des islamischen Glaubens. Ich wüsste allerdings nicht, wann ich jemals so getan hätte, „als wenn’s das nicht gäbe“!?!
Dass mein erster Satz kurzsichtig sei, angesichts des versuchten Anschlags auf die Synagoge in Berlin wenige Tage zuvor, vermag ich auch nicht nachzuvollziehen. Ich habe ihn geschrieben, um auf die aus meiner Sicht erhebliche Mitschuld hinzuweisen, die Äußerungen von AfD-Verantwortlichen mittelbar an dem Terror-Angriff in Halle tragen…
Sehr geehrter Herr Käfer,
mit „kurzsichtig“ möchte ich keinesfalls in irgendeiner Art beleidigend sein, jedoch hab ich den Eindruck das je nach politischer Ausrichtung der Ball nur in die Ecke gespielt wird die derselben entspricht.
Aber Wahrheit definiert sich doch nicht dadurch, daß man nur das benennt was der politischen Einstellung gleichkommt.
Wir würden doch einem Radfahrer auch nicht empfehlen das, wenn er eine Kreuzung überfahren möchte, er doch nur nach rechts sehen müsse… (der Arme).
Ich denke allgemein ( damit meine ich nicht Sie), das allzu festgefahrene politische Positionen ein Stück weit blind machen für die Sorgen und Probleme des Gegenüber, sie entzweien sogar. Der christliche Glaube sollte doch vielmehr verbinden als zu entzweien und das sollte doch hoffentlich noch möglich sein.
Viele Grüße, Raik Seume
Sehr geehrter Herr Seume,
ohne weiter inhaltlich auf Ihre Sätze eingehen zu wollen, möchte ich Sie bitten, den Bericht der Staatsanwaltschaft zum Vorfall an der Berliner Synagoge zu lesen. Der Mann stand sehr nahe der Synagoge. Er hatte ein Messer in der Hand und er tat laut Aussage der Polizeibeamten NICHTS. Er stand einfach nur da. Inzwischen ist er in der Psychiatrie.
Mit freundlichem Gruß,
A. Görgens
Die AFD, eine spießige Monokelpartei, mit Mordaktionen in Verbindugn zu bringen halte ich für schwierig! Was sollte die davon haben? Rechts oder links sind das Salz in der Suppe der peinlich beschränkten Beamtenrepublik! Ja zum polit. Wettbewerb, aber nein zur Gewalt und zum Hass!Denkt jemand anders als wir, muss er noch nicht der Satan sein!
Schade (erneut), lieber Herr Wolff, daß Sie nicht erkennen wollen, daß alle unsere Probleme miteinander verknüpft sind, daß ich also sehr wohl von rechten Morden rede, wenn ich versuche, darauf hinzuweisen, daß es eben nichts werden wird mit dem verschieben EINES Problems, bis es „dran ist“, wenn wir ein anderes lösen wollen. Genau, weil das nicht erkannt wird, kommen wir nicht vorwärts, sondern klagen nur – oder, wie in diesem Fall, versichern uns gegenseitig unseres Entsetzens.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Christian Wolff,
mein Kommentar zu den Scheußlichkeiten von Halle und damit zu den Urhebern im Hinter-grund, AfD, die Vorbereiteter und Unterstützer der gesamten rechten Szene sind, habe ich,
wie immer visualisiert. Mit getrennter Mail erhalten Sie mehrere Plakate zu dem Thema.
Herzlich Heinrich Brandt
Es ist schade, lieber Herr Wolff, daß Sie mal wieder eine Chance vertan haben, nämlich einen Beitrag zu dem schwierigen Versuch einer Lösung eines unzweifelhaft bestehenden Problems in Deutschland zu leisten. Stattdessen lesen wir von Ihnen nur, was wir schon wissen (von Ihnen sowieso aber auch aus eigener Analyse), garniert mit den üblichen Zitaten (schlimm genug und schlimmer noch, daß Sie sie erneut weiterverbreiten), versehen mit dem üblichen und völlig unwirksamen Aufruf auf der „keinen Millimeter“- und „keine Stimme“-Linie (der ja sowieso nur Ihre Anhänger erreicht, bei denen er überflüssig ist) und insgesamt ohne jeden Impuls in Richtung auf Verständnis des Problems und daraus abgeleiteter Richtungsweisung.
Wenn man also von diesen Schwächen Ihrer ewig gleichen und gleich unwirksamen Anti-Rechts-Kampagne absieht, dann bleibt festzustellen, daß Sie in der Sache natürlich Recht haben und daß also Übereinstimmung besteht in dieser Frage. Aber Sie bleiben immer in der Beschimpfung stecken, verlieren sich in Wiederholungen, vermeiden jeden Lösungsansatz und zeigen damit eigentlich nur – im günstigsten Falle – Ratlosigkeit. Dabei müßte es Sie ja doch – zunächst rückblickend – interessieren, warum (lassen wir mal Ihre unsinnigen Bemerkungen über Biedenkopf außer Acht) über mehrere Jahrzehnte in Deutschland ein rechter Bodensatz in Form der NPD und anderer politisch (wenn auch nicht strafrechtlich) unwirksam blieb (auch bei gelegentlicher Parlamentszugehörigkeit), während in den wenigen letzten Jahren eine außerparlamentarische und dann parlamentarische rechte Welle aufschäumte und politische Bedeutung errang. Dabei müßte Sie auch interessieren, warum diese neue „Kraft“ so mühelos – und gerade in den neuen Ländern – die dort etablierte LINKE überflügelte, die doch immerhin zwar genauso populistisch aber eben weniger gewalttätig ist. Ich glaube nicht, daß man des Problems Herr wird, wenn man sich solcher Fragen in „historischer Hinsicht“ nicht sachlich und ohne Polemik annimmt.
Und dann kommen natürlich die Gegenwart und Zukunft als Untersuchungsfelder hinzu, aber nicht in dem Sinne, daß man wie Sie nur eine emotionale Zustandsbeschreibung abliefert, sondern vielmehr in Form der Benennung von „Lösungsfeldern“ in Inhalt und Stil (oder Methode, da Sie ja ein Gegner von Stil sind):
+ als erstes fällt einem da ein, daß wir kein politisches Problem lösen werden, wenn es uns nicht gelingt, die vollständige Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit aller Probleme zu erkennen und uns einzugestehen: Wir dagegen greifen – auch jetzt wieder – den gerade aktuellen Fall auf (wie Sie ja auch) und sträuben uns gegen die Erkenntnis, daß es multiple Gründe für den jeweiligen Einzelfall gibt.
+ Weiterhin muß man wohl erkennen, daß sich keines unserer Probleme auf der Straße lösen läßt, wo nur wichtige Kräfte (Polizei zB) von ihrer eigentlichen Aufgabe abgehalten werden und wo eher fundamentalistische Meinungen aufeinanderprallen anstatt Dialog und Toleranz gefördert werden. Der stets angegebene Zweck des „Zeichen setzens“ ist ehrenhaft, aber eben eher zerstörerisch, weil er unweigerlich ja auch einen erheblichen rechthaberischen Aspekt hat.
+ Zusätzlich werden wir wohl ohne die Erkenntnis nicht weiterkommen, daß die ewige Verbannung der Sichtweise unserer Gegner in das Reich des Bösen bei gleichzeitiger Erhöhung der eigenen Ansicht zur offensichtlichen Wahrheit nicht wirklich taugt. Argumente statt Beschimpfung, Anerkennung der Besorgnisse des Anderen auch bei eigenem Unverständnis dafür sind notwendig. (und im übrigen auch alleine demokratisch).
+ Schließlich ist gerade in Fällen, die emotional berühren („Tag der Scham und der Schande“ – in der Tat!), besondere Sachlichkeit und Ausgewogenheit im Inhalt und in der Sprache erforderlich – alles in Ihrem Beitrag nicht so ganz erkennbar. Wir werden politisch Extreme – schon gar nicht solche, die gewaltbereit sind – von anderen, gemäßigten Positionen nicht überzeugen (können), wenn wir sie sprachlich und mit eigener Extremität an den Rand drängen und dabei noch unglaubwürdig sind. Denn selbst hier auf Ihrem blog gibt es ja zu viele Beiträge, die vor „Ausgrenzung“ warnen und gleichzeitig unentwegt ausgrenzen, die vor Radikalität warnen und selbst radikal sind, die einäugig blind sind, weil sie selbst ideologisch und nicht sachlich reden.
Und dann muß man konkrete Gebiete benennen, die einer Untersuchung, eventuell einer Eingrenzung bedürfen, ohne daß jedes Mal gleich Demokratiegefährdung, Grundrechtseinschränkung, etc, von genau denen unterstellt wird, die auf sich selbst und ihre Gegner gerne unterschiedliche Maßstäbe anwenden. Beleidigungen von Böhmermann sind genauso schädlich wie Beleidigungen gegen Kühnast, Rechthaberei und moralische Besserwisserei sind auf beiden Seiten gleich schlimm, nachträgliche Kritik an den Verantwortlichen durch Leute, die weder die Fakten kennen noch die Verantwortung tragen, sind arrogant aber nicht hilfreich. Die Fragen unserer Medien infolge des entsetzlichen Anschlags von Halle – „wie haben Sie den Tag erlebt“, „was ist Ihnen durch den Kopf gegangen“ – sind peinliche Sensationsmache, formulieren die Antwort schon vor und gehen der Suche nach Lösungen bewußt aus dem Weg.
* Es muß dringend das internet (nicht vom Staat aber von dazu einzusetzenden multi-pluralen und rechtsverständigen Gremien) besser überwacht und eingegrenzt werden – Sie haben das neulich noch als „niedliche“ Forderung abgelehnt.
* Wir brauchen klarere Beschreibungen der Rechte auf Meinungsfreiheit und Versammlung in Bezug auf strafrechtlich relevante Vorgänge und deutlich kürzere rechtliche Verfahren, in denen auf der Basis der vorhandenen oder neuer Gesetze engere Grenzen für die „Verrohung der Sprache“ gesetzt werden, von denen auch sogenannte Kunst nicht ausgenommen wird.
* Wir müssen erkennen, daß Friede nur entsteht und erhalten werden kann, wenn es Machtmonopole gibt, die anerkannt und auch mit Mitteln zur Durchsetzung ausgestattet sind (dies nicht nur materiell sondern auch rechtlich). Das sind in der Außenpolitik Streitkräfte; in der Innenpolitik sind es die Polizeikräfte, die man nicht mißbrauchen darf durch Übertragung überflüssiger Aufgaben – es ist unerträglich, daß der Staat Demonstranten mit einem Einsatz von 2:1 von einer Straßenkreuzung schleppen muß; daß er mit völlig übertriebenen Personaleinsätzen irgendwelche „Camps“ abbauen muß; daß Straftäter, euphemistisch „Aktivisten“ genannt, von der Polizei quasi nur beobachtet und begleitet werden können, weil ihre Straftat behördlich „genehmigt“ ist.
* Wir dürfen unsere Geschichtsinterpretation nicht ideologisch mißbrauchen, indem wir unsere „Helden“ zu Lasten aller positiv Beteiligten unkritisch hochloben und die anderen (Biedenkopf zB) diffamieren, weil wir meinen, damit punkten zu können. Und in diesen Zusammenhang gehört wohl auch, daß wir anderen guten Willen unterstellen (zB Landesbischöfen), auch wenn wir uns eindeutigere Positionierungen vorstellen könnten – die Rücksichtnahme auf ALLE zwingt einige zu differenzierteren Stellungnahmen im Gegensatz zu rücksichtslosem Vorantreiben nur der eigenen Meinung um des billigen Applauses der eigenen Klientel willen.
Der Antisemitismus in Europa – vorrangig Frankreich und Deutschland augenblicks – ist erschreckend. Wir müssen ihm entgegentreten. Das aber geschieht durch Problemlösung – nicht durch einseitige Problembeschreibung und anschliessende Selbstgerechtigkeit.
Also warten wir weiter darauf, daß Sie, lieber Herr Wolff uns mal in concreto die Richtung weisen als nur zu schreiben, was wir schon wissen, und wozu – ich bin überzeugt – Ihr Tun in Leipzig beiträgt, Ihre Äusserungen im blog leider deutlich weniger.
Ich schließe mit dem Hinweis für diejenigen, die ihn brauchen, daß alle diese meine Vorschläge nicht dem richtigen Postulat des Bundespräsidenten widersprechen, Haltung, Anstand und eindeutige Positionierung ohne wenn und aber zu zeigen.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Im Gegensatz zu Ihnen, lieber Herr Schwerdtfeger, rede ich nicht allgemein von „Problemen“, sondern benenne diese (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Allein das scheint Ihnen aber schon zu viel Konkretion zu sein. Ebenso schweifen Sie immer gerne ab. Wir können uns über die Klimapolitik, über FridaysForFuture streiten – aber bitte dann, wenn es dran ist. Jetzt geht es um den organisierten Rechtsextremismus und Terroranschläge, die von Rechtsxtremisten verübt werden. Dazu lese ich bei Ihnen so gut wie nichts, dafür ganz viel allgemeiner Politformalismus. Das ist ein bisschen wenig angesichts der Dramatik. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Christian,
ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Dir zu Deinem so gut geglückten Auftritt bei der Wirtschaftsgilde zu gratulieren. Das möchte ich jetzt nachholen, bevor ich auf Deinen wiederum sehr notwendigen Beitrag eingehe. Ich teile natürlich Deine Auffassung über Rechtsextremismus und begrüße das Zitat von Frank-Walter Steinmeier ausdrücklich.
Ich vermisse aber bei allen Überlegungen zur Verharmlosung der AfD – auch durch die CDU – dass eine wichtige Ursache stets vernachlässigt wird: das ist die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts, mit welcher es das NPD-Verbot scheitern ließ.
Wenn ein Verbot nur möglich wird, sobald eine Partei nicht nur Nachfolgeorganisation der NSdAP ist, sondern auch nicht mehr ganz ungefährlich, so ist das geradezu als Herausforderung verstanden worden, die rote Linie zum Nazismus zu überschreiten.
1928 hatte die Hitler-Partei noch 800.000 Wähler und die Demokratie hätte es fast geschafft – das wurde dann von den Kriegstreibern der Harzburger Front zum Signal, ihre Geschäftsinteressen auch mit Hitler zu verteidigen. Niemand gibt uns die Gewähr, dass Geschichte sich nicht wiederholt, wenn die zum Schutz der Demokratie bestellten Institutionen versagen.
Herzliche Grüße aus Baden
Heinz
Lieber Heinz, das Versenden des Feedback der Wirtschaftsgilde war ein Versehen. Das sollte eigentlich nur unter dem Link „Referenzen“ eingestellt werden. Aber ein Häkchen zu viel – und schon wird die Menschheit „beglückt“ mit Eigenlob. Also, sorry. Ja, das Urteil des BVG ist auch ein Mosaiksteinchen. In seiner Bedeutung würde ich es aber nicht so hoch gewichten wie Du. Gravierender ist die tägliche Verharmlosung seit 30 Jahren. Hier hat Herr Maaßen ein besonders üble Rolle gespielt. Schau noch einmal auf den letzten Blogbeitrag. Ich habe dort noch ein Beispiel für den ganz alltäglichen Faschismus der AfD eingestellt. Herzliche Grüße Dein Christian