Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil wurde auf dem Bundesparteitag abgestraft. Bei der Wahl des Vorsitzenden der SPD bekam er ohne Gegenkandidaten magere 64,9 % der abgegebenen Stimmen. Ein Drittel der Delegierten verweigerte ihm seine Zustimmung. Dass Lars Klingbeil nach der Bundestagswahl im Februar 2025 mit einem verheerenden Ergebnis für die Sozialdemokratie und im vollen Wissen darum, dass es angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse nur zu einer Koalition mit der CDU/CSU kommen kann, sich sofort die Spitzenposition für die Verhandlungen gesichert hatte, war und ist umstritten. Auch der damit verbundene Machtanspruch Klingbeils, dem Rolf Mützenich als Fraktionsvorsitzender wie auch Saskia Esken als Co-Vorsitzende der SPD weichen mussten, wird ihm nach wie vor verübelt. Doch das erklärt nicht ein Wahlergebnis mit verheerender Außenwirkung. Dieses ist eher Ausdruck von einer politischen Haltlosigkeit, die sich schon im Ergebnis des 1. Wahlgang bei der Kanzlerwahl widerspiegelte: Eine nicht allzu kleine Anzahl von Politiker:innen gefallen sich darin, unterm Tisch gegen Schienbeine zu treten, anstatt mit offenem Visier in eine politische Auseinandersetzung mit denen einzutreten, deren Wirken man für verhängnisvoll hält. Was offenbar wird: ein Niedergang einer moralisch gebundenen Haltung im streitigen politischen Diskurs und eine erschreckende inhaltliche Leere und offensichtliche Hilflosigkeit in angespannter Lage. Das Verhalten des einen Drittels der Delegierten legt aber auch die Folgen des allgemeinen Geredes von der „Verengung des Meinungskorridors“ offen. Dieses erweist sich als ein fatales Entschuldigungsmodul für mangelnde Glaubwürdigkeit.
Wenn so viele Delegierte gegen einen Vorsitzenden Lars Klingbeil votiert und ihre Stimmabgabe sicher nicht unabgesprochen vollzogen haben, dann frage ich mich: Warum hat niemand den Mumm gehabt, gegen Klingbeil zu kandidieren? Warum hat niemand eine Rede gehalten mit der Aufforderung an Lars Klingbeil, seine Kandidatur zurückzuziehen? Die Antwort ist leicht gefunden: Das hätte eine inhaltliche Positionierung vorausgesetzt, einen programmatischen Plan für sozialdemokratische Politik in den nächsten 10 Jahren. Dazu war offensichtlich niemand bereit und/oder in der Lage. Ja, die verschwommene Programmatik ist die größte Baustelle der SPD. Sie hat in den letzten Jahren auf keinem Politikfeld eine Meinungsführerschaft erringen können. Auch darum verharrte die SPD bei den Umfragen während der Ampelkoalition mit einem SPD-Kanzler Olaf Scholz über Monate bis zur Bundestagswahl bei 16 Prozent. Eine Meinungsführerschaft erreicht eine Partei aber nur, wenn sie eine Zukunftsvision für Bürger:innen entwickeln kann und von dieser eine begehbare Treppe in die Wirklichkeit zu bauen vermag.*
Dass es daran auf breiter Front mangelt, macht auch das sog. „Manifest“ deutlich. Beabsichtigt war, mit diesem eine breite Diskussion über die zukünftige sozialdemokratische Friedenspolitik zu initiieren. Doch das Papier blieb in den Denk- und Argumentationsmustern der 80er Jahre stecken. Es konnte weder der radikalen Abkehr der USA von Europa, noch der kriegerischen Abwehr Russlands gegen alle demokratischen Aufbrüche in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion Rechnung tragen. Die aufbegehrenden Bevölkerungsgruppen in Ländern wie Belarus, Georgien, Moldavien sind im „Manifest“ ebenso wenig ein Thema wie eine grundlegende friedenspolitische Machtoption der Europäischen Union. Es ist auch im Blick auf die Ukraine leider nicht getan mit der Forderung nach „Diplomatie“ und Gesprächen mit Russland. Solange es der SPD nicht gelingt, zu einer neuen friedenspolitischen Vision nicht militärischer Konfliktlösungen zu gelangen, die Ausgangspunkt aller internationalen Politik sein sollte, fehlt der völlig berechtigten Kritik an den gigantischen Aufrüstungsprogrammen der Länder der EU und der NATO ihre Überzeugungskraft. So sind wir als SPD in die absurde Situation geraten, dass sich die rechtsextremistische, nationalistische, autokratieaffine AfD zusammen mit dem BSW als Friedenspartei aufspielen kann. Aus dieser Falle muss die SPD so schnell wie möglich heraus. Das wird aber nur gelingen, wenn wir als SPD
- aufhören, die unwürdige Liebedienerei eines NATO-Generalsekretärs Mark Rutte gegenüber der Trump-Vance-Bande im Weißen Haus mitzumachen und in Trump einen Verbündeten zu sehen; (wir sollten uns an die Seite des Kindes aus Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ stellen, das laut ruft: „Aber er hat ja gar nichts an!“ Donald Trump, vor allem seine Kumpanei mit Wladimir Putin, sind ein Verhängnis für die ganze Welt! Wie will man mit einem, der die Demokratie im eigenen Land zertrümmert, diese verteidigen?)
- im Erhalt der freiheitlichen Demokratie den wichtigsten Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und der EU sehen;
- die EU zu einem von den USA, Russland und China unabhängigen Staatenverbund ausbauen;
- eine regelbasierte Politik, die Achtung des Völkerrechtes und der Menschenrechte nicht zur Disposition stellen;
- eine von den USA und der Netanjahu-Regierung Israels unabhängige friedenspolitische Perspektive für den Nahen Osten entwickeln;
- nur die Euro-Beträge in die Rüstung zu investieren bereit sind, die zur Verteidigungsfähigkeit eines demokratischen Europas nötig sind.
Das alles erfordert eine grundlegende Erneuerung sozialdemokratischer Friedenspolitik jenseits von „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“. In gleicher Weise bedarf es neuer Visionen zukünftiger Sozial-, Gesellschafts- und Kulturpolitik. Hier sind Visionen für eine menschen-, zeit- und ortsnahe Lösbarkeit komplexer Aufgaben und Probleme nötig. Das setzt ein demokratisches Staatsverständnis voraus, das im Bürger und in der Bürgerin die treibende Kraft sieht. Nicht nur für ihn:sie, sondern vor allem mit ihm:ihr muss die SPD Politik machen. Darum hat sich die SPD vor allem die Frage zu stellen: Mit welcher Programmatik können wir Bürger:innen begeistern und zum Mittun bewegen? Der Aufgaben und Herausforderungen sind genug, um aus der Not eine Tugend zu machen. Letztere bedarf aber auch einer inneren Aufrichtigkeit, eines moralischen Kompass und einer ethischen Grundorientierung eines:r jeden Sozialdemokraten und Sozialdemokratin, sollen Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit keine Worthülsen bleiben.
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* Als sehr hilfreich empfinde ich Gedanken, die der Historiker und langjährige SPD-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen Karsten Ruldoph in einem Artikel für die Johannes-Rau-Gesellschaft geäußert hat: „Weckruf an die Linke“
28 Antworten
Es gab ja hier im Blog laute Stimmen, dass auf die schlechteste aller Regierungen jetzt die Beste folge; ich kann das aber immer weniger glauben:
Auf erste starke Impulse in der Aussenpolitik folgte wenig bis nichts! Wo sind die Impulse für eine engere, strategische Zusammenarbeit zumindest der „willigen“ europäischen Länder?
Der Klimawandel schreitet immer schneller und gravierender voran – was setzen wir dem entgegen? Eine Verwässerung der Klimaziele?
Die sozialen Ungleichgewichte werden nach wie vor eher vergrößert (Bürgergeld, Pendlerpauschale, Mütterrente, statt Steuer- und Rentenreform anzupacken, bleibt es beim „Agrardiesel“, wird die Förderung teurer Geschäftsfahrzeuge erweitert).
Darf sich das „Standing“ gegenüber Donald Trump darauf beschränken, ihn bloß nicht zu verärgern?
Baut man Vertrauen auf, wenn ein Untersuchungsbericht auch an Stellen geschwärzt wird, die Jens Spahn und seine (zweifelhaften) Entscheidungen bei der milliardenschweren Beschaffung von Masken belasten könnten?
Die Ukraine gerät durch die sich kontinuierlich steigernde Kriegsaggression Putins und die völlig unberechenbare Unterstützung Donald Trumps in eine zunehmend aussichtslose Situation. Europa kann den Ausfall der USA zwar nicht 1:1 in absehbarer Zeit kompensieren; wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland könnten mE dennoch deutlich wirksamer sein (Öl/Gas-Exporte Russlands erschweren, Konten russischer Oligarchen einfrieren, Druck auf China und Indien erhöhen, Exporte sensibler Technologien aus der EU nach Russland wirksam unterbinden). Das wäre primär ein Thema für Merz / Wadephul. Aber auch Pistorius ist mit klaren Ansagen für die kurz- und mittelfristige militärische Unterstützung der Ukraine gefordert; beides kann ich derzeit nicht erkennen.
Klare Aussagen der neuen Bundesregierung in Richtung Netanjahu bzgl. Menschenrechtsverletzungen vermisse ich ebenfalls. Wie kann Friedrich Merz einen per Haftbefehl des IStGH gesuchten israelischen Präsidenten nach Deutschland einladen?
Christian Wolff leidet aktuell ein Stück weit an „seiner“ SPD, das kann ich gut verstehen; er begründet dies schlüssig, gibt Orientierungsansätze, dies zu überwinden. Gerne würde ich Analoges von überzeugten Unions- oder BSW-Anhänger:innen hören; auch B90/Grüne bekleckern sich nicht eben mit Ruhm, sind wohl noch auf der Suche nach neuen Führungspersonen und schlüssigen Konzepten.
Für die Wahl in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr, will Sarah Wagenknecht vorsorglich schon mal die „Brandmauer“ zur unsäglichen AfD schleifen, führt sogar Sondierungsgespräche.
Vielleicht müssen wir doch einmal über radikal neue Formate der Bürgerbeteiligung nachdenken (Bürgerforen, Bürgerräte zu Grundsatzfragen wie Steuer-/Rentenreform, Klimawandel, Gesundheitsversorgung). Denn eine relevante gesellschaftliche Kraft, die Zukunftsideen entwickelt und umzusetzen versucht, kann ich derzeit nicht erkennen.
„Christian Wolff leidet aktuell ein Stück weit an „seiner“ SPD“
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Warum setzen Sie „seiner“ SPD in Parantese? Ist die Bindung zu seiner Partei nicht mehr eng? So lange man Mitglied einer Partei ist, sollte man in der Öffentlichkeit keine Wahlempfehlungen für andere Parteien geben wie Herr Wolff hier für die umbenannte SED und die Grünen.
1. habe ich keine Wahlempfehlung ausgesprochen (zumal gar keine Wahlen anstehen), 2. ist mir „die umbenannte SED“ unbekannt.
1. In Ihrem Blogbeitrag vom 29. 1. 25 schrieben Sie: „Wer dieser gefährlichen Normalisierung des Rechtsnationalismus widerstehen möchte, der kann bei der Bundestagswahl nur noch SPD, Grüne oder Linke wählen…“
https://wolff-christian.de/verwerflich
Somit empfahlen Sie, diese Parteien zu wählen.
2. Die Metamorphose der SED: SED/PDS – PDS – Linkspartei – Die Linke
Der letzte SED-Chef, Rechtsanwalt Dr. Gysi, hat darauf geachtet, dass seine Partei sich nie aufgelöst hat, da dies erhebliche negative Folgen für sie und die bei ihr Beschäftigten gehabt hätte.
Lieber Herr Plätzsch, unter Wahlempfehlung verstehe ich etwas sehr anderes, aber sei’s drum. Was Ihren 2. Punkt angeht, so ist dieser doch erheblich aus der Zeit gefallen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Herbert Wehner (SPD), es muss in den 80er Jahren gewesen sein, der CDU/CSU den Vorwurf machte, in der Tradition der Zentrumspartei zu stehen, die 1933 dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zugestimmt hatte. Heute wäre ein solcher Vorwurf eben nur noch aus der Zeit gefallen.
Eine verschwommene Programmatik der SPD zu konstatieren, ist korrekt. Es stimmt auch, dass das Unvermögen der SPD, auf wesentlichen Politikfeldern die Meinungsführerschaft zu erlangen, es der AfD und dem BSW leicht macht, sich besonders in der Friedenspolitik zu profilieren. Dass der Ruf nach einer großartig neuen friedenspolitischen Vision dem Abhilfe schaffen könnte, ist zu bezweifeln. Wieso bedarf es überhaupt grundsätzlich neuer Ansätze? Von neuen Visionen zu reden, ist sowieso übertrieben. Ob die während des ersten Kalten Krieges und Anfang der 90er Jahre entwickelten friedenssichernden Konzepte und Verfahren (Helsinkiprozess, Charta von Paris) noch fruchtbar bzw. anwendbar sind, lässt sich ohne Analyse der sich in den letzten fünfundzwanzig, dreißig Jahren entstandenen Konfliktursachen in der Welt nicht beurteilen.
Im Fokus müssten dabei vor allem die kriegstreibenden Bemühungen der Vereinigen Staaten stehen, ihre globale Hegemonie zu verteidigen, und die noch allgemeinere Frage beantwortet werden, welche zusätzlichen Sicherheitsrisiken durch den Übergang von der kurzen unipolaren Phase der internationalen Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung entstanden sind. Es sollte z. B. hier endlich mal jemand herausarbeiten, inwieweit es tatsächlich der von manchen gebetsmühlenartig betonte Gegensatz zwischen Demokratien und Autokratien ist, der angeblich gegenwärtige Kriege erklärbar macht und den hauptsächlichen Keim für zukünftige Kriege in sich trägt. Oder ob es vorrangig die sich gegenseitig ausschließenden Sicherheitsinteressen der Großmächte sind, die dauerhaft für Kriegsgefahr sorgen und mit der inneren Verfasstheit dieser Staaten wenig zu tun haben (Rationale Theorie der internationalen Beziehung – s. zitierte Mearsheimer-Arbeit, 18.06.2025). Bei einem analysebasierten Anspruch an Politik wirken die von Wolff propagierten Maßnahmen (Bruch mit der derzeitigen US-Administration, Fokussierung auf Demokratieentwicklung im Lande, Entwicklung der EU zu einer unabhängigen Großmacht, Entwicklung eines von den USA und der Netanjahu-Regierung unabhängigen Ansatzes zur Befriedung des Nahen Ostens, Kalibrierung der Rüstungsaufwendungen auf die tatsächliche Sicherheitslage) eher willkürlich und in ihrer friedensfördernden Wirkung zumindest unklar.
Was nottut, ist ein sachlicher, vorurteilsfreier, ergebnisoffener Disput über sicherheitspolitisch beste Lösungen. Damit sieht es aber nicht gut aus in unserem Lande. Was als Wissenschaft daherkommt (Carlo Masala/Bundeswehr-Uni München, Sönke Neitzel/Uni Potsdam, Claudia Major/German Marshall Fund, Sabine Fischer/Stiftung Wissenschaft und Politik), ist häufig Propaganda. Nicht mit dem Mainstream kompatiblen Stimmen wird nur ausnahmsweise ein publikumswirksames Podium zugestanden (Gen. a. D. Harald Kujat, Oberst a. D. Wolfgang Richter, Gen. a. D. Erich Vad, Johannes Varwick/MLU Halle-Wittenberg, Michael von der Schulenburg/MEP). So wie im Land, sieht es offenbar auch in der SPD aus, worauf das zu Recht von Wolff kritisierte Verhalten von SPD-Mitgliedern bei der letzten Kanzlerwahl und der Wahl von Klingbeil zum Parteivorsitzenden hinweist. Wolff führt wiederholt das in der SPD kursierende Friedensmanifest an. Wie kürzlich hier dargelegt, gibt es gute Gründe, die Wolff’sche Kritik an diesem Dokument als unzutreffend, irrelevant und wenig klug anzusehen. Andererseits kann eine in der SPD vorhandene sicherheitspolitische Kompetenz nicht bestritten werden, weshalb eigentlich eine interessante Debatte über besagtes Manifest zu erwarten war. Warum ist das nicht geschehen? Ist es vielleicht doch der eingeengte Meinungskorridor (Manifest-Mitverfasser Ralf Stegner wurde nicht mehr für Bundestag-Geheimdienstausschuss nominiert!), der manche eher zum Schweigen veranlasst? Oder überschätze ich das intellektuelle Restpotential der SPD? Denn wo sind der Peter Glotz oder der Erhard Eppler unserer Tage? Zwei Persönlichkeiten, die seinerzeit mit Fug und Recht als Vordenker ihrer Partei angesehen wurden.
Vielleicht lohnt ja einmal, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und über ihre Bedeutung nachzudenken: Die freiheitliche Demokratie, wie sie über Jahrhunderte von mutigen Männern und Frauen erstritten, von den jeweils Herrschenden meist mit brutaler, auch kriegerischer Gewalt bekämpft wurde und schließlich mit dem Grundgesetz eine bleibende Verfassung für das gesellschatliche Zusammenleben gefunden hat, hat Deutschland und Mitteleuropa die längste Friedensperiode beschert.
Hier verwechseln Sie Korrelation und Kausalität: Nur weil wir in Europa zufällig eine zeitliche Paralelität von Frieden und dem Bestehen der europäischen Demokratien hatten, heißt das nicht, dass die Demokratien den Frieden verursachen. Das prominente Gegenbeispiel ist die „älteste Demokratie der Welt“, die seit ihrem Bestehen (1776) kaum ein Jahr (ich denke es war überhaupt keines) hatte, in dem sie nicht Krieg geführt hat.
Die Zeitreihe, die Sie bemühen beginnt (wenn mann mal den Jugoslawienkrieg als Gegenargument beiseite läst) 1945 . Das sind also 80 Jahre. Mein Gegenbeispiel beginnt 1776 ist also ca. 3X so lang. Von Tatsache kann also keine Rede sein – es ist maximl eine schlecht belegte ( nicht nachweisbare) These.
Auf die Schnell fallen mir noch der Algerienkrieg , der Falklandkonflik oder die Zerstörung von Lybien ein.
Ein viel naheliegender Grund für den langen Frieden in Deutschland sind die schrecklichen Erlebnisse von WK 1 und WK2 – niemand, der das erlebt hat, hatte Lust auf Krieg. Nachdem die Generationen, die das erlebt haben bzw. denen die Überlieferungen noch präsent waren, gestorben sind, fallen heute auch wieder alle Tabus.
Ich kann auch keine Anzeichen erkennen, dass die Autokraten Orban oder Fico irgendwelche Eroberungspläne hätten.
Ein ziemliches Durcheinander, das Sie da zusammenschreiben, lieber Herr Breuer. Ich rede von Mitteleuropa und nicht von den USA. Auch bestreite ich mit keinem Wort, dass leider an zu vielen Stellen auf diesem Erdball Kriege geführt werden. Nur: Bezogen auf das Grundgesetz gehören der Friedensauftrag und die Demokratie als gesetzte Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens zum Verfassungsauftrag. Im Übrigen empfinde ich es als bezeichnend und durchaus aufschlussreich, mit welcher Vehemenz ein Zusammenhang zwischen freiheitlicher Demokratie und Frieden von Ihnen bestritten wird …
Hatten Sie nicht vor ein paar Wochen noch behauptet, die Grünen wollten die Unschuldsvermutung abschaffen, bloß weil die Sprecherin der Grünen Jugend eine – zugegeben – ziemlich dümmliche These im Falle Gelbhaar aufgestellt hatte, werter Herr Breuer?
Auch Ihre steile These, niemand, der die schrecklichen Erlebnisse von WK1 oder WK2 gemacht habe, wolle noch Krieg, scheint mir kaum haltbar; sagt Ihnen der Name Adolf Hitler etwas?
Ich erkenne durchaus an, dass Sie zwischen Korrelation und Kausalität unterscheiden (weshalb ja tatsächlich NICHT die Störche die Babys bringen), allein, es hat überhaupt nichts mit Christian Wolff’s Aussage zu tun, dass die freiheitliche Demokratie und das Grundgesetz Deutschland und Mitteleuropa 80 Jahre in Frieden beschert haben.
Ein typischer „Käferbeitrag“:
1. Absatz: Da hauen wir mal ordentlich einen raus und raunen zur Diskreditierung irgendwelchen Unsinn: bitte Datum und Textstelle angeben! Wenn Sie das können dürfen Sie von mir ein gute Flasche Wein ihrer Wahl in Empfang nehmen – andernfalls bitte unter diesem Beitrag offenbaren, dass Sie etwas durcheinander gebracht haben.
2. Absatz: Sie glauben offenbar, dass Hitler den Wk 2 noch überlebt hat – selbstverständlich ging es um die Normalbürger der BUNDESREPUBLIK und ihre Einnerungen.
3. Absatz: Herr Wolff vertritt die These, dass die freiheitliche Demokatie den langen Frieden in Mitteleuropa verursacht. Wenn das stimmen würde, müßte auch in anderen Demokratien weltweit lange Frieden herrschen. Dem ist nicht immer so. Ich bin der Meinung, dass die zeitliche Paralellität eher zufällig ist. Und ich brachte als Nachweis einige Beispiele von Demokratien, die Krieg führten und Autokratien, die wenig kriegerisch waren oder sind.Weitere Gegenbeispiele: Nordkorea, Israel): Es kommt auch etwas auf die Nachbarn an – da nützt manchmal auch die schönste Verfassung nichts! Das ist ja nun nicht so schwer zu verstehen – keine Raketenwissenschaft .
MMn sollten wir uns als Bürger also nicht zu sicher sein, dass unsere Eliten die richtigen Entscheidungen zum Friedenserhalt treffen. Die letzet Zeit hat auch gelehrt, wie schnell ein Grundgesetz geändert ist.
„unsere Eliten“ – wer soll das sein? Sprache ist – wie immer – verräterisch. Das Grundgesetz ist im Verlauf der vergangenen 76 Jahre sehr häufig geändert worden. Derzeit gestalten sich beabsichtigte Änderungen angesichts der Mehrheitsverhältniss äußerst schwierig – einmal abgesehen davon, dass die Grundrechtsartikel eben nicht geändert werden dürfen (die sog. Ewigkeitsklausel). Das alles weiß Herr Breuer natürlich. Also stellt sich die Frage: Was beabsichtigt er mit seinen Bemerkungen anders, als zu suggerieren: Wir werden von einer „Elite“ regiert, die es nicht so genau nimmt mit dem Grundgesetz. Damit bedient er nichts anderes als die Narrative derer, die lieber heute als morgen die Demokratie zerstören und die Grundrechtsartikel außer Kraft setzen wollen. Der Name dieses „Rumpelstielzchen“ ist sehr wohl bekannt.
Sie haben Recht, Herr Breuer, ich habe fahrlässig aus der Erinnerung einen Beitrag von Helge Löbler zur Causa Gelbhaar (1.2.,11:43 Uhr) Ihnen zugeschrieben, ohne das noch einmal zu überprüfen. Dafür bitte ich um Entschuldigung!
Sie dürfen somit zu Recht behaupten, ich raune zur Diskreditierung irgendwelchen Unsinn raus – zumindest soweit ich Sie und nicht Herrn Löbler damit in Verbindung gebracht habe.
Nein, ich GLAUBE nicht nur, ich WEISS, dass Hitler den WK 2 nicht überlebt hat; Sie schrieben aber, dass niemand, der die schrecklichen Erlebnisse von WK 1 und WK 2 erlebt habe, noch Lust auf Krieg habe; das lässt zumindest meine Frage als nicht ganz unberechtigt zu.
Sie sehen Demokratie und unser Grundgesetz als lediglich eher zufällige, zeitliche Parallelität für 80 Jahre Frieden an; ich bin da aber ganz auf der Linie von Christian Wolff, auch was ihre deutliche Übernahme der Argumentation der unsäglichen AfD hinsichtlich „Eliten“ betrifft.
PS: Aus technischen Gründen konnte ich diesen Text nicht als Antwort auf Herrn Breuers Beitrag vom 9.7., 0:26 Uhr anfügen.
„Es sollte z. B. hier endlich mal jemand herausarbeiten, inwieweit es tatsächlich der von manchen gebetsmühlenartig betonte Gegensatz zwischen Demokratien und Autokratien ist, der angeblich gegenwärtige Kriege erklärbar macht und den hauptsächlichen Keim für zukünftige Kriege in sich trägt.“ – eine schwierige Aufgabe.
1. sind die Begriffe ja nicht so scharf definiert und es gibt viele Zwischenstufen.
2. werden die Begriffe ja auch im positiven bzw. negativen Sinne als Kampfbegriffe verwendet.
3. Wie wird das Land eingeordnet, wenn auf demokratischem Wege ein Autokrat oder ein als solche bezeichneter an die Macht kommt?
4. Gibt es natürlich ganz unterschiedliche Gründe für Kriege (Kolonial- ,Religions-,Ressoursen-………kriege)
Rein empirisch ist diese These sicher nicht zu belegen: Wenn es einen Zusammenhanggeben würde, müßte der weltweit gelten. Wenn man aber die Demokratien und die Autokratien auflistet und dann schaut wer wieviel Kriege geführt hat ergibt sich kein klares Bild.
Nun betrachte ich die Welt meist aus ökonomischer Sicht. Und da gibt es einige Aussagen / Untersuchungen:
Bei Schiller heißt es: „Der beste Kaufmann ist der Krieg. Er macht aus Eisen Gold. “ Kriege werden eben auch geführt, weil es Menschen gibt, die daran verdienen. Es ist eine wunderbare Möglichkeit Steuergelder zu privatisieren. Man verdient an den Waffen und hinterher am Wiederaufbau.
Howe und Straus gehen in dem Buch „Die 4. Wende“ von einem 4 Generationenzyklus aus – die letzte Generation ist immer ein Kriegszyklus. Sie sagten schon 1995 großere kriegerische Ereignisse von 2020 bis 2030 vorher.
Untersucht haben sie die britische und amerikanische Geschichte ab 1700.
Peter Turchins bekanntesten Forschungsgebieten ist die Untersuchung der Hypothese, dass Bevölkerungsdruck zu vermehrter Kriegsführung führt. Im Jahr 2010 veröffentlichte Turchin eine Studie, in der er anhand von 40 kombinierten sozialen Indikatoren vorhersagte, dass es in den 2020er Jahren weltweit zu sozialen Unruhen kommen würde. Er vertritt die These von der „Elitenüberproduktion“, die zu innerer Instabilität führt.
Der Fondmanager Ray Dalio geht von einem ca. 100 jährigem Zyklus aus, an dessen Ende die neue aufstrebende Hegmonialmacht die alte Weltmacht verdrängt – fast immer durch Krieg. Aufgrund seines finanziellen Hintergrundes sind von seinem Team umfangreichste Untersuchungen zu vielen solcher Konflikte
durchgeführt worden. Das Buch heißt „Weltordnung im Wandel“ – Mehrere 100 Seiten sind hier :https://www.youtube.com/watch?v=6_RJacuoj8g in 5 min zusammengefasst.
Als letztes möchte ich noch den Fondmanager Uwe Bergold erwähnen, der die amerikanische Geschichte von den Unabhänigkeitskriegen an untersucht hat und auf einen 3 Generationenzyklus (80 Jahre) kommte , die letzte wieder als Kriegs- und Unruhezeit. Auch er hat an Hand seines Modells schon Anfang der 2000er Krieg 20200ff
prognostiziert.
Auch wenn einige Unterschiede bestehen sind Gemeinsamkeiten zu finden:
Vor den Kriegs- und Unruhezeiten gibt es eine sehr hohe Staatsverschuldung, eine starke soziale Spaltung ,oft Inflation und Geldmengenausweitung und ein Verfall / Zusammenbruch der Währung.
Die DGB-Vorsitzende Fahimi hielt auf dem SPD-Parteitag ein bemerkenswertes Grußwort: Sie hatte es nicht nötig, irgendwelche emotionalen und hetzerischen Vokabeln („Bande“) zu benutzen; sie sprach korrekt und deshalb überzeugend von der „Administration“, die sie in sachlicher und glaubwürdiger Form kritisierte – eine gute Rede im Gegensatz zum hier vorliegenden Beitrag.
Die frisch gewählte SPD-Ko-Vorsitzende Bas hielt eine ziemlich klägliche Rede, ihr Partner in der Führung Klingbeil eine unglücklich mutlose – die SPD hat wie schon so häufig alle ihre wirklich guten Leute abgeschreckt und abgewrackt. Das zeigt sich auch daran, dass die ehemaligen Vorsitzenden, zB Gabriel, Nahles, gar nicht mehr anreisten.
Die ganze Schwäche der SPD derzeit offenbarte sich in der „Debatte“ um die Frage eines AfD-Verbots: Mehr als 25 Redner, die allesamt dasselbe in unterschiedlicher Emotionalität und mit wenig Inhaltlichkeit sagten. Und am Schluss kam raus, dass man ein solches Verbot durch eine Materialsammlung „vorbereiten“ wolle – ja das ist das Ausweichen vor der Entscheidung und nicht wirklich originell, denn die Sammlung passiert ja schon seit langem auf allen Seiten (siehe auch den Verfassungsschutz).
Das Problem der SPD, so scheint mir, ist – genau wie hier im Blog –, dass ihre Repräsentanten sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigen und dass sie Schlagworte in die Welt setzen, die realpolitisch nicht untermauert sind. Die ewige Wolff-Schleife, die er nur bei anderen bemerkt, ist Ausdruck dieser Schwäche. Nehmen wir seine sechs Punkte:
– Es ist in der Tat bedauerlich, wie die Führung der Nato sich an Trump ausrichtet. Aber leider ist es eben so, dass Amerika die Nato ist und dass unsere Sicherheit von Amerika abhängt. Es gilt also, die USA trotz ihres Präsidenten an Bord zu halten. Wolffs ganze Kritik findet statt unter dem Schutz dessen, den er verurteilt. Sein großer Friedensheld Brandt dagegen wusste, was Sache ist: Er stärkte die Verteidigung mit rund 4% vom BIP und baute in seiner Diplomatie auf eben diese Stärke und eben diesen auswärtigen Schutz.
– Zum zweiten Punkt kann man nur sagen: Es erstaunt, wie man Fakten aus Mangel an Realismus in ihr Gegenteil umdrehen kann: Der „Beitrag zur Verteidigung“ ist in Wirklichkeit offensichtlich eine der wichtigsten Säulen zum „Erhalt der Demokratie“ – nicht umgekehrt!
– Dem dritten Punkt ist zuzustimmen. Nur fehlt bei Wolff ständig die inhaltliche Ausfüllung dieser Forderung und deshalb bleibt sein Appell farblos und schwach. Wir brauchen die „Vereinigten Staaten von Europa“ – ein „Staatenbund“ ist, ich gebe es zu, leider die wahrscheinlichere Entwicklung, aber man muss dann schon klar aussprechen, welche Kompetenzen und Regeln diesen Staatenbund kennzeichnen sollten, um ihn „von den USA, Russland und China“ unabhängig zu machen.
– Auch dem vierten Punkt ist zuzustimmen. Das heißt aber eben nicht, dass man die Unzulänglichkeiten des vorhandenen internationalen Rechts nicht erkennen und sowohl eine Weiterentwicklung anstreben als auch Dilemmata dort anerkennen muss, wo eine Seite sich an nichts hält und dies aber von der anderen Seite erwartet. Ich empfehle mal, die Dankesrede des Pianisten Igor Levit anzuhören, die dieser anlässlich der Verleihung des Kaiser-Otto-Preise im Dom zu Magdeburg gestern hielt.
– Wenn jemand eine „Friedensperspektive“ entwickelt, die außerhalb der „Zwei-Staaten-Lösung“ liegt, dann schimpfen ja sofort die ganzen Wolff-Kohorten. Also, Herr Wolff, entwickeln Sie mal (und reden Sie sich nicht damit raus, dass Ihnen „Befehlston“ nicht passt – es geht ja um mein Interesse an Ihren „Perspektiven“).
– Und zum letzten Punkt: Zustimmung! Die ewige Reduzierung der Sicherheit auf BIP-Prozentzahlen ist unglücklich, denn es müsste um Inhalte gehen. Aber die Frage um eben diese Inhalte – Bedrohungsanalyse, Fähigkeitenanalyse, Kostenvergleiche, strategische und taktische Abstufungen, Balance zwischen Stärke und Rüstungskontrolle, der Politik/Diplomatie dienende Funktion des Instruments Streitkräfte – müsste sachlich und kenntnisreich diskutiert und nicht mit schwammigen Vokabeln wie „angemessen“ oder „nötig“ als ausreichend definiert angesehen werden.
Wolff wird nun als einziges Gegenargument meine „Dauerschleife“ kritisieren. Warum ist das wohl so? Weil er selbst – nachzulesen in seinen bisherigen Beiträgen – aus der eigenen ewig gleichen Dauerschleife nicht rauskommt. Und das ist – der Parteitag hat es gezeigt – das derzeitige traurige Dilemma auch der gesamten SPD.
Andreas Schwerdtfeger
So viel Zustimmung hätte ich kaum vermutet, lieber Herr Schwerdtfeger. Und siehe da: Sie kommen auch ohne persönliche Beleidigungen aus. Das ist doch was!
Es ist schön, lieber Herr Wolff, dass Sie mir bescheinigen, keine Beleidigungen geschrieben zu haben, und damit anerkennen, dass mein Vorwurf an Sie, „hetzerische Vokabeln“ zu nutzen, nicht in diese Kategorie fällt. Wir machen Fortschritte – dies dann insbesondere, wenn Sie den ewigen Beleidigern in diesem Blog irgendwann mal dasselbe schreiben können.
Andreas Schwerdtfeger
Stephan-Andreas Casdorff hat im Tagesspiegel zu Klingbeils Wahlergebnis geschrieben: „Und dann diese „Debatte“ auf dem Parteitag, die keine war. Es ging weniger inhaltlich als persönlich zur Sache. Da gibt es mal einen ziemlich klugen Beitrag – von Gesine Schwan, Kopf der Grundwertekommission –, der zum Nach- und Weiterdenken anregt, und ihr wird kleinlich das Wort abgeschnitten. Sehr unklug, das Parteitagspräsidium.“
„Türmer hat Klingbeil mit seiner energischen Rede bestimmt viel Zustimmung gekostet. Für weitere Inhalte gab es keine Zeit. “
Man kann also den Kritikern Klingbeils nicht vorwerfen, dass sie vor dem Wahlgang nicht zu Wort gekommen sind. Weil genau das Ziel der Parteitagsregie war. Klingbeil selbst hat dann noch verkündet: „Mit mir wird es keine Änderung der Ukraine – Politik geben!“.
Das folgerichtige Wahlergebnis hat aus meiner Sicht das Ende der Ära Klingbeil eingeleitet.
Ich fürchte auch, dass der Niedergang der SPD nach diesem Parteitag anhalten wird. Es kann nicht helfen, einen Programmprozess aufzurufen, wenn der Parteitag mehrheitlich signalisiert, dass er keine Änderungen will. Gesine Schwan und die Grundwertekommission haben ein Impulspapier für einen grundlegenden Strategiewechsel vorgelegt, dessen Kern die Rückkehr von einem „transaktionalen“ zu einem „transformativen“ Politikansatz ist. Damit ist vor allem die Rückkehr von einem „wählermarktorientierten“, auf die Präferenzen verschiedener Wählergruppen zielendem beliebigen Angebot zu einem dezidiert sozialdemokratischen Zukunftsversprechen gemeint.
Mein Eindruck war, dass außer Gesine Schwan selbst niemand das Papier gelesen hatte.
Das „Manifest“ hat seinen Zweck hoffentlich erfüllt und die SPD für die überlebensnotwendige Debatte um die Erhaltung des Friedens wieder geöffnet. Die zum Parteitag vorliegenden Umfragen von INSA und YouGov zeigten, anders als der Parteitag, eine überwiegende Zustimmung der SPD – Mitglieder und -wähler.
In die 70er Jahre muss deshalb niemand zurück; das SPD/SED/Papier vom 3.8.1987 sollte man aber lesen. Es ist für die sich verändernde Weltordnung uneingeschränkt gültig.
Am Ende des Parteitags stand die Debatte über das AfD – Verbot. Mir erschien die Einigkeit etwas gruselig, weil weder die Gefahren des Verbots noch die Ursachen des Aufstiegs der Rechten eine Rolle spielten. Eine Bezugnahme z.B. auf Peter Glotz´ oder Adornos Analysen hätte die Debatte zu einer politischen machen können. Nach Adorno sind die Konzentrationsprozesse des Kapitals, die Vernichtung mittelständischer Betriebe zugunsten global agierender Konzerne und die immer weiter auseinander driftende Schere zwischen Arm und Reich die Voraussetzungen rechtsradikaler Bewegungen.
Dann hätten die Delegierten aber auch die Mitverantwortung ihrer Partei in den Blick nehmen müssen.
Die FAZ fragte am 28.06.: „Oder begnügt sich die SPD damit, eine Funktionspartei zu sein, die verlässlich Regierungsmehrheiten organisiert und von allem ein bisschen macht, dabei aber erst beliebig und dann obsolet wird?“ Es sieht noch so aus.
„das SPD/SED/Papier vom 3.8.1987 sollte man aber lesen. Es ist für die sich verändernde Weltordnung uneingeschränkt gültig.“
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Das Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ war ein reines Propagandainstrument der SED (Helmut Kohl: „erbärmliches Machwerk“). Die SPD setzte ausschließlich darauf, mit der SED ins Gespräch zu kommen; jede Kontaktaufnahme zu DDR-Oppositionellen unterblieb (im Gegensatz zu Petra Kelly von den Grünen).
„So erklärt Horst Ehmke, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, noch im Oktober 1989, dass der Beweis der Reformunfähigkeit des DDR-Systems „noch nicht erbracht“ sei.“
© Konrad-Adenauer-Stiftung https://ogy.de/9m70
In einer Veranstaltung Anfang 1990 in Leipzig hatte ich deshalb einen hitzigen Disput mit Prof. Ehmke.
„Den problematischsten Aspekt des 1987 vorgestellten „Dialogpapiers“, der zugleich den zentralen Unterschied zur Politik der CDU-geführten Bundesregierung gegenüber dem SED-Regime markiert, benennt der Historiker Heinrich August Winkler: „Die SPD ging über die Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR hinaus, wenn sie die Existenzberechtigung des Gesellschaftssystems der DDR ausdrücklich bestätigte.“ Damit habe die Partei eine Abkehr von der grundsätzlichen Ablehnung des Systems vollzogen, „das nicht aufgehört hatte, eine Diktatur zu sein“.
© a. a. O.
Lieber Herr Plätzsch,
ich zitiere mal aus dem I. Abschnitt des Papiers und würde mich über einen Hinweis, was genau Sie für reine SED – Propaganda halten, freuen:
„Unsere weltgeschichtlich neue Situation besteht darin, daß die Menschheit nur noch gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen kann. Der Krieg darf im Nuklearzeitalter kein Mittel der Politik mehr sein. Friedenssicherung ist zur Grundvoraussetzung aller verantwortbaren Politik geworden.
Dem widerspricht jede Politik, die auf Forcierung des Wettrüstens, auf Konfrontation, Streben nach militärischer Überlegenheit, Unverwundbarkeit und globale Hegemonie setzt.
Sie muß gegen alle Kräfte durchgesetzt werden, die noch immer glauben, durch ständiges Anhäufen neuer Massenvernichtungswaffen Sicherheit errüsten zu können.
Friede kann heute nicht mehr gegeneinander errüstet, sondern nur noch miteinander vereinbart werden. Daher muß gemeinsame und gleiche Sicherheit für alle organisiert werden. Dies verlangt, daß jede Seite die legitimen Sicherheitsinteressen der jeweils anderen Seite mit bedenkt und respektiert. Dabei muß jede Seite der andern das gleiche Maß an Sicherheit zubilligen, das sie für sich selbst in Anspruch nimmt.
Ein politisches Denken und Handeln in den internationalen Beziehungen, das der neuartigen Bedrohung der Menschheit angemessen ist, muß vor allem dadurch gekennzeichnet sein, daß es
– die Bannung der nuklearen Gefahr,
– die Sicherung des Lebens und die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle
– die Erhaltung der Biosphäre und die Überwindung der ökologischen Krise,
– die Bekämpfung des Hungers, den Abbau der Verschuldung und der wirtschaftlichen Not in den Entwicklungsländern
als gemeinsame Menschheitsaufgaben versteht und anerkennt, die im gemeinsamen Interesse aller Menschen gemeinsam angepackt werden müssen.“
1987 hatten wir Blockkonfrontation und kalten Krieg. Heute befinden wir uns, teils widerwillig, meist hoffnungsvoll, im Übergang von einer unipolaren in eine multipolare Weltordnung. Dazu sagt Nicolai Petro: „Multipolarität ist .. der Nutzen, der aus der Anerkennung und dem Respekt gegenüber anderen Kulturen und ihrer Vielfalt entsteht. Wenn Kulturen einander respektieren, ist das natürliche Ergebnis davon Multipolarität. Wenn Kulturen einander nicht respektieren, haben wir eine hegemoniale und unipolare Welt, die mit Gewalt durchgesetzt werden muss.“
Genau darum dreht sich das Papier. Man muss nur „beide Systeme“ durch „alle Systeme“ ersetzten.
„würde mich über einen Hinweis, was genau Sie für reine SED – Propaganda halten, freuen“
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Lieber Herr Schneider,
ich sprach von einem Propagandainstrument der SED. Damit meinte ich, dass sie sich mit diesem Papier aufwerten wollte. Die SPD – damals Oppositionspartei – versprach sich ebenfalls eine Aufwertung.
In dem von mir zitierten Text der KAS wird auf führende SPD-Mitglieder wie Gesine Schwan oder Erhard Eppler hingewisen, die sich später kritisch über das Papier geäußert haben. Dieses Pamphlet heute zu einer Diskussionsgrundlage zu erheben, lehne ich ab.
Enttäuschend wie widerspruchslos Lars Klingbeil sich zum „starken“ Mann der SPD küren konnte.( Man protestiert, ohne sich zu outen.) Enttäuschend wie die versprochene Erleichterung bei der Stromsteuer den durch Inflation und niedrige Löhne stark belasteten Bürgern vorenthalten wurde. Enttäuschend die Konzeptionslosigkeit bei der Krankenkassen- und Rentenreform.
Auch weigert sich die Mehrheit in der SPD zu verstehen, dass die Wende in der Flüchtlingspolitik schon sehr lange überfällig ist. Als ehemalige Kommunalpolitikerin wurden unsere Hilferufe einfach konsequent und erbarmungslos überhört- auch von meiner Partei. Ich bin Mitglied der SPD. Damit wir den Asylparagrafen als gute Errungenschaft im Grundgesetz beibehalten können, ist es mehr als notwendig die Flüchtlingspolitik zu ändern.
Die Lasten und Abgaben werden ganz selbstverständlich auf die breite , untere Bevölkerungsschicht abgewälzt. Die Arbeitenden im unteren Segment – die eigentlich die tragenden Säulen der SPD sein sollten – die werden konsequent aus den Augen verloren.
Die SPD war einst eine hervorragende Programmpartei. Das ist ihr leider verlorengegangen. Schade!
Lieber Christian, Dein Kommentar beschreibt die innerparteilichen Zustände mehr als treffend. Und niemand wagt sich aus der Deckung. (Was qualifiziert Bärbel Bas als Spitzenführungsfigur? (Sind es die wenigen Jahre als Bundestagspräsidentin?)
Liebe Adelheid, vielen Dank für Deinen Kommentar. Du fragst nach Bärbel Bas. Ja, sie ist eine beeindruckende Politikerin. Sie hat das Amt als Bundestagspräsidentin souverän und inhaltlich stark ausgeübt und -gefüllt (im Gegensatz zur aktuellen Bundestagspräsidentin!). Darüberhinaus repräsentiert Bärbel Bas die Bevölkerungsschicht, die derzeit von der SPD nur noch schwer erreicht wird: diejenigen, die aus einfachen Verhältnissen stammen, Haupt- oder Mittelschulabschluss haben, und sich von einer Lehre langsam hochgearbeitet haben. Sie stammt aus dem Ruhrpott und ist so, wie viele Menschen dort sind: bodenständig, herzlich, lebensnah. Die SPD kann sich glücklich schätzen, so eine Frau in ihren Reihen zu haben. Aber wir brauchten sehr viel mehr Bärbel Bas. Beste Grüße, Christian
Die Analyse ist natürlich richtig. Die Feststellung eine inhaltlichen Leere und Hilflosigkeit trifft die Lage. Und doch lassen mich Kommentar und die beiden Reaktionen ratlos zurück. Gefordert wird ein „Gegenentwurf“, ein ein „programmatischer Plan für sozialdemokratische Politik in den nächsten 10 Jahren“, eine „Zukunftsvision für Bürger:innen“, gar eine friedenspolitische Perspektive für den Nahen Osten. Klingt gut und ich kenne solche Forderungen. In der Stunde der Ratlosigkeit werden Konzepte und Visionen gefordert. Da würde ich schon gerne wissen, was das konkret bedeutet. Aus den drei Beiträgen im Blog höre ich nur Forderungen aber keine Linien, wie eine solche Programmatik aussehen kann. Gibt es so etwas überhaupt? Auch der Beitrag von Karsten Rudolph, so verständlich er in seinem Wunsch auch ist, bleibt für mich merkwürdig abstrakt.
Und ist es nicht so: Vor vier Jahren hat Olaf Scholz die Bundestagswahlen ganz ohne Programmatik knapp gewonnen und diesmal hat sie Friedrich Merz mit lauter Plattheiten und Lügen mit einem noch besseren Ergebnis gewonnen. Und die AfD segelt ihrem Zenit entgegen mit lauter falschen Versprechungen. Warum also der Aufwand für „Visionen“, wenn die Populisten mit ihren Lügen und Manipulationen jedes gut gemeinte Konzept mit einem Strich beseitigen können?
Ich selber habe es nicht so mit Visionen. Mir war und ist eine sachliche und pragmatische Politik wichtig. Die habe ich unter dem Bundeskanzler Olaf Scholz durchaus erkennen können. Gnadenlos abgestraft worden ist er dafür! Mit selbstzerstörerischer Lust hat die Presse diese Regierung kaputtgeschrieben. Und die Opposition hat dabei in verantwortungsloser Weise mitgemacht. Eine sachlich pragmatische Politik will zur Zeit niemand mehr. Stattdessen Versprechen, Täuschungen und, wegen mir, Visionen.
Ich glaube nicht dass die SPD oder die Linke eine Chance hat diese Entwicklung aufzuhalten. Schon gar nicht mit einer Vision. Demokratie 1.0 geht dem Ende entgegen. Auch wegen des Selbstzerfleischung und Selbstlähmung der Demokraten, wie sie mir im Kern auch in dem vorliegenden Blog Beitrag entgegenschlägt.
Nach wie vor halte ich die Demokratie für die schlechteste aller Regierungsformen, aber für die beste, die sich die Menschheit bisher einfallen lassen hat (Churchill). Und ich möchte mit aller Kraft dafür kämpfen. Doch ich glaube auch: die Demokratie wird sich als Version 2.0 noch einmal ganz neu erfinden müssen. Sie setzt viel mehr Bildung, vielmehr Tugenden, nicht zuletzt eine konstruktive Haltung bei aller Kritik und die Fähigkeit zu Einigkeit und Integration voraus, als sie unsere gegenwärtigen demokratischen Mitspieler zu geben fähig sind. Das verstärkt in mir den Eindruck: so wird das nichts mehr, ob mit oder ohne Vision.
Vielen Dank für diesen kritischen Kommentar. Ich verstehe ihn eher als Ergänzung – und kann dem letzten Abschnitt, vor allem dem vorletzten Satz voll und ganz zustimmen. Neben dem bedenklichen Zustand der SPD spielt natürlich auch eine sehr gewichtige Rolle die sehr Ich-bezogenen Erwartungen und Einstellungen vieler Menschen. Da ist die Bereitschaft, Politiker:innen als Menschen zu sehen, die sich für ihre Interessen einsetzen, sehr unterentwickelt, zumal von zu vielen Menschen „Interesse“ immer nur aus der eigenen Perspektive definiert wird und eine Einordnung in das Ganze gar nicht mehr vorgenommen wird. Das aber wird sich nur ändern, wenn der Gemeinsinn bzw. das Gemeinwohl wieder stärker in den Fokus des Einzelnen gerät und wenn es wieder zu einer stärkeren personalen Verbindung zwischen Mandatsträger:innen und Bürger:innen kommt. Wie das aber unter den Bedingungen einer Vereinzelungs- und Zersetzungsmaschinerie der sog. sozialen Medien gelingen kann, ist mir derzeit auch noch schleierhaft.
Was Olaf Scholz angeht, so frage ich mich immer noch: Wieso kann jemand so scheitern, der in jedem Bürger:innen-Forum geglänzt hat(sachkundig, empathisch, zugewandt) und auf dem letzten Parteitag wohl die mit Abstand beste und fundierteste Rede gehalten hat?
„Wieso kann jemand so scheitern, der in jedem Bürger:innen-Forum geglänzt hat(sachkundig, empathisch, zugewandt) und auf dem letzten Parteitag wohl die mit Abstand beste und fundierteste Rede gehalten hat?“
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Herr Scholz hatte es in der Dreiparteienkoalition schwer, die Fliehkräfte aufzuhalten. Hinzu kommt, dass er zu emotional gebremst auftrat. Bezeichnend, dass seine Bewerbung zum Parteivorsitzenden scheiterte.
Es fehlt jetzt nach der Wahlniederlage in der Enttäuschung und Lähmung – nicht nur in den USA – sondern auch bei uns in Deutschland in der SPD an dem Gegenentwurf. Die Koalition mit Merz, weil man Verantwortung für DEN Staat (für welchen?) übernehmen müsse, bringt keinen Millimeter für die SPD. Und deshalb werden Klingbeil unter Merz noch einige Tage in der Ausnüchterungszelle nicht erspart bleiben!
Auch der letzte Satz im abschließenden Absatz des Kommentars von H.A. Dresel auf den aktuellen Zustandsbericht der sich mehr und mehr sich reduzierenden SPD von Chr. Wolff (bedauerlicher Weise in jeder Hinsicht zutreffend, lieber Christian) füge ich an, dass auch meine Hoffnung auf dringend nötige Klarsicht nach der Ausnüchterung sehr reduziert ist. Die Machtarroganz dieser zunehmend auch in unserer sogenannten Zivilgesellschaft abhanden kommende politische Kultur wird jedem genauer Hinhörenden mehr und mehr bewusst. Und ich sitze hier und kann nicht anders: Einiges erinnert fatal an einstige SED-DDR-Zeiten: Völlige Distanz zu den wahren Problemen an der Basis, das Nichterkennen der Realitäten, der Verlust an Respekt und Anstand gegenüber der grundgesetzlich fundamentierten Demokratie, die Verkennung der Problematik, dass mit Abwendung und Eigenverliebtheit der AfD und anderen extremistischen Truppen tagtäglich das serviert wird, was diese Gruppierungen stärkt und Zustimmung garantiert.
Und dass – nur noch dies noch „am Rande“ – dem abgedankten Olaf Scholz ein Gratisbüro mit 8 (!!) Büromitarbeiter*innen auf unbestimmte Zeit auf Kosten des Steuerzahlers zugestanden wird, ist kaum noch zu überbieten, von den monatlichen Salärs mal abgesehen. Es geht um Stromsteuersenkungen zugunsten des „Normalverbrauchers“ – die qua Parteienphilosophie dem Sozialen per se verpflichteten SPD kommt auch bei diesem Thema diese Sensibilität völlig abhanden.
Was wir auch hier im Blog analysieren, macht mir eines immer wieder deutlich: Wann kommt die Erkenntnis und wann erfolgt die Lösung zur Änderung dieser immer wieder aufgezeigten politischen Unsäglichkeiten ?
Herr Merz setzt mit seiner Bemerkung zur Nichtbeflaggung des Deutschen Bundestages mit der Regenbogenfahne eine fast analoge Einstellung zu Andersdenkenden, wie die Weltöffentlichkeit seit Januar d.J. das Weiße Haus unter DT tagtäglich es zur Kenntnis nehmen muss – und sich nicht wehrt. Die einstige Weinkönigin, jetzt Bundestagspräsidentin des bundesdeutschen Parlaments J. Klöckner, offenbart mit ihrer erneuten Verbal-Banalität zu diesem „Problem“, die erneut eine geistige Substanz dokumentiert, welche nachdenklich stimmen muss!
Stellt euch vor es sind Wahlen und keiner geht hin. Das ist die Katastrophe, und in den Parteizentralen nimmt man diese Gefahr noch immer nicht wahr … das Volk wendet sich ab, verweigert sich und strömt in Richtungen, die gefährlich werden.
Wer hätte dies im Herbst 1989 gedacht – ich nicht! Jo.Flade
Sehr gute Analyse!
Wer sich ohne Vision und nach 10 % Stimmenverlust unter die Regie des Rosstäuschers und Herrenreiter begibt und in der Koalition die Ressorts für die „Drecksarbeit“ übernimmt, der muss ins Schlingern kommen.
Die Sozialdemokratie muss innehalten und sich neu besinnen. Keine Partei hat in ihrer Geschichte so viele Ansatzpunkte für die jetzt notwendige Zukunftsvision, die in Deutschland und Europa fehlt. Es ist die Aufgabe der SPD zu den Sehnsüchten der Menschen zu finden. Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Freiheit in einer solidarischen Gemeinschaft und Bedingungen für die Freiheit und Entfaltung sind nachvollziehbar auszuformulieren, die Menschen sind dort abzuholen, wo sie sind, und wo sie im Alltag festsitzen und manipuliert werden … und sich Angst und depressive Anpassungsstörungen, Narzissmus und Gewaltphantasien ausbreiten.
Dazu ist eine wichtige Voraussetzung authentische rüberzukommen.
Es fehlt jetzt nach der Wahlniederlage in der Enttäuschung und Lähmung – nicht nur in den USA – sondern auch bei uns in Deutschland in der SPD an dem Gegenentwurf. Die Koalition mit Merz, weil man Verantwortung für DEN Staat (für welchen?) übernehmen müsse, bringt keinen Millimeter für die SPD. Und deshalb werden Klingbeil unter Merz noch einige Tage in der Ausnüchterungszelle nicht erspart bleiben!