Am vergangenen Freitag ist er plötzlich verstorben: Sir Ralph Kohn, Pharmakologe, großer Bach-Freund, Sänger und großzügiger Mäzen – vor allem aber ein wunderbarer Mensch. Dr. Ralph Kohn wurde am 9. Dezember 1927 in der Lortzingstraße 13 in Leipzig geboren (Von meinem Arbeitszimmer blicke ich jeden Tag auf dieses Haus). Seine Eltern spürten sehr früh, dass Menschen jüdischen Glaubens im nationalsozialistischen Deutschland keine Möglichkeit eines freien Lebens gelassen wurde – auch weil die gewalttätige Verfolgung der Juden schon vor 1933 einsetzte. So verließ die Familie Kohn im Januar 1933 Leipzig und ließ sich in Amsterdam nieder. Nach der Reichspogromnacht 1938 und der Invasion der Deutschen Wehrmacht in Holland 1940 kam Ralph Kohn mit einem Kindertransport nach England. So entgingen er und seine Familie dem Holocaust.
In London wurde er ein in der Wissenschaft und in Unternehmen sehr erfolgreich wirkender Pharmakologe. Neben dieser Tätigkeit war Ralph Kohn auch als Sänger aktiv. Viele CDs spielte er ein, die von seinem wunderbar klaren und warmen Bariton zeugen: Arien aus Bach-Kantaten, Mozart-Opern oder Lieder von Gustav Mahler. In den vergangenen Jahrzehnten war Ralph Kohn vor allem als Mäzen unterwegs. Er wollte das, was ihm an wirtschaftlichem Erfolg ermöglicht wurde, an die Allgemeinheit zurückgeben. So gründete er die „Kohn Foundation“, die wissenschaftliche Projekte insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit Israel, und musikalische Vorhaben unterstützt. Die Kohn Foundation fördert die monatlichen Kantatenaufführungen an der Royal Academy of Music (RAM) in London, verleiht Stipendien für Gesangstudierende und hat den Bach Prize ausgelobt. In seinem Jubiläumsjahr 2012 erhielt der Thomanerchor Leipzig diesen Preis.
Nach der Friedlichen Revolution 1989 hat Ralph Kohn sich stark für seine Geburtsstadt Leipzig engagiert. In seinen bewegenden Erinnerungen „Recital of a lifetime“ (ein eindrucksvolles Zeugnis eines erstaunlichen Lebens aus dem Jahr 2014) schreibt Ralph Kohn dazu: „I was exiled from the country of my birth, but in recent years I feel at home and welcome in this city; not even Germany’s terrible years of aberration can take that away from me.” Er unterstützte in hervorragender Weise das Bach-Archiv und das Bachfest. Aufgrund seines außerordentlichen Engagements für die Musik Johann Sebastian Bachs wurde er zusammen mit seiner Frau Zahava 2004 zum Chorherrn und zur Chordame zu St. Thomae ernannt. Im Jahr 2011 wurde ihm die Ehrenmedaille der Stadt Leipzig überreicht. Schließlich unterstützte Ralph Kohn über Jahre den musikalischen Bildungscampus forum thomanum, um die Nachwuchsarbeit für den Thomanerchor zu fördern. Ohne seine Zuwendungen würde die Bachstadt Leipzig nicht da stehen, wo sie heute ist.
Wer Ralph Kohn begegnete, war tief beeindruckt von seiner umfassenden Bildung, seiner Großzügigkeit und seiner Liebe zur Musik, insbesondere zu der von Johann Sebastian Bach. Sie bedeutete ihm alles. Nie werde ich ein langes Gespräch mit ihm nach der Aufführung der Johannespassion in der Thomaskirche vergessen. Er fragte mich (und damit auch sich selbst), warum die Passionen von Bach auch einen Menschen jüdischen Glaubens so tief berühren. Seine Antwort war: Es ist das unendlich Humane, das ihn anspricht. Er verstehe die Passion Jesu als Darstellung des Leidens eines Menschen, des Gottesknecht (Jesaja 53), an der Ungerechtigkeit dieser Welt. In der Musik Bachs könne er nichts Antijüdisches entdecken, sondern in ihr spiegelten sich all die Werte auch der jüdischen Glaubenstradition wieder, die unerlässlich seien für das menschliche Leben. Ralph Kohn war ein Philantrop – einer der die Menschen liebte, aber auch einer, der alles dafür getan hat, durch die Förderung der Musik und der Wissenschaften Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zu einem friedlichen Miteinander anzuhalten. Persönlich verdanken Zlata und ich ihm und seiner so starken Frau Zahava wunderbare gemeinsame Stunden tiefen gegenseitigen Verstehens und menschlicher Zuwendung in Leipzig und in London.
Mit dem Tod von Ralph Kohn ist unser Leben ärmer geworden – nicht nur in London, wo diesen außergewöhnlichen Menschen seine liebe Frau Zahava und seine drei Töchter mit ihren Familien schmerzlich vermissen werden. Auch Leipzig hat einen guten und wichtigen Freund verloren und einen Menschen, der – wie viele andere aus ihrer Geburtsstadt vertriebene Menschen jüdischen Glaubens – ohne jeden Vorbehalt zurückgekehrt ist und uns alle mit seiner Generosität und Versöhnungsbereitschaft beschämt hat. Noch einmal Ralph Kohn in seinen Erinnerungen: „There is no doubt that I feel myself to be overwhelmingly British, and London is my home. But I am grateful that the Lord Mayor of Leipzig and the musicians oft the Thomaskirche have been generous enough to welcome me back there from time to time. And it is a matter of huge pride to me that the names of Zahava and myself are now engraved on one of the walls of the Thomaskirche as doners to that institution. … As a city it has been through some truly terrible times, but it remains a very special place.” Morgen wird Ralph Kohn in London nach jüdischem Ritus beerdigt. Wir hoffen, dass die Familie Kohn in der Zeit der Trauer viel Kraft und Zuwendung erfährt und dass sie weiter Leipzig verbunden bleibt.
2 Antworten
Lieber Herr Wolff,
ich bin so oft wir in den letzten Monaten sehr berührt von Ihren Kommentaren, die ich in jedem einzelnen Fall vorbehaltlos unterstützt habe, so auch hier. Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich nun nicht mehr in,Leipzig an der Uni und bald auch nicht mehr im Städtepartnerschaftsverein Leipzig-Houston tätig sein werde, hoffe aber dennoch, dass wir uns von Zeit zu Zeit begegnen werden.
Freundliche Grüße,
Hartmut Keil