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„Ich bin hindurch“ – eine notwendige Erinnerung

Es geschah vor genau 500 Jahren. Der Reformator Martin Luther (1483-1546) sah sich vor dem Reichstag in Worms einem Tribunal ausgesetzt. Keine akademische Debatte über unterschiedliche Möglichkeiten des Glaubens, sondern ein erbitterter Machtkampf. Noch wurde er nur mit Worten ausgetragen. Luther sollte vor dem Kaiser seine im Jahr zuvor in Aufsehen erregenden Schriften dargelegten Überzeugungen widerrufen. Dazu war er aber nur unter einer Bedingung bereit: dass man ihm anhand der biblischen Überzeugungen nachweist, dass seine gewonnenen Einsichten falsch sind. Doch zu einem solchen Streit um die Wahrheit war man auf dem Reichstag zu Worms nicht bereit. Dort ging es um Macht und um Ruhe im Lande. Luther aber wollte sich auf diese rein politische Ebene nicht ziehen lassen. So verweigerte er am Schluss der inquisitorischen Befragung den geforderten Widerruf – „wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“

Auf seinem Weg aus der Stadt Worms soll Luther ausgerufen haben: „Ich bin hindurch!“ Ja, Luther hatte Angst vor einem gewaltsamen Tod, Angst davor, dem Anpassungsdruck nicht standhalten zu können, Angst zu versagen. Doch er blieb bei seiner Überzeugung – ohne seine Gegner zu verteufeln. Damit legte Luther einen Grundstein für das, was wir heute Meinungsfreiheit, Zivilcourage, Pluralität nennen und was Eingang in unsere Verfassung gefunden hat. Denn Luther hat für seine Überzeugung in Anspruch genommen, dass ihre Richtigkeit nicht von den realen Machtverhältnissen abhängig ist, sondern von einer theologisch hergeleiteten, in Gebeten errungenen, durch Vernunft vermittelten Einsicht.

Auch wenn Luther später seinen eigenen Freiheitsgrundsätzen widersprach, Gegner bis aufs Messer bekämpfte, Gewalt in der Auseinandersetzung um die Wahrheit durchaus zuließ und damit die Gewissensfreiheit wieder gefährdete – seine Standhaftigkeit am 17./18. April 1521 in Worms ist noch heute bespielgebend und Ausgangspunkt für das, was jeder von uns gerne in Anspruch nimmt: Freiheit. Insofern ist es richtig, dass wir heute von dem „Luthermoment“ reden, den jeder Mensch erleben kann, ja erleben sollte. Reden wir also immer wieder von dem Augenblick im Leben des Menschen, in dem Haltung gezeigt und eine Gewissensentscheidung getroffen werden muss. Aber reden wir nicht nur davon, sondern ermöglichen wir jedem Menschen den „Luthermoment“, befähigen wir ihn zum verantwortlichen Glauben, zur freien Gewissensentscheidung und zum Meinungsstreit, ohne den Gegner zu verteufeln. Ermutigen wir schon Kinder und Jugendliche zur offenen Meinungsbildung, zum Streit um die Wahrheit. Zeigen wir ihnen auf, dass es sich dabei um Momente handelt, die immer wieder verdunkelt werden können durch eigene Bequemlichkeit, durch eigene Widersprüchlichkeit, durch eigene Unzulänglichkeit. Darum ist es so wichtig, nicht nur an den Luthermoment vor 500 Jahren zu erinnern, sondern auch an die Vorbilder des Glaubens, die Luthers Beispiel folgten. In Worms* wurde an sie gestern erinnert: Rosa Parks, Sophie Scholl, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Christian Führer. Menschen, die in entscheidenden Momenten Gott mehr gehorchten als den Menschen, ungerechter Herrschaft widerstanden und deswegen der Freiheit eine Gasse bahnten.

Doch haben wir eines zu bedenken: Bei den Luthermomenten geht es nicht um die Sicherung des eigenen Vorteils. Luthermomente entstehen da, wo ich um des Glaubens und um des Nächsten, um der Menschenwürde und der Freiheit willen meine Vorteile, meine Bequemlichkeit, meine Ruhe, mein Leben zu riskieren bereit bin – der Ausgang also völlig offen ist. Die Richtigkeit meines Tuns wird sich daran erweisen, dass ich im Nachhinein wie Luther ausrufen kann: „Ich bin hindurch“. Ich habe meine Ängste vor Autoritäten und Hierarchien, meine Geltungssucht, mein Anerkennungsbedürfnis überwunden, bin allein meinem Glauben und Gewissen gefolgt und habe etwas dazu beigetragen, dass Menschen Freiheit gewinnen. Einfach ist das nicht, aber wie sich immer wieder zeigt: lohnend und nachhaltig wirksam. Wenn der Luthermoment eine Bedeutung für die Ökumene hat, dann diese: dass die katholische Amtskirche sich von denen zur Auflösung ihrer autoritär-hierarchischen Strukturen veranlassen lässt, die ihr Reden und Tun allein an der biblischen Botschaft ausrichten und ihrem Gewissen folgen.

Es ist mehr als bedauerlich und bedenklich, dass die öffentliche Erinnerung an den Luthermoment an diesem Wochenende nur am Rande stattfand (in den Tagesthemen der ARD fand er überhaupt keinen Niederschlag) – auch ein überdeutliches Zeichen für den Bedeutungsverlust der Kirchen und der Konturlosigkeit des christlichen Glaubens, aber auch vieler Medien. Dabei wäre ein Nachdenken über das Ergebnis des Luthermoments „Ich bin hindurch“ mehr als angebracht. Denn was würden wir in Corona-Zeiten darum geben, bald ausrufen zu können: Wir sind hindurch! Aber das setzt voraus, dass wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie auch in Zeiten der inneren und äußeren Bedrohung die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit erhalten bleiben, Gottvertrauen das Rückgrad des Menschen stärkt und die Nächsten- und Feindesliebe umfassend geachtet werden.

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* Jedem sei die vom SWR 3 live übertragene, hervorragende Licht-Laser-Performance vom gestrigen Abend empfohlen – endlich einmal wieder eine sehr gelungene Aktion der evangelischen Kirche!

9 Antworten

  1. Dieses Mal, nicht nur nebenbei , vor allem nach seinem erneuten Kommentar wider Chr. Wolff, etwas zum Nachdenken für „unseren“ in ewiger Beleidigungspose verharrenden Mitdiskutanten Herrn Schwerdtfeger, weil wir nun schon bei Martinus Luther sind:

    „Wenn wir alt werden, so beginnen wir zu disputieren, wollen klug sein und doch sind wir die größten Narren.“

    „Eine der schönsten und herrlichsten Gaben Gottes ist die Musik, damit man viel Anfechtung und böse Gedanken vertreibt.“

    „Wer mit dem Geist der Traurigkeit geplagt wird, der soll aufs höchste sich hüten und vorsehen, dass er nicht allein sei.“

    „Musika ist eine halbe Disziplin und Zuchtmeisterin, so die Leute gelinder und sanftmütiger, sittsamer und vernünftiger macht“

    Feine Luthermomente, worüber es sich vielleicht lohnen könnte, in stiller Kemenate tiefsinniger nachzudenken – oder ??

  2. Das haben Sie schön geschrieben, lieber Herr Wolff, und wie immer, wenn Sie sich ein religiöses Thema vornehmen, sind Sie eigentlich überzeugend in der Aussage. Wenn da nicht wäre, daß Sie seit Anfang des Jahres halt unglaubwürdig sind, wenn Sie von Rückgrat, von Gewissen, von „Meinungsstreit, ohne den Gegner zu verteufeln“ sprechen. Sie schreiben uns von der Bereitschaft, um der „ Menschenwürde und der Freiheit willen meine Vorteile, meine Bequemlichkeit, meine Ruhe, mein Leben zu riskieren“ – und sind selbst nicht mal bereit, eine fatale Äußerung im von Ihnen so genannten „demokratischen Diskurs“ zurückzunehmen, wo es um keines dieser hehren Postulate geht. Schon in Ihrer Neujahrsbotschaft vom 31.12. 2020 schrieben Sie uns salbungsvoll: „Barmherzig sein – das beinhaltet Empathie für den Nächsten zeigen, Rücksicht nehmen, vom Anderen her denken, den hilfsbedürftigen Nächsten in den Mittelpunkt stellen – unabhängig davon, ob mir seine Lebensweise gefällt oder nicht“ – und was sollen diese ganzen großartigen Worte, wenn man Sie auf sich selbst nicht anwendet. Solange Sie nicht Ihre eigene Beleidigung von Mitdiskutanten – bei aller Berechtigung Ihrer Kritik an diesen – aus der Welt schaffen, solange wird der Zweifel an Ihrer Integrität, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit bestehen bleiben.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Es hat natürlich schon einen gewissen Reiz, wenn man vier Jahre lang miterleben durfte, dass die frechsten Lügen, die größten Unverschämtheiten und Verleumdungen durch ständige Wiederholung letztlich doch eine gewisse Wirkung entfalten. Verständlich, wenn man diese Strategie kopieren/für seine eigenen Zwecke nutzen will….
      Aber man sollte auch bedenken, dass H. Trump dann doch abgewählt wurde!

  3. Feigheit, Unterwürfigkeit, Hofschranzentum- das alles steht im direkten Gegensatz zu den Implikationen, die das Evangelischsein( nicht konfessionell gemeint) mit sich bring.Ich meine vielmehr Orientierung an der Bibel und am jungen Luther. Dass das nicht einfach ist? Aber wer sagt denn, dass Rückgrat- haben einfach ist- noch war es jemals einfach in der Vergangenheit.
    In diesem Zusammenhang möchte ich an meinen lieben, katholischen Lehrer Hans Küng erinnern. Mutig hat er sich mit dem Unfehlbarkeitsdogma von 1870 , mit dem Zölibat, dem römischen Absolutismus,dem Verbot des Priestertum von Frauen usw. auseinandergesetzt.Dafür hat er seine Haut zu Markte getragen.
    Dieser mir so liebe Katholik hat ganz im SInne des jungen Luther( Worms) gehandelt. Daher ist Evangelischsein keine Frage der konfessionellen Ausrichtung.
    Mut und Aufgeschlossenheit, Dinge in Frage stellen, historische Wurzeln von Galubenssätzen, gar Dogmen begründet zu hinterfragen- dies ist eine vornehme Aufgabe aller Menschen , die sich an Jesus Christus orientieren. Gut wenn wir dieses Hinterfragen auch in den Alltag und auch in die Politik integrieren! Auch heutzutage gibt es einen Mainstream der andere Meinungen viel zu schnell abtut und verurteilt.Es kostet viel Kraft sich dem begründet zu widersetzen.

  4. Vielleicht müssen wir nicht nach Gewissenshelden schauen , oder nach entsprechenden Leitbildern?!. Wenn es Streben nach einer Kultur der Aufrichtigkeit im Verhandeln um ein Miteinander geben könnte! Ich bin nun ein älterer Mensch, Rentner und meine „Irdische Existenz und die meiner Familie “ ist ( voraussichtlich) gesichert. Heute empfinde ich es leichter , mich mündiger und von einem weiter- und tiefergreifenden Gewissen geleitet zu äußern. Ich hatte als junger Arzt die für mich sehr tief verändernde Gelegenheit, in Dörfer zu kommen, am Cotopaxi, einem Vulkan im Equatorischen Hochland, die ganz von Frauen “ beherrscht“ wurden. Dort wurden Auseinandersetzungen, die selbstverständlich mindestens ebenso häufig und heftig stattfanden, wie hier( aber natürlich in überschaubareren ,sehr armen und kargen Regionen , wo jeder jeden kannte) , so ausgetragen und von in den Dörfern gewählten älteren Frauen geleitet, dass eigentlich immer verhandelt wurde um Erträglichkeiten für jeden einzelnen , wenn es um allgemeingültige Festlegungen und Beschlüsse ging und mich hat dort sehr beeidruckt, wie selbstverständlich auch diese Frauen an Anerkennung in der oft heftigen Auseinandersetzung gewannen, wenn sie ihre eigenen Widersprüche und persönlichen Belastungsgrenzen artikulieren und als Entscheidungsmaßstab begreifbar machen Konnten.
    Nun ist mir schon klar, dass wir diese kleinen überschaubaren Welten kaum noch kennen. Alles wird sofort weltweit oder‘ Blog ‚weit und ins ziemlich Anonyme kommuniziert . Aber was ich vor allem ausdrücken wollte ist die selbst erlebte ziemlich gerechte Entscheidungskraft( im Sinne der weniger Priviligierten Menschen ) auch für längerfristige Entscheidungen im Zusammenlebennund Umgang miteinander , im Sinne eines‘ Luthermomentes’von Menschen. Die narzisstische Selbstdarstellung oder taktisches Machterhaltungsgehabe, wie ich es hier jeden Tag erlebe( z.B.Söder/ Laschet) habe ich so in dieser armen, rauen , kargen Welt nicht in dieser Heftigkeit oder Heimtückigkeit erfahren müssen. Man mag mir den Vorwurf machen, dass sei eine typische Argumentation eines Einfältigen . Was bleibt als meine Erfahrung, nach einem Berufsleben voller Querelen und erlebter oft blinder Geltungssucht , auch in religiösen Diskursen: das hier war für mich viel anstrengender und aufreibender , als mich einer Einschränkung zu beugen, die diese Frauen mit ihren Entscheidungen oft zumuten mussten im Angesicht der begrenzten Möglichkeiten. Der tiefste Eindruck bleibt: diese Frauen haben offen über eigenes Unvermögen und Zweifel gesprochen, bevor sie ihre Entscheidungen verbindlich äußerten und trotz manchem geäußerten Groll habe ich eigentlich immer Respekt für einschneidende Gewissens- Entscheidungen und diese Frauen erlebt, die sich so deutlich zu ihren Grenzen, zu ihren unausgegorenen Konflikten, ihren Belastungsgrenzen und Unsicherheiten bekannt habenauch von Seiten der männlichen Mitbewohner…Entscheidungen, das war damit klar hatten nur vorläufige Geltung. Die Ewigkeitsfragen und ewig -Gültigkeitsfragen wurden eigentlich nie gestellt, wenn ich es nochmal überdenke: an theoretische Grundsatzdiskussionen kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Und wenn die Männer, die die in 3000Meter Höhe mühsam geernteten Kartoffeln in die Taldörfer brachten , sie auf dem Markt verkauften und mit dem Geld ins Bordell gingen, waren für zwei Monate aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen, auf Beschluss der zur Dorfverwaltung bestimmten Frauen… bin ich vom Thema ‚ luthermoment‘ abgekommen? Vergleiche ich Äpfel mit Birnen? Ich glaube nicht! …Lasse mich aber gerne belehren!

    1. Sehr geehrter Herr Viertmann,

      Ihre Beschreibung der Situation in Lateinamerika hat mich sehr berührt und gefreut.

      Ja, ich kenne auch solche Zusammenhänge, in denen Lösungen auf einem menschlich/sachgemäss hohen Niveau ausverhandelt werden. Und es ist sehr schön, dass Sie diese Beobachtung in diesen Diskurs einbringen. Daran möchte ich gerne ein paar Gedanken anknüpfen:

      Jedes Statement einer Diskussion ist nie allein nur ein Sachargument. Es bringt zugleich viele weitere Botschaften zum Ausdruck: einen neuen Einzelaspekt, eine Haltung, eine Frage, eine Sorge, ein Wunsch, eine Betroffenheit, eine Warnung, eine Hoffnung, etc. All das spielt in jeder Mitteilung eine Rolle.

      Gute/angenehme/weiterführende Diskussionen nehmen 1) nicht immer nur das Sachargument wahr, zugleich auch alle anderen Mitteilungsebenen und knüpfen 2) viel lieber an Positives an, als dass sie eine Lust darauf haben andere Sachmeinungen zurückzuweisen. Kritik ereignet sich dann am ehesten, dass das Ergebnis eines anderen mit den eigenen Gedanken etwas weitergeführt wird.
      Dieses Aufeinanderaufbauen um zu guten Lösungen zu kommen ist sehr respektvoll im Umgang miteinander und es nutzt die Beiträge eines jeden für den Diskurs.

      Es gibt an allen Stellen solche Diskurse, nicht nur in Lateinamerika, und es ist nicht auf arme Menschen begrenzt. Es gibt dieses Gute in vielen säkularen Diskurszusammenhängen, in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, auch in Unternehmen. Empathie ist vielleicht die entscheidende Kategorie. Emphatische Menschen diskutieren anders, kreieren eine andere Diskussionskultur. Kirchliche Diskurse gehören „nicht immer“ dazu :).

      Was einen Diskurs voranbringt kann eine Stück Überzeugung sein, ein Moment Hoffnung, eine neue Frage, eine freier Blick auf eine überzeugende Haltung, und vieles mehr was Menschen beitragen können zu einer Lösung.

      Ich halte nichts davon heroische „Luthermomente“ zu suchen. Oft ist das unscheinbar Mitgeteilte, das ich von einem Menschen erfahren habe viel wirksamer, edler, belebender als ein großartiger Auftritt. Wenn eine eindeutiger Auftritt geboten ist, dann ja. Aber ist das das tägliche Brot?

      Wenn ich hier eine Vermutung äußern darf, dann glaube ich, dass es einen besonderen Teil der Menschheit gibt, die diese Qualität vor allem, in der Regel jedenfalls, hervorragend umsetzen: Ich meine die Frauen!
      Vielleicht kein Zufall, dass Ihr Komitee in Lateinamerika aus Frauen bestand. Vielleicht kein Zufall dass besonders kultivierte Unternehmen von Frauen geleitet werden.

      Männer gleiten leichter ab ins „rein sachliche“. Das führt nicht selten schnurstracks in ein „Gezänk“ von dem niemand etwas hat.

      Ja, ich bin Ihnen dankbar für diese schöne Anregung.

      Beste Grüße

      Martin Haberland

  5. Ich fürchte, mit dem „Luthermoment“ ist das heutzutage nicht mehr so einfach und vor allem nicht mehr so eindeutig.
    Vielleicht müssen wir uns auch erst einmal gründlich und demütig mit den diversen Kehrseiten dieses Phänomens auseinandersetzen.
    Bei der Auto-Demo der Querdenker in Leipzig vor ein paar Wochen fuhr ich mit dem Rad an der sich gerade am Auensee stauenden Kolonne vorbei. In einem der Fahrzeuge sah ich ein Paar mit zwei halbwüchsigen Kindern und an der hinteren Scheibe ein selbstgemaltes Schild: „Frei atmen – Frei denken – Frei leben“. Für diese Familie war das womöglich auch ein „Luthermoment“. Sie hatten sich nach Leipzig aufgemacht, um für ihre und aller Deutschen „Freiheit“ zu demonstrieren. Sie bekannten öffentlich: Wir lassen uns von den Herrschenden nicht den „Mund“ verbieten. Solange uns ihre Argumente nicht überzeugen, zeigen wir das auch mutig und öffentlich.
    Der amerikanische Religionssoziologe Peter Berger sieht in solchen Phänomenen ein konstitutives Moment der Moderne an sich. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „häretischen Imperativ“: Die Berufung auf so etwas wie einen Luthermoment gehöre inzwischen quasi zum Selbstverständnis des modernen Menschen.
    Was macht die sich auf Luther berufende Kirche damit?

    1. Ich glaube, dass dieses Problem auch schon vor 500 Jahren vorhanden war. Letztlich geht es wie immer um die Inhalte: Für wen und für was riskiere ich mein Leben unter welchen politischen Bedingungen? Man denke an die junge Frau in Hannover, die sich auf einer Kundgebung von „Querdenken“ mit Sophie Scholl verglich, oder an die Gleichsetzung der derzeitigen Debattenlage mit der DDR. Da kann ich keinen Luthermoment erkennen. Etwas ganz anderes ist es, wenn ich auf mich allein gestellt und gegen den Widerstand der erdrückenden Mehrheit für einen Grundwert eintrete, der im Sinne der „Goldenen Regel“ eine große Bedeutung für alle hat.
      Was nun die lutherischen Kirchen mit dem Luthermoment machen? Ihr steht ähnlich wie der römisch-katholischen Kirche der Abbau nach wie vor vorhandener autoritär-hierarchischer Strukturen bevor, durch die nicht Gewissens- und Glaubensfreiheit verteidigt, sondern allein Macht gesichert werden. Christian Wolff

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