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Gauland, der Rechts-Nationalismus und die sächsische Landeskirche

Am 11. November 2018 kritisierte der Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD Alexander Gauland im ZDF die Teilnahme von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Londoner bzw. Pariser Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs: „Ich halte es für falsch, Geschichte nachträglich umzuschreiben und sich an der Siegesfeier der damaligen Verbündeten nachträglich zu beteiligen.“ Deutschland habe den Krieg verloren; die Politik, die zum Ersten Weltkrieg geführt hat, habe „viele Schuldige“. Im Blick auf Deutschland sprach Gauland aber nur von einem deutschen „Ungeschick“. Und weiter: „Wir können uns aber nicht am Ende in einer historischen Situation, die abgeschlossen ist, auf die Seite der Sieger schlagen und jetzt vielleicht neben Herrn Macron durch den Arc de Triomphe marschieren“. Nun handelte es sich bei den Gedenkveranstaltungen am 11. November 2018 weder um Siegesfeiern, noch führte der Weg der über 70 Regierungschefs, die sich in Paris versammelt hatten, durch den Arc de Triomphe. In Paris war auch keine Marschmusik zu hören. Vielmehr spielte der Cellist Yo-Yo Ma einen Satz aus einer Solo-Suite von Johann Sebastian Bach – einem deutschen Komponisten, der wie kein anderer mit seiner Musik alle kulturellen, religiösen, ethnischen Grenzen überwinden kann. Was also kritisiert Gauland und vor allem: warum? Die Antwort ist relativ einfach: Gauland will mit seiner Äußerung die Geschichte, die er für „abgeschlossen“ erklärt, in ihrer Deutung offen halten. Deutschland soll sich weiter als „Opfer“ der Siegermächte betrachten können, die von ihm so ganz nebenbei zu den „Schuldigen“ gezählt werden – so wie es der Grundstimmung in Deutschland nach dem Versailler Vertrag in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entsprach, auf der die Nationalsozialisten propagandistisch aufbauen konnten. Die Absicht ist leicht durchschaubar: Gauland will eine, in seinen Augen in der Geschichte begründete Spaltung Europas heute weiter pflegen und vertiefen: Frankreich, Großbritannien, Deutschland passen eben nicht zusammen, schon gar nicht unter einem europäischen Dach. Mit dieser Geschichtssicht stellt sich Gauland bewusst in einen Gegensatz zu dem Europa, das nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus 1945 als Friedensprojekt konzipiert wurde. Ein gemeinsames europäisches Gedenken an die Zeiten, in denen Nationalismus und Militarismus die Völker gegeneinander aufbracht haben, steht da im Widerspruch zur Absicht Gaulands und der AfD, die EU als Fehlkonstruktion politisch zu bekämpfen. Darum hat er ein großes Interesse daran, mit einem neuen Nationalismus die Friedens- und Versöhnungspolitik nach 1945 zu konterkarieren. Gauland erweist sich mit seinen Einlassungen wieder einmal als der Wegbereiter für eine rechtsnationalistische Politik, die dann von den Höckes der AfD begierig aufgegriffen und radikalisiert wird.

Mitten in der ökumenischen Friedensdekade, die am kommenden Buß- und Bettag endet, muss es vornehmste Aufgabe der Kirchen und Demokraten sein, auf einen Zusammenhang deutlich hinzuweisen: Der aufkommende Nationalismus, verbunden mit der Forderung nach mit Waffengewalt bewachter nationaler Grenzen, ist nicht nur Krieg treibend. Die aktuellen Entwicklungen in Russland und den USA zeigen, dass Nationalismus und Militarisierung nach innen und außen sich gegenseitig bedingen. Darum ist es kein Zufall, dass die „America first“-Politik eines Donald Trump ein gigantisches Aufrüstungsprogramm beinhaltet – insbesondere in der Region, in der sich täglich die kriegerischen Auseinandersetzungen zu einem Weltkrieg ausweiten können: der Nahe Osten. Darum kann niemanden verwundern, dass Trump derzeit alles tut, um seinen milliardenschweren Rüstungs-Deal mit Saudi-Arabien zu retten – obwohl die mutmaßlich staatsoffizielle Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi dazu führen müsste, Saudi-Arabien politisch zu isolieren und mit Sanktionen zu belegen.

In Deutschland können wir nicht früh und deutlich genug davor warnen, dass eine Abkehr von der europäischen Einigung zwangsläufig zu einem militarisierten Nationalismus führen wird. Dabei ist es keine böswillige Unterstellung, dass die AfD genau dieses Ziel verfolgt. Ihr antieuropäisches Agieren, ihr Schulterschluss mit Rechtsnationalisten wie Strache, Salvini und Orban unterstreichen, dass die AfD die EU zerstören und die Wahlen zum Europäischen Parlament allein dafür nutzen will. Die Geschichte lehrt aber, dass, wenn eine solche Absicht jemals mehrheitsfähig werden sollte, die Dämme brechen: Von denen, die an Rüstungsproduktion und Krieg verdienen, ist jedenfalls kein Widerstand zu erwarten. Außerdem ist klar: Was sich heute an militanter Aggression gegen Migranten im eigenen Land richtet, wird morgen auf die Nachbarstaaten ausgeweitet. Darum müssen wir jetzt die Gefahren offen ansprechen. Wer in Frieden leben will, der muss sich aktiv für die europäische Einigung, für offene Grenzen in der EU, für demokratische Lebensformen einsetzen.

Auch von den Kirchen ist hier ein wesentlicher, vor allem unmissverständlicher Beitrag einzufordern. Die Kirchen dürfen keinen Zweifel darüber aufkommen lassen: Jede Form von Nationalismus, jede Form von Militarismus widersprechen den Grundüberzeugungen der biblischen Botschaft. Denn der biblische Glaube ist nicht an eine Nation oder Region, nicht an einen bestimmten Kulturraum gebunden. Er ist universal, grenzüberschreitend, weltumspannend – und darum notwendig Frieden stiftend. Die Bibel hat den Menschen als Geschöpf Gottes im Blick. Auf diesem Hintergrund ist es mehr als ein Skandal, dass die Leitungsgremien der sächsischen Landeskirche bis heute keine klare Position gegen einen völkisch verbrämten Nationalismus innerhalb ihrer eigenen Reihen eingenommen hat. Landesbischof und Kirchenleitung lassen jede Klarheit gegenüber dem dem Christusglauben widrigen Rechtsnationalismus der AfD vermissen. Solange es möglich ist, dass in Gaußig (bei Bautzen) an einem evangelische Schulzentrum, initiiert von einem Pfarrer der Landeskirche, eine Tafel angebracht ist mit der Aufschrift: „Lehret deutsches Gut und deutsche Güte, damit Gott dieses Haus behüte. 2016“, so lange dort deutschnational-völkisches Gedankengut zum Schulalltag gehört (und es ist aus Dresden nichts an Protest und Widerspruch zu hören), solange ist etwas faul. Es muss aber von der Kirchenleitung wie vom Landesbischof verlangt und erwartet werden, dass sie hier hör- und sichtbar Position beziehen. Der Buß- und Bettag ist guter Anlass, Versäumtes nachzuholen.

P.S. Gerne verweise ich auch auf die Predigt, die ich am gestrigen Friedenssonntag in der Gundorfer Kirche gehalten habe: Predigt über Philipper 4,6-9 am Friedenssonntag 18. November 2018

5 Antworten

  1. Versteht man diesen Beitrag von Herrn Erben richtig, daß er den Unterhalt seines eigenen Kindes auf den Staat (oder die Kirche) abschiebt?
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Mal wieder ein Stück Realität in der Kirche. Meine Freundin, Mutter unseres gemeinsamen Kindes hat eine 50 % C-Stelle, wobei sie eine abgeschlossene B-Ausbildung hat. Ihre zugestandenen freien Tage sind Montag und Donnerstag. Ohne Kind reichte es zu einem bescheidenem Leben. Nun wird aufgestockt! Mit 300 Euro Steuergeld jeden Monat bisher. Nun jeden Monat Vorladung beim Job-Center. Kürzung der Aufstockung auf 200 Euro jetzt. Nur mit größter Mühe erlangte sie ein Schreiben irgendeines kirchlichen Verantwortlichen, mit der sie die Situation belegen konnte. Beim letzten „Besuch“ im Job-Center Druck und Ausbruch in Tränen. Die Bezirkssynode lehnte eine Aufstockung um 10 % ab. Der koreanische Elternzeitvertreter erhielt problemlos eine Aufstockung auf die von staatlichen Stellen geforderte Gehaltshöhe, damit er ausländerrechtlich bleiben durfte. Aus Versehen schickte nämlich die zuständige Abrechnungsstelle der LK eine eigentlich diesem Kollegen zukommende Gehaltsabrechnung. Sie wird jetzt bei Superintendent Henker vorstellig werden, eine ergänzende Putzstelle vermittelt zu bekommen. Beim Bachfest 2014 spielte sie vor internationalem Publikum so, dass sie stehenden Applaus bekam und 120 CD verkauft wurden. Ich war dabei, weil ich registriert habe.

  3. Lieber Herr Wolff,
    haben Sie Dank für diese Antwort. Es ist in der Tat so, daß wir in vielem einig sind, zB auch in der Frage, die Sie zuletzt ansprechen: Daß nämlich Krieg keine Lösung politischer Probleme ist: Unterschiedlich allerdings – so glaube ich – sehen wir die Rolle von Streitkräften und der dazu notwendigen Rüstung. Es ist eben leider so, daß diese (Rüstung und Streitkräfte) keine Ressourcenverschwendung sind sondern unabdingbare Voraussetzung für eine Friedens- und Versöhnungspolitik, die Erfolg haben will. Vakuen ziehen an and verführen zur „Übernahme“! Und nur deshalb halte ich viele Äußerungen Heinemanns für banal, ohne deshalb ihre Richtigkeit – und auch seine Ernsthaftigkeit bei deren Äußerung – bezweifeln zu wollen. Aber es bleibt eben Tatsache, daß die Friedens- und später Ostpolitik der SPD – die sich ja nur in der Richtung, West und/oder Ost, von der ebenso ernsthaften Friedenspolitik der CDU unterschied – nur im (ganz wesentlich militärischen) Schutz der USA und der Nato entfalten und überhaupt gewagt werden konnte. Stretkräfte sind eben Grundlage für Friedenspolitik und stehen einer solchen nicht entgegen. Daß sie zugleich Gefahrenpotential darstellen, ist wohl so, aber das teilen sie mit allen Instrumenten, die der Politik zur Verfügung stehen – denken Sie nur an die Gefahren, die von der Wirtschaft ausgehen und die ja auch von vielen, zB im europäisch-afrikanischen Verhältnis, massiv kritisiert werden. Es sind eben nicht die Instrumente sondern deren Nutzung, auf die man schauen muß. Und glauben Sie mir: Die Befürwortung von starken, leistungsfähigen und glaubwürdigen Streitkräften gleichzusetzen mit Befürwortung kriegerischer Auseinandersetzungen und Überzeugungen der Alternativlosigkeit von Kriegen ist eben zu einfach. Die meisten Soldaten, die der Westen einschließlich der UNO derzeit einsetzt, stehen ZWISCHEN den Fronten und versuchen gemäß ihrem Auftrag, streitende Parteien auseinanderzuhalten und die zivilen Bevölkerungen so gut es geht zu schützen – das ist ein ehrenwerter und auch politisch sinnvoller Auftrag, worin wir sicherlich übereinstimmen.
    Und was das Johannes-Zitat angeht: Es wurde in Deutschland auf deutsche Soldaten bezogen, ja; aber gehen Sie mal über englische Kriegsfriedhöfe und -gräber und Sie werden das gleiche Zitat dort in riesiger Zahl finden. Gerade wenn Sie schreiben, die Soldaten hätten nicht gewußt, wofür sie eigentlich wirklich auf die Schlachtfelder getrieben wurden, daß Befehl und Gehorsam eben ein dumpfes Prinzip sei, etc – gerade dann ist es ja noch bewundernswerter, daß diese Soldaten für ihre Kameraden ihr eigenes Leben eingesetzt haben. Nein, dieses Zitat ist kein politisches, es ist ein menschliches, ein moralisches, vor allem ein individuelles Postulat, das auf jeden Einzelfall zutrifft und das über die gesamte Geschichte Gültigkeit hat. Es kennzeichnet nicht die Politik sondern den Menschen und kulminiert in Persönlichkeiten wie Pfarrer Maximilian Kolbe.
    Sie kritisieren, daß vor 100 Jahren Theologie und Kirche ein fatales Bündnis zu einer falschen Politik eingingen – und das ist ein legitimes Geschichtsbild. Aber ist es nicht so, daß Sie selbst unter Rückgriff auf die Kirche – Ihre Kirche und Religion – ebenfalls eine bestimmte Politik propagieren und in dieser Haltung wenig Rücksicht nehmen auf die in der Demokratie doch legitimen Meinungen anderer Leute? Sie schreiben immer, sie sagten doch nur Ihre Meinung. Aber Sie sagen sie eben in einer Art, die Andersdenkende auschließt und nicht respektiert, obwohl oder auch weil sie anders denken. Aber das ist eine Stilfrage – und Stil lehnen sie ab, obwohl er doch unabdingbare Voraussetzung zur Demokratie ist.
    Im Falle Ihrer jetzigen Antwort auf meinen Beitrag allerdings, lieber Herr Wolff, trifft diese meine Aussage nicht zu, woraus ich Hoffnung schöpfe und wofür ich Ihnen danke.
    Ich grüße Sie insofern mit neuem Respekt.
    Andreas Schwerdtfeger

  4. Gut, daß es Herrn Gauland gibt und einen Trump, der die amerikanische Wirtschaft über Waffendeals in Richtung „America First“ bewegt – denn wo wären sonst Herrn Wolffs Feindbilder. Schön konkret in der Wortwahl wenn auch nicht in Ihrer Argumentation sind Sie in dieser Auseinandersetzung immer, lieber Herr Wolff – auch wenn es langweilig wird, weil Sie ja nichts Neues sagen. Und nach diesen konkreten Ausmalungen Ihrer Feindbilder werden Sie dann immer ganz neblig in Ihrem Ausweichen aus der Politik in die Religion, wo Sie mit schönen Worten Welten malen, die sich weder aus der Bibel noch der Religion für die tatsächliche Lage ableiten lassen und Ihren Lesern vorgaukeln, man müsse doch nur … was eigentlich? … und schon würde alles gut. Sie mischen mal schnell ein paar Schlagworte unter – Nationalismus (der auch mal „völkisch verbrämt“ sein darf), Militarismus auf der negativen, Friedens- und Versöhnungspolitik, europäische Einigung auf der positiven Seite – und glauben dann mit ein paar Ihrer vereinfachenden Interpretationen von Gauland-Aussagen und der gelegentlichen Banalität aus dem Munde Heinemanns die politischen Probleme unserer Welt gelöst zu haben. Ein Gauland ist in der Tat keine Zierde deutscher Politik – die volkstümlich-populistischen Aussagen Heinemanns (alle getätigt im Schutze und in der Sicherheit eines von Amerika und der Nato geschützten Deutschland) waren es auch nicht, wenngleich – zugegeben – harmloser!
    Die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Kriegsende in Paris und London (übrigens auch in Belgien) waren beeindruckend in ihrer Gemeinsamkeit über die ehemaligen Feindschaften hinweg. Gleichzeitig zeigten sie jedoch an den jeweiligen Veranstaltungsorten eine ebenso beeindruckende und durchaus gesunde jeweils nationale Komponente – Fahnen, militärische Zeremonien, Nationalhymne, auch in den Reden – die in anderen Ländern selbstverständlich ist und nur bei uns als „völkisch“, „rückwärtsgewandt“ oder auch „rechtspopulistisch“ verunglimpft wird. Friede über Grenzen hinweg als wichtiges Ziel widerspricht eben NICHT dem gleichzeitigen Respekt vor der Leistung und dem Leiden der eigenen Bevölkerung und deren Hervorhebung – dieser ist vielleicht eher im Gegenteil Voraussetzung dafür, denn MIT-Leid entsteht wohl häufig auch aus der eigenen Leidenserfahrung. Deutschland hat mit der traditionellen Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Bundestag ein sehr eindrucksvolles Beispiel des Erinnerns und des Lernens gesetzt – ganz wesentlich von Soldaten geplant und gestaltet, die besser als Theoretiker wie unser blog-Betreiber die Realität kennen und stärker als solche Theoretiker den Frieden realpolitisch betreiben.
    Ihre POLITISCHE Aussage im blog ist wie immer konkret in der Intoleranz und schwammig in der Lösung. Ihre RELIGIÖSE Aussage in der Predigt ist diesmal leider auch eher auf Schulaufsatzniveau – eben weil Sie im Gegensatz zu sonst hier Ihre Religion zur politischen Aussage mißbrauchen. Da zitieren Sie zu Beginn Johannes 15,13 auf Grabtafeln – niemand hat grössere Liebe als die, dass er sein Leben lässet für seine Freunde – und kritisieren dies als „religiös überhöht“ im nationalistischen Sinne. Richtig an Ihrer Kritik ist nur, daß in der Tat damals Gott noch auf allen Seiten für die eigene Sache instrumentalisiert wurde – eine Haltung, die sich heute insbesondere im Islam zeigt, was Sie aber nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil es Ihr Weltbild stört. Johannes dagegen hatte aber Recht und hat es bis heute und nichts an seiner Aussage ist religiös überhöht: Ein Soldat, ein Sanitäter, auch (in praktisch allen Streitkräften) Militärpfarrer, die ihr Leben, ihre Gesundheit riskieren, um Kameraden zu retten oder ihnen zu helfen, fallen unter diese Aussage des Johannes; Mitarbeiter von NGOs in heutigen Kriesengebieten (so umstritten man die NGOs sehen muß) fallen unter diese Aussage; mutige Menschen in unserem Lande, die sich gegen Rowdies aller Art stellen, um Menschen jeden Alters und jeder Herkunft zu schützen (und dabei hat es Tote gegeben) fallen unter diese Aussage; ja Jesus selbst hat ja wohl durch seine Kreuzigung genau diese Aussage des Johannes begründet – „religiös überhöht? Sehr interessant!
    „Gott begegnet uns nicht als Feind sondern als Freund“ sagen Sie so schön in Ihrer Predigt. Und was leiten Sie daraus ab bezüglich des Friedens in Freiheit in unserer Realwelt – nichts!
    „Gott befreit uns von der Sorge nur um uns selbst“ – meinen Sie, versäumen aber zu erklären, wie diese Erkenntnis dem Frieden in Freiheit in der Welt dient, in der es verschiedene Götter gibt, die offensichtlich durchaus zu unterschiedlichen Sichten aufrufen!
    „Mit Jesus schlägt Gott eine Brücke über alle Gegensätze“ predigen Sie uns – um dann davon zu sprechen, was wir nicht machen sollten und „neue Entwürfe“ zu fordern, die Sie aber anderen – der Jugend – überlassen. Schauen Sie sich die Gedenkveranstaltung des Bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nochmal an: Da war die Jugend eingebunden und hat mehr über den Frieden gelernt und dazu beigetragen, als es diese Ihre politische Predigt je vermag.
    Der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft. Das ist wohl leider so und deshalb ist eben die irdische Vernunft noch nicht so weit, daß sie alte und richtige Erkenntnisse wie „si vis pacem para bellum“ über Bord werfen sollte, auch wenn Sie sie eher verantwortungslos verwerfen.
    Wir sind uns einig:
    – Gauland instrumentalisiert die Geschichte in unehrlich-polemischer und auch gefährlicher Weise und seine Partei verfehlt weit unser demokratisches Ideal. Nur: Das tun Sie auch.
    – Europa ist ein wichtiges Ziel und unsere einzige Chance. Nur: Auch in einem geeinten Europa werden wir das Problem der Grenzsicherung haben; auch in Europa können wir nur Frieden schaffen, innen wie außen, wenn wir ALLE dieses Ziel haben und nicht den Selbstbedienungsladen im Vordergrund sehen – und dieses machen Niederländer wie Ungarn, Italiener wie Polen, Katalanen wie Briten, auch wir Deutsche, etc.
    – Friedens- und Versöhnungspolitik muß gestärkt und „politisch überhöht“ werden – Nur: Eine solche Politik wird nur erfolgreich sein, wenn sie – ohne das Instrument zu „überhöhen“ – von einer starken und glaubwürdigen Streitkräftekomponente untermauert wird. Daß der Friede der „Ernstfall“ ist, bestreitet niemand (weswegen die Aussage banal ist) – wie man den Ernstfall politisch umsetzt und erreicht, das ist die Herausforderung. Und eine politische Predigt ist das falsche Mittel.
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Wo soll man anfangen, wo aufhören? Lassen wir einmal die üblichen Etiketten beiseite – zwei Dinge bleiben:
      1. Wir sind uns in ein paar Punkten einig. Wie schön. Aber wenn jemand die fundamentalen Aussagen von Gustav Heinemann als „gelegentliche Banalität“ bezeichnet, wird es schwierig. Denn Heinemann hat mit seiner damaligen Rede die Prioritäten verändert: Frieden stiften und erhalten hat unbedingten Vorrang vor dem Krieg. Das war 25 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und in einer Phase, als die Alt-Nazis wieder aus ihren Löchern krochen, von grundlegender Bedeutung und fand seine Entsprechung in der Friedens- und Ostpolitik von Willy Brandt.
      2. Was Sie zur Predigt und insbesondere zu Johannes 15,13 äußern, geht völlig an der Sache vorbei. Vor 100 Jahren waren in Deutschland Theologie und Kirche bestimmt von einer religiös-ideologischen Verherrlichung des Krieges – ein ganz dunkles Kapitel. Diese Verherrlichung hatte ihren Grund darin, dass Theologie und Kirche in einem Maße politisch, d.h. deutsch-nationalistisch, ausgerichtet war, dass man da nur erschaudern kann. Es ist ja genau umgekehrt, lieber Herr Schwerdtfeger, wie Sie denken: nicht ich politisiere von der Kanzel, sondern ich zeige auf, wie vor 100 Jahren die politische Meinung Vorrang hatte vor der biblischen Vernunft. Das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium wurde eben nur auf deutsche Soldaten bezogen.
      Woher Sie nehmen, dass mich die Politisierung der Religion im Islam nicht interessiert, bleibt Ihr Geheimnis. Aber das gleiche gilt auch für Ihren inzwischen ziemlich abgedroschenen Vorwurf, ich sei intolerant, weil ich meine Meinung sage. Nein, intolerant wäre es, wenn ich jede Debatte verweigern würde bzw. dafür eintreten würde, dass bestimmte Meinungen nicht zum Ausdruck gebracht werden dürfen. Irgendwann werden Sie das hoffentlich verstehen.
      Bleibt am Schluss das, was ich in der Predigt anspreche und worauf Sie leider nicht eingehen: Woher nehmen all diejenigen, die sich auch heute für kriegerische Auseinandersetzungen aussprechen, die wie selbstverständlich vorgetragene Überzeugung, dazu gebe es keine Alternative, und der Weg der nicht-militärischen Konfliktlösung sei irreal? Im Vergleich zu der immensen Verschwendung von natürlichen Ressourcen und der Zerstörung von Mensch, Natur, Infrastruktur, die kriegerische Auseinandersetzungen auch in ihrer Vorbereitung hinterlassen, gebietet es die Vernunft, nach Alternativen zu suchen.
      Beste Grüße Ihr Christian Wolff

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