Es war seit Monaten zu erwarten, besser: zu befürchten, dass die Trump-Administration aus den sog. INF-Verträgen (Intermediate Range Nuclear Forces, zu Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme) von 1987 aussteigen wird. Die Regierung der Vereinigten Staaten vollzieht den Schritt aber nicht, um unter veränderten weltpolitischen Bedingungen eine verlässlichere Abrüstung und die Verringerung atomarer Waffen zu erreichen. Ihr vorrangiges Ziel ist es, die Rüstungsproduktion im eigenen Land aber auch weltweit anzuheizen. Darum kann der Hinweis darauf, dass Russland seit Jahren gegen die INF-Verträge verstoße, als eine der für Trumps Politik konstitutiv gewordenen Lügen betrachtet werden. Trumps Hauptaugenmerk liegt darauf, einen Rüstungs“deal“ nach dem anderen abschließen zu können, von denen die amerikanische Rüstungsindustrie „at first“ profitieren kann. Eigentlich sollte man erwarten können, dass diese gefährliche Politik in Europa durchschaut wird und entsprechende Strategien entwickelt werden, um die Stationierung neuer atomarer Waffen zu verhindern. Leider muss man aber zu dem Eindruck gelangen, dass die EU nicht nur unentschlossen, sondern vor allem uneinig auf die Politik Trumps reagiert. Während Außenminister Heiko Maas (SPD) eine große Abrüstungskonferenz anberaumen will, um dem atomaren Wettrüsten zu begegnen, biedert sich der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz Trump geradezu an: „Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass amerikanische Truppen und Atomraketen auf dem Kontinent stationiert sind.“
Was sich in diesen Tagen rächt: Nach der Friedlichen Revolution 1989/90, nach dem ohne kriegerische Handlungen vollzogenen Zusammenbruch des Warschauer Paktes, wurden und werden viele Kriege geführt (Balkan, Naher Osten, Afghanistan, Ukraine). Man musste beim 1. und 2. Golfkrieg den Eindruck gewinnen, dass mit diesen Waffengängen vor allem das ideologische Ziel verfolgt wurde, das „Missverständnis“ der Friedensbewegung in Ost und West zu „entlarven“- nach dem Motto: Glaubt nur ja nicht, dass in dieser Welt unter Verzicht auf militärische Mittel friedliche Entwicklungen eingeleitet werden können. So hat es keine ernsthaften politischen Bestrebungen gegeben, unter den 1989/90 geschaffenen Bedingungen weltweit die Abrüstung entschlossen voranzutreiben und damit auch die Rüstungsproduktion und den Rüstungsexport zurückzufahren. Selbst das Iran-Atomabkommen (Joint Comprehensive Plan of Action) von 2015 konnte von Trump mit einem Federstrich aufgekündigt werden, ohne dass dem auf europäischer Ebene wirksam begegnet wurde. Es ist keine politische Kraft auf europäischer und leider auch auf deutscher Seite unterwegs, die die grundlegenden Ansätze der Friedens- und Ostpolitik eines Egon Bahr und Willy Brandt im Blick auf den Nahen Osten, den afrikanischen Kontinent und natürlich auch Russland und China weiterentwickelt. Wieder einmal sind wir in der Situation, dass das Thema nicht-militärischer Konfliktlösungsstrategien von der politischen Tagesordnung mehr oder weniger verschwunden ist. Stattdessen wird wie selbstverständlich ein Aufrüstungsprogramm nach dem anderen auf den Weg gebracht und als unvermeidlich kommuniziert. Noch immer wirkt der Paradigmenwechsel nach, den Bundespräsident Joachim Gauck, damals in Absprache mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 vollzogen hat (siehe auch: http://wolff-christian.de/die-debatte-muss-sein-zur-rede-von-bundespraesident-gauck/). Da mahnte er an, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen müsse, was weitgehend so verstanden wurde: Deutschland wird sich noch öfter an militärischen Einsätzen (und entsprechenden Aufrüstungsprogrammen) weltweit beteiligen. Die Frage der Abrüstung und einer strategisch angelegten Friedenspolitik spielte aber nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr hat man den Eindruck: Die Kriege in Syrien, Afghanistan, Ukraine werden politisch hingenommen, ohne dass sie politische Friedensimpulse provozieren.
Wie gesagt: Dieser Mangel an einer entschlossenen Abrüstungs- und Friedenspolitik rächt sich jetzt. Und das in einer Zeit, in der sich immer deutlicher abzeichnet, welch militaristische Brandbeschleuniger in der Politik rechtsnationalistischer Regierungen wie der Trump-Administration liegt. Denn Nationalismus, der sich in Abgrenzung zu allen anderen Ländern definiert, produziert wesensmäßig Kriegsbereitschaft. Genau das zeigt sich auf höchst gefährlich Weise auch in Europa. Es ist völlig klar: Alle Länder, die sich jetzt darin einig sind, internationale Verträge zu kündigen oder politische Bündnisse wie die EU zu zerstören, sind morgen potentielle Kriegsgegner. Denn Konflikte lassen sich auf friedliche Weise nur im Rahmen multilateraler Beziehungen lösen, nicht aber unter sich abgrenzenden Nationalstaaten. Dafür steht bis heute die europäische Einigung. Was also ist zu tun? Es liegt vor allem an Deutschland, endlich das europäische Friedensprojekt als Grundlage für eine entschlossene Abrüstungsinitiative zu nutzen. Auf politischer Seite ist die SPD gefordert. Sie sollte sich zum Vorreiter einer neuen, europäisch ausgerichteten Friedenspolitik machen. Sie bedarf – wie vor über 50 Jahren – dringend einer Leitidee. Es muss doch in der Sozialdemokratie die politischen Potenzen geben, die in der Lage sind, solche Leitideen zu entwickeln und damit auf einem wichtigen politischen Feld die Meinungsführerschaft zu erlangen. Die Zeit drängt.
P.S. In Vorbereitung des Gottesdienstes am kommenden Sonntag in Markkleeberg habe ich gerade eine Predigt von Karl Barth über die Stillung des Seesturms (Matthäus 8,23-26) vom 13. September 1914, also wenige Wochen nach Beginn des 1. Weltkrieges, gelesen: „Und was den Krieg heute besonders unerträglich macht, das ist der Gegensatz, in dem dieses gründlich überlegte Vernichten und Töten steht zu der Stufe von Civilisation, die die europäischen Völker wenigstens äußerlich heute erreicht haben … Das soll Beides die europäische Menschheit sein? … die Blüte des geistigen und materiellen Fortschritts und eine Bande von Raubtieren, die sich um einer Wahnidee von Rasse und Macht willen gegenseitig anfällt und umbringt? Muß dieser fürchterliche Widerspruch Einen nicht irremachen an Allem, was die Menschen seit Jahrhunderten geglaubt und geleistet haben?“ (Karl Barth, Predigten 1914, Gesamtausgabe Band 5, Zürich 1974, S. 471ff) Als Christen ist es unsere Aufgabe, dieses „Irremachen“ in einer entschlossenen Friedenspolitik produktiv werden zu lassen.
31 Antworten
Ja, richtig, Herr Wolff, den Knigge hatte ich in Ihrem Ausrede- und Vermeidungskatalog noch vergessen.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Christian – genau diese Sprache, die ja immerhin eine innere Verfassung offenbart und weit entfernt sein dürfte von Respekt im Umgang mit einander, verbietet es per se, darauf einzugehen. Da sind die kenntnisreichen und souverän vorgetragenen Beiträge auch von Herrn Lerchner äußerst wohltuend. Und dass sich der AS richtig heftig auf den Sprachunbeherrscher und Dialogverweigerer eingeschossen hat und dies mit allergrößter Lustbarkeit und Frustbezeugung seiner selbst zeigt doch wieder einmal auf, dass ein Militär eben ein Feindbild braucht.
Adieu – Dein Jo
Kleiner Hinweis zum INF-Problem: http://www.russlandkontrovers.com/inf-kuendigung-ende-einer-europaeischen-illusion. Gruß, J. Lerchner
„Trumps Hauptaugenmerk liegt darauf, einen Rüstungs“deal“ nach dem anderen abschließen zu können, von denen die amerikanische Rüstungsindustrie „at first“ profitieren kann. Eigentlich sollte man erwarten können, dass diese gefährliche Politik in Europa durchschaut wird und entsprechende Strategien entwickelt werden, um die Stationierung neuer atomarer Waffen zu verhindern“
„Wir haben nicht vor, Atomraketen nach Europa zu bringen“ so die NATO-Botschafterin der USA Kay Bailey Hutchison im „Tagesspiegel“ am 5. 2. 19 – https://www.tagesspiegel.de/politik/nato-botschafterin-der-usa-wir-haben-nicht-vor-atomraketen-nach-europa-zu-bringen/23951556.html
1. sind die schon längst da und 2. besteht das Rüstungsgeschäft nicht nur aus Atomraketen.
Ja, richtig, Herr Wolff, den Knigge hatte ich in Ihrem Ausrede- und Vermeidungskatalog noch vergessen.
Andreas Schwerdtfeger
Vielleicht glaubt’s Wolff Ihnen, lieber Herr Lerchner, den er ja so gelobt hat, lieber als mir. Es stehen sich auf dieser Plattform in der Tat Leute gegenüber, die versuchen, sachlich und mit Kenntnis Lösungen für Probleme zu finden oder wenigstens diese erstmal sine ira et studio zu analysieren, und solche, die schwadronieren, zu Diskussionen auffordern, denen sie aber selbst nicht den Mut haben sich zu stellen und – im Einzelfall – auch noch nicht mal die Sprache beherrschen, in der sie diesen „Dialog“ führen (siehe die ganzen Fehler in jedem Beitrag).
Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Vielleicht reicht es ja auch festzustellen, dass auf dieser Plattform unterschiedliche Positionen zu Wort kommen und debattiert werden. Es ist sehr ermüdend, wenn diejenigen, die immer die „Rationalität“ für sich reklamieren, mit viel moralisierenden, kniggehaften Klischees arbeiten. Christian Wolff
EINE Ergänzung noch, lieber Herr Lerchner, die ich eben vergessen habe, die mir aber sehr wichtig ist:
Ihr Vorschlag einer Freihandelszone zwischen der EU und (im wesentlichen) Russland ist völlig richtig. Aber was macht die EU stattdessen? Eine Sanktionspolitik, die vorhersehbar unwirksam ist und bleiben wird. Hätte die EU schon VOR der Krimannexion Rußland in seine Verhandlungen mit der Ukraine mit einbezogen und derartige Vorschläge gemacht, anstatt eine Politik der einseitigen Einmischung in die konfliktträchtige ukrainische Innenpolitik durch unsinnige außen- und wirtschaftspolitische Angebote zu machen – wer weiß, wie die europäische Welt heute aussähe. Aber wir haben die Moral und Ideologie über die Realität gestellt.
Da zB lobe ich mir doch Herrn Bahr, der kurz vor seinem Tode gesagt hat, er hätte bei den Verhandlungen zu den Ostverträgen gewußt, daß er mit Diktatoren (zB Breschnew) verhandelte – aber es sei nicht um Moral sondern um Politik gegangen, die den Menschen nützt. Ja, das war noch was!
Gruß, A.S.
Zu diesen Zeiten wurde Egon Bahr als „fünfte Kolonne Moskaus“ diffamiert – eben weil er eine Politik entworfen hat, die tief gegründet war in moralischen Überzeugungen. Christian Wolff
Das mag so sein. Problematisch ist aber eine „werteorientierte“ Politik, wie sie besonders von einigen Grünen propagiert wird. Dazu Egon Bahr: „Wenn ein Politiker anfängt, über Werte zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.“ Beste Grüße, J. Lerchner
Nein, Herr AS – kommen doch SIE nach Sachsen, d.h. zu uns Leipzig oder Dresden, organisieren Sie ein inhaltlich konstruktives Forum, laden Sie all diejenigen ein, die sich gern mit Ihnen face-à-face zu den insbesondere von den Herren Lerchner und Wolff in Rede gebrachten, politischen Gegenwartsproblemen (Auf-/Abrüstung, Klima, Wirtschaft, Demokratie, Kirche in der Demokratie, Humanität, Dialogkultur, Anstand, Würde und Fairness) auseinandersetzen könnten. Und ich würde dazu selbstverständlich mein Sabbatjahr ein weiteres Mal unterbrechen – ob Sie das gut finden oder nicht, interessiert mich nicht! Sie kennen ja vermutlich Leipzig ganz gut – also legen Sie Ihren Stift beiseite und üben Sie sich in der öffentlichen REDE. Jo.Flade.
Ach so – noch ein PS zum Thema: Aufkündigung des INF-Vertrages durch Russland und den USA. Da gibt es in der aktuellen DIE ZEIT einen bemerkenswerten Beitrag von Matthias Nass: „Im toten Winkel“, der des weiteren vom klug schreibenden Jochen Bittner in der selbigen Ausgabe (07.02.19) mit dem Titel: „Die USA gegen Russland – und alle gegen alle“ ausführlicher komplettiert wird. Damit werden die problematischen Tatsachen aus meiner Sicht richtig kommentiert und bewertet! Guten Tag.
Bemerkenswert die Schlussfolgerungen von Matthias Naß im zitierten ZEIT-Artikel:
„Die Europäer spielen bei alldem nur eine Nebenrolle. Was sie tun können, um überhaupt Gehör zu finden? Sie müssen ihre – konventionelle – Verteidigungsfähigkeit stärken, um gegenüber Washington und Moskau glaubwürdig zu sein. Sie müssen den Zusammenhalt der Nato verteidigen, die Putin so gern spalten würde und deren Nutzen Trump nicht begreift.“
Die Spaltung der NATO ist das politische Ziel der Russen – und mit Trump haben sie den kongenialen Partner dafür. Europa wird von beiden nicht mehr ernst genommen.
Lieber Herr Lerchner,
es ist eine Freude, Ihre Erwiderung zu lesen – eine Erwiderung, die Herr Wolff zu Recht lobt (man hätte sie sich von ihm gewünscht, zumindestens in Ansätzen); eine Erwiderung auch, die das Sabbatjahr des Herrn Flade schon nach drei Wochen beendet, was eher schade ist. Er will mit mir face-à-face diskutieren – es ist IHR Interesse, Sie sind also willkommen im Rheinland, Herr Flade!
Ich kann eigentlich zwischen dem, was Sie antworten, lieber Herr Lerchner, und dem, was ich geschrieben habe, Unterschiede nur in Nuancen erkennen:
– Die Brandt’sche Ostpolitik kritisiere ich nicht und ich schätze sie auch nicht gering (was ja nicht unbedingt Zustimmung in allen Teilen erfordert und eines steht fest: Brandts Kniefall in Warschau war eine der beeindruckensten politischen Gesten, die ich erlebt habe). Ich glaube wie Sie und Herr Wolff, daß Brandts Ostpolitik ein wichtiger Schritt in der Stabilisierung der deutschen und europäischen Welt gewesen ist. Mein Argument geht aber dahin, daß Brandt sie nur aus der Sicherheit der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands heraus, d.h. mit einem die Unantastbarkeit (West-)Deutschlands garantierenden Militärpotentials im Hintergrund einleiten und durchführen konnte – ebenso übrigens, wie ja die deutsche Wiedervereinigung nur auf der Basis des sie stützenden Militärpotentials der NATO möglich war.
– Und dieses Argument ist deshalb wichtig, weil es dem nüchternen Politikbeobachter oder auch Politikgestalter aufzeigt, daß militärische Potentiale notwendig sind, um Politik machen zu können; daß sie Voraussetzung dafür sind, bei internationalen Krisen vermittelnd, stabilisierend, vielleicht auch entscheidend eingreifen zu können. Wer also europäische Friedenspolitik in Räumen außerhalb Europas, zB dem Nahen / Mittleren Osten fordert, der muß wissen, daß dies nur möglich ist auf der Basis einer projizierbaren militärischen Macht Europas.
– Was wiederum überhaupt nicht heißt, daß dieses Potential auch eingesetzt werden muß. Politische Lösungen basieren immer auf einem Mix von methodischen Ansätzen und Fähigkeiten – der Diplomatie, der Wirtschaft, der Kultur, vielleicht auch der „Überredung“ durch Schaffung von Anreizen, aber eben auch der schlichten Macht, die sich in Streitkräften und ihrer angemessenen Bewaffnung ausdrückt. Daß diese Macht der besonderen Zurückhaltung und der besonderen Kontrolle unterliegen muß, ist richtig und klar, aber das heißt eben nicht, daß man auf sie verzichten kann. Was übrigens umgekehrt auch heißt, daß die notwendige Existenz von Streitkräften in der Tat das Problem von „unpolitischen interessengeleiteten Gefahren“ in Form von militärisch-industriellen Komplexen auslöst, die man schwer definieren kann und deren Kontrolle und Eindämmung deshalb so schwierig ist.
– Insofern ist mein „Streit“ mit Herrn Wolff ja nicht mit einzelnen Lösungsansätzen befaßt – ich wünschte mir ja eben, daß er die seinen mal darlegen würde über ein paar Schlagworte hinaus, was er ja verweigert. Er geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, ob die – vielleicht bedauernswerte – Notwendigkeit von Streitkäften als EINE Basis für wirksame Politikfähigkeit anerkannt wird oder nicht.
– Was nun ausländische Einmischungen in lokale Konflikte angeht, so bestreite ich ja nicht, daß jeder Krieg seine Basis in vielen Ursachen hat, zu denen auch „ausländische Interessen“ (geostrategisch, wirtschaftlich, ideologisch, etc) gehören. Eine grössere Zurückhaltung der USA, der NATO (seit der Wende), auch von amerikanischen Koalitionen der Willigen in einigen Fällen hätte ich mir auch gewünscht. Aber hier sind ja eben zwei Probleme entstanden, die die Freiheit der Politiker stark einschränken: Erstens die Selbstblockade der UNO seit einigen Jahren (Jahrzehnten?), die der Westen durch den Versuch der Isolierung Putins aus moralischen Gründen selbst mitverschuldet hat – ein Fehler nach meiner Überzeugung. Zweitens der fehlgeleitete Aktionismus der Öffentlichkeit in Form von Medien, NGOs, Demonstranten und vielerlei anderer, die grundsätzlich sofort verlangen, es müsse gehandelt werden, ohne zu berücksichtigen, daß eine solche Handlung (die sie ja allesamt nie definieren und damit wie Herr Wolff nur fordern aber nicht helfen) IMMER das Handeln ins Ungewisse ist und nur eines gewiss ist: Daß nämlich eine solche „Einmischung“ sehr zeit- und mittelaufwendig ist, wenn sie nicht nur die Folgen (Flüchtlingsbetreuung) bewältigen sondern die Ursachen (den Konflikt selbst) schlichten soll. Jedenfalls sind gerade die Konflikte im Nahen / Mittleren Osten bei weitem zu kompliziert, um sie sozusagen ausschließlich auf amerikanische Ölinteressen zu reduzieren. Und auch ich halte eine Intervention (egal wie) im jetzigen inner-venezuelanischen Konflikt für ein großes Problem (wobei die EU ja genau das gemacht hat), aber es wäre doch trotzdem interessant – und ist jedenfalls legitim – von Herrn Wolff mal VORHER eine konkrete Auslegung seiner Friedenspolitik zu hören anstat nur NACHHER zu erfahren, daß er schon immer wußte, wie’s nicht geht und gleich den Schuldigen ausmacht.
– Ihren Vorschlägen – „Rückzug von NATO-Truppen aus den baltischen Staaten, wenn gleichzeitig Truppen aus den westlichen Militärbezirken Russlands und Kaliningrad ins Landesinnere zurückgezogen werden. Deaktivierung der Raketenbasen in Polen und Rumänien. Errichtung einer demilitarisierten Pufferzone im Westen Russlands und im Osten der Ukraine. Erklärung der Krim zum Mandatsgebiet der UNO. A-KSE-Vertrag wird wieder zum Leben erweckt. Freihandelsvertrag zwischen EU und Eurasischer Zollunion“ – könnte ich zumindest teilweise zustimmen, wobei ja zB beim AKSE-Vertrag es nicht um „wieder“ geht – vielmehr hat der Westen die Ratifizierung abgelehnt und damit ein berechtigtes russisches Interesse aus Übermut ignoriert. Die Truppenentflechtung entlang der neuen innereuropäischen Konfliktgrenze zwischen Königsberg und dem Schwarzen Meer wäre ein guter Verhandlungsansatz, aber sie setzt Vertrauen voraus, das man nicht mit Beleidigungen gegenüber Putin schafft, auch wenn es dafür möglicherweise Anlaß gibt. Die von Ihnen vorgeschlagene Krim-Lösung wird sich Rußland nicht abtrotzen lassen – sie bleibt aber ein interessanter Ansatz.
– Und zum Schluß: Gerne kann man an die Lösung der heutigen Probleme mit dem Ansatz Brandts herangehen. Und dieser war: Auf der Basis absoluter und militärisch abgesicherter Stärke Friedensangebote unter Aufgabe bisheriger eigener Positionen zur Fortentwicklung der Politik im EIGENEN Lande zu machen. Das ist in ersterer Hinsicht – militärische Stärke – richtig und möglich gewesen. Bezüglich der Befriedung von Konflikten AUSSERHALB des eigenen Landes lehrt das Beispiel eher wenig – Brandts spätere Rolle als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission hat letztlich gezeigt, daß weder die durch den Nobelpreis geadelte Persönlichkeit Brandts noch sein sicher aufrichtiges Bemühen sehr viel bewirkt haben – und wenn doch, dann eben nur über viele Jahrzehnte hinweg und sehr minimal, was wieder beweist, daß die Forderungen von Öffentlichkeit und NGOs zur Problemlösung SOFORT unsinnig sind.
Ich bin wahrscheinlich nicht auf alles eingegangen, was Sie, lieber Herr Lerchner geschrieben haben – verzeihen Sie. Aber auch so gibt es genug sachliche Übereinstimmung und sachliche Kontroverse – und so führt man wohl den demokratischen Diskurs. Ich freue mich also auf ein ähnliches Lob von Herrn Wolff!
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Ich sitze hier und kann nicht anders (nach all den mehr / Lerchner + Wolff und weniger / a priori AS (unsäglich diese pathologische Aggression) lesbaren Beiträgen zu Krieg und Frieden…) und ich zitiere gern:
„Was immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken – von dem Kakao – durch den man euch zieht – auch noch zu trinken“ Erich Kästner. Und ich wiederhole ein weiteres Mal: Dialog lebt von Anstand und Respekt. Was da von der einen Person immer und immer wieder den anderen zugemutet wird es zu lesen, ist von diesen elementarsten Regeln des menschlichen Miteinanders meilenweit entfernt. Und ich bleibe dabei: der betreffende kneift – er verweigert den persönlichen Diskurs. Und genau da liegt das Problem gegenwärtig geübter Debatten-Unkultur im Internet. Mit dieser Unart des brachialen Gegeneinander, wo dringend das Miteinander nötig und zwingend wäre, um Probleme fair untereinander wenigstens ansatzweise lösen zu helfen, wird ausgeteilt, um Eitelkeiten zu zelebrieren. Lerchner und Wolff – weiter mit dieser Sprachkultur und Adieu via Leipzig – Jo.Flade
Lieber Herr Schwertfeger,
es freut mich, nach längerer Zeit wieder mal einen geeigneten Anlass für Streit mit Ihnen zu haben. Ihr ständig betontes Anliegen, Forderungen nach einer europäischen Friedenspolitik mit konkreten Vorschlägen unterlegt zu sehen, unterstütze ich selbstverständlich. Dazu am Schluss mehr. Auch bin ich von Ihrer Einschätzung des INF-Problems nicht allzu weit entfernt. Die Russen fühlen sich durch den Vertrag zunehmend benachteiligt, weil sie mit ihren eingeschränkten Dislozierungsmöglichkeiten (legitimer) maritim gestützter Mittelstreckenwaffen den Tomahawks von „Aegis Ashore“ wenig Paroli bieten können, und die Amerikaner wollen freie Hand haben gegenüber China. Die Historie des Zusammenbruchs von INF ist allerdings nicht so simpel, wie es Herr Plätzsch hier darstellt und tagtäglich in den meisten deutschen Gazetten verbreitet wird. Ohne die einseitige Kündigung des ABM-Vertrags 2001 durch G. W. Bush und den Streit um das US-amerikanische Raketenabwehrsystem in Polen und Rumänien wäre es möglicherweise nicht zur Entwicklung von Iskander-Systemen und deren Stationierung z. B. in Kaliningrad gekommen. Das scheinbare Einlenken Obamas 2009 hatte dann ja auch prompt zu einem zeitweiligen Rückzug dieser Waffen durch die Russen geführt. Jetzt haben wir aber die amerikanischen Raketen in Rumänen und demnächst in Polen und eben auch Iskander und deren Weiterentwicklungen.
Allerdings ausgesprochen unbefriedigend und unterkomplex finde ich Ihre Anmerkungen zu den in der Debatte angesprochenen Kriegen. Statt danach zu fragen, wodurch diese ausgelöst oder provoziert wurden, sollte eher gefragt werden, warum sie geführt werden. Im Falle Syriens wissen wir Dank Snowden, Hersh und anderen ziemlich genau, dass der Aufstand erheblicher Teile der Bevölkerung während des „arabischen Frühlings“ benutzt wurden, um einen Stellvertreterkrieg vom Zaun zu brechen und geostrategische Interessen zu befriedigen. In anderen Fällen fehlen uns diese Informationen. Generell liegt meist der Verdacht nahe, dass bei vorgeblich humanitär motivierten militärischen Interventionen die Interessen der Invasoren dominieren. Sie haben es mit Venezuela. Ja, die Welt schaut z. Z. auf dieses Land und viele befürchten ein militärisches Eingreifen der USA. Zweifellos wurde das Land durch das herrschende Regime wirtschaftlich heruntergewirtschaftet. Die humanitäre Katastrophe wird zusätzlich durch amerikanische Wirtschaftssanktionen verschärft. Aber rechtfertigen die von Guaidó beklagten 600 politischen Gefangenen eine gewaltsame Einmischung von Außen? Über Genozid, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen, von der UN-Charta akzeptierte Gründe für humanitäre Interventionen, wurde nicht berichtet. Im befreundeten Ägypten sind 60 Tausend Personen aus politischen Gründen eingekerkert, im Verhältnis zur Bevölkerung 30x mehr als in Venezuela. Von entsprechenden westlchen Interventionsplänen hat die Welt noch nichts gehört. Interessenlage ist eben eine andere. Sicherheitsberater Bolton hat es unlängst im TV-Kanal „FoxBusiness“ verraten: „Für die USA wäre es von großem Vorteil, wenn US-Ölkonzerne in Venezuela investieren und produzieren könnten.“ Ägypten ist auch nach dem Militärputsch von 2013 ein verlässlicher, milliardenschwerer Importeur westlicher Waffensysteme. Die USA sind sicherlich die letzten, denen man die Rolle eines vertrauenswürdigen Hüters der Demokratie in dieser Welt abnimmt. Ihre Einschätzung, wir verdanken Kriege hauptsächlich irgendwelchen Despoten oder pazifistischen Traumtänzern, liegt sicherlich ziemlich daneben.
Kritisieren möchte ich aber vor allem Ihre Geringschätzung der Brandt’schen Ostpolitik. Herrn Wolff kann ich nur zustimmen, dass diese auch heute noch Richtschnur für eine sinnvolle Friedenspolitik sein sollte. Viele haben anscheinend vergessen, dass man sich damals durchgerungen hatte, trotz vehementer Ablehnung der gegnerischen Gesellschaftssysteme, die Sicherheitsbedürfnisse der Gegenseite wahrzunehmen und diese auch zu berücksichtigen. Das geschah in der Erkenntnis, dass das aufgebaute „Gleichgewicht des Schreckens“ eben nicht extrem stabilisierend und die Gefahr des gemeinsamen Untergangs ständig präsent war. Man erinnert sich an den Fall des Sowjet-Oberst Petrow von 1983, der wider der Dienstvorschrift den sowjetischen Gegenschlag auf ein vom russischen Frühwarnsystem fälschlicherweise erkannten US-amerikanischen Raketenangriff unterbunden hat. Spätestens seit dieser Zeit war auch klar, dass absolute Sicherheit nur auf Kosten der Sicherheit des Gegners möglich ist und Entspannungspolitik konterkariert. Deswegen z. B. der ABM-Vertrag, der beiden Seiten die Zweitschlagfähigkeit beließ.
Davon will heute keiner mehr etwas wissen. Nach dem überwältigenden Sieg im kalten Krieg brauchte man ja auf Russland keine Rücksicht mehr zu nehmen. Militär und Wirtschaft lagen am Boden. Atom-U-Bote verrotteten im Nordmeer, die Chicago-Boys ruinierten die russische Wirtschaft, außenpolitisch wurde der Geländegewinn durch schnelle Ostausdehnung der NATO gesichert, ein Comeback der Kommunisten in Moskau durch massive Einmischung in die Präsidentschaftswahlen verhindert und Restbestände sowjetischen Einflusses z. B. im Nahen Osten durch diverse Kriege beseitigt. Letzteres hat bekanntlich nicht vollständig funktioniert. Das Zeitalter einer unipolaren Welt unter der Hegemonie der USA schien auf Jahrzehnte gesichert. Bis dann eben Putin an die Macht kam, Russland aus dem Jammertal herausführte und begann, russische Interessen wieder in der Welt durchzusetzen.
Ob es den USA schmeckt oder nicht, an der zunehmenden Entwicklung einer multipolaren Welt geht kein Weg vorbei, zumal mit China ein wirtschaftlich überaus potenter Mitspieler die Bühne betreten hat. Mit den Interessen der Gegner ist wieder zu rechnen. Dazu, wie sich das in einer vernünftigen Sicherheitspolitik niederschlagen könnte, gibt es Vorschläge, insbesondere bezüglich Europa: Auf eine NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien wird verzichtet. Russland beendet seine Interventionen in Transnistrien, Abchasien, Südossietien und dem Donbass. Rückzug von NATO-Truppen aus den baltischen Staaten, wenn gleichzeitig Truppen aus den westlichen Militärbezirken Russlands und Kaliningrad ins Landesinnere zurückgezogen werden. Deaktivierung der Raketenbasen in Polen und Rumänien. Errichtung einer demilitarisierten Pufferzone im Westen Russlands und im Osten der Ukraine. Erklärung der Krim zum Mandatsgebiet der UNO. A-KSE-Vertrag wird wieder zum Leben erweckt. Freihandelsvertrag zwischen EU und Eurasischer Zollunion.
Sicherlich fällt es dem Westen schwer, die neuen Realitäten anzuerkennen. Manche mögen auch die Hoffnung haben, Russland totrüsten zu können oder durch Infiltration („Stärkung der demokratischen Kräfte im Lande“) zu destabilisieren. Abgesehen davon, dass das zynisch ist und das Leid großer Teile der Bevölkerung nach sich ziehen würde, mit Erfolg wird kaum zu rechnen sein (s. Nordkorea). Man sollte also doch lieber an die Dinge herangehen wie zu Zeiten Willy Brandts und Egon Bahrs.
Herzliche Grüße,
Johannes Lerchner
Vielen Dank für diese von großer Sachkenntnis geprägte Erwiderung. Christian Wolff
In der heutigen FAZ hat der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik, Prof. Joachim Krause – https://www.ispk.uni-kiel.de/de/team/geschaeftsfuehrung/krause – dargelegt, dass der INF-Vertrag eine Illusion für Sicherheit darstellt. Ende der 80er Jahre wollte man Gorbatschow testen, ob er wirklich eine neue Seite in den Beziehungen zum Westen aufschlagen wollte. Diese politische Funktion des Vertrags war für den Westen so wichtig, dass man über die militärischen Mängel hinwegsahh: Er gilt nicht für luft-, und seegestützte Systeme. Heute verfügt Rußland über moderne Jansen-U-Boote. Von der Nordsee oder der Nowegischen See aus können damit Marschflugkörper vom Typ Kalibr (die in geringer Höhe das Radar unterfliegen) gegen Ziele in Deutschland und Europa erst konventionell, dann nuklear punktgenau eingesetzt werden. Mit ballistischen Iskander-Raketen aus Kaliningrad wird Berlin direkt bedroht. Beide Waffensysteme unterliegen nicht dem INF-Vertrag.Putin will Gorbatschows Politik konterkarieren und den Status quo ante wiederherstellen. Das unbedingte Festhalten an dem Vertrag durch die Bundesregierung führt zu einer Spaltung der NATO, zur Isolation Deutschlands und zur Gefährdung des Friedens.Eine Lösung wäre ein Vertrag, der alle Mittelstreckenwaffen verbietet, was jedoch politisch unrealistisch ist.
Ich danke für Ihre Fürsorge, lieber Herr Wolff, und stelle fest – Gratulation! -, daß Sie unbestrittener Weltmeister im Erfinden von Ausreden sind. Wir fassen sie zusammen:
– die Aufforderung zur konkreten Äußerung wird beantwortet mit „auf Befehl antworte ich nicht“
– der zum Thema gehörende Doppelbeschluß „ist nicht Ihr Thema“
– alles, was Ihnen nicht paßt, gehört zum Komplex „Lüge ist eine der wichtigsten Waffen“
so viel alleine in diesem einen Beitrag. In früheren kommt dann noch hinzu:
– ich kritisiere ja nur,
– ich sage ja nur meine Meinung (beides jeweils ein halbes Zurückrudern und ein halbes Ausweichen).
Ihr kleiner unbedarfter Jünger hat die Vokabel „kneifen“ vor kurzem hier eingeführt und fälschlich angewandt – hier aber hat er ein gutes Beispiel für Kneifen.
Ihren blog haben Sie „Beratung für Kirche, Politik und Kultur“ genannt. Kultur kommt aber kaum, Kirche (außer Weihnachten) nur zur Verleihung eines Heiligenscheins für das vor, was Sie dann Politik nennen. Und Politik ist bei Ihnen die Verbreitung bestimmter Meinungen – Ihr legitimes Recht – , die Behauptung, diese seien dazu bestimmt, den demokratischen Diskurs zu befördern, und dann die Verweigerung dieses Diskurses mangels Sachkenntnis oder aufgrund ideologischer Festlegung.
Also nochmal: Haben Sie mal den Mut, meine Anregungen aufzunehmen und inhaltlich zu beantworten (ein Vorschlag, kein Befehl). Der demokratische Diskurs lebt nicht von der Behauptung und dann der Verweigerung – er lebt vom Dialog.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
„Wir danken dir, Herr Morgenstern,
du hast uns so geschaffen.
Wir lebten doch noch gar zu gern,
jetzt kommt der Tod uns raffen.
Doch ist es ja ein kleiner Mord,
wenn einer stirbt nur durch ein WORT
und nur durch WORTES Waffen.“
Ja, das hatten Sie ja schon zitiert, lieber Herr Wolff, und die Erkenntnis dieses Zitats ist leider nicht, daß solche Worte etwas ändern an den Realitäten dieser Welt. Allein schon, daß Sie eine Sehnsucht von vor 100 Jahren hier ausbreiten und in diesen 100 Jahren die Problematik diegleiche ist, zeigt das schon. –
Also: Dann beschreiben Sie mal konkret Ihre „entschlossene Friedenspolitik“ in politisch umsetzbaren, realen Lösungsansätzen; beschreiben Sie, wie die EU, ohne sicherheitspolitisches Schwergewicht zu sein, andere Regionen zum Frieden beeinflussen kann; beschreiben Sie, wie die biblische Botschaft ideologisch angetriebene Schurkenregime wie im Iran oder Venezuela zum Frieden führen wird – bitte realpolitisch!
Ich sage es nochmal: Träumen nützt nichts!
Und Sie träumen außenpolitisch und sind innenpolitisch intolerant (denn innenpolitisch sind Sie doch genau so aggressiv wie Sie es außenpolitisch für verderblich halten) – keine wirklich gute demokratische Mischung!
Seien Sie gegrüßt,
Andreas Schwerdtfeger
Auf Befehl, lieber Herr Schwerdtfeger, antworte ich nicht. Und da ich Ihrer Meinung nach „innenpolitisch … genau so aggressiv“ bin wie ich es außenpolitisch für verderblich halte, also mit Waffengewalt auf meinen Gegner losgehe, um diesen zu vernichten, werde ich mir tunlichst jede Silbe verkneifen, denn ich möchte ja nicht, dass Sie Schaden nehmen. Beste Grüße Christian Wolff
1. Vielleicht gilt es zunächst einmal anzuerkennen, dass sich Menschen nicht mit Krieg, ungerechte Lebensverhältnisse, Hochrüstung, Rüstungsproduktion und – Export einfach abfinden oder sich diesen unmenschlichen Irrsinn als unvermeidliche Normalität rationalisieren. Eine solche grundsätzlich moralische Position ist auch im politischen Diskurs legitim.
2. Niemals werde ich der anmaßenden Aufforderung nachkommen, als Einzelner umfassende Lösungsvorschläge für die unterschiedlichen Konfliktherde dieser Welt zu entwickeln oder vorzulegen. Ich frage mich, wie jemand dazu kommen kann, eine solche Erwartung zu formulieren. Wahrscheinlich will er sagen: Siehste, Du hast auch keine Idee. Aber darum geht es nicht. Der friedenspolitische Diskurs verfolgt ja das Ziel, dass die politischen Entscheidungsträger sowie diejenigen, die professionell mit Rüstungsexport und Entwicklung von Waffensystemen zu tun haben, in ihrer militärischen Logik gestört werden.
3. Tatsache ist, dass in den drei Jahrzehnten nach der Friedlichen Revolution und dem Ende des sog. „Kalten Krieges“ in Europa die Entwicklung von Friedens- und Entspannungspolitik vernachlässigt wurden. Auch ist die Notwendigkeit von weltweiter Abrüstung völlig in den Hintergrund geraten. Stattdessen wurde eine Krisenregion wie der Nahe Osten durch intensive Kriegführung und Aufrüstung in eine kaum beherrschbare riesige Kriegszone verwandelt, ohne auch nur ansatzweise Friedensperspektiven zu entwickeln. Das ist in erster Linie ein Desaster der europäischen und amerikanischen Politik.
4. Meine Erwartung an die politischen Parteien wie SPD, Grüne, CDU, FDP ist, dass auf europäischer Ebene eine umfassende Friedens-, Entspannungs- und Abrüstungspolitik entwickelt wird. Das bedeutet: Europa muss sich darauf besinnen, was seine politische Stärke jenseits von Rüstungsgütern jeder Art ist.
5. Ich bestreite grundsätzlich, dass dem Militär und der Rüstung eine höhere Rationalität innewohnt als dem unbedingten Vorrang nicht militärischer Politikansätze. Das Beispiel Afghanistan zeigt ja in dramatischer Weise, dass 18 Jahre Kriegseinsatz das Land und die Region in keiner Weise befriedet hat (das gleiche gilt für den Nahen Osten). Woher nehmen eigentlich diejenigen, die nach wie vor für Hochrüstung, atomare Bewaffnung, militärische Interventionen eintreten, die Gewissheit, dass dies zum Erfolg, also zum Frieden, führt?
Ich will es bei diesen Bemerkungen belassen. Sie werde ich, solange der liebe Gott mir dazu Gelegenheit gibt, immer und immer wieder in die Debatte einwerfen – und lass mich dafür gerne als „Träumer“ beschimpfen. Aber lieber träumen von den Menschen dienenden Möglichkeiten, als denen noch die moralische Rechtfertigung liefern, die millionenfach Menschen in Albträume bomben. Christian Wolff
Es ist schwer, diesen Artikel nicht als „Unsinn“ zu bezeichnen, also zitiere ich lieber Herrn Wolff in einer früheren Antwort an mich: Sie, lieber Herr Wolff, verstehen nichts von dem Sujet! Ihr Beitrag ist ein Gemisch aus Ahnungslosigkeit, unpolitischen Emotionen und einer ideologischen Geschichtssicht, die fern der Realität die Fakten so lange umbiegt oder ignoriert, bis sie in Ihr Weltbild passen.
Nun mag es einige geben, die diese Einleitung als polemisch, aggressiv oder sonstwas abtun, vor allem die unbedarften Jünger. Sie fordere ich auf, sich nach Ausdruck ihres Abscheus dann mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen.
1. Nukleare Strategien sind zu kompliziert, um sie mit billigen Vokabeln auf schwarz-weiß-Probleme zu reduzieren. Die Geschichte des Kalten Krieges zeigt zunächst, daß sie extrem stabilisierend und durch ihr Abschreckungspotential friedensfördernd wirkten.
2. Denn im Gegensatz zu der simplen Sicht unseres Pfarrers war es ja nicht die EU sondern die NATO, die über die 7 letzten Jahrzehnte den Frieden in und für Europa erhalten hat. Die EU dagegen hat viele Vorzüge auf dem Gebiet der binneneuropäischen Friedenssicherung; auf dem Gebiet der Friedenserhaltung nach außen dagegen war ihr Beitrag schon im Kalten Krieg kaum ausreichend gegen die Bedrohung – und ist es schon gar nicht mehr, seit europäische Politiker den Unsinn von der „Friedensdividende“ erfanden und sich auf dem Gebiet der Verteidigung ganz und gar von den USA abhängig machten.
3. Wer den Frieden will, muß sich gegen Aggression verteidigen können. Deshalb stellen Staaten für die Innere Sicherheit Polizeikräfte und für die äußere Streitkräfte auf. Wer diese simple Erkenntnis bestreitet, ist Traumtänzer. Vakuen – auch und insbesondere Machtvakuen – sind anziehend; Streitkräfte füllen diese Vakuen und sind also Sicherheitspolicen. Daß die Existenz von Streitkräften oder die dazu notwendige Rüstung Kriege provoziert, ist Unsinn: Kriege werden auf zwei Weisen provoziert: Durch Aggression nach innen und außen von Diktatoren – wie jetzt zB Maduro oder viele seiner Kollegen in Afrika und anderswo, die aber Herrn Wolffs Kritik nicht auf sich ziehen, weil sie ihm zu weit weg und außerdem sozialistisch sind. Oder durch Pazifismus, der von Moral schwafelt und von der immanenten Friedlichkeit des Menschen träumt (die ja schon im zivilisierten Deutschland nicht funktioniert, wenn man an die vielen Bagatellgerichtsverfahren denkt oder auch an die Rhetorik bestimmter kleiner Leute) und dabei eben die Vakuen begründet, die den Krieg auslösen.
4. Das Beispiel Brandt / Bahr für Friedenspolitik ist ein ganz fatales und falsches: Sie haben ihre Ostpolitik bekanntlich nur machen können, weil Deutschland fest in die NATO und deren Verteidigungsstrukturen eingebunden war. Wäre Deutschland damals, wie die SPD es ja jahrelang gefordert hatte, „unabhängig“ von diesem Bündnis gewesen, hätte es weder Brandt noch seine Friedenspolitik gegeben: Brandt wäre als gefährlicher Ideologe im Gulag verschwunden und die Bundesrepublik hätte einen Handschlag à la SED erlebt und wäre der „DDR“ angeschlossen worden. Es ist immerhin erstaunlich, wie Herr Wolff eine – die einzige – richtige Erkenntnis in seinem Beitrag, nämlich daß Sicherheit multilateral besser erreichbar sei, offensichtlich in seinem Brandt-Beispiel ignoriert.
5. Was nun den INF-Vertrag angeht, so war er in seiner Zeit ein Glanzstück der Diplomatie und der Rüstungskontrolle. Wie er gekündigt wurde, ist bedauernswert; daß er gekündigt wurde, ist nachvollziehbar. Sein friedenspolitischer Wert heute ist zu Recht umstritten. Daß sofort bei Populisten (zu diesen gehören die, die ideologische Propaganda machen und denen Schlagworte genügen) und Ahnungslosen (zu diesen gehört unser kleiner Außenminister) der Begriff „Wettrüsten“ zum Schlagwort wird, wundert nicht, zeigt es doch wieder, daß nicht sachlich sondern ideologisch diskutiert werden soll. Der INF-Vertrag hat eine bestimmte Kategorie landgestützter Waffen zwischen den beiden damals „dominierenden“ Polen der Welt eliminiert – das war friedensfördernd. Heute gibt es diese Waffen auch seegestützt, es gibt sie in den Händen von deutlich mehr und aggressiveren, auch unberechenbareren Ländern als den damals beiden Großen, es gibt sie vor allem auch in China – es braucht also eigentlich einen anderen Vertrag. Der Begriff des „Wettrüstens“ ist – ähnlich wie der der „Gerechtigkeit“ in der sozialpolitischen Diskussion – nur zum ausschalten des Verstandes geeignet. Strategen – und das sollten unsere Politiker sein (und jeder, der sich an das Thema wagt) – fragen nach der Bedrohung, nach Wegen dieser zu begegnen und dann nach der notwendigen hardware zur Untermauerung dieser Wege. Soft power alleine – wie Herr Wolff (vermutlich ohne den Begriff zu kennen) unterstellt – schützt nicht!
6. Und dann sind wir schliesslich noch bei der berühmten „Wende“ 1989. Der „ohne kriegerische Handlungen vollzogene Zusammenbruch des Warschauer Paktes“ war das Ergebnis einer glänzenden Kombination von diplomatischen und militärischen Initiativen – dem Helsinki-Prozess und dem NATO-Doppelbeschluß, dessen Realisierung die SPD, die Grünen, etc, fast verhindert und damit den „Zusammenbruch des WP“ verhindert hätten. Es ist eben ein grundsätzlicher Irrtum zu glauben – und auch noch zu propagieren –, daß die Existenz von Streitkräften an Konflikten schuld sei. Nur die wirtschaftliche UND militärische Fähigkeit, dem WP seine Grenzen zu zeigen, brachte den Erfolg – überspitzt formuliert: Das Wettrüsten brachte den Frieden. Wohlgemerkt: Das ging nur bilateral, in der multilateralen Welt von heute wäre das wohl kein ausschließliches Rezept.
7. Wolff spricht von „europäischen Friedensinitiativen“ oder „europäisch ausgerichteter Friedenspolitik“ (denen aber bei ihm die entscheidende Grundlage der projizierbaren Macht als Untermauerung diplomatischer Initiativen fehlt), von „strategisch angelegter Friedenspolitik“ oder „nicht-militärischen Konfliktlösungsstrategien“ (offensichtlich ohne den Begriff Strategie überhaupt begreifen zu können), von „atomarem Wettrüsten“ (ohne die Zusammenhänge zwischen abgestuften und flexiblen Reaktionen auf Krisen aller Art auch nur zu erahnen) – Schlagwortrhetorik anstatt sachlicher Beitrag – wie sollte auch jemand, dem es sein Leben lang reichte, „dagegen“ zu sein, ohne sich mit der Problematik auseinanderzusetzen, auf konstruktive Lösungsansätze kommen. Und wie sollte jemand, der das nicht tut, erkennen, daß diejenigen, die sich für starke Verteidigung (leider heißt das heutzutage auch nukleare) einsetzen, den Frieden mehr wollen und mehr für ihn tun, als diejenigen, die nur schwafeln.
8. Die von Wolff angesprochenen Kriege – Afghanistan, Syrien, Ukraine, man könnte Jemen, Sudan, etc, hinzufügen – sind alle aus Bürgerkriegen entstanden. In allen Fällen forderten die Gutmenschen dieser Welt, man müsse dringend „was“ tun. Und als man dann „was“ tat, hatten sie endlich ihren Sündenbock. Und die Kriege sind alle entstanden, weil entweder ein Diktator seine Macht über seine Grenzen hinaus ausdehnen oder innerhalb seiner Grenzen festigen wollte. Wer weiß, ob der nächste nicht Maduro ist, zu dem Wolff nichts einfällt, wo er aber hinterher amerikanische Ölinteressen als Ursache ausmachen wird.
9. Wolff schließt mit einem frommen Zitat, barmherzigkeitserregend und ach so ans Herz gehend – und auch noch so richtig! Nur: genau um dieses Töten zu beenden oder wenigstens einzugrenzen, braucht man Leute mit Überblick über die Realitäten, nicht weltfremde Ideologen. Und wenn Herr Wolff an die Macht der Bergpredigt in der Realpolitik glaubt, dann – so habe ich es schon mal vorgeschlagen – soll er mit ihr zu den Ayatollas und Maduros zum verhandeln hingehen. Der Papst hat es gemacht, geschützt durch seine diplomatische Dienststellung, und gute Propaganda für muslimische Toleranz bewirkt – wir sind gespannt auf das vorhersehbare Ergebnis: Null.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, da kann ich nur mit dem „frommen Zitat“ antworten: „Und was den Krieg heute besonders unerträglich macht, das ist der Gegensatz, in dem dieses gründlich überlegte Vernichten und Töten steht zu der Stufe von Civilisation, die die europäischen Völker wenigstens äußerlich heute erreicht haben … Das soll Beides die europäische Menschheit sein? … die Blüte des geistigen und materiellen Fortschritts und eine Bande von Raubtieren, die sich um einer Wahnidee von Rasse und Macht willen gegenseitig anfällt und umbringt? Muß dieser fürchterliche Widerspruch Einen nicht irremachen an Allem, was die Menschen seit Jahrhunderten geglaubt und geleistet haben?“ (Karl Barth, Predigten 1914, Gesamtausgabe Band 5, Zürich 1974, S. 471ff) In mehr als 100 Jahren hat sich leider an der Wirklichkeit dieses Widerspruchs wenig geändert. Ihre Ausführungen unterstreichen dies eindrucksvoll. Als Christen ist es aber unsere Aufgabe, dieses „Irremachen“ in einer entschlossenen Friedenspolitik produktiv werden zu lassen. Beste Grüße Christian Wolff
Hier Meinungen aus dem Mainstream zu zitieren (wer hat was getan) ist wohl müßig.
Dass Trump nicht den friedfertigsten Sicherheitsberater hat ist ja wohl auch bekannt.
Warum wurden Vorschläge von Rüstungskontrollexperten zu vertrauensbildenden Maßnahmen und einer diplomatischen Lösung ignoriert? Dies sind jetzt nicht mehr die brennenden Fragen, sondern was wird aus Europa?
Bei einem erneuten Rüstungswettlauf stellen sich für uns Europäer ganz neue Fragen, wobei Europa samt NATO-Bündnis einer erneuten Zerreisprobe unterzogen werden wird. Denn in Westeuropa wird eine erneute Aufrüstung mit US-Nuklearwaffen auf harten Widerstand stoßen, im Gegensatz zu Osteuropa. Alles wohl auch Konsequenzen aus „Amerika First“.
Wie Sie, lieber Herr Wolff, sagen, Sie „unterstellen“. Das erinnert mich an die Tonlage
der Auseinandersetzungen um den 12. Dezember 1979, den Nato-Doppelbeschluss:
Man unterstellte.
Lieber Herr Girbig, wir können jetzt lange darüber diskutieren, was der Nato-Doppelbeschluss tatsächlich bewirkt hat. Aber das ist derzeit nicht mein Thema. Mein „unterstellt“ ist zu verstehen als „angenommen“. Was die Russen oder die Amerikaner an atomarer Rüstung betreiben jenseits der INF-Verträge, weiß ich nicht. Ich gehe davon aus, die meisten, die jetzt über das Thema diskutieren, wissen es auch nicht. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass in Sachen Rüstung ebenso systematisch gelogen wird wie im Krieg. Denn die Lüge ist eine der wichtigsten Waffen in jeder Form von militärischer Auseinandersetzung. Das ist äußerst beunruhigend, weil es den Diskurs zersetzt und letztlich jedes Vertrauen zerstört. Ohne ein solches Vertrauen kann keine demokratisch ausgerichtete Politik betrieben werden. Das ist die große Gefahr, die gerade von Trumps Politik ausgeht. Auch deswegen muss ein neuer Anlauf in Sachen Friedens- und Abrüstungspolitik unternommen werden. Beste Grüße Christian Wolff
Alles richtig, Herr Wolff. Es muss jedoch betont werden, dass die Russen den INF-Vertrag seit vielen Jahren verletzten. Über US-Präsident Obamas Klagen machten sich die Russen luistig. Sie nahmen Obama generell nicht ernst. Putin und Konsorten verstehen nur konsequentes Handeln! Mit der Aufstellung eines Atommarschflugkörpers, der Ziele fast überall in Europa erreichen kann, hat Rußland den INF-Vertrag von 1987 „faktisch außer Kraft gesetzt“ wie Außenminister Maaß sagte.
Ich beziehe mich auf einen Kommentar der FAZ vom 2. 2. 18.
Unterstellt, dass Russland einseitig gegen die INF-Verträge verstößt, ändert das nichts an der Notwendigkeit, dass Europa entschlossen eine Friedens- und Abrüstungspolitik betreiben muss. Leider ändert das auch nichts daran, dass treibende Kraft der Trump-Politik nicht das Verhalten Russlands ist, sondern sein Bestreben, die Rüstungsproduktion zu beschleunigen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ihm alles recht. Christan Wolff
Also ist diesmal nicht Trumps Aussage, dass Russland permanent gegen den INF-Vertrag verstoßen habe, eine Lüge, sondern Ihre Behauptung. Oder sind derartige „kleine Abweichungen von der Wahrheit“ nach Ihrer Dialektik erlaubt?
MfG Heydebreck
Siehe meine Antwort an Herrn Girbig.