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Erinnern kann nicht schaden – eine Regierungsbeteiligung auch nicht

1966 kam es zur ersten Großen Koalition. Damals trat die SPD erstmals in eine Bundesregierung ein – als Juniorpartner der CDU/CSU. Als 16-jähriger Schüler, begeistert von Willy Brandt und der SPD zugetan, lehnte ich diese Koalition kategorisch ab. Denn sie wurde geschlossen, um die für die Verabschiedung der Notstandsgesetze notwendige Grundgesetzänderung zu ermöglichen. Die Notstandsgesetze aber sah ich als einen gefährlichen Rückschritt an. Ich nahm an vielen Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze teil, organisierte 1968 einen „Schulstreik“; sieben Schüler nahmen teil. Oft genug werde ich in den Sprechchor eingefallen sein: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Die Große Koalition verfügte zwischen 1966 und 1969 über eine satte Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag. Ihr stand eine winzige FDP-Fraktion als Opposition gegenüber. Unbegreiflich war für mich, dass sich ein Gustav Heinemann als Justizminister, oder ein Erhard Eppler als Entwicklungshilfeminister mit einem Franz Joseph Strauß an einen (Kabinetts-)Tisch setzen konnten. Ebenso empfand ich es als unerträglich, dass die SPD einen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger mit seiner Nazi-Vergangenheit akzeptierte. Wie viele andere meiner Generation sah ich – trotz Willy Brandt – die Glaubwürdigkeit der SPD dahinschwinden.

Doch die SPD verlor ihr Profil in der Zeit der Großen Koalition nicht. Woran das lag? Vor allem an den Persönlichkeiten, allen voran Willy Brandt – damals Außenminister. Sie verfolgten in der Koalition erkennbar ihre Politik. Sie stimmten nicht ein in den Chor der Verleumder, Schriftsteller wie Hochhuth, Grass und Böll seien nichts anderes als „Pinscher“ und „Banausen“ (Ludwig Erhard). Sie ließen die Verbindung zur 68er Generation nicht abreißen. Unvergessen, wie Gustav Heinemann nach dem Attentat auf Rudi Dutschke vor 50 Jahren vor einer Pogromstimmung warnte und in seiner berühmten Fernsehansprache am 14. April 1968 ausrief:

Wer mit dem Zeigefinger allgemeiner Vorwürfe auf den oder die vermeintlichen Anstifter und Drahtzieher zeigt, sollte daran denken, dass in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei andere auf ihn zurückweisen. … Unser Grundgesetz ist ein großes Angebot. Zum ersten Mal in unserer Geschichte will es in einem freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat der Würde des Menschen volle Geltung zu verschaffen. In ihm ist Platz für eine Vielfalt der Meinungen, die es in offener Diskussion zu klären gilt. (Warum ist eigentlich kein Repräsentant der SPD, kein SPD-Minister 2015/16 vor die Kameras mit einer Grundsatzrede zur menschenwürdigen Aufnahme von Geflüchteten und gegen den Fremdenhass getreten?)

In dieser Weise konnte die SPD ihr Profil in der Großen Koalition bewahren, oder besser: es schärfen. Das zahlte sich nicht nur bei der Bundestagswahl 1969 aus. Das zeigt aber auch: Gerade wenn die SPD trotz größter Vorbehalte in eine Koalition eintritt, kann sie ihre programmatische Eigenständigkeit bewahren. Ob die SPD darüber hinaus in der Regierungsarbeit Profil gewinnt, können weder eine CDU/CSU noch eine Angela Merkel verhindern. Es liegt ausschließlich an der SPD und ihrer Repräsentanten in der Regierung selbst. Sie haben es in der Hand, ob die SPD politisch unkenntlich wird oder durch ihr politisches Agieren dem/der Wähler/in signalisiert: Bei nächsten Mal gebt uns eure Stimme.

Auf diesem Hintergrund ist der Aufstand der Jusos gegen eine erneute Koalition mit der CDU/CSU (die fälschlicherweise „Groko“ genannt wird) nur zu begrüßen. Denn zum einen dient die jetzt entfachte Debatte der überfälligen politischen Profilierung des Nachwuchses. Endlich werden Köpfe sichtbar, denen man in wenigen Jahren gerne politisches Vertrauen schenken möchte. Endlich kommt es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung in der SPD – jenseits von Befindlichkeiten und der Frage, welcher Kopf denn nun rollen soll. Zum andern aber wird deutlich, was zu einer lebendigen Partei gehört: eine klug verfolgte Doppelstrategie, nämlich zum einen das Profil der Partei schärfen, die politischen Ziele verdeutlichen, zum andern aber auch die Politik der kleinen Schritte in den Parlamenten und Regierungen nicht aus den Augen verlieren.

Leider hat die SPD in den vergangenen Jahrzehnten den Wert dieser Doppelstrategie vergessen und ganz viel selbst dazu beigetragen, dass der demokratische Diskurs erlahmt ist. Insofern ist es ein Segen, dass die Jusos eine inhaltliche begründete Front gegen eine erneute Regierungsbeteiligung der SPD aufgebaut haben. Sie haben damit der SPD, aber nicht nur ihr, am vergangenen Sonntag zu einem Glanzlicht der demokratischen Auseinandersetzung verholfen. Politik wurde über vier Stunden öffentlich und kontrovers erklärt, Positionen wurden geklärt. Abseits aller Worthülsen wurden die Argumente für und wider einer Regierungsbeteiligung der SPD deutlich. Als Segen empfinde ich aber auch die Entscheidung für Koalitionsverhandlungen. Denn nun kann an der Doppelstrategie weiter gearbeitet werden. Die SPD wird in der Koalition nur bestehen und aus ihr als Gewinner hervorgehen, wenn sie – um es zu personalisieren – Andrea Nahles und Kevin Kühnert weiter politischen Raum geben und die streitige Debatte in der Regierung forcieren. Die SPD stand am vergangenen Sonntag nicht vor der Spaltung, sie hat zu sich selbst zurückgefunden – und damit eine neue Basis für eine Regierungsbeteiligung geschaffen.

Die Konsequenz daraus kann nur sein: Die SPD als Partei muss in Zukunft sehr viel klarer und wo nötig auch kontroverser gegenüber den Mandatsträgern für ihre ureigensten Ziele eintreten – und gleichzeitig darf sie sich nicht verweigern, das Große im ganz Alltäglichen zu gestalten. Denn eines wurde auch deutlich: Alle, die gegen die Groko (die ja keine „große“ ist!) aufgetreten sind, werden bei der Frage sehr einsilbig, wie denn unter den Bedingungen einer realen rechten Mehrheit im Bundestag das umgesetzt werden kann, was in dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche erstaunlicher- und erfreulicherweise an den Anfang gestellt wurde: Europa stärken, den sozialen, gesellschaftlichen Zusammenhalt befördern, die Demokratie lebendig gestalten? Wie sollen die sozialen Ungerechtigkeiten verhindert bzw. aufgehoben werden ohne die Politik der kleinen Schritte auf Bundes-, Landes- und der Ebene der Kommunen? Das geht jetzt nur mit einer Koalitionsregierung von CDU/CSU und SPD. Aber die SPD darf sich als Partei nicht mehr „nur“ als Regierungspartei verstehen. Sie muss deutlicher als in der Opposition ihre Programmtik profilieren, ohne die Regierungsarbeit der eigenen Leute zu desavouieren. Um das zu bewerkstelligen, können sich nicht genug Bürger/innen für den Eintritt in die SPD bewegen lassen.

23 Antworten

  1. Und ich sitze gerade im Zug, kann das iPhone nicht wie die jungen Leute bedienen. Daher in aller Kürze, lieber Herr Schwerdtfeger: Danke für den Gruß, den ich gerne erwidere. Wäre schön, es gäbe einmal ein Treffen aller Teilnehmer dieses Blogs zusammen mit Christian – und dann Diskussion, Disput, Diskussion bis uns zu unserer Freude die Ohren klingeln …

  2. Ein Nachtrag noch, Herr Lerchner, zum Thema „Vergleich von Verteidigungs- oder Rüstungshaushalten“. Vergessen Sie nicht:
    – In Rußland / China sind die Personalkosten ungleich niedriger als im Westen;
    – in Rußland / China sind die Produktionskosten ungleich niedriger als im Westen;
    – und schließlich hat China (Rußland tut dies wahrscheinlich auch) jedenfalls in der Zeit, in der ich dort der Botschaft angehörte, erhebliche Rüstungskosten, zB sämtliche Rüstungskäufe im Ausland (Rußland), nicht aus dem Verteidigungshaushalt sondern aus anderen Etats bezahlt.
    Vergleiche sind also sehr schwer.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Lieber Herr Lerchner,
    Sie laufen mit Ihrem letzten Beitrag bei mir durch ganz weit offene Tore – Ihre Beurteilung Russlands teile ich fast vollständig, insbesondere auch Ihre Hinweise darauf, daß Russland sich zu Recht in strategischer Defensive sieht und daß die Nato/EU völlig unverständliche Fehler in der Behandlung Russlands gemacht haben. Ich war ja in der Rüstungskontrolle tätig und habe im Originalton die berechtige Kritik Rußlands anhören müssen über die westliche Nichtratifizierung von AKSE. Sie hätten auch noch die völlig falsche Maßnahme von Sanktionen anführen können, die nicht nur politisch unsinnig sondern zusätzlich auch noch dumm, weil wirkunsglos, sind.
    Aber – ich schrieb es schon – die Aufrechterhaltung glaubwürdiger Streitkräfte (personell und materiell) ist nicht an spezifische „Gegner“ gebunden sondern notwendige und vernünftige Vorsorge. Und leider muß man dabei auch noch für viele verschiedene Szenarien gewappnet sein, die unterschiedliche Arsenale erfordern.
    Und was Ihren ersten Absatz angeht – ja gut, ich mische Sachargumente mit fröhlicher Polemik – das gehört wohl auch zum „demokratischen Diskurs“. Dieser aber lohnt den Aufwand wohl immer, wenn überhaupt Sachliches kommt. Leider gibt es eben einige Beitragende hier, denen es reicht, nur zu beleidigen – und bezogen auf die haben Sie Recht.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  4. Man muß Frau Binder uneingeschränkt zustimmen – die SPD ist in verzweifelter Lage und tut alles, um dies noch zu vertiefen:
    – sie hat keine klare Führungslinie und keine überzeugende Führungspersönlichkeit;
    – die Führung traut sich nicht mehr zu entscheiden sondern delegiert – Originalton Klingbeil – die Verantwortung zurück in die Hände der Mitglieder;
    – sie bezeichnet ein solches Verhalten als super-demokratisch, in dem eine knappe halbe Million Menschen das Votum von 60 Millionen Wahlberechtigten – ja was – interpretieren, aushebeln, umentscheiden, usurpieren?
    – sie ist keine Volkspartei mehr sondern eine Kleinpartei und wie diese in eigentlich nicht kompatible Flügel aufgesplittert; es fehlt ihr die Klientel, denn weder gibt es den typischen Arbeiter mehr, der früher ihre Gründung und Stärke beflügelt hat, noch gibt es den typischen SPD Partei-Funktionär mehr (auch nicht in den Gewerkschaften) sondern (fast; ich übertreibe etwas) nur politikwissenschaftliche gebildete Ideologen à la Kühnert;
    – sie macht sich nun auch noch zur Trickser- und Täuscherpartei, um partei-interne Abstimmungen zu manipulieren; Klingbeil hatte keine Zahlen in seiner heutigen Pressekonferenz – hier sind sie: 2013 – 19.316 Eintritte, 2014 – 16.899 Austritte (Zeitraum 2008-2016: 129.125 Eintritte; 144.128 Austritte).
    Auch was die Anmerkungen zur Rüstungspolitik angeht stimme ich Frau Binder zu. Hier allerdings muß man einiges berücksichtigen:
    – wesentliche Rüstungslieferungen an die Türkei, fanden noch in der Zeit statt, als diese ein verlässliches Nato-Mitglied war und nicht von einem religiösen Diktator unterdrückt wurde;
    – die jetzt so kritisierte sogenannte letzte Hochrüstung der Türkei betraf, wie die Medien melden, den Minenschutz der Panzer Leo II – sie erhöhte also nicht das Waffenarsenal der Türkei sondern verbesserte den Selbstschutz der Waffensysteme;
    – Saudi Arabien darf nicht mit Waffen beliefert werden – eine Stabilisierung des Systems, so wenig man es vielleicht mag, ist aber in unserem Interesse, denn ein sogenannter „Frühling“ dort würde einen neuen Bürgerkrieg vom Zaun brechen, der alle bisherigen Negativrekorde bricht;
    – Rüstungsexporte werden dann am besten bekämpft, wenn wir endlich begreifen – da Rüstung zur Ausstattung der eigenen Streitkräfte und also zur Untermauerung glaubwürdiger Politik zwingend ist (wenn man sich nicht von anderen Ländern abhängig machen will, über deren Exportprinzipien man überhaupt keine Kontrolle haben kann) –, daß man sie innerhalb der eigenen Wertegemeinschaft (EU oder Nato) möglichst weitgehend integriert und synchronisiert, sodaß der „eigene Markt“ ausreichend ist, um sie auch ohne Exporte wirtschaftlich lohnend zu machen. Das würde zwar die leider vorhandene Proliferation von Waffen aller Art in alle Weltregionen nicht schmälern, aber es würde uns selbst aus diesem „Geschäft“ heraushalten können. Gerade deshalb ist es so beschämend, daß die augenblicklichen Koalitionsverhandler sich nicht trauen, europäische Sicherheits-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik offen anzusprechen und der Öffentlichkeit hier die Notwendigkeiten und Grenzen offen zu legen.
    Frau Binder, ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Es ist ein Trauerspiel, wie sich eine Partei wie die SPD demontiert.Ja, eine Gro Ko ist keineswegs wünschenswert. Und es ist eine Tatsache, dass sich die SPD ( entgegen ihren eigenen Beteuerungen) wenig in der vergangenen GroKo profilieren konnte. Aber das ist nicht nur die Schuld der CDU. Es ist ein Trauerspiel, wenn Waffenkäufe in Krisengebiete wie Ägyptern oder nach Saudi Arabien, das im Jemenkonflikt eine schlimme Rolle spielt, lautlos von SPD Ministern genehmigt werden.Und auch wenn die Türkei ein Nato-Partner ist, wie kann man sie ungebremst hochrüsten ohne dass SPD- Minister laut aufschreien? Und apropos Herrn Gabriel: Lautlos hat er die fatale monatelange Grenzöffnung von Frau Merkel mitgetragen. Und dann vor seinem Rücktritt vom Parteivorsitz gibt er dem Stern im Januar 2017 ein Interview und dort sagt er wortwörtlich:“…..niemals hätten Kanzler wie H. Schmidt und G. Schröder oder H. Kohl Entscheidungen über die Öffnung der Grenzen getroffen, ohne wenigstens einmal mit unseren Nachbarn zu sprechen. Die Naivität oder vielleicht auch der Übermut, mit dem das erfolgt ist, habe ich nie für richtig erklärt.“ Da fühle ich mich doch an der Nase herumgeführt. Und nun diese Meldung: Herr Schulz will in ein Kabinett Merkel entweder als Aussen – oder als Finanzminister eintreten.Und dann: Jusos , die mit unlauteren Mitteln einen Parteitagsbeschluss kippen wollen. Was ist das denn? Schlingert nur so weiter mit eurem Zick- Zack- Kurs in die sichere Bedeutungslosigkeit!

  6. Lieber Herr Lerchner,
    bisher haben Sie sachlicher und besser argumentiert – vielleicht waren Sie diesmal in Eile oder die allgemeine SPD-Verzweiflung hat auch Sie gepackt.
    Der Vorsitzende einer Partei repräsentiert deren Politikversprechen und ist insofern schon entscheidend. Es ist ja interessant, daß Sie das bezüglich Schulz ablehnen, daß aber sehr viele Stimmen im Lande es bezüglich Merkel für richtig halten. Und – nein – Schulz hat sich nicht verändert. Er war schon als EU-Parlamentspräsident ein polternder deutscher Oberlehrer (also das, was man auf SPD-Seite gerne Herrn Schäuble unterstellt, wenn es um Finanzen geht, obwohl Schäuble ziemlich genau das fortgesetzt hat, was sein SPD-Vorgänger Steinbrück auch für richtig hielt und gemacht hat). Schulz ist nur von einer dürstenden SPD zum Heilsbringer erhoben worden, bevor sie erkannt hat, daß Verweigerung, Schlingerkurs und Führungsschwäche keine Erfolgsrezepte sind.
    Und zur Kegler’schen Defizitliste: Alleine das Beispiel Energiewende (eine der unglücklichen Kehrtwendungen von Merkel) zeigt ja, wie teuer einseitige Schnellschüsse für den Staat und den Bürger sind. Es braucht nicht für jedes Argument ausführliche Beispielsnachweise – einige sind offensichtlich. Wie immer man übrigens zur sogenannten „Reichensteuer“ steht, sie würde auch bei bestem Willen nicht ausreichen, um die Sozialwünsche der inzwischen an staatliche Komplettfürsorge als Anspruch gewöhnten Deutschen zu bezahlen. Ich bin allerdings gerne mit Ihnen der Meinung, daß es unverständlich ist, warum Lottogewinne auch bei Millionenausschüttungen steuerfrei sind. Wenn man sich nur die Statistiken darüber ansieht, wieviel Steuern die „Reichen“ bereits zahlen und daß die Forderung nach mehr Reichensteuer überwiegend von denen kommt, die gar keine oder kaum Steuern zahlen – na dann ist das Thema eigentlich keines. Oder hat uns vielleicht die „DDR“ gezeigt, wie man mit Gleichmacherei Menschheitsträume realisiert?
    Und was „dümmliche Russland-Hetze“ angeht – wo haben Sie denn das her? Ich spreche von einer angemessenen Sicherheitspolitik und -strategie, die durch militärische Kräfte untermauert sein muß, diese wiederum entsprechend glaubwürdig ausgestattet mit Personal und Material. Mit Russland hat das wenig zu tun, mit dem billigen Schlagwort von der „Aufrüstung“ gar nichts. Dagegen hat es viel zu tun mit Glaubwürdigkeit in der internationalen Politik und also mit dem Gewicht, das man in die internationale Politik einbringt. Wer international etwas bewegen will – und das wollen wir doch in vielen politischen Bereichen, die fast alle mit Frieden, mit Menschenrechten, mit gesichertem Handel, etc, zu tun haben – der muß nicht nur „soft power“ (also vereinfacht gesagt Sympathiewerte) einbringen sondern eben auch die Projektion seiner Bestrebungen durch hardware untermauern können. Warum wohl haben Sie bisher in Sicherheit und Frieden leben und wirtschaften können? Weil Sie so lieb sind? Wohl eher, weil Sie von den USA und der Nato beschützt wurden. Altpräsident Köhler hatte schon Recht, als er im Zusammenhang mit dem Horn von Afrika darauf hinwies, daß in bestimmten Situationen militärische Kräfte zum Schutz von legitimen Interessen benötigt werden. Wer nicht erkennt, daß es nicht einer konkreten „Gefährdung“ sondern einer ständigen Vorsorge bedarf, der versteht nichts von Sicherheit.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. In Ordnung. Sofern es die Substanz hergibt, könnte man selbstverständlich jedem Ihrer Beiträge auch sachlich entgegnen. Allerdings sind manchmal Zweifel angebracht, inwieweit sich der Aufwand lohnt. Wenn Sie denn Wert darauf legen, anbei noch ein paar Stichpunkte zum Thema Sicherheit und Rüstung gegen Russland.

      Ich empfinde es als fundamentale Schwäche und als Beleidigung denkfähiger Bürger, wenn in der öffentlichen Debatte im Westen Russland immer nur als Aggressor hingestellt wird, der zynische Machtpolitik betreibt, die nur in Einflusszonen und geostrategischen Interessen denkt, und praktisch nie auch nur in Erwägung gezogen wird, dass russische Maßnahmen wie die militärische Absicherung der Sezession der Krim oder das Engagement im Georgien-Krieg oder im Donbass Ausdruck einer strategischen Defensive Russlands und dessen Enttäuschung über das westliche Ignorieren russischer Vorschläge für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur sind. Argumente für letzteres gibt es zuhauf: NATO-Osterweiterung, insbesondere die Beitrittsperspektiven für die Ukraine und Georgien (Membership Action Plans), Nichtratifizierung des A-KSE-Vertrags durch die NATO, Installierung von Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien, westliche Finanzierung einer Revolutions-GmbH . Im Gegensatz zur Zeit des Kalten Krieges werden die Sicherheitsinteressen Russlands nicht mehr ernst genommen. Diese werden von vornherein als illegitim dargestellt und es geht nur noch darum, Russland davon zu überzeugen, dass seine Bedenken unbegründet oder unberechtigt sind. Zugeständnisse in der Sache gibt es nicht.

      Der Ruf nach mehr Aufrüstung wegen einer angeblich russischen Bedrohung ist lächerlich angesichts des Volumens der Rüstungshaushalte von USA oder NATO im Verhältnis zu dem Russlands (2015: 9:1 bzw. 13:1). Das ständige Drehen an der Rüstungsspirale bringt nur scheinbar mehr Sicherheit. Iskander-Raketen in Kaliningrad gäbe es nicht, wenn die NATO auf die russischen Vorschläge für gemeinsame Maßnahmen gegen die vermeintliche Raketengefahr aus dem Iran eingegangen wäre.

      Wenn es verfestigte Vorurteile und ideologische Scheuklappen zulassen, dann greifen Sie doch mal zu dem neusten Buch von Sabine Krone-Schmalz. Keine Propaganda, informativ und erhellend.

      Meine kritische Haltung gegenüber der SPD auch in der Russlandlandfrage wurde u. a. durch die Erfahrung bestärkt, wie „Russlandversteher“ Matthias Platzeck von prominenten Sozialdemokraten ob seiner differenzierten Haltung niedergemacht wurde, so z. B. in einer sicherheitspolitischen Debatte im sozialdemokratischen „Vorwärts“ vor einigen Monaten.

      Ach ja, wie komme ich dazu, Anti-Russland-Hetze zu beklagen. Wenn permanent Informationen selektiert und Zusammenhänge verzerrt widergegeben werden, um russische Politik oder Putin persönlich in ein schlechtes Licht zu rücken, kann man nicht anders als von Hetze reden. Jüngste Beispiele: Letzten Samstag auf SPON: „Der General und sein Henker“, ein Beitrag über einen mordenden libyschen Warlord im Dienste eines angeblich prorussischen Generals; oder heute im Leipziger Lokalblatt LVZ: „Tschechien wählt den Mann Putins“, einen ausländerfeindlichen Populisten.

      Über meine Positionen lässt sich sicherlich trefflich streiten, jedoch kaum sinnvoll unterhalb eines gewissen Diskursniveaus.

      Mit freundlichen Grüßen,

      Johannes Lerchner

  7. Liebe Frau Homann,
    es steht Ihnen natürlich frei zu lesen, wen oder was Sie wollen oder auch nicht. Interessanter und vielleicht ja auch mehr im Sinne dieses blogs wäre es aber dennoch, Sie würden mir mit Fakten widersprechen und insofern in eine Diskussion – eben den von Herrn Wolff doch so intensiv geforderten „demokratischen Diskurs“ – eintreten.
    Sie werden dies ja nun nicht lesen, aber ich wiederhole gerne meine These, daß ein großer Teil von NGOs, Bürgerinitiativen, etc, (natürlich nicht alle) sich einseitig und ohne Gesamtverantwortung für ein einzelnes Klientelinteresse einsetzen; daß sie von Leuten geführt werden, die nicht von der Gesamtheit gewählt sind (wie eben Parlament und Regierung und dies trifft selbstverständlich auch für die Kommunal- oder Landeseben zu); daß sie weder für ihre eigenen Ziele noch gar für von diesen abweichenden konfliktierenden oder konkurrierenden Zielen Verantwortung tragen oder übernehmen sondern diese „der Politik“ zuschieben; daß sie schließlich populistisch ihre Ziele als vollständig erreichbar und überragend wichtig darstellen und anderen Meinungen und Zielen böswillige Vernachlässigung unterstellen. Wenn Sie das alles widerlegen – aber Sie lesen das ja als gute Demokratin gar nicht – dann hätten Sie doch vielleicht mehr geleistet, denn Sie hätten einen bisher Zweifelnden von Ihrer Wahrheit überzeugt.
    Mit freundlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

  8. Hallo Herr Schwerdtfeger,
    haben Sie tatsächlich geschrieben, dass „NGOs und Bürgergruppen aller Art … eine ziemliche Pest sind“? Dann haben Sie sich als Kommentator in der Öffentlichkeit in meinen Augen endgültig selbst disqualifiziert. Ich möchte von Ihnen nichts mehr lesen.
    Gruß, Annette

  9. Lieber Christian, ich fände es sehr interessant, wenn ein kritisch-wohlwollender Beobachter der GroKo – vorausgesetzt sie kommt – einmal über einen längeren Zeitraum mitverfolgen würde, ob es der SPD tatsächlich gelingt, ihr Profil zu schärfen und sich als erkennbare Alternative zum bürgerlich-neoliberalen Block zu entwickeln. Und wenn dieser Beobachter dann den historischen Vergleich, den du hier gezogen hast, zu Ende führt.
    Hälst du uns auf dem Laufenden?! Ich bin gespannt!
    Herzliche Grüße, Annette

  10. Das „Bild des Tages“ sozusagen war doch beim SPD-Parteitag der häufige Schwenk auf die erste Reihe: Scharping, Müntefering, Gabriel, Beck – vier von den eigenen Leuten in kurzer Zeit abgehalfterte Parteivorsitzende, denen sich Schulz in absehbarer Zeit hinzugesellen wird, weil die beiden von Herrn Wolff so favorisierten „Neuen“ – Nahles und Kühnert – mehr Ehrgeiz als Weitsicht haben und alle(s) wegräumen. Ob das wirklich Profilschärfung ist sei dahingestellt: Nahles könnte es schaffen, sie ist aber wohl zu schrill, um für die Mehrheit der Deutschen wählbar zu sein; Kühnert – so richtig überzeugend arbeitnehmernah nach seiner bisherigen Karriere von Abitur, Studium der Politikwissenschaft und Assistenz bei einem Abgeordneten – war das nicht auch Ihre bevorzugte Karriere, lieber Herr Wolff? – wird erstmal im eigenen Interesse MdB und dann dauert’s noch; die glaubwürdigen SPD-Vertreter – vor allem Scholz und Weil – wollen nicht. Ohne einen glaubwürdigen und unumstrittenen Parteichef aber wird die SPD keine Mehrheitsperspektive mehr haben. Und dasselbe, wohlgemerkt, trifft auch auf die Union zu.
    Hinzu kommt für beide Parteien: Es wird ihnen in der Regierung nicht gelingen, Wähler von den Flankenparteien zurückzugewinnen. Dies liegt nicht nur daran, daß sie sich vielleicht nicht ausreichend gegeneinander profilieren können; es liegt vielmehr daran, daß sie als Regierungsparteien zu viele Entscheidungen treffen müssen, die zwar vernünftig und richtig sind, die aber von den verantwortungslosen Populisten (im wörtlichen Sinne: Menschen, die eben die Verantwortung nicht tragen) um deren eigener Ziele willen bekämpft werden. Die naive Wunschliste von Herrn Kegler ist ja bestes Beispiel für einseitige, unrealistische, irrsinnig teure (bitteschön: von anderen zu bezahlen), ja geradezu gefährliche Träume – letzteres wenn man zB an das Gebiet der Sicherheitspolitik denkt. Insofern beschreibt Herr Kegler sehr schön, warum die SPD derzeit nicht wählbar ist und in der Tat keine 20% mehr hat.
    Die deutschen politischen Parteien – und wahrscheinlich gilt dies auch für ganz Europa – stecken derzeit in dem Dilemma, daß sie entweder an (zT selbstaufgebauten) ideologischen Barrieren scheitern, die ihnen Unmögliches abfordern; oder daß sie sich nicht trauen (können oder dürfen), vom sogenannten Wähler (in Wirklichkeit gibt es ja nur DIE Wähler und nicht DEN Wähler) das Notwendige zu fordern und dann an dessen Individualinteressen zu scheitern. Ein Beispiel hierfür ist ja die Pseudodemokratie der SPD, die sich in die Hand ständiger Parteibefragungen begibt und damit politikunfähig wird.
    In seiner Davos-Rede hat Präsident Trump immerhin zwei sehr richtige Bemerkungen gemacht:
    1. „Bureaucracy is stealth taxation“ – das ist wohl unbestreitbar richtig (auch wenn Ideologen nun wieder sagen werden, daß nichts, was Trump sagt, richtig sein kann). Und der Sozialstaat nach SPD-Prägung ist eben logischerweise – da der Staat ja die Komplettbetreuung des Bürgers übernimmt – ein Bürokratiestaat, in der die Verwaltung und Kontrolle nicht nur den Bürger entmündigt und ihm seine individuelle Verantwortung – und damit Freiheit – nimmt sondern zusätzlich ein Ausgabenmonster, das auch durch sogenannte Reichensteuern nicht finanziert werden kann.
    2. „We can not have prosperity without security“ – das ist ebenfalls unbestreitbar richtig und wer sich gegen einen tragfähigen und die eigene Sicherheit glaubwürdig untermauernden Verteidigungshaushalt einschließlich des entsprechenden Rüstungsanteils stellt, ist populistisch und ein „Gefährder“. Daß diese Aufgabe vernünftigerweise nicht mehr nationalstaatlich sondern im EU-Rahmen besser und sparsamer gelöst werden könnte, ist natürlich richtig, ändert aber nichts an der Grundaussage.
    Sollten wir jetzt nochmal eine schwarz-rote Koalition bekommen, so ist absehbar, daß bei der nächsten Wahl beide Parteien weiter verlieren werden und die Flanken dazugewinnen – ob im jetzigen Parteienspektrum oder mit noch mehr Parteien / Fraktionen sei dahingestellt. Das liegt nicht an den Parteien – es liegt an der Individualisierung unserer Gesellschaft (die sich ja auch an der Vielzahl von NGOs und Bürgergruppen aller Art zeigt, die fast allesamt eine ziemliche Pest sind) und daran, daß die Fähigkeit zunehmend schwindet, auch einen Teilerfolg als etwas Gutes zu begreifen. Und hier, lieber Herr Wolff, stimmen wir überein: Die SPD sollte die Koalition trotz aller Bedenken eingehen, denn sie wird damit einen Teilerfolg erzielen. Die Sorge ist nicht, wieviel SPD- oder CDU-Politik umgesetzt wird; die Sorge ist, wie sehr die Bürger bereit sind, Teilerfolge zu begrüßen und als Erfolg zu feiern anstatt Teilniederlagen zum Gesamturteil zu erheben und sich entweder radikalen Flankenparteien auszuliefern oder ungewählten Volksverführern in NGOs zu folgen.
    Mit freundlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Hallo Herr Schwerdtfeger,

      ihre Einlassungen kommen wieder mal ziemlich oberflächlich daher. Nur kurz folgende Bemerkungen:

      Die Mehrheitsperspektiven einer Partei hängen eher von deren Politikversprechen als von der Persönlichkeit des Vorsitzenden ab. Die emporschnellenden Umfragewerte für die SPD im letzten Jahr zeigen das, ebenso deren jäher Abfall. Hat sich Schulz so schnell verändert oder wurden nur Erwartungen enttäuscht?

      Die Keglersche Defizitliste bezeichnen Sie als einseitige, unrealistisch und irrsinnig teure. Ein Blog wie dieser ist sicherlich kein wissenschaftliches Politik- oder Ökonomikseminar. Etwas mehr Argumentation würde Sie jedoch vor dem Vorwurf flacher Propaganda schützen.

      Die ständig kolportierte These, die Realisierung linker Wunschlisten muss ja von den anderen bezahlt werden, leistet der Volksverdummung Vorschub. Die Reichensteuer ist keine Enteignung, sondern eine Rückverteilung ungerechtfertigt erlangten Primäreinkommens. So kann man das sehen.

      Wieso unsere Sicherheit gefährdet ist und demzufolge die Aufrüstung forciert werden muss, sollte erst einmal nachgewiesen werden. Dümmliche Anti-Russland-Hetze überzeugt nur die Einfältigen.

      Mit freundlichen Grüßen,

      Johannes Lerchner

  11. Es ist ein hausgemachtes Dilemma , in das sich die SPD selbst hineinmanövriert hat. Ein Beispiel: da wird der so nötige Mindestlohn vereinbart. Jedoch die Schlupflöcher sind zahlreich und werden kräftig genutzt, wie wir hören. Da werden – auch mit Unterstützung der SPD Minister – die größten Waffendeals genehmigt in Folterstaaten wie Ägypten und IS- Unterstützerstaaten wie Saudi Arabien. Das spielt ganz nebenbei im Jemen eine verhängnisvolle Kriegstreiberrolle. Und schon lange ist bekannt, was Erdogan mit den Kurden vorhat. Ich rede hier ausdrücklich nicht von der PKK. Und so geht es gerade weiter. Am meisten bin ich immer noch entsetzt, dass Gabriel im Januar 2017 – bevor der den Parteivorsitz an Schulz abgetreten hat- das folgende Statement sinngemäß im Stern von sich gab: Mit Merkels Flüchtlingspolitik war ich nie einverstanden. Ja warum hat er nie seinen Mund aufgemacht? Und dann: Die eklatante Steuerungerechtigkeit- die scheint ja in den Koalitionsverhandlungen – ausser dem Soli als Tröpfchen auf dem heissen Stein- überhaupt nicht vorzukommen. Übrigens : Die Steuerpolitik halte ich für ein wichtigeres Thema als die sachgrundlos befristeten Arbeitverträge( schon wichtig), die Bürgerversicherung und den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchlinge.( Auch hier interessiert die SPD zu wenig, was die Mehrheit ihrer Wähler, die ihr abhanden gekommen sind, darüber denkt.) Und so dreht sich die SPD weiter um sich selbst . Man hat den Eindruck ihre Wähler und die Bürger sind für viele Funktionsträger der Partei von sekundärem Interesse.

  12. Hallo Chrisrian,
    Ein wenig Spott darf erlaubt sein: Nach den neuesten Umfragen muss sich Martin Schulz jetzt die „18“ unter die Schuhsohlen schreiben, denn auf diese Prozentzahl läuft es hinaus. Die drei Punkte, die die SPD jetzt erreichen will, reichen überhaupt nicht aus. Hier noch einmal meine Defizitliste zu den Sondierungsgesprächen

    1. Ein Eintritt in eine Bürgerversicherung fehlt.
    2. Im Bereich des Klimaschutzes werden die beschlossenen Ziele bis 2020 aufgegeben.
    3. Zum Dieselskandal findet sich nichts.
    4. Eine höhere Besteuerung hoher Einkommen fehlt (sog. Reichensteuer)
    5. Die unbegründete Befristung von Arbeitsverträgen bleibt unverändert bestehen.
    6. Der Mindestlohn wird nicht – wie dringend nötig – erhöht.
    7. Die Schere zwischen Armen und Reichen bleibt weiterhin offen; die groß angekündigte „Gerechtigkeit“ findet nicht statt.
    8. Der Soziale Wohnungsbau wird mit nur 2 Milliarden und das befristet auf 2 Jahre ausgestattet; weder eine Grundsteuerreform noch eine wirksame Begrenzung von Mieterhöhungen wird angegangen.
    9. Die Abschaffung des Soli wird weiter nach hinten geschoben.
    10. Das Rentenniveau von 48% bis 2025 ist lediglich die Fortschreibung der bisherigen Rentenpolitik. Grundrente und Konzepte gegen Altersarmut sind nicht erkennbar.
    11. Ein klares Bekenntnis zur Abrüstung fehlt, stattdessen wird der Militärhaushalt erhöht.
    12. Die von der CSU geforderte Obergrenze wird faktisch anerkannt; der Korridor von 180-220.00 ist sogar tendenziell eine Absenkung.
    13. Die Begrenzung des Familiennachwuchses für subsidiär Schutzbedürftige ist durch die schon im vergangenen Jahr beschlossene Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen aus EU-Ländern faktisch ein Nullsummenspiel.
    14. Das Verhältnis zu den europäischen Nachbarn (mit Ausnahme Frankreich) wird nicht thematisiert; es gibt kein Konzept einer „Ostpolitik“ mehr.
    15. Die Aufhebung des Kooperationsverbotes wird am Widerstand der Länder scheitern.
    16. Die Mütterrente wird faktisch von der SPD unterstützt.
    17. Straßenausbau und Schienenverkehr werden gleichrangig behandelt; keine Priorisierung des schienengebundenen Güterverkehrs.
    18. Keine Aussage zur Integration.
    Besonders schade ist, dass es keine Inititative gibt, das Verhältnis zu Russland zu verbessern. Der NATO-Partner Türkei überschreitet die syrische Grenze: wo bleiben Sanktionen und internationale Ächtung wie es sie bei Russland gab. Unser SPD Wirtschaftsminister hat die meisten Waffenlieferungen aller Vorgänger genehmigt usw.
    Nein, in der GroKo verliert die SPD wie beim letzten Mal.
    Gruß
    Jürgen

      1. Die von Herrn Kegler genannten Defizite sehe ich auch so. Dass die SPD in den Sondierungsgesprächen nicht mehr durchsetzen konnte, liegt aber sicherlich nicht nur am gegenwärtigen Kräfteverhältnis. Zweifel sind angebracht, ob maßgebliche Kräfte in der SPD tatsächlich von der Notwendigkeit grundlegender Änderungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik überzeugt sind. Der Auftritt von Martin Schulz vor Wirtschaftsvertretern im vergangen Jahr sprach Bände. Mit keiner Silbe wurden die enormen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse problematisiert. Diese hängen aber zusammen mit dem Überhandnehmen prekärer Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland. Hat die SPD momentan das intellektuelle Potential, sich der heftigen Attacken führender Mainstream-Ökonomen zu erwehren, die, so z. B. Ifo-Chef Clemens Fuest, sich angesichts der verlautbarten Steuerpolitik Donald Trumps für eine wesentliche Reduzierung der Staatseinnahmen einsetzen? Eine Reduzierung der Exportquote von derzeit 50 % zugunsten einer verstärkten Binnenmarktorientierung als Folge eines deutlich erhöhten Lohnniveaus ginge nicht ohne Konflikte auch mit Teilen der Gewerkschaften ab. Ich glaube nicht, dass die SPD derzeit die Partei ist, die mit Überzeugung eine gesellschaftliche Neuorientierung vertreten und dafür Mehrheiten gewinnen kann, egal ob in der Regierung oder in der Opposition. Neuorientierung heißt, den seinerzeit von Reagan, Thatcher und in Deutschland von Lambsdorff forcierten Paradigmenwechsel, d. h. die Überbetonung des Marktes und die Demontage der Sozialsysteme, rückgängig zu machen. Insofern ist der Vergleich mit dem Wirken Willy Brandts in der ersten Großen Koalition schwach. Ja, die SPD Willy Brandts hatte Profil. Z. B. waren die Vorstellungen Egon Bahrs von einer neuen Ostpolitik glasklar formuliert. Außerdem war seinerzeit keynesianisches Denken noch weithin akzeptiert. Die SPD von heute hat kein Profil und kann deshalb kaum eines verlieren. Jedenfalls keines, das erforderlich ist, einen durchgreifenden Politikwechsel durchzusetzen. Das Dilemma ist offensichtlich. Eine Regierung mit SPD-Beteiligung ist kurzfristig und mittelfristig besser als jede Alternative. Als soziale Reparaturbrigade wird sie hier und da Löbliches leisten. Wird sie es aber fertig bringen, den Reichtum der Wenigen für dringende Investitionen in Infrastruktur und Bildung heranzuziehen, anstatt diesen sinnlos die Finanzmärkte destabilisieren zu lassen? Wird sie den Sozialabbau rückgängig machen, um die gesellschaftliche Teilhabe auch der sozialschwachen Schichten zu ermöglichen und damit auch den Neiddebatten gegenüber den noch Ärmeren, den Immigranten den Boden zu entziehen? Wird sie maßgeblich dazu beitragen, die Schäden verfehlter Europolitik in den Krisenländern des Südens zu beheben? Wird sie wieder das Bahr’sche Prinzip vom „Wandel durch Annäherung“ in den Beziehungen zu Russland durchsetzen? Äußerungen führender Sozialdemokraten in der letzten Zeit lassen das nicht erwarten. Ein Austausch der Eliten in der langen Frist scheint unumgänglich. Aus einer Regierungsfraktion heraus wird sich jedoch kaum ein Jeremy Corbyn entwickeln können.

  13. Lieber Herr Wolff,
    ich kann Ihren Rückblick auf die Geschichte gut nachvollziehen. Wenn ich aber das damalige und das heutige Bild vergleiche, das die SPD und ihre Protagonisten abgeben, wird mir umso schmerzlicher der Unterschied bewusst.
    Aus meiner Sicht wird an dem jetzigen „GroKo-Krampf“ deutlich, dass die SPD zwei große Fehler macht:
    1. Sie versteht nicht, was hinausposaunte Forderungen (auch gerne „Rote Linien“ oder „unverzichtbar“ genannt) beim Hörer, der spätestens in vier Jahren Wähler ist, ausrichten. Jede „rote Linie“ bleibt in Erinnerung, wenn dann das Ergebnis der (am Wort „ergebnisoffen“ ist ja schon der Fehler klar sichtbar) Verhandlungen vorliegt, schaut der Hörer automatisch nach, was aus der „roten Linie“ geworden ist. Und dann stellt er fest, dass z.B. aus der Bürgerversicherung nichts, aber auch gar nichts geworden ist. Damit entsteht der Eindruck, dass NICHTS erreicht wurde.
    2. Die SPD kämpft nicht. Wenn zur Bürgerversicherung Fr. Nahles sagt, das sei mit der Union nicht zu machen gewesen, entsteht der Eindruck, den Jakob Augstein so schön überschrieben hat mit: „Als Bettvorleger gestartet, als Putzlappen geendet“. Entweder ist es eine Conditio qua non – dann muss ich auch dafür kämpfen – oder nicht – dann sollte ich vorher auch den Mund halten. Vielleicht sollte sich die SPD ein Beispiel an Horst Seehofer nehmen: der lässt sich nicht davon beeindrucken, wenn seine Forderungen zuerst Widerspruch von allen Seiten hervorrufen („Mit mir wird es keine Maut geben!“ A.M.) Er bleibt dabei, kämpft dafür, er setzt es durch. Themen genug hätte die SPD, sie müsste sich nur „dürfen trauen“.
    Leider sehe ich derzeit niemanden in der SPD, dem ich das zutraue, deshalb werde ich wohl mein nächstes Kreuz nicht dort machen.

  14. Lieber Christian, nicht Alles was Du anführst kann ich mir zu eigen machen, aber doch einiges. Der Unterschied zu der Zeit von Wehner und Brandt und Heineman zu heute ist aus meiner Wahrnehmung heraus, das das „heutige Personal“ sich teilweise diametral von den Genannten unterscheidet. Die damalige Groko ging auf Herbert Wehner und den „alten“ von Guttenberg (Großvater des „Plagiators“). War aber auch eine „Zumutung“ für Willy Brandt sich mit „Altnazis“ in der Kabinettsrunde wieder zu finden. Selbst wenn ich wiederholen sollte: Das Buch von Albrecht von Lucke „Die schwarze Republik und das versagen der deutschen Linken“ erschienen 2015 reflektiert die 2013-GROKO und seine „Befürchtungen“ haben sich als Richtig erwiesen. Radikalisierung der Ränder und Politikverdrossenheit mit weiterer Abwendung der Bevölkerung sind die logische Konsequenz daraus. Oder wie soll ich den „Zustand“ der Republik verstehen?

    1. Lieber Rolf, ich kenne Albrecht von Lucke und schätze ihn sehr. Seine Einlassungen in den letzten Tagen sind ein eindeutiges Plädoyer für die Regierungsbeteiligung der SPD und für eine inhaltliche und personelle Erneuerung der Partei. Genau das habe ich auch im Blick. Dein Christian

      1. Lieber Christian, ich füge mal ein Zitat von Ihm ein.
        „Bleibt im Kern nur die Frage, ob die SPD noch einmal den Mut dafür aufbringt. Heute rächt sich, dass Martin Schulz die ganze Enttäuschung über seine historische Wahlniederlage gegen Angela Merkel auf die große Koalition kanalisierte. „Die GroKo war schuld“, lautete seine Strategie, um von den immensen eigenen Fehlern abzulenken. Man muss daher an dieser Stelle an eines erinnern: Den größten Vertrauensverlust hat die SPD ganz alleine bewerkstelligt, nämlich mit der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder. Daraus vor allem resultiert der Verlust der Hälfte ihrer Wähler und Parteimitglieder seit 1998. Die große Koalition war dagegen der partiell durchaus gelungene Versuch, einen Teil dieses Versagens wieder wett zu machen.“ Diesen Versuch kann ich auch nicht wirklich als gelungen bezeichnen.

  15. Die Groko Gegner haben ebensowenig verstanden wie die FDP, dass es um mehr geht als um das Überleben einzelner Parteien. Bei Neuwahlen wird die AFD der Gewinner sein.

    1. Wenn das so ist wie Sie sagen, dann gilt das aber mindestens gleich stark für die Wähler der AFD. Die sind auch nicht die „Hellsten Kerzen am Weihnachtsbaum“.Wer „geistfrei“ wählt bekommt geistfreie Ergebnisse.

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