Sein Tod war die gewissermaßen legitime Antwort der Welt auf Gandhis Leben und Werk, so wie Golgatha die folgerichtige Antwort der Welt auf Jesus war. (Hermann Hesse)
Am 30. Januar 1948, also genau vor 70 Jahren, wurde Mahatma Gandhi erschossen. Er führte Indien durch die Strategie des gewaltlosen Widerstands in die Unabhängigkeit. Das indische Wort Ahisma benennt den zentralen Inhalt der Lehre Gandhis. Ahimsa bedeutet so viel wie: Fehlen jeden Verlangens zu töten, grundsätzlich auf Gewalt verzichten. Für Gandhi ist die Gewaltlosigkeit ein religiöser, aber auch ein praktischer, politischer Begriff: „Gewaltlosigkeit gelingt nur, wenn unser Glaube an Gott wahrhaft und lebendig ist.“ sagt Gandhi und meint: Weil im Glauben die Einheit aller lebenden Wesen, das Aufeinander-Bezogensein der Menschen, begründet liegt, kann alle aus Überheblichkeit geborene Gewalt durch „Satyagraha“, die Seelenkraft, überwunden werden. Mit diesen Gedanken war Gandhi ganz dicht bei zwei biblischen Grundüberzeugungen: 1. Jeder Mensch genießt als Geschöpf Gottes Würde und Recht. 2. Die Lehre von der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe, die Jesus in der Bergpredigt entwickelt hat. Kein Mensch hat das Recht, sich über den anderen zu erheben, seine Interessen gegen andere mit Gewalt durchzusetzen – seien sie auch noch so berechtigt. Schon in Südafrika, wo Gandhi zwischen 1893 und 1914 mehr als zwanzig Jahre lebte und dort als Anwalt für die Rechte der indischen Minderheit eintrat, ließ sich Gandhi, der fromme Hindhu, von der Lehre Jesu inspirieren – und hielt den christlichen Rassisten den Spiegel vor. Gandhi verkörperte schon damals das in sich, was wir heute Weltethos nennen: eine Haltung, die das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen in der großen Weltgemeinschaft ermöglicht. Mehr noch: Gandhi verband im Apartheidland Südafrika mit Gewaltlosigkeit, interreligiösem Dialog und Abwehr jeder Form von Rassismus eine neue Basis für ein friedlichen Zusammenleben.
Nun ist die Lehre der Gewaltlosigkeit als politische Strategie der Bekehrung von Gesellschaften und Regierungen weitgehend in Vergessenheit und Misskredit geraten – u.a. auch deswegen, weil es keine relevante gesellschaftliche Kraft gibt, die dieses Grundanliegen des Glaubens in politische Praxis umzusetzen versucht. Leider muss auch von den Kirchen (abgesehen von den kleinen Friedenskirchen wie den Quäkern und den Mennoniten) gesagt werden, dass sie sich in keinem ihrer Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit als Grundlage des Glaubens verpflichten. Die Gewaltlosigkeit zu praktizieren, war immer einzelnen und den Bewegungen, die von ihnen ausgingen, vorbehalten – wie Martin Luther King und der gewaltlose Kampf gegen die Rassentrennung in den USA in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Das ist insofern erstaunlich, als alle mit kriegerischen Mitteln ausgetragene Konflikte die Lehre Jesu und die Erkenntnisse Gandhis bestätigen: Gewalt täuscht eine Lösung von Konflikten nur vor; in Wirklichkeit sät sie den Samen der Verbitterung und der Feindseligkeit und reproduziert und potenziert sich selbst. Genau das geschieht derzeit im Norden Syriens – und nicht nur dort. Das Grundübel der Gewalt ist, dass sie das Ziel, nämlich eine Befriedung zu erreichen, zwangsläufig verfehlt. Demgegenüber behauptet niemand, der der Gewaltlosigkeit anhängt, Gewaltausübung verhindern, ausschließen zu können. Jesus wie Gandhi wie Martin Luther King sind Opfer von Gewalt geworden. Aber in ihrer Lebenshaltung hat Gewaltausübung keinen Platz. „Unsere Waffe ist, keine zu haben“, hat Martin Luther King einmal gesagt. In diesem Sinn hat Gandhi den Menschen immer wieder eingeschärft: Die Unterdrücker, die Machthaber können uns foltern, ja töten, aber sie können uns nicht dazu bringen, selbst zu töten. Gandhi ging es in der Strategie der Gewaltlosigkeit nicht um Sieg und Niederlage, sondern um Bekehrung und spirituelle Erneuerung.
Gandhi hat insbesondere 1930 durch den sog. Salzmarsch bewiesen, dass die Praxis der Gewaltlosigkeit ungerechte Machtstrukturen zu überwinden vermag. Um Verhandlungen über die ausbeuterische Salzsteuer zu erzwingen, kündigte er an, geltende Gesetze zu übertreten und zeigte damit, welch verändernde und Frieden stiftende Kraft in der Strategie der begrenzten Regelverletzung liegen kann. Mit 78 Männern machte er sich auf den Weg zum Meer. Der Marsch wurde zu einem Triumphzug. An der Küste angekommen holte Gandhi eine Handvoll Reis aus dem Meer, und alle anderen folgten seinem Beispiel. Jugendliche verkauften das Salz unversteuert in den Städten. Gandhi wurde verhaftet. Die Aktionen gingen trotz Polizeiübergriffe weiter. Denn ohne Widerstand zu leisten, stellten sich die Menschen den Stockschlägen der Polizei. So wurden die Geschlagenen zwar nicht zu Siegern, aber zu Befreiten.
Nach der Gewaltgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und angesichts der alltäglichen Gewalt heute, vor der sich immer mehr Menschen mit Recht fürchten und vor ihr flüchten, ist es mehr als angebracht, dass wir uns wieder auf eine der Grundlagen unseres Glaubens besinnen: die Gewaltlosigkeit – und uns dazu anhalten lassen von einem frommen Hindhu. Damit stärken wir zugleich das interreligiöse Zusammenleben und den Kampf gegen jede Form von Rassismus. Das ist allemal wichtiger, als uns von den Gedankenzwergen der Gewalt-Gipfeltreffen in Davos oder München in ihrer hybriden Gigantonomie wieder einmal einreden zu lassen, dass nur durch Anhäufung von militärischer und wirtschaftlicher Macht und Gewalt Leben gewährleistet werden könne. Genau das aber funktioniert nicht, weil diese Art von „Leben“ nur auf Kosten von menschenwürdigem Dasein möglich ist. Hermann Hesse hat das erkannt.
7 Antworten
Es scheint mir das Problem zu sein, lieber Herr Lerchner, daß wir im Bemühen, unsere eigenen Positionen ganz deutlich zu machen und auch vom Gesprächspartner abzugrenzen, nicht nur – auch der Kürze wegen – holzschnittartig argumentieren sondern auch erheblich aneinander vorbeireden. Es ist ja dies auch häufig Grundlage für meinen Dissenz mit Herrn Wolff, der deutlich mehr die Wege und Methoden betrifft als zumindestens einen Teil der Inhalte.
Ihre Grundannahme, daß ich den Demokratien einen verantwortungsbewußteren Umgang mit ihren Streitkräften unterstelle als dikatorischen Regimes, würde ich bestätigen. Schließlich sind unsere Streitkräfte, zB in den Nato-Staaten, parlamentarischer Kontrolle ebenso unterstellt wie öffentlichem Rechtfertigungsdruck – beides positiv – und das ist doch ein die Willkür begrenzendes Faktum. Daß allerdings auch westliche Staaten deswegen nicht immun dagegen sind, in unterschiedlichem Maße das militärische Instrument „öffentlichkeits-umstritten“ einzusetzen, daß die westlichen Öffentlichkeiten politische oder wirtschaftliche Ziele, zu deren Erreichung Streitkräfte eingesetzt werden, unterschiedlich und kontrovers bewerten und trefflich darüber streiten, daß auch die moralischen Grundlagen eines Streitkräfteeinsatzes und die Erfolgsfrage (prä- wie postfaktum) umstritten diskutiert werden können und müssen, das alles ist richtig – ich halte es auch für einen normalen Prozess im demokratischen Meinungs- und Entscheidungsprozess.
Mein Petitum bisher aber betraf erkennbar nicht diese Fragen. Es betraf vielmehr und betrifft immer wieder zwei andere Aspekte:
1. Auch Menschen, die Befürworter gewaltfreier Strategien sind, sollten erkennen, daß solche Strategien den verantwortlichen Politiker zwar weitgehend leiten können und sollten, daß er aber trotzdem aus realpolitischer Verantwortung heraus den Aufbau und Unterhalt von Streitkräften fördern muß. Denn Streitkräfte sind EIN Instrument von Außen- und Sicherheitspolitik, das unverzichtbar ist. Und zu Streitkräften gehört dann eben auch Rüstung. Man kann diese billiger und multilateral betreiben, damit einen eigenen Binnenmarkt schaffen, der Export überflüssig macht – allerdings nur, wenn dann alle gleiche Ansichten über den Export haben. Oder man kann sie, die Rüstung, alleine betreiben, dann hat man bessere Kontrolle über den Export (freilich trotzdem nicht über weltweite Waffen-Proliferation), muß aber deutlich höhere Preise zahlen – oder exportieren. Das Arbeitsplatz-Problem sei mal außen vor gelassen, weil es sich über die Zeit lösen ließe; das Problem, daß man auf diesem Gebiet mit allen seinen Nebeneffekten – und es werden dann ja leicht immer mehr Gebiete (Nuklear, Genforschung, dual verwendbare Gebiete) – auch die Hoheit über Forschung und Entwicklung verliert, ist ein anderes.
2. Gerade Menschen, die sich aber strikt gegen Streitkräfteeinsätze jeder Art aussprechen, müssen wohl erklären, wie sie dann auf auswärtige Aggression gegen das eigene Land (bei uns gegenwärtig unwahrscheinlich, aber Politik kann sich ja schneller ändern als Ressourcenaufbau) oder in anderen Ländern reagieren wollen. Nur die Folgen zu bekämpfen – Flüchtlinge aufnehmen bzw Flüchtlingslager finanzieren und konsumptive Hilfe leisten – ist auf Dauer kein Mittel, denn es verbrennt Ressourcen ohne das Problem zu lösen. Im Gegenteil: Wer nur die Folgen bekämpft, verlängert das Problem, indem er dem Diktator Spielraum verschafft. Sich nur auf den moralischen Hügel zu stellen, indem man fordert, es müsse was getan werden, ohne dieses „was“ in Form einer gewaltfreien Lösung zu definieren, ist feige und scheinheilig – und jeder muß wissen, daß eine gewaltfreie Lösung zwar langfristig die bessere ist, aber kurzfristig das Elend eher verstärkt. Hier wäre also zumindest Ehrlichkeit geboten.
Wir stehen vor dem Dilemma – mehr will ich ja gar nicht anerkannt sehen –, daß jede politische Krise auf dieser Welt denjenigen, der helfen will, vor die Gewissensfrage stellt, ob er schnell und hart eingreift und dadurch Prozesse einleitet, die er aller Wahrscheinlichkeit nicht übersehen kann; oder ob er vorsichtig und eben auch zögerlich reagiert und dadurch vielleicht bessere Kontrolle behält, aber das Elend verlängert. Der 2. Irak-Krieg – wie immer man ihn sieht – ist vielleicht Beispiel für ersteres, Syrien für letzteres – und beide Lösungsansätze sind nicht nur umstritten sondern tatsächlich problembeladen. Aber beide Ansätze zeigen auch, daß ein Staat, der nach innen wie außen wehrlos ist, auf jeden Fall in der Krise Spielball Anderer wird. Wer das Prinzip der Nato „Vigilia Pretium Libertatis“ (Vigilia bedeutet hier eben auch Vorsorge in materieller Hinsicht) in Frage stellt, der handelt verantwortungslos.
Kurz zu Ihrer konkreten Frage bezüglich des Eingreifens Rußlands in Syrien: Dies ist ein typisches Beispiel für das Eröffnen politischer Spielräume durch westliches Zögern: Der Westen wußte, daß Rußland durch seine Mittelmeerbasis in Syrien dort militärstrategische Interessen hat (ich weiß, daß dieses Wort alleine viele schon wieder aufregt, aber Realitäten sind nunmal anzuerkennen). Und der Westen hat – aus sehr nachvollziehbaren Gründen – so lange gezögert, das Problem wenn nicht zu lösen so doch wenigstens einzudämmen – bis eben der weniger skrupellose Putin sich die Lage zunutze gemacht hat. Es ist eben leider so – man reagiert selbst oder andere entscheiden für einen.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Ewiges Ausweichen, lieber Herr Wolff, macht Ihre Argumentation eben auch nicht glaubwürdiger. Ich habe nicht vom Feuerlöscher als Waffe oder vom Einlassen eines Begehrenden gesprochen sondern von der notwendigen Vorsorge gegen Feuer oder Diebe.
Und was Gandhi angeht, den ich sehr bewundere: Er hat die englische Kolonialverwaltung nicht beendet durch seine Gewaltlosigkeit; er hat sein Land nicht befriedet durch seine Gewaltlosigkeit; er hat aber – trotz seines persönlichen Mutes, seiner beeindruckenden Haltung, seiner großartigen aber nicht allen Menschen gegebenen Leidensfähigkeit – viele Menschen in seinem Lande zu Aufstand und Ungeduld angespornt, die Engländer zu überhastetem Abzug verleitet und am Schluß hat es in Indien / Pakistan einen der blutigsten und verhängnisvollsten Bürgerkriege der Geschichte gegeben. Gandhi ist daran nicht schuld, natürlich nicht, aber seine Strategie war wenig erfolgreich. Schaut man auf King oder sogar Mandela, so kann man nur in unterschiedlichem Maße zum gleichen Ergebnis kommen. Es ist eben so, daß gewaltlose Strategien ihr Ziel nicht erreichen gegen gewaltbereite Diktatoren. Und unabhängig davon bleibt ja meine These richtig, daß Vorsorge unabdinglich ist und dies besonders bezüglich der Sicherheit der Völker.
Wenn Sie mir das widerlegen, ja dann …
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Hallo Herr Schwerdtfeger,
ich bin ziemlich überrascht, mit welch einfachen Bildern Sie die Welt beschreiben: Da die „Bösewichte“, die ihr Volk mit Fassbomben massakrieren, Chemiewaffen horten, zum Nuklearkrieg rüsten und den Nahen Osten destabilisieren. Und hier die demokratischen Staaten, die sich ja irgendwie dagegen versichern müssen. Vielleicht gehören Sie zu denjenigen, die der Meinung sind, dass, frei nach Kant, demokratisch verfasste Staaten von Natur aus friedliebend sind. Das stimmt aber nur dann, wenn sich die Öffentlichkeit in diesen Staaten nicht manipulieren lässt, den Regierungen auf die Finger schaut und den Missbrauch militärischen Potentials verhindert. Solcher Missbrauch militärischer Macht ist aber hin und wieder offensichtlich.
Seit jeher wird auch durch demokratische Staaten Gewalt eingesetzt, um den Zugriff auf Rohstoffe und Absatzmärkte zu sichern. Daran hat sich bis in die heutigen Tage nichts geändert. Bill Clinton: „Die USA sind zur unilateralen Anwendung militärischer Gewalt berechtigt, um sicherzustellen, dass der Zugang zu Schlüsselmärkten, Energieversorgung und strategischen Ressourcen uneingeschränkt erhalten bleibt“. Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz im Zusammenhang mit der Beteiligung Polens an der US-Aggression im Irak: „Wir verbergen nicht, dass wir wollen, dass polnische petrochemische Unternehmen endlich unmittelbaren Zugang zu Rohstoffen haben“.
Besonders kritisch sehe ich Versuche, Regimewechsel mit militärischen Mitteln zum Zwecke der Etablierung einer demokratischen Herrschaft zu betreiben. So etwas nennt man dann „Demokratischen Interventionismus“ oder einen „Demokratischen Krieg“. Dem liegt die naive Vorstellung zugrunde, dass die Stabilität eines so komplexen Systems wie der heutigen Staatenwelt sich dauerhaft über Macht, Drohung und Gewalt sichern lässt, statt nach Maßgaben einer internationalen Normenordnung, die in weltweit konsensfähigen Prinzipien gegründet ist (Reinhard Merkel, FAZ.net, 2013). Nicht umsonst verbietet das Völkerrecht jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Staaten. Obwohl die Erfolgsaussichten eines demokratischen Interventionismus, besonders wenn er im Modus der Anstiftung und Förderung eines fremdstaatlichen Bürgerkriegs erfolgt, bei nahezu null liegen, gibt es auch in Deutschland Politiker, für die Verbreitung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, notfalls auch mit Gewalt, zur Glaubensfrage geworden ist. Inwieweit eine entsprechende Politik die Lebensbedingungen der Menschen konkret verbessert, gerät in den Hintergrund. Hinter der moralischen Empörung tritt nüchterne Analyse zurück.
Ein trauriges Beispiel für die katastrophalen Folgen äußerer Einflussnahme auf die gesellschaftlichen Prozesse in einem Land ist Syrien. Dank Wikileaks weiß die Welt ja nun Einiges über die Hintergründe, so dass es sich schlecht mit dem Vorwurf „Verschwörungstheorie“ operieren lässt. Die Erkenntnis, dass die berechtigten Proteste gegen das Assad-Regime durch Infiltration von außen in einen verheerenden Bürgerkrieg getrieben worden sind, bei dem am Ende die Kräfte der demokratischen Opposition marginalisiert dastehen und nur noch die Alternative zwischen der Stabilisierung des Regimes oder dem Chaos unter den schwarzen Flaggen des Dschihad übrig geblieben ist, entspricht praktisch dem Stand der Wissenschaft (Günter Meyer, Uni Mainz). In diesem Zusammenhang noch eine Frage: Sie hatte sich in einem Ihrer letzten Beiträge für Zurückhaltung gegenüber Saudi-Arabien ausgesprochen, weil eine Stabilisierung des dortigen Systems einen sogenannten „Frühling“ verhindern würde und damit auch die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs. Könnten Sie unter diesem Aspekt dem Eingreifen Russlands in Syrien positive Seiten abgewinnen? Schließlich ist ein zweites Libyen verhindert und Aleppo von den Dschihadisten befreit worden.
Mit besten Grüßen,
Johannes Lerchner
Wie Recht Sie doch haben, lieber Herr Wolff. Es besteht ja zwischen uns kein Dissenz darüber, daß gewaltfreie Strategien besser wären (Konjunktiv!), moralisch sowieso und bezüglich der langfristigen Erfolgsaussichten vielleicht. Der Dissenz besteht ja darüber, daß Sie nicht bereit zu sein scheinen – und hierin liegt ja zumindest eine doppelte Unlogik, um nicht von Doppelmoral zu sprechen – anzuerkennen, daß erstens die Diktatoren dieser Welt – ich habe Sie in meinem Beitrag ja schon benannt – diese Einsicht eben weder haben noch anerkennen; und daß zweitens eine dem Menschen reflexartig innewohnende (und richtige) Sicherheitsvorsorge sehr natürlich ist und er sie auf alle Bereiche verordneterweise oder freiwillig anwendet (man denke nur an das Versicherungswesen in DEU), nur – und auch nur in DEU – ausgerechnet nicht auf die Aussenpolitik, deren Teil Sicherheitspolitik ist.
„Was derzeit im Nahen Osten, insbesondere in Syrien geschieht, ist ein menschlicher, volkswirtschaftlicher, politischer Wahnsinn“ schreiben Sie und den denkenden Menschen wundert ja nur an dieser richtigen Aussage, daß Sie die Schuld dafür offensichtlich dem Westen, den Russen, wem noch sonst geben, nur nicht dem Initiator diesen Wahnsinns, dem mit Giftgas gegen seine eigenen Bürger hantierenden Assad. Und den stoppen Sie mal mit der Bergpredigt oder mit gewaltloser Strategie!
Und gerade, wenn man, wie Sie, die deutsche Moral in Sachen Menschenrechte und Ökologie, Frieden und Bergpredigt in alle Welt exportieren will, dann kommt noch hinzu, daß man dies nur mit glaubwürdigem politischem Gewicht einschließlich Streitkräften wird tun können. Es ist eben – ich wiederhole es – unglaubwürdig, wenn man in jeder humanitären Krise laut fordert, es müsse doch „was“ getan werden und dann den Menschen weismachen will, das Morden würde aufhören, wenn die Menschen alle den Mut eines Gandhi, King oder Mandela hätten und sich abschlachten liessen (was sowieso nicht Sache der überwiegenden Mehrheit ist). Diplomatie, Wirtschaftssanktionen, Kulturpolitik, etc – alles gute Mittel, aber sehr zeitaufwendig und gegenüber Diktatoren sehr anfällig bezüglich der Wirkung.
Ihr gedanklicher Fehler ist eben, daß Sie Streitkräfte und Rüstung mit Krieg gleichsetzen – nicht aber mit Verteidigung und Sicherheitsvorsorge, nicht aber mit politischem Gewicht und Durchsetzungsvermögen. Und so ermöglichen Sie den Diktatoren dieser Welt, Ihre Streitkräfte zur Unterdrückung einzusetzen, weil sie wissen, daß der friedliche Teil der Welt ihnen nichts entgegensetzen wird – entweder weil er nichts hat oder weil er nicht will. Ihre Haltung produziert Flüchtlinge; Flüchtlingshilfe aber, so notwendig sie ist, hat eben den Nachteil, daß sie nur die sekundären Folgen mildert und in perpetuum Mittel verschlingt ohne problemlösend wirken zu können.
Vereinfacht gesagt: Sie schalten ja auch nicht Ihre Feuermelder ab, nur weil es bei Ihnen noch nie gebrannt hat; sie schmeissen auch Ihre Haustüre nicht weg, nur weil bei Ihnen noch nie eingebrochen wurde. Im Gegenteil: Sie schützen sich gegen die Gefahr durch Mittel in Form von hardware (Fensterriegel) oder andere Vorsorge (Versicherung), die Sie hoffentlich nie brauchen werden – das ist eine glaubwürdige Sicherheits-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik!
Seiein Sie hinter Ihrer sicheren Haustüre herzlich gegrüßt,
Andreas Schwerdtfeger
Wiederholung macht eine fatalen Grundannahme nicht richtiger, lieber Herr Schwerdtfeger – oder, um im Bild zu bleiben: Weder gehe ich mit dem Feuerlöscher auf andere los, noch knalle ich den ab, der an meiner Haustür Einlass begehrt. Um was geht es in der Debatte: Gandhi hätte in den 40er Jahren genauso eine Befreiungsarmee aufbauen können, um gegen die Engländer Krieg zu führen. Hat er aber nicht, weil er wusste: Jede kriegerische Aktion erfordert mehr Opfer als die praktische Anwendung der Strategie der Gewaltlosigkeit. Dass sich durch diese die Gewalt-Apostel und -Propheten in besonderer Weise herausgefordert fühlen und alles tun, um Pazifisten auszuschalten, das macht das Hesse-Zitat deutlich, dass wird aber auch dadurch unterstrichen, dass militaristische Systeme Pazifisten mit besonderer Gnadenlosigkeit verfolgen und töten. Christian Wolff
Ja, hier haben wir wieder einen Teil der evangelischen Kirche Deutschlands pur – in seiner ganzen naiven Hybris, in seiner ganzen politischen Realitätsferne, in seiner ganzen Unglaubwürdigkeit in Sachen Lösungssuche bei komplexen Problemen, vor allem in seiner ganzen moralischen Feigheit, die ihn nicht anerkennen läßt, daß es nicht reicht, sich auf die hohe ethische Forderung zurückzuziehen und die tatsächliche Problemlösung, bei der man sich die Finger schmutzig macht, anderen zu überlassen, auf die man nachher schimpfen kann.
Nehmen wir einige Aussagen:
1. „Die Unterdrücker, die Machthaber können uns foltern, ja töten, aber sie können uns nicht dazu bringen, selbst zu töten.“ Fragen Sie doch mal, lieber Herr Wolff, wieviele Deutsche (ich jedenfalls eingeschlossen – Sie offensichtlich nicht) bereit sind, sich ohne Gegenwehr töten oder foltern zu lassen. Richtig ist doch vielmehr: Sie wollen das nicht; andererseits betrachten sie es heute ganz gerne als staatliche Aufgabe, diesen Schutz zu übernehmen, wobei sie – gefördert durch solche Beiträge wie den Ihren – glauben und wollen, daß dies ohne ihre (persönliche oder auch nur finanzielle) Beteiligung gehen muß.
2. „Leider muss auch von den Kirchen (abgesehen von den kleinen Friedenskirchen wie den Quäkern und den Mennoniten) gesagt werden, dass sie sich in keinem ihrer Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit als Grundlage des Glaubens verpflichten.“ Wenn es stimmte, daß die Kirchen sich als „Grundlage ihres Glaubens“ nicht zur Gewaltlosigkeit bekennten, dann wäre es ja traurig – aber in religiöser Hinsicht gibt es ja durchaus Kirchen, die das tun. Nur sind diese vernünftig genug, den unterschiedlichen Charakter von Politik anzuerkennen – eben Luthers „zwei Reiche“. Und dann schauen Sie mal, warum Mennoniten und Quäker sich in den USA so wohlfühlen, weniger aber in diktatorischen Staaten. Die Kopten in Ägypten jedenfalls würden sich schon ganz gerne besser verteidigt sehen, nehme ich an.
3. „Kein Mensch hat das Recht, sich über den anderen zu erheben, seine Interessen gegen andere mit Gewalt durchzusetzen“ – interpretieren Sie die Bergpredigt: Eben genau das ist das Problem mit Leuten wie Saddam, Assad, Maduro, Honecker, den ganzen afrikanischen Diktatoren, dem Königshaus der Saud und ganz vielen anderen, die Sie doch alle nicht mögen (ich auch nicht) und gegen deren Anspruch, „sich über andere zu erheben“ man schon nur schwer erträgt (Sie besonders), wenn sie das im eigenen Land tun, geschweige denn, Sie versuchten es bei uns. Verteidigung ist also notwendiger, dem Menschen naturgemäß innewohnender Reflex und juristisch wie moralisch unangreifbar.
4. Wir sollten uns nicht von den „Gedankenzwergen der Gewalt-Gipfeltreffen in Davos oder München in ihrer hybriden Gigantonomie wieder einmal einreden … lassen, dass nur durch Anhäufung von militärischer und wirtschaftlicher Macht und Gewalt Leben gewährleistet werden könne.“ Davos, zugegeben, ist ein Wirtschaftstreffen mit einseitiger Interessenausrichtung und man kann streiten, ob es einem sinnvoller Zweck dient – wie genauso bei anderen Mammutveranstaltungen heutigen Zuschnitts als da sind Klimagipfel, Kirchentage, G20-Gipfel, etc, die alle mehr die Propanganda als den Inhalt zum Zweck haben – denn Inhalt erreicht man nur auf kleinen, konzentrierten, der Öffentlichkeit entzogenen Konferenzen. München dagegen ist ja keine Mammutveranstaltung, sondern ein vergleichsweise kleines Treffen von politischen Experten zum Thema Sicherheit, das insbesondere die Möglichkeit bietet, hinter den Kulissen auch mit den „Bösewichtern“ dieser Welt im Gespräch zu bleiben und sie mit eigenem Gedankengut ohne öffentliche Propaganda vertraut zu machen. Denn nicht öffentliche Verunglimpfung, Rechthaberei und einseitige, dazu noch naive „Wahrheits“-Verkündung, wie Sie sie betreiben, bringt Frieden sondern der allmähliche Ausgleich oder wenigstens die allmähliche Annäherung von Positionen durch Gespräche im Stillen, durch Kompromißfähigkeit und Akzeptanz von auch kleinen Fortschritten – dies alles untermauert und geschützt durch eine starke Abwehrbereitschaft, die zwar vielleicht beim Gegner keine oder nur sehr langsame Fortschritte bringt, aber wenigstens den eigenen Bereich vor der Willkür des Gegenüber schützt. Der verantwortliche Politiker rüstet also gegen den Krieg, der verantwortliche Kirchenvertreter wird dies unterstützen und gleichzeitig zur Zurückhaltung auf der Basis von Stärke mahnen.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Ein anderer Kommentar als dieser hätte mich sehr überrascht, lieber Herr Schwerdtfeger. Es bleibt die Frage: Warum wird permanent und kollektiv die Tatsache verdrängt, dass in der Gesamtbilanz die Strategie der Gewaltlosigkeit auf jeden Fall erfolgreicher ist als militärische Interventionen und Kriege. Was derzeit im Nahen Osten, insbesondere in Syrien geschieht, ist ein menschlicher, volkswirtschaftlicher, politischer Wahnsinn. Diesen zu rationalisieren, wird zwar eifrig und jeden Tag versucht. Es kann und wird nicht gelingen. Christian Wolff