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Die drei Säulen der AfD: Verlogenheit, Verantwortungslosigkeit, Morallosigkeit

Er gilt als „Liberal-Konservativer“ in der AfD, als jemand, der die AfD im sog. bürgerlichen Lager salonfähig machen kann: Jörg Meuthen, der zweite Sprecher der Bundes-AfD und der Fraktionsvorsitzende der AfD im baden-württembergischen Landtag. Doch Meuthen ist nur Teil der Fassade, mit der sich die AfD seit ihrer Gründung gerne umgibt. Dahinter spielt sich etwas ganz anderes ab: die schleichende Manifestierung der AfD als nationalistische, rechtsradikale Partei. Es ist auffällig: die gleiche Frauke Petry, die „völkisch“ als eine gute Charakterisierung der AfD bezeichnet hat und die sich mit den rechtradikalen Populisten Europas wie Strache, Wilders, Orbán verbündet, baut plötzlich einen Gegensatz zwischen Fundamentalopposition und Realpolitik auf. Jörg Meuthen nutzt diesen künstlichen Gegensatz, um auf dem Parteitag zu verkünden: Diesen Gegensatz gibt es nicht. Deswegen lehnt er mit den derzeitigen Figuren der anderen Parteien jede Zusammenarbeit ab. Aber auch das dient nur einem Ziel: den Raum für rechtsradikales Gedankengut a la Björn Höcke zu vergrößern. Diese Strategie, die schon Bernd Lucke verfolgt hat und deren erstes Opfer er wurde, betreibt Meuthen weiter: So verlor sich sein Versuch, sich von dem bekennenden Antisemiten Wolfgang Michael Gedeon zu trennen, mehr oder weniger im Nichts. Längst ist die Fraktion der baden-württembergischen AfD wieder zusammen, Gedeon weiter in der AfD aktiv und als Delegierter der baden-württembergischen AfD auf dem Parteitag in Köln präsent. Dort diente die umjubelte Rede von Jörg Meuthen wiederum dieser Strategie.

Zunächst munterte Meuthen die Delegierten angesichts sinkender Umfragewerte auf und stimmte sie auf die Nach-Petry-Zeit ein, als deren Repräsentant sich Meuthen empfahl. Danach widmete er sich nur noch einem Thema: der Überfremdung Deutschlands durch Migranten und den Islam. Zuvor weist er empört jeden Anschein zurück, er sei ausländerfeindlich oder rassistisch, um danach umso heftiger auf dieser Klaviatur zu spielen – eingeleitet mit dem Bekenntnis, dass er viel zu lange zu blauäugig gewesen wäre. Danach versteigt er sich zu der Feststellung, dass er sich in seiner Stadt (gemeint ist Karlsruhe) wie in einem fremden Land bewege: „Ich sage das wirklich ohne jede Übertreibung aber mit großem Erschrecken: Ich sehe nur noch vereinzelt Deutsche.“ Warum ist das so? Ein „ungeheures Maß an wie auch immer in unser Land gekommenen Migranten“ verwandle Deutschland, das „kaum mehr etwas mit dem Land zu tun hat, in dem ich groß geworden bin“. Und weiter: „Wir wollen nicht zur Minderheit im eigenen Land werden und sind es doch in Teilen bereits.“ Als Kronzeugen führt er dann seinen Sohn an, der jetzt in Melbourne leben würde und keine Absicht habe zurückzukehren, weil er Deutschland „am Abgrund“ sieht. Meuthen vergleicht dann Deutschland mit der Titanic vor dem Untergang, wobei er offen lässt, ob der „point of no return“ schon erreicht sei oder nicht. Doch das hält ihn nicht davon ab zu behaupten, dass „die unwiderrufliche Veränderung unserer Heimat in ein in gar nicht so vielen Jahren muslimisch geprägtes Land eine mathematische Gewissheit“ sei. Deutschland müsse nun „zurückerobert“ werden. Natürlich ist für Meuthen klar, wer die Schuld an dieser Entwicklung hat: „Deutschland-Abschaffer“ wie Angela Merkel und die Migranten, insbesondere die Moslems. Als Beweis wird das Wahlverhalten der Deutsch-Türken am Ostersonntag angefügt: Mathematiker Meuthen rechnet vor, dass „deutlich über 80 Prozent“ der wahlberechtigten Deutsch-Türken für Erdoğan gestimmt hätten (in Wahrheit sehen die Zahlen so aus: von ca. drei Millionen Türken, die in Deutschland leben, waren 1,43 Mio wahlberechtigt; von diesen haben sich 700.000 an der Wahl beteiligt; von diesen haben 63,1 % für die Verfassungsänderung gestimmt).

Auf dem Rücken von Millionen Ausländern, Migranten, Geflüchteten, die in Deutschland leben, arbeiten, Steuern zahlen, betreibt Meuthen eine politische Strategie, die alle Rechtspopulisten auf dieser Welt – von Meuthen bis Orbán, von Petry bis Le Pen, von Höcke bis Wilders, von Gauland bis Trump – eint und die auf drei Säulen beruht: Verlogenheit, Verantwortungslosigkeit, Morallosigkeit. Man muss sich nur das Beispiel seines Sohnes ansehen, den Meuthen in seiner Rede als Kronzeugen anruft. Dieser praktiziert genau das, was Meuthen den Migranten vorwirft: nicht wegen Verfolgung und Krieg „flüchtet“ er nach Australien, sondern aus wirtschaftlichen und politischen Überzeugungsgründen hat er Deutschland verlassen. Vielleicht geht Meuthen-Sohn einmal mit den Augen eines Aborigines durch Melbourne, der dann feststellt: Ich sehe nur noch Einwanderer, Fremde, Invasoren, aber keinen Ureinwohner. Die gleiche Verlogenheit legt Meuthen an den Tag, wenn er – wie das bei der AfD inzwischen üblich ist – die Kinderlosigkeit von Angela Merkel oder Claudia Roth anprangert, als handle es sich um eine ansteckende Krankheit. Gleichzeitig wird Alice Weidel als Spitzenkandidatin der AfD gewählt, die in einer lesbischen Beziehung lebt. Doch die größte Verlogenheit besteht darin, dass Lucke, Petry und jetzt Meuthen nur eines erreicht haben und erreichen werden: Die nationalistische, rechtsradikale Ausrichtung der AfD wird weiter gestärkt. Björn Höcke musste gar nicht nach Köln fahren. Meuthen hat für ihn schon den Teppich ausgerollt, auf dem er in nicht allzu ferner Zukunft an Meuthen vorbei diesen triumphal beerben wird.

Was jetzt also geboten ist: Jeden Tag die Fassade, mit der die AfD ihre verlogene, verantwortungslose Politik, eine Politik ohne jede Moral, umgibt, niederreißen. Jeden Tag deutlich machen, dass das AfD-Programm nur aus Feindbildern besteht: Deutschland-Abschaffer und muslimische Invasoren und Eroberer. Damit wird die Illusion genährt: Wenn es keine Türken, keine Geflüchteten, keine Muslime in unserem Land geben würde, dann hätten wir keine Probleme. Also sorgen wir dafür, dass diese Menschen so schnell wie möglich verschwinden. Klar, dass sich da jede weitere politische Programmatik erübrigt – vor allem eine Programmatik, die darauf zielt, den Menschen, die in unserem Land leben und deren Würde unantastbar ist, ein sozial gerechtes und friedliches Zusammenleben zu gewährleisten unter den Bedingungen der Demokratie und Pluralität. Sorgen für dafür, dass wir in den nächsten Monaten, wo immer wir können, diese Programmatik stärken.

6 Antworten

  1. Lieber Herr Wolff, während Sie in Australien waren, war ich in Südamerika und komme daher erst jetzt dazu, mal wieder Ihre diversen Beiträge nachzulesen. Dabei staune ich wieder, dass Sie nach und zwischen toleranten und überzeugenden Botschaften aus Australien, zu Ostern und zu verstorbenen verdienstvollen Mitbürgern sich wieder an Ihren Lieblingsgegnern, der AfD, festbeißen und dieser Partei, sicher ohne es zu wollen, damit mehr Publizität geben, als sie verdient. Damit Sie mich richtig einschätzen: Ich bin auch kein Freund der AfD, freue mich aber, dass sich durch das Auftreten dieser neuen Partei wieder mehr Menschen als zuvor für Politik interessieren und die Wahlbeteiligung wieder steigt. Sicher auch darum hat die von mir favorisierte CDU zuletzt im Saarland und Schleswig-Holstein wieder Erfolge erzielt. Als SPD-Mann tun Sie Ihrer Partei aber keinen Gefallen, wenn Sie dem neuen Gegner nur allgemeine Schimpfworte wie „Verlogenheit, Verantwortungslosigkeit, Morallosigkeit“ entgegen halten, anstatt sich kritisch politisch mit seinen Argumenten auseinander zu setzen. Regelrecht schäbig wirkt es, wenn Sie zur einflußreichen Spitzenkandidatin der AfD Alice Weigel, nichts anderes schreiben, als dass sie in einer lesbischen Beziehung lebt. Vielleicht macht es Sie doch etwas nachdenklich, dass Ihr Artikel bis auf die kluge Replik Ihres nimmermüden Debattengegners Andreas Schwerdtfeger keinerlei Reaktion aus Ihrem Leserkreis hervorrief. Ein interessantes Interview mit Frau Dr. Weidel, mit dem Sie sich sehr gut kritisch auseinander setzen könnten, erschien übrigens am 6. Mai unter der Überschrift „Das Attribut ‚radikal‘ weise ich zurück“ in der FAZ. Falls gewünscht, schicke ich Ihnen gern eine Kopie.
    Viele Grüße Ihr Hans v. Heydebreck

  2. Da haben Sie Recht, lieber Herr Wolff, und ich bitte Sie um Verzeihung – der Kontext ist klar! Freilich ändert das nichts an der Tatsache, daß Ihr Menschenwürde-Bild von Ihrer politischen Sympathie beeinflußt ist. Und die Frage nach Ihrer Definition von „Identität“ bleibt wie immer unbeantwortet – schade.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Politische Überzeugung ist also nicht (Teil der) Identität eines Menschen – und wie sieht es mit der religiösen Überzeugung aus? Wie definieren Sie denn Ihre Identität, lieber Herr Wolff – nicht aus Ihrer christlichen Prägung heraus, nicht aus der (auch politischen) Tradition Ihres Elternhauses oder Ihrer späteren studentischen Umgebung? Sie sind mit Ihrer Antwort nicht wirklich glaubwürdig. Aber Sie werden mir das jetzt sicher überzeugend erklären.
    Und daß die Aussage “diese Menschen müssen verschwinden” politische Kritik ist und nicht eine menschenverachtende Polemik, das werden Sie nun auch sicherlich gleich miterklären können. Es ist ja, wie die Vergangenheit schon gezeigt hat (im Falle Böhmermann zB) genau Ihr Problem, daß Ihr Menschenwürde-Verständnis nicht absolut ist, sondern von Ihrer politischen Präferenz abhängt.
    Ihre Texte in diesem blog – entgegen Ihren Predigten in Australien – zeigen uns doch täglich, daß Ihre Grundüberzeugung, alle Menschen seien Geschöpfe Gottes, dort ihre Grenzen findet, wo diese nicht in Ihr politisches Konzept passen. Und deshalb wäre es ja mal einen Versuch wert, inhaltlich und politisch zu argumentieren: Warum ist es falsch, eine rechtsstaatliche und ordnungsgemäße Grenzkontrolle zu verlangen? Warum ist es falsch, nach den eigenen – deutschen – Traditionen und Werten leben zu wollen? Warum ist es falsch, bestimmte Verhaltensweisen Einzelner als Exzesse und mißbräuchliche Wahrnehmung von Grundrechten anzusehen? Was ist daran auszusetzen, wenn man von Einreisenden verlangt, daß sie sich unseren Gesetzen und Maßstäben unterwerfen? Die Liste läßt sich fortsetzen; sie ist kein Plädoyer zum Wählen extremer Parteien auf beiden Flügeln; und sie verlangt sachliche und argumentative Antworten – die Sie nicht bieten.
    Ich grüße Sie,
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Nur zur Klarstellung: Der Satz „Also sorgen wir dafür, dass diese Menschen so schnell wie möglich verschwinden.“ bezieht sich nicht auf die kritisierten AfD-Politiker, sondern ist eine von mir unterstellte Konsequenz der AfD-Politik, d.h. AfD-Politik zu Ende gedacht bedeutet, dass möglichst alle Ausländer verschwinden sollen. Das ergibt sich eindeutig aus dem Zusammenhang. Christian Wolff

  4. “in a city’s society we all belong together”.
    “… it means that also the people who adhere to a different religion than Christianity (darf man hier verallgemeinernd auch “opinion” sagen?) are beloved creations of the living God”.
    “The likeness to God of man means nothing other than that every human is a piece of God”.
    “… everyone is a creation of God”.
    “Christians should be encouraged to live openly according to their conviction without demanding that others must think and believe the same”.
    Alles wörtlich aus Ihrem Vortrag in Adelaide, lieber Herr Wolff. Und als wichtige Folgerung hieraus und aus Ihrem schönen Dreiklang “freedom, education, responsibility” folgern Sie dann – bezogen auf andere Überzeugungen als die eigene: “keep your faith, your identity”.
    Es ist ja logisch, daß man dann aus diesen christlich-menschlich-demokratischen Erkenntnissen und Einsichten in Ihrem jetzigen Beitrag bezüglich “diese(r) Figuren“ – Andersdenkende, die eben leider nicht Muslime und Flüchtlinge sondern (wenn auch vielleicht fehlgeleitete) deutsche Mitbürger sind – zu dem Schluß kommen muß: “Sorgen wir dafür, dass diese Menschen so schnell wie möglich verschwinden”. Irgendwie jedenfalls gelingt es Ihnen, den Eindruck zu erwecken, daß Ihrer Meinung nach Petry, Gauweiler, Orban, ja manchmal auch Seehofer, vielleicht nicht so ganz “a creation of God” sind.
    Es bleibt das ewige und unglückliche Problem Ihrer politischen Äußerungen, daß Sie eben nicht mit politischen Argumenten sondern mit Ihrer eigenen christlichen Überzeugung widersprechenden Polemiken hantieren, die Sie selbst unglaubwürdig machen. Denn “keep your identity” gilt eben auch – in der Demokratie – für Anhänger der AfD, deren “identity” aber leider “verlogen, verantwortungslos, unmoralisch” ist – der Richter in diesem Fall Sie selbst und also ist nix mit deren identity. Besser wäre es wohl, sachlich und überzeugend zu argumentieren mit “diesen Figuren” – argumentieren wiederum heißt, sie ernst zu nehmen und als gesprächswürdig anzuerkennen. Aber Sie trennen Ihre saubere christliche Moral fein säuberlich von Ihrem demokratischen Eifer – und geraten ständig in die Heuchelei. Dabei ist Ihr Ziel, die Radikalen einzugrenzen, ja ehrenwert, auch wenn es unglaubwürdig wird durch Ihre einseitige Blindheit, die die ebenso gefährlichen Linkspopulisten der “Die Linke” ebenso übersieht wie in Ihren Aufzählungen der Weltbösewichte linke Herren wie Maduro kaum vorkommen.
    Die AfD zerlegt sich derweil doch einigermaßen von selbst: Wenn der Tagungsleiter während des Parteitages einem Parteimitglied öffentlich und publikumswirksam – so geschehen während der Phoenix-Berichterstattung – das Wort mit der Bemerkung entzieht “Sie halten jetzt die Klappe”, dann weiß doch jeder, was er kriegt, wenn er die wählt. So haben Sie vielleicht etwas Muße, Ihre christliche Moral mit Ihrer demokratischen Meinung und Taktik in Übereinstimmung zu bringen.
    Ich grüße Sie, der Sie in Adelaide überzeugender als hier gesprochen haben.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Da werden wir wohl nie einen Konsens finden. Aber wie soll das auch gehen, wenn man „Identität“ mit „politischer Überzeugung“ gleichsetzt und nicht unterscheiden kann zwischen Kritik (von mir aus auch Polemik) und der Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Die Würde eines Menschen wird doch nicht dadurch verletzt, dass ich seine politische Überzeugung für falsch halte, sie kritisiere oder sie politisch bekämpfe. Und da ich nicht so blauäugig bin, dass ich darauf vertraue, dass die AfD sich selbst zerlegt, sondern dass es der kritischen politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus bedarf, um die Demokratie zu stärken, werde ich auch weiter meinen Beitrag dazu leisten, die Ideologie einer AfD offen zu legen und zu kritisieren, um auch denen Argumente zu liefern, die die Perfidie einer AfD nicht so schnell durchschauen. Beste Grüße Christian Wolff

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