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Die AfD zu Ende denken

Im Deutschlandfunk hat die Publizistin Liane Bednarz auf drei inhaltliche Aussagen der Alternative für Deutschland (AfD) hingewiesen, die den ideologischen Hintergrund der Partei kennzeichnen (http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=2&audioID=4&state=) . Da ist zum ersten der auf dem Parteitag in Stuttgart mit Jubel aufgenommene Ausspruch von Jörg Meuthen: man wolle „weg vom linken, rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“ und hin zu einem „wirklich freien, souveränen Nationalstaat Deutschland in der Völkergemeinschaft der Welt“. Was verbirgt sich hinter diesem Ausspruch? Deutschland ist verseucht, befindet sich sozusagen in einem gesundheitlichen Notstand. Wer ist dafür verantwortlich? Diejenigen, die in den vergangenen 50 Jahren Deutschland gestaltet haben – also Menschen wie Gustav Heinemann, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Egon Bahr, Jürgen Habermas, Joschka Fischer, Johannes Rau, Erhard Eppler, Gerhard Schröder – und sicher auch Hildegard Hamm-Brücher, Margot Käßmann und Angela Merkel. Ein Notstand aber kann nicht mit „normalen“ Mitteln beseitigt werden. Da bedarf es hemdsärmeligere Strategien, die sich nicht mehr an Regeln und Grundwerte halten. Das wollen Jörg Meuthen und mit ihm die AfD insinuieren, um so den Boden zu bereiten für Maßnahmen jenseits demokratischer Entscheidungswege, jenseits des gesellschaftlichen Konsenses, jenseits global geltender Maßstäbe humanen Miteinanders (Menschenrechte), jenseits des freiheitlichen Rechtsstaates. Die AfD will also weg von einer Politik, die nach 1945 in einem mühsamen Verständigungsprozess eine europäische Friedensordnung (KSZE) gestaltet und auch zum Erfolg geführt hat: die deutsche Einheit, die Osterweiterung der Europäischen Union, die Erhaltung des Friedens in Mitteleuropa. Man will weg von einem Europa ohne Grenzen. Man will weg von Pluralität im gesellschaftlichen Leben. Man will weg von einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft hin zu einem deutschen Volkskörper, der sich wohl als Teil dieser Welt versteht, sich aber national klar ab- und eingrenzt. „Wir wollen keine Flüchtlinge“ stellte Alexander Gauland am 11. März 2016 apodiktisch in den Raum. Zwar wurde die beschlossene Forderung, „Einwanderung, insbesondere aus fremden Kulturkreisen abzulehnen“, auf dem Parteitag dann doch nicht ins Programm aufgenommen, dafür bekennt sich die AfD zur „Deutschen Leitkultur statt Multikulturalismus“. Da wundert es dann nicht, dass Beatrix von Storch gnädiger Weise bemerkt: „Wir meinen nicht, alle Muslime gleich auszuweisen.“ Wenn Frauke Petry dann den Vorwurf, die AfD sei „deutschnational“, positiv aufgreift, um dies als „keine schlechte Beschreibung einer deutschen Partei“ zu bezeichnen (und das ist die zweite; sehr aufschlussreiche Aussage), dann ist klar: Die AfD betreibt genau das, was rechten Parteien schon immer eigen war und ist: die Umwertung der Werte. Ja, man ist deutschnational, d.h. liberal nur so lange, wie die deutsche Volksmehrheit nicht bedroht ist. Ja, man positioniert sich bewusst gegen ein politisches Europa und bekennt sich zum deutschen Nationalstaat, hinter dem sich nichts anderes als völkischer Nationalismus verbirgt, will deswegen auch raus aus der Eurozone, um jeden Einfluss von außen abzuwehren. Ja, man versucht Pluralität zu bekämpfen und fängt schon mal beim Islam an: Er gehört nicht zu Deutschland! Religionsfreiheit passé. Da sollte sich keiner einer Illusionen hingeben: Wer so feindselig mit einer Religionsgemeinschaft umgeht, macht im Zweifelsfall vor anderen keinen Halt.

Wie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts lehnt sich die AfD auf gegen die „Altparteien“, über die man nunmehr als „Konsensparteien“ verächtlich spottet – und das ist die dritte entlarvende Aussage. Man selbst versieht sich mit einem quasi aufrührerischen, revolutionären Touch, ernennt sich zum „Anti-Establishment“, will aber nichts anderes, als zurück in den Mief der 50er Jahre der alten West-Bundesrepublik, in die Zeiten, da Ludwig Erhard von der „formierten Gesellschaft“ schwadronierte und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als hinderlich für das Wirtschaftswunderland angesehen wurde. Doch dieses Zurück ist nur zu erreichen über kulturelle Einfalt, Ausgrenzung der Fremden und Abgrenzung zum Fremden, die Einführung einer von Oben gelenkten, kontrollierten Kultur, die nur einem dienen kann: dem Deutschtum. Da ist es nur konsequent, dass Jörg Meuthen in seiner Rede auch noch monierte, dass den Deutschen nach 1945 die Vaterlandsliebe bzw. der Patriotismus „aberzogen“ worden sei, in seinen Augen wohl auch eine Folge der „68er Verseuchung“. Alexander Gauland hatte zuvor schon im Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT davon gesprochen, dass „Hitler … dem deutschen Volk das Rückgrat gebrochen hat“ und „Auschwitz, auch als Symbol, viel in uns zerstört hat“. Auch hier wieder: die Umwertung der Werte. Die Deutschen sind nicht die Täter, sondern Opfer, Opfer eines einzelnen Diktators und Opfer von Auschwitz. Da bedarf es nur noch eines kleinen Schrittes, um zur Forderung von Legida zu gelangen: „Schluss mit dem Kriegsschuldkult“. Abschied von der nationalsozialistischen Vergangenheit, um an ihre Voraussetzungen und ideologischen Grundbedingungen bruchlos anknüpfen zu können – das ist das ideologische Ziel all derer, die jetzt Deutschland zum Opfer einer jahrzehntelangen Umerziehungsstrategie erklären und zurückkehren wollen zu einem auf sich selbst bezogenen, aus Europa herausgelösten deutschen Nationalstaat – frei von allen fremden, insbesondere islamischen Einflüssen. Dass am Ende der Re-Nationalisierung und Ent-Europäisierung der deutschen Politik nur die gewaltsame Sicherung (unter Einschluss möglicher Veränderungen) von Grenzen stehen kann, dass am Ende einer solch fatalen Politik Verfeindung nach innen und außen steht, dass es am Ende und in der Konsequenz nur Hass, Gewalt, Krieg heißen kann, kann nicht frühzeitig genug ausgesprochen werden. In der AfD wird mit dem Feuer gespielt, es wird schon jetzt kräftig gezündelt. Da ist es eben kein Zufall, dass im Windschatten dieses fatalen, vor allem bösartigen Aufbruchs in die Vergangenheit, den die AfD angetreten ist, schon viel zu viele zum Brandsatz gegriffen haben – und dass ein Björn Höcke nur noch auf seine Stunde wartet. Es wird höchste Zeit, dass wir die AfD zu Ende denken und das, was sie treibt, auch so benennen, wie es Ole von Beust gerade im Blick auf Tilo Sarrazin in erstaunlicher Klarheit getan hat: bösartig – und sie entlarven (http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-04/thilo-sarrazin-ole-von-beust-fluechtlinge-afd).

5 Antworten

  1. „Politiker/innen in Regierungsverantwortung sind nicht die Obergouvernanten der Nation und müssen auch absolut überzogene, obszöne Kritik ertragen – insbesondere dann, wenn sie von unten kommt“ – das, lieber Herr Flade, schrieb Ihr Idol Wolff neulich und so sehr er Recht hat mit dem ersten Teil des Satzes, so sehr – Sie werden mir da zustimmen – verwundert dessen zweiter Teil. Die Menschenwürde dahingehend zu unterscheiden und abzustufen, gegen wen beleidigende Attacken gerichtet sind und aus welcher Richtung sie kommen, zeigt ein sehr bemerkenswertes Menschenrechtsverständnis eines Pfarrers i.R.
    Da fällt es bisweilen schwer, „freundlich“ zu sein, wie Sie es fordern, mit den Meinungen des Anderen und dies insbesondere, wenn dieser selbst ja beim besten Willen nicht als „freundlich“ bezeichnet werden kann in seinem Umgang mit anderen Menschen und deren Ansichten. Aber wo es nur geht – vielleicht sind Sie ja so objektiv das anzuerkennen – bin ich freundlich mit Herrn Wollf und stimme ihm zu, wo er nur sachlich bleibt. „Debattenkultur“ ist Austausch von Argumenten und deren Anerkennung als „mögliche Meinung“ auch dann, wenn man sie nicht teilt. Und nun vergleichen Sie mal W.’s und meine Beiträge. Viel Spaß und herzliche Grüße,
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Ach Herr Schwerdtfeger; ausschweifende Kommentierungen Ihrer Art versus der Wolffschen Denkanstöße, Haltungsoffenbarungen, Anregungen zur Selbstreflektierung sind vermutlich für Sie ein permanent psychosomatisches Muss, verkennt aber stets und immer wieder, dass damit die Realitäten (wir allesamt erleben diese alltäglich und hautnah!) aus dem Blick geraten und vor allem den bitteren Ton der Verletzung bedient. Und damit disqualifizieren Sie sich und Ihre teils ansatzweise bemerkenswerten Denkansätze). Zur Debattenkultur, die in diesem Lande ohnehin erschreckend an der notwendigen Qualität eingebüßt hat, tr5agen Ihre Einlassungen wenig bei. gehen Sie doch einfach freundlich mit den Ansichten und Überzeugungen des Anderen um – nicht mehr und nicht weniger.
    Jo.Flade

  3. Sehr geehrter Herr Pfarrer i. R. Wolff,

    Ihre klar positionierten, wortstarken und teilweise wirkmächtigen Einlassungen zum gesellschaftspolitischen Diskurs – in der Vergangenheit auch immer innerhalb der Gottesdienste – schätzte und schätze ich sehr! Mutig und entschlossen folgen Sie Ihrem Gewissen in Wort und Tat und setzen damit Orientierungsmarken, die unserer Poltik bisweilen (überwiegend?!?) fehlen.

    Nichts desto trotz gebricht sich der vorangehende Artikel bisweilen stark an einer sich mir ganz anders darstellenden Realität:
    Die AfD ist erst einmal eine, wenn auch vielen unbequeme, Partei, die sich aus den gesetzten Vorgaben unseres Rechtsstaates heraus konstituiert hat (sollte sie eben diese Vorgaben in der Zukunft verletzen, ist es an genau diesem Rechtsstaat, das festzustellen und entsprechend zu sanktionieren).
    Man mag dem formulierten Gesellschaftsverständnis dieser Partei nicht folgen wollen, trotzdem, nein, gerade deshalb ist sie eine sehr wichtige Kraft in unserer heutigen Zeit: Sie öffnet uns die Augen für die politischen, sozialen und Werte determinierenden Schatten, vor denen gerade das bundesdeutsche Bildungsbürger-Establishment seit Jahren vehement die Augen verschließt.
    Wenn der Begriff eines verseuchten Deutschlands mich persönlich zu stark an vergangene (linke und rechte) Kampf-Nomenklaturen erinnert, so muss doch trotzdem festgestellt werden, dass eine gesellschaftliche Dynamik schon lange durch wohlfeiles Eingerichtetsein in die Errungenschaften und Versäumnisse (!) einer (West!-)68-Generationen gelähmt ist.
    Die eigentlich offenbare Wahrheit ist nämlich, dass nicht erst die AfD Attraktivität erkennt im „hemdsärmeligen“ Übergehen gesetzter „Regeln und Grundwerte“.
    Von Ihnen genannte „Maßnahmen jenseits demokratischer Entscheidungswege“ sind schon lange politisches Faktum, sei es durch Geheimhaltung (z. B. „TTIP“), insistierende Lobbyarbeit (z. B. Hotel-, Kraftfahrzeug-, Pharma- oder Energiebereitstellungs-Industrie), oder einfaches Aushebeln selbstgesetzter Normen (z. B. Euro-Konvergenzkriterien, Schengen-Abkommen).
    Ein gesellschaftlicher Konsens scheint schon lange kein repräsentativ-politisches Determinativum (z. B. Hartz-4) mehr zu sein, ebenso halte ich Ihren Verweis auf „global geltende Maßstäbe humanitären Miteinanders“ geradezu für einen Hohn gegenüber ungezählten von Opfern sog. militärischer Krisenbewältigungs- und Stabilisierungseinsätze.
    Die von Ihnen angeführte europäische „Friedensordnung“ entblößt sich bei genauerem Hinschauen als eine gut geölte Maschinerie, deren Akteure auf der gesamten Klaviatur einer einseitigen Macht- und Interessenpolitik spielen. Und da geben sich sog. sozial- und christdemokratische Kräfte jovial die Klinke in die Hand.

    Als zweite Irrung des Artikels stellt sich mir jedoch die formulierte Dichotomie zwischen einerseits Ausgrenzung und andererseits Inklusion des Fremden schlechthin dar und damit einhergehend, wieviel des Deutschseins möglich, nötig, wünschens- oder ablehnenswert sei.

    Das im europäischen Ausland durchaus als Hybris wahrgenommene deutsche Diktat zur vorbehaltlosen Aufnahme von Migranten konkurriert dabei nahtlos mit einer ebenso teutonisch oktroyierten Hierarchisierung von Europatauglichkeit.
    Wieder einmal, so scheint es, soll die Welt „am deutschen Wesen genesen“, dieses Mal jedoch in der Verpackung kompromissloser Barmherzigkeit (oder wahlweise an alternativlosen, fiskalpolitischen Sachargumenten).
    Nun ist es aber offenbar so, dass das Volk (die deutsche Bevölkerung, die Menschen innerhalb der Staatsgrenzen der Bundesrepublik Deutschland?) die o. g. genannten Dissonanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Verpackung und Inhalt besser zu erkennen in der Lage ist, als es die diffundierende Kaste lobbygesteuerter Konsenspolitiker rezipieren mag.
    Und eben dies entlädt sich momentan ganz natürlich in einer rabiaten Gegenbewegung.

    Schauen wir also genau hin, wenden wir uns gerade den schmerzhaften, eigenen gesellschaftlichen Pathologien zu, weiten wir unseren Blick und die Spannweite des diskursiv Möglichen wieder, handeln wir entschlossen und demütig zugleich vor dem Hintergrund des großen Ganzen mit einer deutlich eigenen Handschrift und schon werden die politischen Ränder ihre Attraktivität wieder verlieren!
    Die Fehlersuche beim Anderen wird diesbezüglich nicht fruchten.

    1. Lieber Herr Besic, vielen Dank für den kritischen Kommentar. Ich stimme Ihnen in der Einschätzung der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend zu. Allerdings sind Grundwerte nicht dadurch passe, dass sie von Parteien oder von Tagespolitik missachtet werden. Sie behalten ihre Gültigkeit. Widersprechen möchte ich Ihnen in der Einschätzung der AfD. Sie ist für mich keine „wichtige Kraft in unserer heutigen Zeit“. Nein, sie ist eine äußerst gefährliche Partei. Das wollte ich mit meinem Blog-Beitrag verdeutlichen. Der AfD geht es ja nicht um die Behebung von Missständen. Es geht ihr um die Abwertung von Menschengruppen in unserer Gesellschaft. Es geht ihr um die Stigmatisierung einer Religion. Gnade uns Gott, wenn ein Björn Höcke das Sagen in der AfD bekommt – und es sieht so aus, als ob er in ein paar Monaten der Triumphator in der AfD sein wird. So viel in aller Kürze.

  4. Ein vielversprechender Titel, lieber Herr Wolff: Sie wollen also „denken“, gar „zu Ende denken“ – da freut man sich und ist dann ganz enttäuscht. Denn Sie denken ja gar nicht in diesem Beitrag, sondern Sie wiederholen – in Ihrem zweifelhaften Stil – alle Vorurteile, die man in unseren öffentlichen und veröffentlichten Reaktionen schablonenhaft hören und lesen kann – und weichen der Frage aus, die erst das Ganze zum „Denken“ machen würde, nämlich dem Lösungsansatz, wie man offensichtlich vorhandene politisches Bedürfnisse in unserem Lande „einfängt“ und in demokratische Strukturen und Verfahren lenkt.
    Wie immer beginnen Sie mit ein bißchen Geschichtsfälschung, denn wer im Zusammenhang mit der „Gestaltung“ Deutschlands Adenauer und Kohl nicht erwähnt (bei Adenauer haben Sie die Ausrede, daß er länger als 50 Jahre her ist), der verkennt, daß nur diese Beiden und zusätzlich aus den Reihen der SPD nur Schmidt in Verbindung mit unseren amerikanischen (hauptsächlich) und etwas zögerlicheren europäischen Verbündeten Deutschlands Freiheit erhalten und Deutschlands Wiedervereinigung ermöglicht haben. Brandts Ostpolitik soll nicht klein geredet werden, aber sie war widersprüchlich und nicht immer human – in seiner Amzszeit baute die „DDR“ Selbstschußanlagen an der Grenze! Der Helsinki-Prozess war eine Idee der 50er Jahre (wer war da wohl Kanzler?) und wurde 1973 (Schmidt) aufgrund eines Wunsches des Warschauer Paktes eingeleitet. Die Politik Schröders war innenpolitsch brilliant und mutig (Agenda 2010); außenpolitisch dagegen war sie von keinem erkennbaren klaren Prinzip gekennzeichnet – mal machte er mit, mal eben nicht!
    Sodann – auch das kein Wunder – wiederholen Sie alles, was eben heutzutage über die AfD so auf dem Markt ist, einschließlich der ganzen – zugegeben – Dummheiten, die diese Partei von sich gibt, und gleichzeitig versorgen Sie uns wieder mit Ihren altbekannten und undefinierten Schlagworten vom multikulturellen, multireligiösen, multipluralen (möchte man sagen) Zusammenleben aller Völker und Menschen und schimpfen auf „Deutschtümelei“ und „Völkisches“, natürlich auch wieder am Beispiel Sarrazin und anderen Ihrer Intimfeinde.
    Wo ist eigentlich bis hierher das Denken?
    Sie haben die Lage beschrieben, wie Sie sie sehen – eine zu achtende Meinung zweifellos – aber es fehlt eben völlig genau das, was man gemeinhin mit Denken verbindet: Die Beschreibung eines Zieles und die objektive Analyse der Lage als ersten Schritt, die Andeutung von Lösungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile als zweiten, die Abwägung dieser im Hinblick auf ihren wahrscheinlichen Zielerreichungsgrad.
    Das Ziel, könnte man sagen, haben Sie ja in früheren Beiträgen, wenn auch schwammig, beschrieben: Demokratie, demokratischer Diskurs, Integration unterschiedlicher Lebensentwürfe in allen gesellschaftlichen Bereichen. Diese Zielbeschreibung allerdings, so erkennt man schnell, ist brüchig, denn Demokratie ist bei Ihnen nur das linke Meinungsspektrum, Diskurs ist nur das was Sie sagen, und Integration erfolgt bei Ihnen nur in einer Richtung: „Wir“ müssen “die“ akzeptieren, umgekehrt ist nicht so wichtig. Also keine gute Zielbeschreibung.
    Eine objektive Lageanalyse ergibt – nicht bei Ihnen, aber eben eine „objektive“ – daß wir eine schrumpfende politische Mitte haben, in der sich viele Bürger nicht mehr reflektiert sehen und die überdies von den durchaus demokratischen politischen Flanken (CSU / Grüne) angegriffen wird (woran Sie sich ja unglücklicherweise beteiligen); daß wir dafür am linken Rand eine bezüglich ihrer Ziele kaum demokratische Partei haben (Die Linke) und eine außerparlamentarische Bewegung von gewaltbereiten Autonomen; und daß sich nunmehr, nachdem Merkel (bei allen Verdiensten) die CDU zur besten sozialdemokratischen Partei Deutschlands gemacht hat, eine gleichartige Entwicklung auf der rechten Seite mit der Partei AfD und der außerparlamentarischen Krawallszene Pegida entwickelt (hat). Die Konsequenz ist, daß es in unserem Lande an beiden Flanken eine erhebliche Zahl von Menschen gibt – vielleicht 10 – 15 % jeweils – die sich nicht mehr vertreten sehen von den sogenannten demokratischen Parteien und aus Überzeugung, Protest oder Mitläufertum eben die Ränder aktiv (durch Wahl) oder passiv (durch Wahlenthaltung) verstärken. Die Strategie gegen diese Entwicklung kann offensichtlich nicht die Ihre sein: Daß man nämlich, zum Teil auch noch unflätig und stillos (ich weiß, Sie halten nichts vom Knigge), aus der eigenen Seite auf die andere Seite schimpft und sie dadurch noch festigt, z.T. sogar stärkt. Hier liegt ja auch der ganze Unsinn Ihrer Demonstrierei.
    Welche Möglichkeiten gibt es?
    Das Problem negieren und die Polizei zum „Auseinanderhalten“ einsetzen. Das machen wir im Augenblick. Diese Strategie hat keinen erkennbaren Vorteil außer den der Gewöhnung und der Hoffnung, daß die Flanken-Prozentzahl sich nicht erhöht. Sie hat den Nachteil, daß die Extremen beider Seiten sich bestärkt fühlen (auch wenn sie keinen weiteren Zulauf hätten) und daß sich das Problem – die „Nichtmitnahme“ eines erheblichen Teils der Bevölkerung – nicht auflösen läßt.
    Das Auseinanderrücken der „Mitte-Parteien“ wieder mehr in ihre jeweils traditionelle Richtung innerhalb des demokratischen Spektrums: Diese Strategie müßte im Einvernehmen der Mitte-Parteien erfolgen, was bedeuten würde, daß die gegenseitige Kritik und Polarisierung zu Wahlkampfzwecken entfallen müßte. Sie ist also nicht wahrscheinlich. Sie ist auch jetzt nicht mehr sehr erfolgversprechend, weil eine Linksruck der SPD und ein Rechtsruck der CDU von den Wählern inzwischen nicht mehr als „authentisch“ angesehen würden und man, wie es jetzt eben leider heißt, dann lieber das Original wählt.
    Eine Strategie des überzeugenden Gesprächs, des Kompromisses bezüglich der strittigen Grundsätze, des „Forderns und Förderns“ beider Seiten, des glaubwürdigen Vorlebens unserer Werte auf unserer Seite (also nicht Böhmermann) und des glaubwürdigen Integrationswillens auf der Seite der Zuwanderer oder Zugewanderten, des Weckens von Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderungen bei den Konservativen und des Verständnisses für die Bewahrung unseres Kultur- und Wertekanons bei den Progressiven. Diese Strategie hat den Nachteil, daß sie sehr viel Zeit und Geduld braucht, daß sie ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Zurückhaltung, an Bereitschaft zum Zuhören und versöhnlichem Diskussionsstil und schließlich vor allem an Konzessionen erfordert – alles Bedingungen, die Sie nicht erfüllen! Sie hat aber den Vorteil, daß sie im Erfolgsfall nachhaltig ist und daß sie im Zweifelsfall als eine „Lösung der Mitte“ – teilweise Veränderung (die wir zu akzeptieren haben), teilweise Bewahrung (die die Einwanderer zu akzeptieren haben) – die größte Erfolgsaussicht bietet. Und diese „Veränderungen“ und dieses „Bewahren“ müssen wirgemeinsam mit allen Befürwortern dieser Strategie in Themen aufspalten undim einzelnen diskutieren.
    Dies kann nur eine sehr oberflächliche Demonstration dessen sein, was ich mit „Analyse, Möglichkeiten, Zielerreichung“ meine. Es reicht aber aus, um Ihnen zu demonstrieren, was erforderlich gewesen wäre, wenn Sie das Denken zu Ihrem Anliegen hätten machen wollen.
    Ich grüße Sie herzlich,
    Andreas Schwerdtfeger

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