Etliche Kommentare zu meinem Blog-Beitrag „Faber, die Zweite …“ (http://wolff-christian.de/faber-die-zweite-einige-anmerkungen-zur-wahl-desder-neuen-kulturbuergermeisterin/) nehme ich zum Anlass, noch einmal auf ein paar Dinge einzugehen:
1. Mein Blog-Beitrag dient vor allem dem Ziel, die öffentliche Debatte anzuregen. Das ist in Maßen durchaus gelungen. Jedenfalls hat sich auf meinem Blog eine kontroverse Diskussion entwickelt auf einem der Sache angemessenen Niveau. Alle eingegangenen Kommentare habe ich freigeschaltet.
2. In meinem Beitrag habe ich mich bewusst nur zur Kandidatin Skadi Jennicke geäußert – und das aus zwei Gründen: Zum einen ist sie derzeit die einzige, die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat Aussicht auf einen Wahlerfolg hat. Zum andern habe ich sie persönlich im Kulturausschuss mehrfach erlebt, die anderen beiden Kandidaten kenne ich nicht.
3. Ich stelle die in den Kommentaren beschriebenen Kompetenzen von Skadi Jennicke nicht in Frage. Sie stellen für mich eine Erweiterung meiner Einschätzung der Persönlichkeit dar.
4. Nun möchte ich aber meine Kritikpunkte noch einmal verdeutlichen. Der musikalische Bildungscampus forum thomanum, im Juni 2008 durch einen einstimmigen Stadtratsbeschluss befürwortet, hat in den Jahren 2012 und 2013 massive Beeinträchtigungen erfahren, nicht zuletzt aufgrund des Wirkens des Kulturausschusses. Die Tatsachen sind alle schriftlich dokumentiert. Deswegen kann ich mich auf wenige Dinge beschränken: 2014 wurde die Institutionelle Förderung des Forum thomanum Leipzig e.V. von 50.000,– auf 25.000,– Euro gekürzt. Dies war eine politische Entscheidung, die Skadi Jennicke wesentlich mitgetragen/mit betrieben hat. Ebenso wurde der Neubau der Grundschule forum thomanum zur Nachwuchsförderung des Thomanerchores auf dem Bildungscampus nicht nur massiv behindert; er sollte verhindert werden. Gleichzeitig wurde ohne Not und entgegen der schriftlich fixierten Vereinbarungen zwischen Stadt Leipzig und forum thomanum Leipzig e.V. die jetzige Anna-Magdalena-Bach Grundschule zusätzlich für die Nachwuchsarbeit ertüchtigt. Letzteres führte zu erheblichen Mehrausgaben der Stadt Leipzig für zusätzliches Personal, Ersteres zu Mehrkosten für den Grundschulneubau (Bauverzögerung, Wegfall zugesagter Zuschüsse, Erbbaupachtzins) in Höhe von ca. 1,5 Mio Euro. Diese Summe muss nun vom Verein, also durch bürgerschaftliches Engagement, aufgebracht werden. An dem allem war Skadi Jennicke (natürlich nicht allein) beteiligt. Sie hat keine Einladung zum Gespräch, zur Besichtigung des Campus Forum thomanum, mehrfach ausgesprochen, angenommen. Ist es abwegig, das im Vorfeld der Wahl zur Sprache zu bringen und zumindest als Kritikpunkt offen anzusprechen? Ist es abwegig, aufgrund dieses Verhaltens auch die Frage nach ihrem Bezug zur Musikstadt Leipzig, zum Erbe der Friedlichen Revolution und zum Reformationsjubiläum aufzuwerfen?
5. Angesichts der derzeitigen gesellschaftspolitischen Lage (zunehmender Rechtsextremismus, die von mir sehr begrüßte multikulturelle und multireligiöse Entwicklung) kommt der kulturellen Vielfalt einer Stadt größte Bedeutung zu. Da gilt es zum einen die kulturelle, die geistliche und geistige Tradition lebendig zu erhalten und zu fördern; denn ohne Anknüpfungspunkte an die in der Geschichte gewachsenen kulturellen Grundwerte können wir keine Zukunft bauen. Zum andern ist den neuen Impulsen ausreichend Raum zu geben. Wie weit Skadi Jennicke beim ersteren über Kompetenzen verfügt, kann ich derzeit nicht erkennen.
6. Vor sieben Jahren habe ich mich, damals mit vielen anderen aus der Kulturszene, dafür stark gemacht, Michael Faber nicht zu wählen und eine/n neue/n Kandidate/in zu suchen. Nach der Wahl habe ich einen bissigen Kommentar geschrieben, der sich absolut bewahrheitet hat, für den ich aber in den Folgejahren offensichtlich „abgestraft“ werden sollte (s.o.). Ich hätte es mir jetzt auch leicht machen können: Klappe halten und abwarten, was passiert. So scheinen es jetzt viele andere zu halten. Ob das ein Fortschritt in Sachen demokratischer Streitkultur ist? Es hat mich jedenfalls heute merkwürdig berührt, dass sich laut LVZ niemand aus den Kultureinrichtungen zur Kulturbürgermeisterwahl äußern will. Ist das die Spätfolge des Rapports, zu dem vor sieben Jahren die Geschäftsführer der Kulturinstitutionen nach ihrer Kritik an der Wahl Fabers vom OBM einbestellt wurden? Das alles ist kein Ruhmesblatt für die ach so offene Bürgergesellschaft Leipzigs.
7. Mir geht es nicht darum, jemanden zu verhindern oder dem Stadtrat die Wahlkompetenz abzusprechen (so ein Unsinn, das ins Feld zu führen). Mir geht es darum, dass im Vorfeld der Wahl wichtige Aspekte debattiert und Kriterien für die Wahl benannt werden. Wenn dann behauptet wird, vor sieben Jahren hätte die öffentliche Debatte auch nicht verhindert, dass der Falsche gewählt wurde, dann kann ich dem nur entgegnen: Nach dieser Debatte und vor der Wahl war wenigstens klar, dass Faber für den Posten ungeeignet ist. In diesem Wissen wurde er gewählt. Da legt es sich doch nahe, den Vorschlägen, die nun aus den gleichen Kreisen kommen, die damals Faber durchgeboxt haben, zunächst sehr skeptisch zu begegnen und lieber drei Mal öffentlich kritisch nachzufragen.
8. Zum Schluss: Auf welchem Hintergrund mische ich mich in die Debatte um die Wahl eines/r Kulturbürgermeister/in ein? 22 Jahre habe ich als Pfarrer an der für die Kultur Leipzigs nicht unwichtigen Institution und Aufführungsstätte des Thomanerchores und des Gewandhausorchesters Thomaskirche gewirkt, etliche Ensembles aus der freien Szene in ihrem Entstehen begleitet und mich für die zeitgenössische Kunst und Musik eingesetzt. Zusammen mit Alt-Thomaskantor Georg Christoph Biller habe ich den musikalischen Bildungscampus forum thomanum auf den Weg gebracht. Seit 2004 bin ich Vorsitzender des Forum thomanum Leipzig e.V.. Es war mir immer ein Anliegen, in der Innenstadt für einen Interessensausgleich zwischen Veranstaltern und Bewohner/innen zu sorgen. Aktiv setze ich mich für das interkulturelle und interreligiöse Zusammenleben in unserer Stadt ein. Und schließlich weiß ich sehr wohl, wie wichtig die freie Szene für die Stadt Leipzig ist, wobei die Kirchen mit ihren kulturellen Beiträgen sicherlich einen großen Teil dieser freien Szene darstellen. Darum kann ich mit der Unterscheidung zwischen sog. Hochkultur und freier Szene relativ wenig anfangen. Natürlich überblicke ich damit nicht die gesamte Kulturszene, aber ich rede auch nicht wie der Blinde von der Farbe – und wundere mich, dass ich in diesen Zusammenhängen – bis auf die vergangenen Monate und den Kulturausschuss – Skadi Jennicke nicht einmal begegnet bin.
Eine Antwort
Sehr geehrter Herr Wolff,
völlig zu Recht haben Sie mit Ihrem Blog-Beitrag „Faber, die Zweite“ einen wertvollen Beitrag zur demokratischen Diskussionskultur in unserer Stadt geleistet. Es wäre zu wünschen, dass der Oberbürgermeister und die Verwaltung es Ihnen endlich gleich tun und wichtige öffentliche Themen auch mit der Öffentlichkeit diskutieren. Bürgerbeteiligung darf nicht nur ein Wahlkampfschlagwort unserer Politiker bleiben. Insofern bin ich optimistischer als Sie, dass sich mit einer Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke die öffentliche Diskussionskultur im Kulturbereich verbessern dürfte. Demokratie und demokratische Politiker müssen kontroverse Diskussionen aushalten und trotzdem dem Gemeinwohl dienende Entscheidungen treffen.
Zu Ihrem Punkt 2. sehe ich Frau Dr. Jennicke noch längst nicht gewählt. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE haben sich offen zu ihr bekannt. Das ist bei weitem nicht die Mehrheit im Stadtrat. Andere Fraktionen haben sich bereits gegen Frau Dr. Jennicke ausgesprochen bzw. wie die FDP bereits öffentlich gegen ihre Wahl Stimmung gemacht. Der 18. Mai dürfte noch sehr spannend werden.
Was Ihre Kritikpunkte ab 4. betrifft, kann ich sie nicht wirklich bewerten, da ich mit diesen Vorgängen und Problemen nicht befasst war und sie meine Interessen auch weniger tangierten. Aber ich habe in den vergangenen Jahren sehr betroffen wahrnehmen müssen, auf welch hohem Niveau die sogenannte Hochkultur über geforderte Einsparungen klagte und stattdessen am Ende mehr bekam (ich verstehe unter Hochkultur einer Gesellschaft, also in unserem Fall der Leipziger Stadtgesellschaft, sich eine größtmögliche kulturelle Vielfalt leisten zu wollen und leisten zu können – dies wurde in Leipzig von einigen wenigen in den letzten Jahren völlig pervertiert – nicht von Frau Dr. Jennicke). Ich kann sehr wohl nachempfinden, dass Sie als ehemaligen Thomaspfarrer und langjährigen Vereinsvorsitzenden Kürzungen beim Forum thomanum Leipzig e.V. besonders betroffen haben. Aber welche institutionelle Förderung erhalten Fördervereine anderer Kultureinrichtungen? Der Förderverein des Naturkundemuseums erhält jedenfalls jährlich 0 Cent – nichts. 2010 verkündete der Oberbürgermeister, dass die Schließung des Leipziger Naturkundemuseums zu Gunsten der „Hochkultur“ alternativlos sei. Frau Dr. Jennicke gehörte von Anfang an zu denjenigen, die sich im Stadtrat gegen die beschlossene Schließung engagierten und einen entsprechenden Stadtratsbeschluss vorantrieben. Trotzdem ist bis heute die Zugänglichkeit stark beschränkt, die Öffnungszeiten ebenfalls. (z.B. muss das Naturkundemuseum freitags 13:00 Uhr und am Wochenende bereits 16:30 Uhr schließen während alle anderen noch geöffnet sind). Drei von fünf Abteilungen (Archäologie, Geologie und Wirbeltierzoologie) haben keine Kuratoren und Mitarbeiter mehr. Als im Jahr 2012 das Leipziger Naturkundemuseum sein 100jähriges Bestehen feierte, war dies der Stadtverwaltung (siehe Antwort von Faber im Stadtrat zur Einwohneranfrage des Fördervereins) keine Festveranstaltung bzw. öffentliche Würdigung wert, während das 90jährige Bestehen der Volkshochschule groß gefeiert wurde. Ein vom Förderverein organisiertes Museumsfest (Straßenfest) war der Stadt 0 Cent wert und musste einschließlich der Miete für den städtischen Parkplatz vor dem Museum allein vom Förderverein getragen werden. Zu einem vom Förderverein wegen der Untätigkeit des Kulturdezernates improvisierten Festakt vor dem NKM, bei dem ein Amberbaum als Baumspende dem Jubiläum gewidmet wurde, folgte als einzige von allen eingeladenen Stadträten nur Frau Dr. Jennicke der Einladung. In ihrem Grußwort versprach sie, sich für mehr Gerechtigkeit für das Leipziger Naturkundemuseum einzusetzen, wie sie sich seit Jahren für viele benachteiligte Kultureinrichtungen in der Stadt einsetzt. Diesem Versprechen ist sie bis heute treu geblieben, wie man ebenfalls in Unterlagen des Stadtrates nachvollziehen kann.
Aber diese ungleiche Behandlung des Naturkundemuseums und anderer städtischer und freier Kultureinrichtungen ging nicht nur von der Spitze der Stadtverwaltung aus. 1012 feierte nicht nur das Leipziger Naturkundemuseum sein 100jähriges Bestehen, sondern auch der Thomanerchor sein 800jähriges. Wie enttäuschend war es da für den Direktor des NKM, dass die LVZ seine Bitte um einen monatlich kleinen Jubiläumsbeitrag mit der Begründung zurück wies, dafür sei kein Platz, da man diesen für die fast täglichen Beiträge über das Thomanerjubiläum benötige.
Lieber Herr Wolff, vielleicht können Sie nun das Wirken von Frau Dr. Jennicke nicht nur aus dem Blickwinkel der Thomaskirche und des Thomanerchores sehen. Ich glaube, dass auch Sie nicht bestreiten können, dass Leipzig im kulturellen Bereich noch ein großes Gerechtigkeitsdefizit hat. Ich habe Frau Dr. Jennicke in den letzten Jahren jedenfalls sehr engagiert im Bemühen erlebt, dieses Leipziger Gerechtigkeitsdefizit zu mindern und rechne ihr das hoch an. Und deshalb stimme ich Ihnen in Punkt 5. der gewachsenen kulturellen Grundwerte voll zu – bis auf Ihre Schlussfolgerung. Kaum ein Stadtrat hat in den vergangenen Jahren mehr bewiesen, dass er/sie für die kulturelle Vielfalt Leipzigs steht, wie Frau Dr. Jennicke.
Zu Ihrer Frage im Punkt 6., „dass sich laut LVZ niemand aus den Kultureinrichtungen zur Kulturbürgermeisterwahl äußern will“, nur mal einen Gedanken. Ich weiß nicht, ob ich damit jemandem unrecht tue, aber mir erscheint es logisch, dass alle Kultureinrichtungen vom zukünftigen Kulturbürgermeister Wohlwollen und Geld haben wollen. Es wäre also wie im Lotto, wenn man in der Öffentlichkeit auf den falschen Kandidaten setzt, hat man in Zukunft verloren. Öffentliche Meinungsäußerungen kann man sich bei wirtschaftlicher Abhängigkeit nur dann leisten, wenn man nichts mehr zu verlieren hat.
Ihren Punkt 7. kann ich weitestgehend nachvollziehen. Aber spricht nicht die Distanzierung DER LIKNEN von Herrn Faber für ihr Hinzulernen. Vielmehr wäre es bedenklich gewesen, wenn DIE LINKE allein aus Prinzip an Herrn Faber festgehalten hätte. In der Leipziger Politik gehört jedenfalls mehr Mut dazu, einen Fehler einzugestehen, als durch permanentes Festhalten an ihm diesen zu negieren. Insofern gibt es einen gravierenden Unterschied zur vorherigen Wahl. Die vielen Widereden in Ihrem Forum haben in einem sehr breiten Spektrum unterstrichen, dass Dr. Skadi Jennicke eine wirklich gute Wahl als Leipziger Kulturbürgermeisterin ist.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Heyde