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Desaster mit Ansage – SPD am Scheideweg

Das Positive zuerst: Bei den Landtagswahlen im Freistaat Bayern hat es keinen Durchmarsch rechtsradikaler Parteien gegeben. Die AfD hat ein im Vergleich zu den Befürchtungen eher bescheidenes Wahlergebnis erreicht: 10,2 %. Dieser Stimmenanteil ist noch viel zu hoch, aber weniger als erwartet. Vor allem kann man das katastrophale Wahlergebnis der SPD nicht mit einem Erfolg der AfD erklären. Die SPD ist kein Opfer rechter Stimmungsmache geworden. Denn die Botschaft, die von dem Wahlergebnis ausgeht, ist deutlich: In dem Moment, in dem es im demokratischen Spektrum eine attraktive politische Alternative zur demokratischen Mehrheitspartei und einer aufstrebenden AfD gibt, steigt nicht nur die Wahlbeteiligung. Wähler/innen wenden sich der politischen Alternative im demokratischen Spektrum zu und von rechtsradikalen Scharfmachern ab. Nur: Derzeit ist nicht die SPD diese Alternative. Es sind die Grünen, die die Menschen erreichen. Warum aber hat sich eine so deutliche Verschiebung von der SPD zu den Grünen ergeben? Die Antwort ist relativ einfach: Die SPD kann derzeit nicht mehr glaubwürdig eine programmatische Alternative zur CSU und zur AfD darstellen. Das liegt weniger an der Regierungsbeteiligung in Berlin, sondern vor allem daran, dass die SPD es seit Jahren nicht vermag, ihre Programmatik inhaltlich und personell einsichtig zu machen und eine Machtoption zu eröffnen. Seit der Bundestagswahl vor einem Jahr hat sich diese Misere verschärft. Die SPD beschäftigt sich seit Monaten ausschließlich mit sich selbst und verkauft dies als „Erneuerung“. Doch als langjähriges Mitglied fühlt man sich wie in einer Therapierunde ohne Therapeuten. Es ist niemand da, der der Partei das Rückgrat aufrichtet und sie aus dem Wachkoma befreit. Es ist für viele Mitglieder nur noch frustrierend, als Adressat der Hilflosigkeit des Führungspersonals bedient zu werden. Diese Misere hat sich schon zwischen 2009 und 2013 abgezeichnet, als die SPD im Bundestag in der Opposition war.

Das Versagen spielt sich also weniger in der Regierung als vielmehr im Willy-Brandt-Haus ab. Da ist die „Performance“ unterirdisch. In den vergangenen Wochen ist dies besonders deutlich geworden: die Auflösung der Historischen Kommission (HiK), ein Fanal der Profillosigkeit; ein dilettantisches Agieren in der Causa Maaßen, das jede Perspektive vermissen ließ; strategische Absurditäten wie die Grünen zum Hauptgegner zu erklären, um so die kapitalen Fehler in der Kohle- und Energiepolitik aus den 80er Jahren zu wiederholen. Stattdessen arbeitet sich die Partei weiter an der Agenda 2010 ab, ohne dass ein attraktives sozialpolitisches Programm für das nächste Jahrzehnt entsteht. Vor allem aber hat die SPD versäumt, in den vergangenen Jahren eine Integrationspolitik offensiv zu entwickeln und vertreten – und dass, obwohl die SPD in vielen Kommunen Verantwortung trägt und tagtäglich zum Gelingen von Integration beiträgt. Statt sich als die Integrationspartei zu präsentieren, hat sie sich anstecken lassen von dem Virus, dass die Migration die Mutter aller Probleme sei.

Die SPD hat aber nur eine Chance: Sie muss endlich eine Politik sichtbar machen, die Menschen anspricht und für die sie sich begeistern lassen:

  • Die SPD bedarf wieder einer europäischen, friedenspolitischen Vision, die nicht täglich konterkariert wird durch von SPD-Ministern durchgewunkenen Rüstungsexporten. Es wirkt sich fatal aus, dass die SPD friedenspolitisch die Meinungsführerschaft verloren hat.
  • Die SPD muss aufhören, sich weiter an der Agenda 2010 abzuarbeiten. Sie muss heute ein eigenständiges sozialpolitisches Programm vorlegen, das eine neue Basis für gleichberechtigte Teilhabe aller an Bildung, Arbeit, Einkommen, Wohnung schafft.
  • Die SPD muss ein klares umwelt- und energiepolitisches Profil gewinnen. Dazu gehört ein Bekenntnis zum Kohleausstieg und zu grundlegenden Umsteuerung in der Mobilitätspolitik. Wenn die SPD aber weiter ihre Umweltministerin halbherzig unterstützt, wird das zum weiteren Bedeutungsverlust führen.
  • Die SPD muss ihre Verkrampfung überwinden. Regierungsarbeit auf allen Ebenen und Verfolgung der parteipolitischen Ziele schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich. Das muss die SPD auch personell darstellen. Sie kann dies in dem Moment, in dem sie mit ihren Zielen Menschen, aber auch Führungspersönlichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen ansprechen und motivieren kann. Da hat die SPD viel verloren und somit einen riesigen Nachholbedarf.

Wenn es in der SPD eines sehr selbstkritisch aufzuarbeiten gilt, dann dieses: Was hat dazu geführt, dass die SPD-Führung den möglichen und sich abzeichnenden Aufbruch Anfang 2017 mit Martin Schulz so in den Sand gesetzt hat? Vor Konsequenzen, die sich aus den Antworten ergeben, hat sich die SPD bisher gedrückt. Eines ist klar: Mit der Regierungsbeteiligung in Berlin hat es nur sehr bedingt zu tun. Eher mit Personen. Die sind wichtig. An den Grünen kann man ablesen, wie unverkrampftes, unangestrengtes Auftreten von Politiker/innen, diese Mischung aus Vision und Pragmatismus ohne Knautschzone in den Gedankengängen, Glaubwürdigkeit ausstrahlen und Vertrauen stiften kann. Die SPD benötigt jetzt Menschen an ihrer Spitze, die genau dies leben können. Mit Katarina Barley, Malu Dreyer, Franziska Giffey, Manuela Schwesig verfügt die SPD über vier Frauen, die ihr neues Profil verleihen und vor allem eine neue machtpolitische Option schaffen können. Ohne letztere hat die SPD keine Zukunftschancen. Sie ist aber nicht mehr allein zu schaffen. Also muss die SPD jetzt auch klar machen, mit welchen Parteien und Initiativen sie in Zukunft zusammenarbeiten will.

9 Antworten

  1. Wie floskelt man so „schön“ ?: Nach der Wahl ist vor der Wahl…
    War man Zeuge der Berliner Runde nach dem bayrischen Wahldesaster, kam der Zuschauer nicht umhin, nur noch mit dem Kopf zu schütteln.
    Was vor allem der Eistänzer aus München (Bluhme) von sich gab, war an realitätsferne und Macht-Arroganz nicht zu überbieten. Und die Ohnmacht der bedauernswerten SPD (Klingbeil) tat einem schon fast leid.
    Mehr und mehr wird erkennbar, wie diese Parteienlandschaft und damit wohl auch die parlamentarische Demokratie droht, abhanden zu kommen.
    Und sah bzw. hörte man den noch amtierenden Bundes-Innenminister vor der Presse seine unglaublich eigenverliebten Erklärungen, wurde das ganze Dilemma überdeutlich
    Man will da in München und Berlin die Realitäten einfach nicht zur Kenntnis nehmen, auch nicht das Votum der Bayern, nämlich den Wahlerfolg der Grünen. Ein weiteres Indiz für Realitätsverlust: Söder bleibt MP trotz der Wahlkatastrophe der CSU (Stoiber musste einst bereits bei 42% gehen!), er kungelt mit den Freien Bürgern, die zwar stimmenmäßig zulegen konnten, jedoch weit hinter den Grünen zurück blieben und es wird alles so weitergehen wie gehabt – wunderbare Aussichten.

    Und wenn man der auch noch amtierenden CSU-bundesdeutschen Digitalministerin Dorothea Bär bei Anne Will genau zuhörte, ihre lustvollen, allerdings intellektuell kaum verdaubaren Anwürfe gegen der höchst erfrischenden Annalena Baebock genauer reflektierte, dann wurde zusätzlich klar, in welch Schlamassel wir allesamt stecken.
    Wann endlich wachen die da OBEN endlich mal auf und nehmen den Souverän, die Basis zur kenntnis ? Die AfD sitzt in 15 Bundesländern, drei ostdeutsche Landeswahlen stehen uns 2019 noch bevor (von Hessen kommende Woche ganz abgesehen) und es sieht bitterböse aus in unserer Republik.
    Was Chr. Wolff beschreibt, ist die Realität; wer das noch immer nicht begreift, dem ist nicht mehr zu helfen.
    Nur: es geht um den Bestand dieser Demokratie.
    Gott sei Dank trieb es in Berlin kürzlich eine viertel Million mutwillige Bürger auf die Straßen, um Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Menschenwürde zu reklamieren / ein Hoffnungsschimmer, immerhin!!
    Guten Tag – Jo.Flade

  2. Es ist dies eine interessante Analyse – allerdings glaube ich nicht so ganz, daß sie zutrifft. Die vier Punkte „Die SPD muss …“ machen dies deutlich. Denn in Wirklichkeit sind die dort aufgeführten Postulate eben Ziele ALLER demokratischen Parteien in unserem Lande und keine wirklichen Unterscheidungsmerkmale mehr. Man sieht es ja auch daran, daß im bayerischen Wahlkampf die Oppositionsparteien eigentlich kaum Alternativen zur CSU-Politik forderten sondern nur entweder ein „noch ein bißchen mehr, bitte“ (Umwelt, Bildung, Vereinbarkeit von Stadt und Land, etc) oder ein ideologisches „nein“ (Innere Sicherheit, Polizeiaufgabengesetz, etc) ohne das Angebot von Alternativen.
    Unsere Parteien haben andere Probleme:
    – sie haben keine wirklich überzeugenden Repräsentanten mehr, was nicht nur an ihnen liegt, denn wer setzt sich schon freiwillig der ewigen besserwisserischen, egoistischen, rabiaten Kritik der Medien und des Volkes aus;
    – sie müssen ständig dem Volk nach dem Munde reden, denn dieses wählt nur noch in die eigene Tasche und verkauft das als „soziales Gewissen“; dies zeigt sich schon an der unsinnig hohen Zahl an kleinen und kleinsten Gruppierungen, die alle in Form von Bürgerinitiativen, Kleinstorganisationen, Gruppen und Grüppchen irgendwelche Mini-Ziele zu Lasten der Gesamtgesellschaft fordern;
    – sie splittern sich deshalb auch parlamentarisch auf in immer mehr Fraktionen, die sich gegenseitig die Wähler im Nahkampf streitig machen, obwohl sie in Wirklichkeit kompatible oder ähnliche Ziele verfolgen, wenn man nur zu etwas großzügigeren Kompromissen bereit wäre; ein Beispiel: Die jetzt sich abzeichnende CSU/FW-Koalition in Bayern ist doch eigentlich nichts anderes als als Fortsetzung der CSU mit einer etwas spießigeren CSU-Variante; insofern ist eben auf der linken Seite des Spektrums die Wagenknecht-Initiative eine eigentlich logische Strategie;
    – sie können gar keine langfristigen Perspektiven entwickeln, weil diese von den Medien, von den ach so klugen Politikwissenschaftlern, von einzelinteressen-vertretenden NGOs, von Gutmenschen aller Art zerrissen werden und weil insgesamt die Gesellschaft sofortige Lösungen für eine Vielzahl von Kleinproblemen fordert und Langfristigkeit bestenfalls (das Beispiel Umwelt zeigt es am besten) nur in völlig einseitiger Isolierung des Problems vorkommt.
    Ihre vier Forderungen, lieber Herr Wolff, scheinen mir insofern schon wieder längst überholt, weil sie ein paar Einzelprobleme lösen könnten nicht aber die Krise unserer Demokratie, die in fehlender Kompromißbereitschaft, in Aufsplitterung in Einzelinteressen, in Besserwisserei und Unbelehrbarkeit, in Polarisierung und Diskriminierung und in schlechtem Stil statt gutem Inhalt sich äußert. Die Ungeschicklichkeiten eines Herrn Seehofer sind dafür ebenso Beweis wie die ganze Hetze gegen ihn in den letzten Monaten.
    Und schliesslich: Wie soll eine Partei Erfolg haben, wenn ihre eigenen Mitglieder alle sechs Monate die Führung unter Rücktrittsdruck setzen. Als Nahles Vorsitzende wurde, schrieb ich, daß ihre schrille Art sie dort wohl nicht lange halten würde – ein halbes Jahr später schon plädieren Sie für einen Wechsel. Mahlzeit! Der Niedergang der SPD – in Hessen wird sich das ja wahrscheinlich nicht ganz so deutlich zeigen und dann zu ebenso übertriebenen Siegesäußerungen führen wie jetzt in Bayern die Niedergeschlagenheitsäußerungen übetrieben sind – der Niedergang der SPD also ist selbstgemacht und auch für Nicht-Anhänger beklagenswert. Daß die vier Wunderfrauen das ändern werden, bezweifle ich. Aber die SPD geht der CDU nur etwas voraus, denn Merkel ist zweifelsohne die Totengräberin der CDU. Wenn Parteien um der Anbiederung willen ihre Positionen ändern, geben sie neuen Parteiein eine Chance – so war vor 30 Jahren die SPD Steigbügelhalter für die Grünen (und später die Linken); so ist jetzt die CDU Steigbügelhalter für die AfD. Die CSU hat das zu verhindern versucht und ist dabei Opfer einer unsinnigen Kampagne geworden (allerdings auch selbstverschuldet durch unglückliche Rethorik).
    Herzliche Grüße,
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Bis auf 3 der 4 genannten Namen, kann ich Ihnen zustimmen. Giffey ist „unverbraucht“ und könnte Teil der Erneuerung sein. Bei den 3 anderen Damen habe ich sehr große Zweifel. Fallen Ihnen denn keine Herren ein? Sehen SIe da aktuell auch niemanden, so wie ich?
    Es ist traurig, aber hausgemacht.
    Und der Gipfel war die Aussage, dass die Schuld für das schlechte Abschneiden der SPD beim Unionszoff liegen würde. Ich glaube Oppermann sagte das.
    Das mag auch EIN Grund sein, aber der HAUPTGRUND ist doch bei den eigenen Leuten und dem Programm zu suchen – oder?
    Und wenn es schon daran scheitert, dann sollte man sagen: Geschieht euch recht!
    Im Übrigen: Die linken Parteien haben in Summe ggü. 2013 verloren…

  4. Lieber Christian,
    folgende Gedanken von Jakob Augstein stehen im heutigen „Spiegel-online“. Ich denke sie sind ein treffender Kommentar zu deinen Ausführungen.
    „Die Grünen waren nämlich in den vergangenen Monaten buchstäblich die einzige Partei, der in der Migrationsfrage nicht die Hand gezittert hat. Alle haben sich von den Rechten treiben lassen. Die CSU am Schlimmsten – Söders Grenzpolizisten und Asyltourismus kommen sie jetzt teuer zu stehen. Aber auch die CDU, die SPD, selbst die Linkspartei – alle haben eifrig den AFD-Spaltpilz bei sich gezüchtet.“
    Herzliche Grüße, Ernst

  5. In der Führungsetage der SPD ist jemand so unverkrampft wie Robert Habeck nicht zu entdecken. Schade! Vielleicht Hilft der SPD auch ein Blick nach Finnland und die anderen skandinavidischen Länder. Warum ist es denn so schwer, den Wählern der Brexiteers und der anderen Populisten in Europa ein progresives und alternatives Programm entgegenzuhalten. Darin müsste eine Riesenanstrengung für intensive Bildung und Teilhabe der Kinder- und Jugendlichen enthalten sein. Ist es nicht verrückt, dass für die Kinder das Geld fehlt, die doch in Zukunft den Frieden, die unversehrte Umwelt und die verbesserten sozialen Bedingungen einschließlich der Renten auch für Kinderlosen erarbeiten müssen. Da kann die SPD noch mächtig nachlegen! Wenn sie es nicht tut und die Grünen diese Rolle übernehmen ist die SPD eben ein Kapitel der Geschichte gewesen!

  6. Lieber Christian, interessant, dass sich in deiner Aufzählung der Frauen der Name Andrea Nahles nicht findet… Den Grund dafür ahne ich – und in meiner Ahnung teile ich ihn. Beste Grüße aus Hamburg Nils

    1. Ja, lieber Nils, dass ich Andrea Nahles nicht genannt habe, ist Absicht. Bis zum Sommer habe ich gehofft, dass Andrea Nahles die Führungsaufgabe erfüllen kann. Inzwischen hat sie mich eines Schlechteren gelehrt: sie kann es nicht. Dass sie vor der Versammlung der Arbeitgeberverbände und wenige Tage vor dem alarmierenden Bericht des Weltklimarates diejenigen, die sich für den Kohleausstieg engagieren, mit den Klimawandel-Leugnern von der AfD auf eine Stufe gestellt hat, ist eine horrende politische Dummheit und eigentlich unverzeihlich. Herzliche Grüße Christian

  7. Da Frau Merkel die CDU weitgehend sozialdemokratisiert hat, ist der Platz für die SPD knapp geworden. Jetzt wird man noch mehr auf Umverteilung und steigende Staatsverschuldung zu Lasten kommender Generationen setzen. Aber die Wähler sind nicht dumm.

    1. Lieber Herr Plätzsch, wer ist „man“? Was die Nichtdummheit der Wähler betrifft, da wäre ich mir nicht so sicher. Was bisher von der „Schwarmintelligenz“ abgeliefert wurde ist mehr als Dummheit. Wer von der AfD und Ihren „Vorfeld-Truppen“ Pegida und Legida „Lösungen“ erwartet wird sich noch sehr wundern! Mich tröstet da nur die „Gnade der frühen Geburt“!

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