Man reibt sich nicht erst seit gestern, 11. Februar 2022, verwundert die Augen. Präsident Joe Biden ruft alle Amerikaner*innen, die in der Ukraine leben, dazu auf, das Land unverzüglich zu verlassen. Heute zieht Außenministerin Annalena Baerbock nach: auch deutsche Staatsbürger*innen sollen möglichst umgehend nach Deutschland zurückkehren. Begründung: Angeblich stehe eine Invasion der vor der Ukraine aufgezogenen russischen Truppen unmittelbar bevor. Man verfüge über entsprechende Geheimdienstinformationen. Das Kriegsszenario soll Gestalt annehmen.
Nun mache ich mir über Wladimir Putin keine Illusionen. Er ist ein kaltblütiger Autokrat, der notfalls über Leichen geht. Ich sehe auch in dem Truppenaufmarsch der Russen in Belarus und vor der ukrainischen Grenze eine aggressive Provokation, die sich politisch kaum rechtfertigen lässt. Bei jedem einen Krieg einkalkulierenden militärischen Akt verbietet sich jede Form von politischer Rechtfertigung. Dennoch erinnert alles, was in den letzten Tagen verlautbart wurde, fatal an das Jahr 2003. Damals ergaunerte sich die Bush-Administration im Verein mit der Blair-Regierung in Großbritannien durch ein gezieltes Lügengebäude die Zustimmung des Weltsicherheitsrates zum Krieg gegen den Irak. Jetzt klingt alles so, als wolle man Putin geradezu herausfordern, endlich das zu vollziehen, was er androht: eine Invasion in die Ukraine.
Dabei ist nicht zu erkennen, welchen „Vorteil“ der sog. Westen aus einem solchen Gewaltakt ziehen könnte. Auch ist völlig unklar, wie „hoch“ denn der viel beschworene „Preis“ sein soll, den Russland für eine Invasion zu „bezahlen“ hat. Allein das wirft ein düsteres Licht auf die derzeitige Politik der NATO und der Europäischen Union. Denn nirgendwo ist eine Strategie zu erkennen – eine Strategie, die dem Frieden und damit auch der Ukraine dient. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass es derzeit keine erkennbare europäische Friedenspolitik gibt. Was will die EU in Mittel-/Osteuropa erreichen? Wie soll das Verhältnis zu Russland aussehen? Welche Vision in Bezug auf eine europäische Friedensordnung verfolgt der sog. Westen? Die Folgen dieses Defizit sind drastisch: In den hektischen diplomatischen Aktivitäten ist nicht zu erkennen, worüber man denn mit Russland reden, verhandeln will? Dem entspricht, dass es seit Wochen in den Medien und innenpolitischen Auseinandersetzung nur um zwei Fragen geht: Liefert Deutschland Waffen an die Ukraine? Wird Deutschland das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 beenden, bevor es überhaupt in Gang gesetzt wurde? Beide Fragen werden gebetsmühlenartig wiederholt, auch vom Botschafter der Ukraine, und das im vollen Wissen darum, dass beides – Waffenlieferungen und ein Ende von Nord Stream 2 – nichts zu einer friedlichen Entwicklung in der Ukraine beitragen kann.
Eine andere Frage wäre viel wichtiger zu erörtern: Was ist Sinn und Zweck einer Friedensordnung in einer Region, in der sehr unterschiedliche politische Systeme aufeinanderprallen? Weder kann es darum gehen, dass die anderen so werden wie wir selber, noch bedeutet Friedensordnung, sich mit einem politischen System gemein machen, das man für falsch und den Menschenrechten zuwiderlaufend hält. Das war auch die Ausgangslage der Ostpolitik vor über 50 Jahren. Das Wichtige ist: den Frieden erhalten, die Unterschiedlichkeit von politischen Systemen und Lebensweisen respektieren und die jeweiligen Interessen des anderen anerkennen und abwägen. Das ist schwer genug. Aber nur mit einem solchen Ansatz lässt sich eine gefährliche, kriegstreibende Situation vermeiden, die jetzt an der Westgrenze Russlands zu Zentraleuropa entstanden ist. Eines ist offensichtlich: In der vergangenen 30 Jahren wurde in Sachen Friedenspolitik viel versäumt – vor allem Russland einzubinden in eine europäische Friedensordnung und deren Sicherheitsinteressen zumindest zu bedenken. Solange aber eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens von der NATO und der Europäischen Union als Option aufrechterhalten wird, wird es sehr schwer, mit Russland in Verhandlungen auf Augenhöhe einzutreten.
Auf diesem Hintergrund ist es ein Segen, dass sich die neue Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den aufgeregten Debatten um die Ukraine bis jetzt absolut zurückhalten und jede Form der Kriegsrhetorik vermeiden. Es ist auch nur zu begrüßen, dass die Bundsregierung Waffenlieferungen an die Ukraine strikt ablehnt und Nordstream 2 nicht als Waffe in der Diplomatie eingesetzt wird. Wenn nicht alles täuscht, werden all diejenigen (insbesondere in den Medien), die geradezu infantil nur auf Waffenlieferungen setzen, Scholz ein Nein zu Nord Stream 2 abringen wollen und der Bundesregierung die Bündnistreue absprechen, bald sehr alt aussehen werden. Denn es ist jetzt die Stunde, entgegen allem Kriegsgeheul wieder das in den Mittelpunkt zu stellen, wozu jedenfalls in Deutschland Politiker*innen gewählt werden: dem Frieden in einem geeinten Europa zu dienen (Päambel des Grundgesetzes). Eigentlich ist schon genug Unheil in den vergangenen Jahrzehnten durch die entstanden, die statt das mühsame Geschäft einer Friedenspolitik zu betreiben, auf kriegerische Einsätze ohne strategisches Ziel gesetzt haben. Darum kann man die Bundesregierung nur dazu ermutigen, die Eckpunkte einer europäischen Friedenspolitik offen zu debattieren und vor allem politisch wirksam werden zu lassen.
53 Antworten
Liebe Herren M. Käfer, Joh. Lerchner –
Ihre klaren und guten Reaktionen auf mein erneutes Reklamieren souveräner, respektgebietender und freundlich zu führender Streitkultur a priori in diesem Blog (für den auch ich meinem langjährigen Freund und Wegbegleiter Chr. Wolff natürlich bei durchaus streitbarer Meinungsvielfalt sehr dankbar bin) zeigen ja unübersehbar auf, wie nötig es ist sich in der Sache auseinanderzusetzen, nicht jedoch sich zu verheddern im banalen Sandkasten-Debakel (siehe Käfer). Danke dafür!
Wenn Herr Schwerdtfeger u.a. schreibt (ein Grinsen konnte ich mir nicht verkeifen):
„Wer angebotene Treffen zum ausräumen von persönlichen Streitigkeiten und zum Kennenlernen aus Angst ablehnt, der will diese Auseinandersetzungen.“ – kann ich abschließend nur nachfragen: Ja was nun, Herr AS? Ich halte mich mit diesen Unklarheiten nicht mehr auf, verweise vielmehr an dieser Stelle höchst gern auf den Hirnforscher und Neurobiologen Gerald Hübner, der sich mit dem Thema: „Angstmacher“ beschäftigt. Dass Herr Schwerdtfeger dauerhaft meint, andere hätten Angst vor ihm, wirft ein überlegenswertes Licht auf seine Vorstellung und scheinbare Psychologie der Diskussions“kultur“ mit dem Anderen. Nochmal und dies letztmalig: auch mit mir nicht!
Ich ziehe mir die klugen, auf Empirie basierenden, komplex betrachtenden Debatten mit den oben genannten Herren und anderen sympathischen Blog-Kommentator*innen vor, zumal es sich allein auf diese Weise gut miteinander oder untereinander streiten lässt, begegnet man sich souverän (ich betone dies erneut!).
Und wie vor langer Zeit bereits vorgeschlagen wäre es doch mal gut, würden wir uns (Wolff, Lerchner, Käfer, ich) persönlich begegnen, reden, sich körperlich gegenüber sitzen, in Leipzig und die Dinge des politischen Lebens reflektieren, vielleicht auch zu noch mehr. Meine jahrzehntelangen Wahrnehmungen sind, wie gut es tut, sich leibhaftig zu erleben, in die Augen zu schauen, Emotionen zu spüren, auch durch Körpersprache, die etwas signalisiert, miteinander zu kommunizieren.
Und wir könnten durchaus mal den Streit zu GRÜNE, LINKE, SPD, Theologie, subjektive Lebenserfahrungen, Wahrheit (?; siehe Pilatus im Verhörszenario mit Jesus; Joh.-Evangelium) aufkommen lassen und vermutlich konstatieren, was wir im Kern allesamt wollen: FRIEDEN, in Gedanken, Worten und Werken.
Und zur Klarheit: Ich bin ein gefühlt ewiger GRÜNER, respektieren die SPD und neige auch hie und da mit den LINKEN, stehe der FDP ziemlich distanziert gegenüber (erlebte partiell jedoch Gerhard Baum bei vielen persönlichen Gesprächen als weitdenkenden Ex-Politiker), lehne AfD kategorisch ab und rede mit jedem, der mit Anstand, Respekt und humanitärer Basis im Denken den offenen Diskurs will und praktiziert.
Immer und immer wieder zu meinen (AS), die sogenannten Ost-/West-Blöcke könne und müsse man geopolitisch und strategisch allein nur durch voll angehäufte atomare und waffenstrotzende Lagerhallen auf Distanz halten und somit Respekt und Angst voreinander garantieren – abwegigere Vorstellungen vom Erdenleben auf diesem ohnehin gewaltvoll gestörten Planeten Erde kann es wohl nicht geben. Individueller Selbsterhaltungstrieb? Geltungssucht? Vermutlich!
Also mal in nicht allzu weiter Zeitlichkeit in Leipzig ? Fände ich gut und an der Zeit, liebe Lerchners, Käfers und Wolffs!!
Adieu – Jo.Flade
PS: Dass sich auf der Dringlichkeitssitzung der UNO China erstaunlich bedeckt hielt – bemerkenswert. Wirtschaft geht eben vor militärischem schwadronieren. Industrie, Wirtschaft, Handel geht offensichtlich in dieser globalen Welt vor; Säbelrasseln, Kugeln gießen, lautes Kriegsgeheul, Angstmacherei (in Gedanken, Worten und Werken) sind da eben einfach nur dumm und gefährlich! Chr. Wolff bringt es doch auf den Punkt, und wir allesamt müssen es endlich begreifen und im kleinsten Netzwerk für den Frieden (in Gedanken, Worten und Werken) einstehen – endlich!!!
Eigentlich wissen wir es doch längst.
In einem Punkt hat AS den Finger in der Wunde: Was sich das IOC unter TH. Bach in Peking zur Olympiade rhetorisch geleistet hat, war unerträglich und gipfelte in seinem Satz: Diese Olympiade in China sei ohne Beispiel. Von der immer und immer wieder reklamierten Neutralität nichts mehr zu sehen; Bach lobhudelt ein absolut diktatorisches System und offenbart damit seine und nicht nur seine wahre Gestalt: der Sport wird dem politischen Geschäft ohne Not geopfert – und alle applaudieren…Hier stimmt schon lange nichts mehr, und keiner schreit auf, zu allerletzt der Sport.
Ein 15-jähriges Kind aus Russland wird auf der chinesischen Kunsteisbahn der Welt ohne Not geopfert und seelisch zerstört – Herr Bach: Denken sie und andere endlich mal nach!!!
Nein, Herr Lerchner, es war mir nicht klar, dass Sie gerne einmal – ausgerechnet mit mir – über das Werte-Gerede der Grünen streiten wollen. Ich fürchte auch, dafür nur semi-geeignet zu sein… Aber ich will gerne versuchen, meine Einstellung/Motivation zu diesem Themenkomplex einmal darzustellen:
Da ich Jahrgang 1952 bin, mache ich mir aktuell über viele Fragen grundsätzliche Gedanken, z.B. was lief gut bislang, was weniger, was wird/sollte bleiben, wie werden meine Kinder und Enkel*innen leben (können) usw. Darüber hinaus sind meine Frau und ich vor 6 Jahren aus unserem bisherigen sozialen Umfeld (Rhein/Main-Gebiet, leitender Angestellter, stark engagiert in der Erziehung und Entwicklung der Kinder) bewusst ausgestiegen und haben in Leipzig neu begonnen (Rentner, Innenstadt-Mietwohnung statt Haus im Speckgürtel von Frankfurt, kein bestehender Freundes-/Bekanntenkreis, räumliche Entfernung von familiären Bindungen). Christian Wolff hat dabei eine wichtige Rolle gespielt; als ich ihn beim Aufruf 2019 und der Vorbereitung des 70. Geburtstages des Grundgesetzes kennengelernt habe, war da sofort und ganz selbstverständlich ein gegenseitiges Vertrauen und respektvoller Umgang; auch Einstellung und Zugang zur Kirche haben sich für mich dadurch geändert…
Fast mein gesamtes politisches Leben lang war ich überzeugter SPD-Wähler; Schröder/Hartz, Thilo Sarrazin und das bewusste oder unbewusste Gegen-die Wand-fahren-lassen von Martin Schulz durch die SPD-Zentrale, haben mich jedoch nachhaltig irritiert. Meine Probleme mit Angela Merkel hatte ich bereits geschildert, nach Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger konnte mich auch die FDP nicht mehr überzeugen (mit dem absoluten Tiefpunkt der Wahl von Thomas Kemmerich zum MP in Thüringen). Eine stärker durch Katja Kipping geprägte LINKE hätte mich dagegen durchaus ins Grübeln gebracht, aber der (wieder-) gewählte Leipziger Direktkandidat hat das schnell in „normale“ Bahnen gelenkt.
Für B90/GRÜNE sprach aus meiner Sicht 2020 nicht nur das harmonische Spitzen-Duo Baerbock/Habeck, sondern auch, dass dringend Alternativen zum ewigen Wachstums-Fetisch, zur Geiz-ist-geil-Mentalität (mit den Auswüchsen Massentierhaltung, Lohndumping , Ressourcen-Verschwendung, Verantwortungs-Auslagerung…) und zur Ent-Solidarisierung der Gesellschaft gebraucht werden. Ich bin aber (und werde wohl auch zukünftig) nicht Mitglied dieser Partei; auch nach meinen eigenen Erfahrungen im Bundestagswahlkampf sehe ich deutliche Defizite bei der Professionalität (Anfänger-Fehler nach der Nominierung von Annalena Baerbock, keine klare Positionierung zu Grün/Rot bzw. Rot/Grün, kaum Testimonials im Wahlkampf, dafür dann bei der Wahl des Bundespräsidenten, schlecht geplanter Straßenwahlkampf in Leipzig, der nicht auf die gezielte Unterstützung der LINKEN für Sören Pellmann reagierte…).
Stand heute (22.2.22) habe ich große Sorge vor einer unkontrollierbaren Eskalation der Krise in der Ukraine; den Wunsch von Olaf Scholz, führen zu wollen, sehe ich zwar, allein mir fehlt der Glaube an das Können. B90/GRÜNE haben ihre Haltung zu Nordstream 2 schon immer klar geäußert und scheinen mir auch jetzt für eine konsequentere Umsetzung von Sanktionen einzutreten.
Das Vorgehen von Wladimir Putin ist für mich absolut unverantwortlich (Anerkennung der Separatisten-Gebiete, Einmarsch zur „Sicherung des Friedens“), erklärt sich aber zum Teil aus massiven Fehlern/Versäumnissen des Westens in den vergangenen 20 Jahren. Ich kann nur hoffen, dass sich die extreme Anspannung jetzt ohne direkte kriegerische Konfrontation lösen lässt und die Ampel die Zeit danach nutzt, um ein nachhaltiges europäisches Friedens- und Zukunftskonzept zu entwickeln!
Grundsätzlich sind alle 5 Kontinente gefordert, aus der ursprünglich guten Idee UNO, die mittlerweile zum zahnlosen Tiger degeneriert ist, als Gleichberechtigte einen Grundlagenvertrag mit einem wirkmächtigen Instrumentarium für Frieden und zur nachhaltigen Entwicklung der ganzen Welt zu machen!
Lieber Herr Lerchner,
die larmoyanten Zimperlichkeiten einiger hier erscheinen mir nicht wirklich diskussionswürdig. Solange noch unentschuldigt das Wort Herrn Wolffs im Raum steht, ein Mitdiskutant ginge „über Leichen“, solange Herrn Käfers (dessen Beiträge ich sonst sehr schätze) merkwürdige Rechtfertigung dieses Ausspruchs, normalerweise ginge dies nicht, im Falle eines Rechtsradikalen sei er aber angebracht, nicht zurückgenommen ist, brauchen wir uns über Stilfragen nicht zu unterhalten. Wer angebotene Treffen zum ausräumen von persönlichen Streitigkeiten und zum Kennenlernen aus Angst ablehnt, der will diese Auseinandersetzungen. Und was meine Äußerung neulich zur Religion angeht, so stellt sie doch nur die Tatsache fest, daß wir in der Politik selbst handeln müssen und uns Gottvertrauen nicht weiter hilft (wenn auch vielleicht tröstet – ein unpolitischer Terminus). Religion und Politik sind Gebiete mit wenig Überschneidung! Zum Streit gehört Klarheit, auch im persönlichen.
Zur Sache – wir diskutieren hier das Problem einer „Friedensordnung“:
1. Das Ziel ist hier sicherlich unumstritten: Eine friedliche Welt ohne Gewaltandrohung, in der die Menschen ohne Furcht und in Sicherheit – spiritueller wie materieller – leben können. Daß dieses Ziel nicht vollständig erreichbar ist, ist jedem Realisten klar; man wird also mit Kompromissen leben und Methoden finden müssen, den Zielerreichungsgrad zu steigern im Bewußtsein des Unvollständigen und in der Anerkennung jener, die andere Vorstellungen haben.
2. Zur Zielerreichung bedarf es einer Strategie. Im ersten Semester „Strategie“ lernt man, daß das gewinnen und erhalten der Initiative Voraussetzung für erfolgreiches strategisches Handeln ist. Im zweiten Semester lernt man dann, daß über die Zeit Handlungsoptionen verloren gehen, wenn man die Initiative nicht hat oder ergreift, und daß die verbleibenden Handlungsoptionen immer defensiver werden und also sich immer weiter vom Ziel entfernen. Im dritten Semster dann wird einem klar, daß dies alles nur auf Stärke beruhen kann und daß diese Stäke zwingend alle Instrumente der Politik, auch das militärische, umfassen muß. Der Friede muß verteidigt werden – und das geht wie das aktuelle Beispiel zeigt, nicht nur mit freundlichen Ermahnungen und mit moralischer Überlegenheit. Es braucht auch die muskelbewehrte Überzeugungskraft – schade zwar, aber eben realistisch.
3. Wer also militärische Stärke als einen Faktor von Friedensschaffung und -ordnung ins Gespräch bringt, ist kein „Militarist“ oder Kriegshetzer; er ist vielmehr dann ein Pazifist, wenn er zugleich anerkennt, daß das militärische Instrument Beitrag ist und nicht Lösung, daß sein Einsatz eskalierend wirkt und deshalb mit Vorsicht, Bedacht, klarer (und bescheidener) Zieldefinition und der Kenntnis der Grenzen, auch zeitlich (Exit!), dieses Beitrags erfolgen muß, und insofern die Politiker nicht schlafen dürfen (wie sie das in AFG gemacht haben und in Mali machen).
Diese Erkenntnisse sind „strategische basics“ – und sie wurden im Falle Ukraine entsetzlich vernachlässigt. Seit 2014 gibt es – außer dem nicht mit Stärke untermauerten Minsk-Prozess – keinen einzigen Ansatz des Westens, Initiative zu übernehmen, zu agieren anstatt zu reagieren, die „Wahrheit“ des Gegners, auch wenn sie als absurd angesehen wird, als eine politische Tatsache zu akzeptieren und ins eigene Kalkül zu integrieren. Putins Welt sieht anders aus als unsere, wir halten sie nicht nur für falsch, sondern auch für „fake“ – aber für Putin ist sie Realität, wie seine Propaganda zeigt und die Unterstützung Chinas – und also ist auch Putins Welt ein strategischer Faktor in dieser Auseinandersetzung.
4. Die diesjährige MSC ist das Opfer dieser westlichen Arroganz geworden. RUS hat abgesagt, weil es wußte, daß es keine Diskussion, sondern nur Spießrutenlaufen geben würde. Der Westen war also angenehm unter sich und wir haben eine lange und langweilige Reihe gleicher Aussagen von den Repräsentanten des Westens gehört. Die Politiker dort haben eine Chance verpaßt, dieses wichtige Diskussionsforum ohne Entscheidungszwang, diese großartige Möglichkeit des Kennenlernens und Zuhörens, diese Chance hinter verschlossenen Türen Annäherung zu suchen, wahrzunehmen. Schade, aber es passiert ja genauso im kleinen, wie meine Einladung zeigt (siehe oben).
5. Die strategische Lage jetzt ist, daß RUS die Karten zieht, daß der Westen mit dem Rücken zur Wand nur die Möglichkeit gestufter Sanktionen hat, die Putin rechtzeitig genug angekündigt wurden, als daß er sie nicht in sein Kalkül längst einbezogen hätte, und die den Westen trotz gegenteiligen Geschreis bald als sehr uneinig zeigen werden. Wer glaubt, daß die deutsche oder europäische Gesellschaft und Medien einen sehr engen Gürtel auf längere Zeit durchhalten, der irrt wohl – und die USA, ich schrieb es schon, sind europamüde, pazifik-orientiert und halten das ganze sowieso für eine europäische Angelegenheit.
Noch ganz kurz ein paar weitere Anmerkungen:
– die These von Klaus v. Dohnanyi („Nationale Interessen“), das Militär werde immer weniger wichtig, scheint sich angesichts von Putis Panzerarmee im Donbass nicht so ganz zu bestätigen. Schön wärs ja, aber wenn man einer solchen Armee nichts entgegenzusetzen hat, so ist man an Optionen offensichtlich ärmer und dadurch erpressbar. Man halte dies nicht für ein Plädoyer für die große Panzerschlacht – ganz im Gegenteil: Gleichgewichte verhindern eine solche!
– Unser Bundeskanzler – bei aller Bereitschaft, ihn zu ehren – taucht kaum auf. Stets ist er einen Schritt hinter Frau Baerbock zurück, in Polen, in Frankreich, in Rußland, auf der MSC – überall. Seit der erheblichen Eskalation der Krise gestern abend hat man Frau Baerbock – wenn auch mit nicht sehr überzeugenden Forderungen, die wieder nur das Reaktive darstellten – gehört. Der Kanzler hat noch nicht zum Volk gesprochen. Führungsstärke ist nun wirklich nicht erkennbar. Aber vielleicht hat er ja eine mirakulöse Geheimdiplomatie.
– Abseits des eigentlichen Themas: Ausgerechnet ein Deutscher, Thomas Bach, spielt im Augenblick gegenüber Xi Jinping die Rolle, die weiland Leni Riefenstahl gegenüber Hitler gespielt hat. Peinlicher geht’s kaum.
Ich grüße Sie alle, auch Herrn Flade,
Andreas Schwerdtfeger
Das Schöne an kleinen Kindern ist ja u.a., dass sie zwar durchaus erheblich nerven können mit ihrem ewigen „ich will aber…“; ich habe aber noch nicht erlebt, dass sie den selben Wunsch/die selbe Forderung über Monate (oder gar Jahre) immer und immer wieder vorbringen!
Ich kann und will nicht für Jo Flade sprechen, aber ich habe auch schon persönliche Kontakte und Prioritäten in letzter Zeit danach neu bewertet, ob mir der dafür notwendige Zeit-Aufwand angemessen und gerechtfertigt erscheint…
Zum Inhaltlichen:
Ad 1. Da kann ich grundsätzlich mitgehen, glaube aber, dass wir beim möglichen Zielerreichungsgrad unterschiedliche Einschätzungen haben, ich optimistischer wäre.
Ad 2. Danke für die Kurzvorlesung „Strategie“. Im dritten Semester kommen wir allerdings nicht zusammen; „Frieden schaffen (geht nur) mit Waffen“ kann ich vor dem Hintergrund Ihrer militärischen Laufbahn zwar verstehen, sehe das persönlich aber anders, insbesondere wenn es um langfristiges friedliches Zusammenleben geht (die friedliche Revolution ist ein hervorragendes Gegenbeispiel; aber auch die Erfolge von Städtepartnerschaften, Schüler- und Studentenaustauschen, NGOs, auch wenn Sie diese partout nicht leiden können ….).
Ad 3. Da haben wir weitgehende Übereinstimmung, insbesondere was die Akzeptanz anderer Sichtweisen als der eigenen betrifft.
Ad 4. Die diesjährige MSC war schon von Beginn an obsolet; das schlimme Bild vom Lunch der 30 alten, weissen Männer aus Politik und Wirtschaft wird (hoffentlich) in Erinnerung bleiben!
Ad 5. Es wäre fatal, träfe Ihre pessimistische Einschätzung der strategischen Lage zu. Ich hoffe (und glaube) dagegen, dass der Westen durchaus Einigkeit zeigen wird, dass Putin die (wirtschaftlichen) Sanktionen zumindest mittelfristig empfindlich treffen und dass wir (Gesellschaft und Medien) durchaus in der Lage sind, den „engen Gürtel“ auch längerfristig durchzuhalten, nicht nur in der Ukraine-Krise jetzt, sondern auch darüber hinaus bei den noch notwendigen Veränderungen durch den Klimawandel (kein weiter so!).
Hallo allerseits,
die Anmerkungen von Jo Flade zur Debatten-Kultur in diesem Blog möchte ich sehr unterstützen. Persönliche Diffamierungen haben in einem Meinungsstreit nichts zu suchen. Sie sind m. E. auch deshalb sinnlos und schädlich, weil sie das Nachdenken über kluge Argumente, die ein unhöflicher Angreifer eventuell anzubieten hat, behindern. Ich denke, man sollte sich darauf im Kreis der hier aktiven Teilnehmer verständigen und auf disziplinierende Eingriffe der Moderation verzichten können.
Inwieweit man sachliche Kontroversen gerne hat und Widerspruch aushalten kann oder es lieber vorzieht, sich im Umfeld gewohnter Denkweisen zu bewegen, ist natürlich Geschmacksache. Der Anlass meiner Bemerkung ist sicherlich klar. Wie seinerzeit (vor ca. drei Jahren?) schon mal angemerkt, gefällt mir dieser Blog besonders auch wegen des mir gebotenen intellektuellen Vergnügens, mich mit sehr gegensätzlichen Positionen auseinandersetzen zu können. Selbstbestätigung, die eine Blase bietet, finde ich reizlos. Ich habe die FAZ abonniert und nicht das Neue Deutschland, obwohl mir die Schreiber des ND sicherlich viel näher stehen. Eigentlich könnte ich mir sogar noch mehr Streit in diesem Blog vorstellen. Lieber Herr Käfer, es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass ich immer mal einen Streit mit Ihnen vom Zaun brechen möchte über das Werte-Gerede der von Ihnen geschätzten Grünen. Es ist mir noch nicht gelungen.
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
Ihnen in Sonderheit, lieber M. Käfer, herzliche Grüße zum Wochenbeginn und danke für Ihre hinweisende Bemerkung, was das Dialog-Niveau zum Diskurs (auch) in diesem Wolff-Blog durch Herrn A.Schwerdtfeger betrifft. Dazu positionierten sich ja vergangenheitlich bereits diverse Kommentatoren., und ich füge dem lediglich nur noch hinzu, dass ich – entgegen des Anwurfes, ich würde mich zu inhaltlichen Themen-Problemen nicht positionieren – nachlesbar durchaus Positionen darlegte; ob diese nun Wohlgefallen erzeugen, richtig oder falsch sind, nun ja, das wird wohl bei jeder Debatte stets different gesehen werden. Die Analysen, Wahrnehmungen, die Faktenkenntnisse und Einsichten zu politischen Detailproblemen, woraus sich dann ggf. Schlussfolgerungen ergeben (auch diese werden individuell unterschiedlich sein), sind das eine, das andere ist eben die Diskurs-Qualität. Wie einige sehr wohl längst wissen, ist Flade weder dumm noch ängstlich. Er setzt allerdings seine Energie ausschließlich dort ein, wo man sich weit entfernt von rhetorischem „Waffengeklirr“ und Diffamierungen auseinanderzusetzen in der Lage ist und jedwede Persönlichkeitsattacke undenkbar ist, was nach meiner Vorstellung zur Dialogfähigkeit Voraussetzung sein dürfte für eine solide und souveräne Auseinandersetzungen mit dem Ziel gegenseitigen Verständnisses, ohne dabei seine individuelle Auffassung aufgeben zu müssen. Von solchen Gesprächspartnern (!) lasse ich mich gern einladen und folgen denen auch (was seit Jahren geschieht); alles andere lehne ich ab!
Übrigens, und dies an Herrn Schwerdtfeger: Sie verweisen auf die Relevanz der jüngsten MSC. Frage konkret: Was hat diese gebracht de facto? Da bin ich mir wie auch Joh. Lerchner ziemlich sicher: Ja was wohl? Wohl nichts! Putin und seine getreuen Adlaten lächeln nur noch. Und dass jetzt der neu installierte Chef der MSC als einstiger Berater von Frau Dr. Merkel dieses Forum leiten wird, wirft auch bei mir die drängende Frage auf, welche Ergebnisse dessen Merkel-Beratungen der letzten Jahre im Verhältnis zu Russland/W. Putin tatsächlich gebracht haben – ja welche? Die derzeitige Militäreinsatz und alle Reaktionen zusammengefasst aus dem Kreml, aus welcher Motivation auch immer heraus inszeniert (da haben Wolff und Lerchner den Kern getroffen), ist das Ergebnis auch bundesrepublikanischer Fehleinschätzungen der letzten Polit-Ära, von EU und NATO mal abgesehen. Darüber sind sich viele Experten hörbar einig!
Kurz: ich mag mich in Details irren, aber Ihre latent wiederholten Verbal-Anschisse (pardon) sowohl kontra Wolff als eben auch kontra Käfer, Flade etc.pp., sind einer gediegenen, würdevollen Gesprächskultur abwegig. Und Ihre fatale Reaktion, was Gott und Welt betrifft, offenbaren mir, dass geistige Toleranz und Respektbezeugung für Sie ein Wagnis sind, dem Sie sich nicht stellen wollen. Auch nicht müssen, aber Sie verletzen mit solchen Einwürfen. Lassen Sie es – es dient der gerade heutigentags gebotenen Gesprächshygiene in hochproblematischen Zeiten niemals!
Guten Tag.
Herr Lerchner, Ihre Fakten belegen es…
Doch zuerst überrascht mich der jetzt eröffnete, Eigentliche geopolitische Diskurs, sowie die von Ihnen recherchierte Website des Tagesspiegels. Aufgrund der aktuellen Lage hätte ich die Wette darauf verloren, auf dass es eine solche Website überhaupt noch gibt. Hoffnung auf ein Umdenken?
Als ich damals Brzezinski gelesen habe, kam ich mir schon vor wie ein Verschwörungstheoretiker der dessen Thesen lieber nicht erwähnen oder gar diskutieren sollte. Der von mir hochverschmähte H.G.Maaßen formulierte, als er noch im Amt war, der Begriff (Verschw.Th.) stamme aus Geheimdienstkreisen, Doch damit konnte man auch sehr gut ungeliebte Diskurse unterbinden. Bleibt also die Frage: Wie weit unterliegen wir der Manipulation, auch wenn wir noch so gut zwischen den Zeilen zu lesen gelernt haben?
M.E. steht neben Brzezinski und seinem originellen Ansatz, im Raum von Lissabon bis Wladiwostok würde sich das künftige Schicksal von Amerika entscheiden, allerdings auch, dass imperiale Machtentfaltung nicht dem Selbstverständnis der amerikanischen Demokratie entspricht. Stabilität auf der eurasischen Platte kann aber auch nach Brzezinskis Theorie nur mit, nicht ohne und schon garnicht gegen Russland erreicht werden. Neu dazu kommt, dass künftig Probleme/Konflikte zu lösen sind, die bisher nicht im geopolitischen Raum standen, wie die globale Klimakrise mit all ihren Folgeerscheinungen, und auch planetare Überbevölkerung.
Angesichts dieser veränderten Herausforderungen muten die derzeitigen hegemonialen Geostrategien wie ein kolloniales Saurier-Relikt aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, unter zusätzlichem Anheizen absehbarer Natur-Kathastrophenszenarien an. Auch China mit Argwohn und Indien mit Arroganz zu betrachten, wo 75 Prozent der Weltbevölkerung leben, steht den Prognosen des amerikanisch-indischen Politikwissenschaftlers Parag Khanna wie auch des deutschen Herfried Münkler entgegen. Hinsichtlich der Größe der kommenden Herausforderungen sollte man mehr geistige Arbeit leisten, anstatt klima- und menschenfeindlichen Waffenlobbyismus zu bedienen. Man nannte es einstmals Friedensdialog und friedliche Koexistenz.
Hallo allerseits,
meine als solche empfundenen Antwortschulden kann ich leider erst heute begleichen, da sich die Arbeiten hier in Sao Paulo dem Ende nähern und daher aktuell einiger Stress angesagt ist. Ich fasse die einzelnen Kommentare auch gleich mal zusammen:
Erstmal möchte ich Herrn Schwerdtfeger danken für seine Erwiderung. Wir kommen aus so sehr unterschiedlichen Welten, grundlegende politische und weltanschauliche Differenzen sind somit vorprogrammiert. Wenn es Schule machen würde, dass man sich trotzdem in wichtigen Fragen einigen kann, wie jetzt z. B. in der der Ukraine-Krise, wäre das eine gute Voraussetzung für mehr gemeinsamen Druck für eine konstruktive Politik in unserem Lande sein. Es wird noch hinreichend oft Gelegenheit geben, sich in minder wichtigen Fragen in die Haare zu kriegen.
Herr Plätzsch (bitte entschuldigen Sie die verstümmelte Anrede in meinem Kommentar vom 17.02.; ist im Eifer des Gefechts passiert), sich vorrangig an WELT und NZZ zu orientieren, führt, so glaube ich, zu Fehlorientierungen. Hier deshalb vertiefende Erläuterungen:
„Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigen“ und „Russland eindämmen“ sind für mich zwei verschiedene Dinge. Russland lag in den 90er Jahren am Boden – wirtschaftlich, mental und militärisch. Sie erinnern sich an die Bilder, als Ingenieure aus dem Westen halfen, die im Nordmeer vor sich hin rottende Atom-U-Bootflotte der Sowjets abzuwracken. In der Zeit als die erste Ost-Erweiterungswelle begann, ging von diesem Land keinerlei Bedrohung aus. Es ging damals nicht wirklich um mehr Sicherheit für Polen, Tschechen und die Balten. Heute dagegen demonstriert Russland ausdrücklich, dass es über effektives Drohpotential verfügt und dieses gewillt ist einzusetzen, um seinen nationalen Sicherheitsbedürfnissen Geltung zu verleihen, egal ob es uns gefällt oder nicht. Und die NATO kann das Gefahrenniveau in ihrem unmittelbaren Umfeld nicht mehr wirklich kontrollieren. Weil sie eben überdehnt ist. Darauf wollte m. E. Herr Lukjanow hinweisen.
Eindämmen bedeutete dagegen seinerzeit, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, dass Russland nicht wieder auf die Beine kommt und nie mehr wieder zu einem ernsthaften Konkurrenten aufsteigen kann. Es galt, das Land von möglichst vielen Ressourcen abzuschneiden. Und damit wurde, sehr weitsichtig, unmittelbar nach der Kapitulation Gorbatschows begonnen. Ich empfehle Ihnen sehr, die dieser Tage veröffentlichten Erinnerungen des letzten US-Botschafters in der UdSSR, Jack F. Matlock Jr. zu lesen, der an den Verhandlungen teilgenommen hat, die den Kalten Krieg beendet haben (https://responsiblestatecraft.org/2022/02/15/the-origins-of-the-ukraine-crisis-and-how-conflict-can-be-avoided/).
In Anbetracht der angedrohten verschärften Sanktionen und deren möglichen Wirkungen ist ein Bild von der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung Russlands interessant. Die Pro-Kopf-Wirtschaftskraft (GDP per capita) hat sich in den letzten Jahrzehnten in etwa so entwickelt wie in den Nachbarländern Polen und Türkei. Weit abgeschlagen die Ukraine, die seit 15 Jahren praktisch stagniert, nicht zuletzt infolge des Maidan-Staatsstreichs von 2014 (Adam Tooze, in Global Reviews 29.01.2022). Russland verfügt über die weltweit größten Devisenreserven nach China, Japan und der Schweiz und hat seit den Krisen 2008 und 2014 seine Dollar-Verbindlichkeiten wesentlich umstrukturiert (ebenda). Die westlichen Sanktionen waren ein Förderprogramm für die russische Landwirtschaft. Russland ist seitdem einer der bedeutendsten Getreideexporteure der Welt. Russland ist auch recht gut durch die Corona-Krise gekommen (https://ostexperte.de/russische-wirtschaft-wachstumsprognosen-fur-2021-uber-4-prozent/).
Wenn ich von einem wiedererstarkten Russland spreche, dann setzte ich die derzeitige Lage in Russland vor allem in Relation zu dem Desaster der vom Westen als Sternstunde der Demokratie hochgejubelten Jelzin-Ära. Seit dem Machtantritt Putins war die Wirtschaftskraft von 0.26 Bill. $ auf 2.3 Bill. $ gestiegen. Der Einbruch durch den Ölpreisschock auf 1.2 Bill. $ ist teilweise kompensiert (2020: 1.5 Bill.; zum Vergleich Italien 1.9 Bill., D 2.3 Bill., Belgien 0.5 Bill.). Einkommen und Renten sind von 62 $ bzw. 18 $ pro Monat auf 775 $ bzw. 180 $ gestiegen. Im Minimum betrug die Staatsverschuldung nur 6.5% vom BIP gegenüber 185% unter Jelzin (heute 13%). Die Lebenserwartung stieg von 64.5 Jahren auf heute durchschnittlich 73 Jahre. Die Armut (Einkommen < 100 $) sank von 36 Mill. auf 15 Mill. (derzeit wieder 20 Mill.) (s. u. a. SPON 16.11.2018). Alle Parameter haben sich infolge der Krisen der letzten Jahre erwartungsgemäß verschlechtert, sind aber noch erheblich besser als zu Jelzins Zeiten.
Der Fluch des Rohstoffreichtums hat auch die russische Wirtschaft nicht verschont. Ein bekannter Ökonom (Name habe ich vergessen) hat mal vom Erdöl als der „Scheiße des Teufels“ gesprochen. Renten-Ökonomie (es werden die vorhandenen Reichtümer des Landes verteilt) statt produktivitätsorientiertem Entwicklungspfad ist ein Nährboden für Korruption und macht krisenanfällig. Die strukturellen Schwächen der russischen Wirtschaft drücken sich u. a. darin aus, dass Waren des täglichen Bedarfs (außer KFZ, Benzin und Lebensmittel) zu 75% aus Importen gedeckt werden (Ulrich Heyden, Nachdenkseiten 28.11.2021). Der Anteil der russischen Mikroelektronik bei in Russland verkauften Waren liegt heute bei lediglich zehn Prozent. Während der von den Chicago Boys begleiteten Schocktherapie in den 1990er Jahren sind allerdings nicht nur ganze Industriebranchen sondern auch ganze Ausbildungszweige und wissenschaftliche Institute zusammengebrochen und nicht wieder in Betrieb genommen worden (ebenda). Ob man Russland mit verstärkten Wirtschaftssanktionen gefügig machen kann, und welche Nachteile für die europäischen Ökonomien entstünden, ist jedoch noch nicht ausgemacht.
Lieber Herr Käfer, Sie beklagen die Undurchsichtigkeit der aktuellen politischen Verhältnisse. Kein Wunder, bei dem verheerend katastrophalen, niederträchtigen, peinlichen und absurden Bild, dass unsere führenden Medien wiedermal abgeben! Aber haben wir als Ostdeutsche nicht gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, und waren wir nicht in der Lage, selbst aus den Verlautbarungen des „Neuen Deutschland“ interessante Informationen zu destillieren? Mit etwas Fleiß ist doch heute vieles einfacher. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine rühmliche Ausnahme in der gegenwärtigen Presselandschaft hinweisen, nämlich auf einen Artikel im Tagesspiegel (17.02.2022, https://www.tagesspiegel.de/politik/duell-auf-dem-eurasischen-schachbrett-darum-ist-die-ukraine-geostrategisch-so-bedeutsam/28075052.html), der nochmal das visionäre Buch von Zbigniew Brzezinski (The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives) in Erinnerung ruft, das vieles rund um den Ukraine-Konflikt verständlicher macht. Ach ja, das Buch von Klaus von Dohnanyi (Nationale Interessen, Siedler 2022), dass uns letztens Andreas Schwerdtfeger empfohlen hat, sollte man auch unbedingt lesen! Schon interessant, wie ein Mann aus dem Establishment zu solchen Einsichten kommt. Es gab dazu auch ein interessantes Streitgespräch zwischen ihm und einer Frau Fischer (Freitag 7/2022, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ukraine-wir-sollten-uns-zehn-jahre-zeit-nehmen), promovierte Politikwissenschaftlerin bei der Heinrich-Böll-Stiftung, einer Einrichtung, die leider immer mehr zum werte-grün angehauchten Bellizisten-Klub degeneriert (Herr Käfer, Ihr Stichwort!).
Herzliche Grüße an alle aus dem tropisch-sommerlichen Jaboticabal (Sao Paulo) und hoffen wir, dass das Wochenende einigermaßen friedlich bleibt! Die aktuellen Nachrichten aus dem Donbass sind beunruhigend!
Johannes Lerchner
Herr Lerchner, kein Problem mit der verstümmelten Anrede, wohl aber mit dem „lieber“, denn das bin ich Ihnen gegenüber nicht. Ihre Äußerungen wie z. B. „Maidan Staatsstreich“ oder “ Grobatschow-Kapitulation“ sind mir widerlich, und ich werde Ihre Postings künftig ignorieren.
Schade
So schnell würde ich nicht kapitulieren!
Im Gegenteil: Ich nehme mein tiefes Unbehagen Ihnen gegenüber zum Anlass, aus diesem Blog endgültig auszusteigen. Die ganze politische Richtung passt mir schon lange nicht mehr, und religiösen Themen bin ich ohnehin nicht zugänglich.
Schade, lieber Herr Plätzsch, denn ich schätze Ihre kurzen kritischen Anmerkungen und Hinweise. Unstrittig ist: Ich werbe mit meinen Blog für bestimmte Positionen. Das bleibt niemandem verborgen und das ist aus meiner Sicht legitim. Aber ich stelle sie gleichzeitig zur Diskussion. Diese lebt von Kontroversen. Die werden auch ausgetragen. Dafür bin ich dankbar. Insofern hoffe ich, auch in Zukunft immer mal wieder etwas von Ihnen zu lesen. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Christian,
es ist nun schon ca. 20 Jahre her, aber ich erinnere mich noch immer gerne daran, die kleinen Dispute von Hauser und Kienzle am Ende der Sendung „frontal“ verfolgt zu haben…
In Deinem Blog etabliert sich nun seit einiger Zeit eine Art „Revival-Duo“, das durchaus interessante Aspekte in die jeweiligen Diskussionen einbringt, bisweilen aber auch sehr dogmatisch argumentiert oder gar persönlich verletzend/ehrabschneidend (speziell gegenüber Jo Flade!).
Ich bemühe mich zwar immer, deren Argumenten intellektuell zu folgen, mangels eigener Erfahrung im diplomatischen, entwicklungspolitischen oder gar militärischen Umfeld gelingt mir das leider nicht immer. So kann ich nicht wirklich beurteilen, ob Putin eine Invasion plant, die Nato – wortbrüchig – Expansionspolitik zum Nachteil russischer Sicherheitsbedürfnisse betrieben, oder sich China zur neuen militärischen Bedrohung des Weltfriedens entwickelt hat.
Ich erlaube mir dagegen erneut den Hinweis, dass ich es als grundlegenden Fehler deutscher (und europäischer) Politik im 21. Jahrhundert ansehe, nicht angemessen auf Putins Bundestagsrede vom September 2001 reagiert, China primär als lukrativen Markt für deutsche Produkte gesehen und Amerika in Nibelungentreue, trotz massiver Fehler (Menschenrechtsverletzungen in Foltergefängnissen, bewusste Lügen als Kriegsauslöser, Wahl eines Psychopathen zum Präsidenten….., um nur einige zu nennen) stets zur Seite gestanden zu haben. So sehr ich Angela Merkel für ihre Entschlussfreudigkeit in Krisensituationen schätze, so sehr halte ich sie für einen Totalausfall beim Entwickeln einer langfristigen Politik, die uns, abgestimmt innerhalb der EU und basierend auf deren ethischer, wirtschaftlicher und militärischer Macht, einen angemessenen Platz und Einfluss „auf Augenhöhe“ im globalen Machtgefüge ermöglichen könnte.
Es ist beschämend, wie hilf- und perspektivlos wir deswegen jetzt in den verschiedenen Krisensituationen agieren, besser: hinterherhecheln…
Lieber Michael, vielen Dank. Das sehe ich ganz ähnlich. Außerdem möchte ich auf einen Aspekt hinweisen. Man möge doch bitte einmal reflektieren, wie die USA in den vergangenen Jahrzehnten politisch und militärisch auf die Vorgänge in ihrem „Vorhof“, nämlich Lateinamerika, reagiert hat.
Ja, ich verstehe, dass Sie dieser Missstand auch beschäftigt. Wir können gern darüber reden, wenn wir mit dem jetzigen Thema fertig sind.
Ich möchte mich hier weder in das Reich der blinden Spekulationen, noch in undiplomatisch üble Kriegsrhetorik wie so einiger Machthaber begeben. Wobei Letzteres leider zunehmend öffentlich legitimiert wird. Wenn die Sache nicht so makaber wäre, bekäme man den Eindruck, wie ein Kind im Sandkasten zu sitzen und jenen schizophrenen Kindern ausgeliefert zu sein, die sich gegenseitig mit Dreck bewerfen. Man muss sich dann über Querdenker etc. nicht wundern. Ich bin gespannt, ob man sich den anstehenden Anti-Siko-Demos ebenso ausführlich widmet wie den der Querdenker und Leugner. Wer die Bücher von E.Schmidt-Eenboom oder B.Greiner kennt, weiß, mit wem er es zu tun hat. Recht aufschlussreich ist auch die in Arte gelaufene 3-teilige Doku „Inside Nato“, die noch im Netz zu finden ist. Ich bitte Gott darum, allen Menschen den Frieden zu erhalten.
Schubert, 19.11.21:
„Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg 5,29) .
Arnold, heute:
„Ich bitte Gott darum, allen Menschen den Frieden zu erhalten.“
Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß der liebe Gott sich da raushält und wir selbst verantwortlich sind für die Lösung unserer Probleme.
Andreas Schwerdtfeger
Ic h bin froh und dankbar, dass das Wohl und Wehe dieser Welt nicht allein abhängig ist von den Schwerdtfegers und Wolffs und den vielen anderen, sondern dass wir zum einen darauf vertrauen können, dass über allem Gott „im Regimente“ sitzt und dass wir unser Tun und Lassen vor Gott und den Menschen zu verantworten haben.
Lieber Herr Lerchner,
Ihren Beitrag (17. Feb) habe ich mit Interesse gelesen – er zeigt, daß auch über bestimmte Meinungsverschiedenheiten hinweg man anständig miteinander in der Sache diskutieren kann. Liest man dagegen Flades letzten Beitrag, so fehlt eben wie immer jegliche Äußerung zur Sache.
Sie sprechen Syrien, Libyen, den Irak an und ich stimme Ihnen zu, daß man darüber streiten kann, wieviel humanitäre Motivation und wîeviel konkrete politisch-wirtschaftliche Interessen jeweils hinter den Interventionen standen. EINES aber, so scheint mir, ist kaum bestreitbar in allen solchen Fällen: Daß nämlich bei jeweiligem Ausbruch der Krise das Thema „böser Diktator und wie wird man ihn los“ die Öffentlichkeit und die Medien beherrscht und also bis zu einem hohen Grad auch die Politik antreibt, wobei Öffentlichkeit und Medien (und insbesondere auch immer wieder die evangelische Kirche) ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten des „wie“ moralische Ansprüche formulieren und „die Politik“ als jeweils unfähig hinstellen (wie es auch Herr Wolff tut, wenn er ein Schlagwort – „Friedensordnung/-politik“ – in die Diskussion wirft und ohne deren faktische Untermauerung schon so tut, als hätte er das Problem gelöst und „die Politik“ wollte halt nur nicht). Das eben ist zu einfach. Man darf nicht vergessen, daß auch Flüchtlingsströme, Flüchtlingscamps, Binnenterrorismus und diktatorisch provozierter Bürgerkrieg unfriedliche Phänomene sind, deren Verlängerung durch Nichtstun (auch eben leider durch – notwendige – direkte Hilfen) nicht nur kostspielig ist, sondern eben auch den Unfrieden über immer längere Zeiträume billigend in Kauf nimmt. Die Alternative, nämlich mit Gewalt einzugreifen, stellt also zwar ein großes Dilemma bzgl der Konsequenzen dar, kann aber eben tatsächlich die ultima ratio sein. Es bedarf halt „nur“ zweier Bedingungen: Erstens keine ideologisch-moralische Überdehnung der eigenen Zielvorstellung; und zweitens eine vorher festgelegte (aber natürlich nicht veröffentlichte) nachvollziehbare Exit-Strategie.
Im augenblicklichen Konflikt beunruhigt mich die Tatsache, daß der Westen – ich fasse hier vereinfachend die USA/UK, die NATO, die EU und DEU/FRA zusammen – politisch ausschließlich reaktiv auftritt: Wir warten auf den nächsten Schritt Putins, wir drohen in Abhängigkeit von ihm mit bestimmten Maßnahmen und schließen andere aus, wir verweisen auf unsere große Entschlossenheit und untermauern diese mit eher lächerlichen Maßnahmen – in anderen Worten: Wir zeigen Angst, Unentschlossenheit und keinerlei eigene kreative Ansätze (siehe Scholz, aber auch andere). Dabei wird deutlich, daß es einen Riß gibt – trotz aller mutigen Hinweise auf unsere große Einigkeit – zwischen einerseits den USA, die nicht nur mit mehr als einem Auge in Richtung Pazifik schauen müssen, sondern auch mit Recht den Europäern mehr eigene Verantwortung zumuten wollen und müssen und für Europa, zumal ein Nicht-NATO-Land, nur begrenzte Risiken eingehen werden; und andererseits den Europäern, die dauernd von „Augenhöhe“ reden und in realiter am amerikanischen Tropf hängen, weil insbesondere DEU aus ideologischer Verbohrtheit seine Verteidigung überwiegend auf große Worte und durchsichtige Parolen aufbaut, anstatt seiner Diplomatie die Mittel zu schaffen, die diese stark macht. Der jetzige Konflikt ist in erster Linie ein europäisches Problem – und Europa ist (es gesteht dies selbst ein) derartig unbedeutend, daß es nur angstvoll im Walde pfeifen kann. Und so warten wir dann mit großem Sanktionsgeschwätz auf den nächsten russischen Schritt.
Wo sind die westlichen Initiativen? Gesprächsangebote in Sachen Abrüstung, nukleare Gleichgewichte auf niedrigerem Niveau und mit Verifikationsregimes, Wiederbelebung der UNO, der OSZE und vertrauensbildender Maßnahmen – alles gute Sachen, nur nicht wirksam in der akuten Krise. Hier braucht es konkrete Vorschläge zum JETZT – und ich kann mir diese nicht anders vorstellen, als daß man Rußland vorsichtig und auf Gegenseitigkeit politisch entgegenkommt, anstatt mit Unsinn à la „nicht verhandelbar“ und „erst muß Putin …“ und „wir wollen die Ukraine nicht haben, aber wir verteidigen bis aufs Messer ihr (theoretisches) Recht, zu kommen“ als starke Politik auszugeben. Die Krim ist weg – die Position des Westens ist ehrenhaft aber unsinnig (und Putins Verweis auf das Kosovo / Jugoslawien ist nicht so ganz von der Hand zu weisen). Aus meiner Sicht kommt es darauf an, das Eingeständnis in möglichst viele Zugeständnisse Putins zu wandeln. Und das Geschwätz von „altem Denken“ sollte auch der Realität weichen: Es ist vernünftig, zwischen der NATO (freilich in ihrem jetzigen Bestand einschl Baltikum, Polen, etc) eine „Korridor“ zu haben – Belarus, Ukraine, Georgien – , der in trilateralen Verhandlungen (EU-RUS-UKR) die Sicherheit und das Wohl dieser Staaten sicherstellt. Stattdessen trägt Herr Blinken augenblicks RUS vor, wie es Szenarien zur Kriegsauslösung gestalten könnte! Ich bin ein großer Freund Amerikas und den USA sehr verbunden. Aber man merkt den USA ihre Verzweiflung mit Europa und ihre Europamüdigkeit an. Es wird Zeit für Europa zu handeln- und dies bedeutet: Eigenes Gewicht zu schaffen!
Was China angeht, sind wir unterschiedlicher Meinung, wie ich weiß. Aus meiner ganzen Erfahrung weiß ich, daß China viel subtiler ist als der russische Bär. Es stellt weniger eine militärische Gefahr dar, ist aber dabei, den Westen ökonomisch und moralisch komplett zu unterwandern. Und – oh Wunder – wie gelingt ihm das? Durch Aufbau von Streitkräften zur Unterstützung seiner Diplomatie, die inzwischen durch ihre Fähigkeit zur power projection äußerst ernst zu nehmen sind. Es ist nicht gut, in solcher Lage, Rußland immer stärker in die Arme Chinas zu treiben.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
„Wir warten auf den nächsten Schritt Putins“
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Und das ist nun die für morgen angekündigte Übung der Atomstreitkräfte unter persönlicher Leitung Putins.
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„Geplant sei, die Zuverlässigkeit der strategischen Nuklearwaffen zu testen und dabei ballistische Raketen sowie Marschflugkörper zu starten. Beteiligt sind verschiedene Teilstreitkräfte, darunter die Schwarzmeerflotte. Das lässt darauf schliessen, dass in der Region südlich der Ukraine ebenfalls atomwaffenfähige Raketen starten sollen.“
https://www.nzz.ch/international/russland-und-ukraine-das-wichtigste-zur-krise-ld.1613540
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An der heute eröffneten Münchner Sicherheitskonferenz nehmen die Russen zum ersten Mal seit 1999 nicht teil. Das zeigt, dass sie nicht zu echten Verhandlungen bereit sind.
Wie kommen nun Putin und seine engsten Berater Verteidigungsminister Sergej Schoigu, Nikolai Patruschew Sekretär des Sicherheitsrats („Falke der Falken“ , Ex-Chef des Inlandsgeheimdiensts FSB), Sergej Naryschkin, Chef des Auslandsgeheimdiensts SVR, Alexander Bortnikow, Chef des Inlandsgeheimdients FSB und Igor Kostjukow, Chef des Militärgeheimdiensts GRU – lt. heutiger WELT nicht jedoch Außenminister Sergej Lawrow – gesichtswahrend aus dieser fortgesetzten Eskalation heraus?
NEIN; Herr Schwerdtfeger – Sie kann und werde ich in Ihrer angriffs-provokanten Art der Erwiderung nicht verstehen, billige Rhetorik kennzeichnet das Wort, welches Sie bevorzugen immer und immer wieder zu führen.
Ganz klar: trotz divergenter Ansichten zur Faktenlage Russland/Ukraine/EU/NATO + China sind mir und anderen, die genauer mitlesen, die Kommentatoren Joh. Lerchner, M. Käfer und Chr. Wolff sympathischer, vor allem aber in ihren Darlegungen überzeugender, vor allem aber anständig im Umgang mit Andersdenkenden!
Auch auf Herrn Käfer eingehend, Herr Flade, stelle ich fest, daß wir uns gegenseitig nichts schulden – man lese Ihre früheren Beiträge (was Herr Käfer offensichtlich versäumt). Unabhängig davon habe ich Sie vor längerem zu einem persönlichen Gespräch eingeladen – eine Einladung, die Sie erst gar nicht kommentiert und dann sehr schroff und offensichtlich ängstlich abgelehnt haben. Diese Einladung gilt und ich stehe auf dem Standpunkt, daß nichts mehr Frieden schafft als persönliche Kenntnis. Deshalb sind ja Konferenzen wie die jetzige MSC so wichtig.
Andreas Schwerdtfeger
Maria Sacharowa, die Außenamtssprecherin in Moskau, hat heute Bloomber & Co. gebeten, ihr die russischen Angriffstermine für das nächste Jahr zu verraten. Sie benötige die Info für ihre Urlaubsplanung.
Da können die ukrainischen Oligarchen also erst einmal wieder nach Kiew zurückkehren. Es bleibt natürlich die Frage, warum „der Russe“ mit großem Aufwand eine derartige Drohkulisse aufgebaut hat, ohne dann zur Tat zu schreiten. Nur Naive werden glauben, dass der Kreml in letzter Minute nochmal abgewogen und dann doch Angst vor den westlichen Drohungen bekommen hat.
Erhellend bezüglich möglicher russischer Beweggründe war für mich ein Telepolis-Interview mit Fjodor Lukjanow, dem Forschungsdirektor des Waldai-Klubs (heise online, 15.02.2022, https://www.heise.de/tp/features/Scholz-in-Moskau-Ein-Vermittler-braucht-eine-eigene-Agenda-6473601.html). Demnach hat die von den Russen provozierte Krise nachgewiesen, dass die NATO dabei ist, sich zu überdehnen. Der russische Truppenaufmarsch hat offengelegt, dass die NATO für die östlichen Kandidaten nicht mehr Sicherheit, sondern weniger bedeutet. Keiner wird für sie kämpfen. Diese Erkenntnis sollte Ansporn sein, über alternative Wege zu mehr Sicherheit nachzudenken. Vielleicht war das Sinn und Zweck der Übung?
Die jüngste Bemerkung unseres Bundeskanzlers in Moskau, es könne in Europa keine nachhaltige Sicherheit gegen, sondern nur mit Russland geben, war da schon mal gut!
@Johannes Lerchner, was für ein irrwitziger Aufwand, den Putin betreibt, um die Ukraine zu destabilisieren. Doch er hat sich verrechnet: Der Westen steht enger zusammen denn je gegenüber Rußland. Finnen und Schweden interessieren sich plötzlich für die NATO. Sie geht gestärkt aus diesem Konflikt hervor.
Ein entlarvender Standpunkt des von Ihnen, Hr. Lerchner, zitierten russischen Politologen Lukjanow:
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„Alle militärischen Verpflichtungen, die laut der Nato-Charta bestehen und die Nato bei Anforderung eines Mitglieds erfüllen muss, wurden vernachlässigt, weil man dachte, das tritt nie ein. Ende der 1990er oder Anfang der Nuller-Jahre hatte niemand vor, für Estland oder die Slowakei wirklich zu kämpfen. Dann stellte sich heraus, dass sich das Rad der Zeit zurück drehte und erst einmal genau die Funktion der Nato gefragt war, die militärische Garantien aussprach.“
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Wer dreht denn das „Rad der Zeit“ zurück? Doch nicht der Westen bzw. die NATO. Vielmehr die russische Führung, die kein Partner des Westens mehr sein kann, sondern nur noch Gegner. Die NATO verlegt derzeit Gerät und Mannschaften in östliche Mitgliedsstaaten. Das hätte vor der Krise zu einem internationalen Aufschrei geführt – jetzt wird es einfach gemacht.
Lieber Plätzsch,
Ich will Ihnen ja nicht zu nahetreten, aber kann es sein, dass Sie vielleicht den Kern der Debatte nicht erfasst haben? Es geht um Frage der Sinnfälligkeit der NATO-Osterweiterung und zwar aus westlicher Sicht und unter der Annahme, dass Sicherheitsaspekte vordergründig relevant sind.
Die Antwort ist negativ, weil Amerikaner für Esten und Letten eigentlich nicht in einen dritten Weltkrieg ziehen möchten. Damit befindet sich die NATO mit ihren Bündnisverpflichtungen in einem gewissen Dilemma. Das wird jetzt erst klar, und im Falle der Ukraine nunmehr explizit formuliert, weil damals derartige Überlegungen abwegig waren und es um die Eindämmung der Russen ging. Dass das keine spezifisch russische Sichtweise ist, wollte ich mit meinen Beispielen aus der amerikanischen Publizistik vor ein paar Tagen belegen. Ich kann Ihnen die genannten Papers gern zukommen lassen.
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
Zitat Johannes Lerchner: „weil damals derartige Überlegungen abwegig waren und es um die Eindämmung der Russen ging.“
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Es ging und geht der NATO und dem Westen immer um die „Eindämmung der Russen“.
Die legitimen Sicherheitsinteressen der Osteuropäer, insbesondere der Balten, sollten
berücksichtigt werden. In der Geschichte der NATO hat es immer Probleme mit Mitgliedern gegeben. Ich erinnere an den bis heute ungelösten Konflikt um Zypern, in dem sich die NATO-Staaten Griechenland und die Türkei gegenüberstehen. Eine NATO-Mitgliedschaft ist also nicht nur für eine politische Schönwetterlage da, sondern im Gegenteil im Krisenfall besonders bedeutsam.
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Zitat. „weil Amerikaner für Esten und Letten eigentlich nicht in einen dritten Weltkrieg ziehen möchten.“
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Die NATO ist aber gerade dafür da, Krieg zu verhindern. Was glauben Sie hat Herrn Chrustschow daran gehindert „in 15 Minuten auf dem Kurfürstendamm“ zu sein? Niemals hätten die USA als entscheidende NATO-Macht einen dritten Weltkrieg riskiert, aber schon empfindliche Gegenmaßnahmen ergriffen wie z. B. die Annexion Kubas.
Lieber Herr Wolff,
es ist eben immer wieder traurig, daß Sie andere Meinungen mit persönlichen Angriffen beantworten: Neulich waren es „Scheuklappen“, jetzt ist es „billige Polemik“ (bisweilen geht der Meinungsgegner auch „über Leichen“). Und dann antworten Sie in der Sache, wenn überhaupt, am Thema vorbei:
+ Brandts Politik war in Bezug auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im westlichen Bündnis völlig risikolos, wie Sie selbst wissen, denn niemals hätten die USA/Nato DEU fallen lassen über die Frage der Aufhebung oder Fortsetzung der Hallstein-Politik. Brandt hatte eine starke und zuverlässige militärische Abschreckung im Rücken.
+ In Sachen der Verteidigung unterscheiden Sie nicht zwischen der „Fähigkeit zum kriegerischen Einsatz“ und dem „kriegerischen Einsatz“ selbst. Das kann man bei Flade durchgehen lassen – Sie aber sollten wissen, daß „Fähigkeiten“ ganz wesentliches Instrument der Diplomatie sind. Insofern – da hat Flade aus Versehen Recht – schaffen Waffen durch ihre pure Existenz dann Sicherheit, wenn sie richtig ins Spiel gebracht werden.
+ Macht ist das Movenz in der Politik: Sie kann durch Überzeugung ausgeübt werden, wenn man diskret und hinter verschlossenen Türen verhandeln kann. Sie kehrt sich in ihr Gegenteil, wenn sie in der Außenpolitik zur öffentlichen Belehrung und mit dem Hang zu überheblicher und „alternativloser“ Moral mit innenpolitischer Rücksichtnahme mißbraucht wird. Streitkräfte sind EIN Machtmittel; ihr kluger Einsatz, auch ohne tatsächliche kriegerische Tätigkeit, stützt ebenso eine strategische Zielsetzung in Richtung Frieden wie dies ökonomische (Sanktionen oder Kooperation) oder kulturelle Maßnahmen tun (Memorial, DW).
+ Das strategische Ziel – was kann es anderes sein als friedliches Zusammenleben mit dem Gegner, schreiben Sie – ist leider nicht so einfach zu definieren, wie Sie das tun. Friedliches Zusammenleben ist kaum ein strategisches Ziel – es ist vielmehr die Wunsch- und Traumvorstellung der Menschen, die in der Realität durch praktische Politik unter Inanspruchnahme aller ihrer Instrumente auch dann erreicht werden muß, wenn der Gegner eben andere Vorstellungen von Frieden hat oder diesen gar nicht will.
+ Sie meinen, ich bliebe meine Sicht der Dinge schuldig, was Unsinn ist, denn ich beschreibe sie ja dauernd. Wenn Ihre Sicht der Dinge nichts anderes ist, als wortreiche Nullsätze wie oben zitiert ohne sie in praktischer Politik zu unterlegen, dann trifft dieser Vorwurf wohl eher Sie selbst.
+ Es überrascht mich in der Tat nicht, daß Sie den Kanzler anders sehen als ich – das eben ist das Schöne an der Demokratie. Interessant ist, daß Sie – der Verteidiger der Pressefreiheit – nun als „ewige Leier“ bezeichnen, was die Medien sagen/schreiben. Wenn andere die Medien kritisieren, sind Sie schnell mit selbstgerechter Demokratieverteidigung auf dem Plan. Die „ewige Leier“ der Medien augenblicks spiegelt die derzeitige Mehrheitsmeinung in unserem Lande wider – kein Grund, Scholz schlecht zu reden, aber durchaus anmerkenswert.
Zu Ihrer Kenntnisnahme fasse ich meine Vorstellung von „Friedenspolitik“ nochmal zusammen: Eine Politik mit klarem strategischem Ziel der Gewaltlosigkeit und des Überbrückens von Konflikten und Kompromißfindung; ausgeführt durch eine starke Diplomatie, die inhaltlich von der Bereitschaft zum Entgegenkommen genauso gekennzeichnet sein muß wie von klaren eigenen Positionen; die stilistisch von Diskretion (kein offener Markt), von Flexibilität und Phantasie und von der Akzeptanz auch dann des gegnerischen Standpunktes gekennzeichnet sein muß, wenn dieser gegen eigene Prinzipien und Werte verstösst (also kein Unsinn à la „nicht verhandelbar“); und die von realen Machtmitteln, unter anderem eben auch von glaubwürdig dimensionierten, ausgerüsteten und ausgebildeten Streitkräften mit der Befähigung zur power projection und zur Abschreckung dienende Komponente der Politik, gestützt wird. Flade wird das nicht verstehen. Sie aber sollten gerade wegen des zu erstrebenden Zieles des Friedens wissen, daß dieser niemals aus Schwäche heraus zu erzielen ist – es sei dann man akzeptiert die Ruhe des Friedhofs oder der Kapitulation als Frieden.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwedtfeger,
in vielem kann ich Ihnen durchaus folgen. Gefallen hat mir auf weite Strecken Ihre Bewertung der Ukraine-Krise. Akzeptieren kann ich auch, was Sie zur Brandt-Politik schreiben, insbesondere was die Idee des zugrundeliegenden, legendären Harmel-Berichts betrifft.
Gerade letzteres trägt aber m. E. zu wenig zum Verständnis der aktuellen Probleme bei, die ja dadurch entstanden sind, dass eine Seite mit aller Macht ihre globale Dominanz aufrechterhalten will. Spätestens seit die Neocons in Washington das Sagen haben (hatten) ist dieses hegemoniale Streben Staatsdoktrin der USA. Paul Wolfowitz, die Doktrin trägt seinen Namen, hat es vor ca. 20 Jahren sehr prägnant formuliert. Ausfluss der darauf Politik basierenden Politik war der Irak-Krieg, die Zerstörung Syriens und Libyens, die einseitige Kündigung des ABM-Vertrags, die Einrichtung von Raketenbasen in Polen und Rumänien (u. s. w.). Der Irak-Krieg war keineswegs vordergründig die humanitäre Aktion zur Befreiung des irakischen Volkes vom Saddam-Joch, wie Sie es darstellen. Ja, Saddam hatte Chemiewaffen und hat Giftgas gegen die iranische Bevölkerung eingesetzt, unter den Augen der Amerikaner und mit deren Billigung.
Mit dem wiedererstarkten Russland und China sind jetzt zwei Spieler auf dem Plan, die die Power haben, die Karten neu zu mischen, die amerikanische Hegemonie zu negieren und das Gerede von der „regelbasierten Weltordnung“ zurückweisen. Die diktierten Regeln widerspiegeln westlich-liberale Vorstellungen vom Funktionieren der Welt und entsprechen schlicht und einfach nicht deren Interessen. Erst wenn die Amerikaner irgendwann begreifen (vielleicht mit deutscher und französischer Hilfe), dass sie ihre Konkurrenten auf Augenhöhe behandeln und deren Interessen gebührend würdigen müssen, besteht die Chance, dass sich Krisen wie die jetzige nicht wiederholen. Zudem sollte man noch bedenken, dass die Zeche solcher Konflikte in der Regel von Dritten bezahlt wird. So ist die Ukraine wirtschaftlich, ethnisch und politisch im Desaster versunken, seitdem sie in Fronstellung zu den Russen gebracht worden ist.
Mit besten Grüßen,
Johannes Lerchner
„Wiedererstarktes Rußland“? Ein Land mit der Wirtschaftskraft Belgiens. Eine Regierung, die völlig vereinzelte politische Gegner ins Gefängnis werfen oder ermorden lässt. Da bleibt nur
das Säbelrasseln.
Zitat A. Schwerdtfeger kontra Chr. Wolff: „Wenn Sie nun noch den (richtigen) Umkehrschluss erkennen, dass Friedenspolitik zwingend die Fähigkeit zum kriegerischen Einsatz MIT strategischem Ziel enthalten muss, dann wäre das Fortschritt.“.
Das hieße nach meiner Lesart in Kurzform: Frieden schaffen nur mit Waffen.
Nun ja – die Reaktion darauf konnte und durfte Chr. Wolff nicht lassen, und das war gut so! Und ich bin davon überzeugt, dass dies andere nicht anders sehen! Und: Warten wir doch erst mal ganz in Ruhe ab, was O. Scholz heute im Kreml bei Putin erreichen konnte…ehe er und andere Vorsichtige und Nachdenkende vorschnell in den Boden gestampft werden. Ach ja, noch etwas: A. Baerbock überraschte bisher als grüne Außenministerin, eitelkkeitsbeflissene Kritiker werden zunehmend stiller – auch das gut so!
Der Reihe nach:
1. „Das Kriegsszenario soll Gestalt annehmen“ – Nein, es NAHM und NIMMT bereits Gestalt an. Und das nicht erst seit gestern oder vorgestern, sondern spätestens seit 2014, als die NATO beschloss, den Russen ein sog. »Strategic Communications Centre of Excellence« in Riga, Lettland direkt vor die Nase zu setzen. Um zu wissen, was diese »strategic communcation« meint, muss man sich nur vor Augen führen, welche Bedeutung seitens der NATO und v. a. der USA dem beigemessen wird: Zum damaligen Zeitpunkt existierten exakt drei dieser StratComCenter auf dem Planeten, eines im Pentagon, dem “Verteidigungs“-Ministerum der USA in Arlington/Virginia, eines in Kabul im Rahmen von ISAF/USFORA und eben das genannte im Baltikum. Welche Aufgabe hat diese Militärbehöre nun? Sie ist gleichzeitig ein transnationaler, strategisch operierender Thinktank wie auch strategisch-politischer(sic!) Planer im Bereich von Information Operations, also all der nicht-kinetischen Maßnahmen auf dem “Schlachtfeld“ wie elektronischer Kriegsführung (electronic warefare, EW), netzwerkzentierter Kriegsführung (engl. network centric warfare, NCW bzw. computer network operations, CNO), psychologischer Kriegsführung (engl. psychological operations, PSYOPS), nicht-kinetischen Ablenkungsmanövern (engl. military deception, MILDEC), Meinungsbildner-/Führungskräfte-Beeinflussung (engl. key leader engagement, KLE) sowie, vielleicht am wichtigsten, Medien-Beeinflussung (engl. media engagement, MEDIAENG). Aufgabe dieser Organisationseinheit ist es gem. dem entsprechenden Arbeitshandbuch (’Joint Publications 3-13‘), alle spezifischen Kräfte, Fähigkeiten und Prozesse integriert zu koordinieren und zu bündeln, um gegnerische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, zu stören, zu korrumpieren und zu verunmöglichen, während dieselben der eigenen Seite in Einklang zu bringen sind(sic!) mit den militärischen Vorgaben.
Darüberhinaus wurde während der NATO-Übungen (joint und combined) »Saber Junction«, »Allied Spirit«, »Green Griffin«, »Saber Thunder«, »Dragoon Ready“ und »Defender“ mindestens das Kräfte-Equivalent von zwei gepanzerten Kampfbrigaden (engl. armoured brigade combat team, amBCT) mit insgesamt ca. 9.000 Mann und ca. 120-150 Panzern vom Typ M1-Abrams und M1126 Stryker an der „Vordersten Rand der Verteidigung“ verlegt. Am Ende von schönen Sonntags-Radtouren konnte ich im Bahnhof Naumburg/Saale zweimal höchstselbst einer entsprechenden, beeindruckenden Verlegung von Kampfpanzern per Schiene ansichtig werden.
2. „eine aggressive Provokation, die sich politisch kaum rechtfertigen lässt“ – Das scheint mir in Angesicht der politisch-strategischen Vornahmen der NATO seit 1990 eine vollkommene Verkennung der Lage auszudrücken. Angefangen bei der „Partnerschaft für den Frieden“ (engl. partnership for peace, PFP) 1994, die zunächst eine enge Zusammenarbeit der ehemaligen, sowjetischer Teilrepubliken und Nicht-NATO-Mitglieder Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan anberaumte, hat das Militärbündnis unter dem Primat der USA Russland trotz ursprünglich anderslautender Versicherungen nach und nach poltisch- militärisch eingekeilt. Die Mär, ein Versprechen des Westens hätte es nie gegeben bzw. wäre unerlaubt einseitig abgegeben wordem bzw. sei nicht als Willenserklärung zu verstehen gewesen, ist spätestens seit der Freigabe entsprechender Dokumente in das Reich transatlantischer Propaganda zu verweisen (https://nsarchive.gwu.edu/document/20369-national-security-archive-doc-07-u-s-department).
3. „welchen „Vorteil“ der sog. Westen aus einem solchen Gewaltakt ziehen könnte“ – Dazu gebe ich folgendes Bonmot weiter: „Wenn die Deutschen einen Wirtschaftsaufschwung initiieren wollen, loben sie eine Abwrackprämie aus. Wenn die USA einen Wirtschaftsaufschwung initiieren wollen, beginnen sie einen Krieg.“ Wahr ist, dass die USA im Jahre 2020 in etwa so viel für ihr Militär ausgegeben haben wie die zwölf nächstfolgenden Staaten in der unrühmlichen Liste der „big spender“. Die sogenannt „bedrohlichen Russen“ liegen übrigens auf Platz vier mit nicht einmal 8% des US-amerikanischen Etats. Und wenn man sich vor Augen führt, dass weit über ein Drittel der weltweit exportierten Waffen aus „Gods own land“ kommen, wird einem schnell klar, woher der Wind weht.
4. „Das Wichtige ist: den Frieden erhalten, die Unterschiedlichkeit von politischen Systemen und Lebensweisen respektieren und die jeweiligen Interessen des anderen anerkennen und abwägen.“ – Ja, das wäre toll! Und mal echt was Neues.
5. „bis jetzt absolut zurückhalten und jede Form der Kriegsrhetorik vermeiden“ – Das wird sich, s. o., “Informations Operations“ schon sehr bald ändern, fürchte ich. Habe selber miterlegt, wie das US-Militär ihre eigenen Senatoren psyopst (meint: psychologisch-medial so bearbeitet, dass sie „auf Linie“ mit der aktuellen Militärdoktrin sind.)
6. „wozu jedenfalls in Deutschland Politiker*innen gewählt werden: dem Frieden in einem geeinten Europa zu dienen“ – Das wäre auch tatsächlich mal ein ganz neuer Ansatz. Aber nachdem der Bundestag unter der Regierung Schröder (I) ganz selbstverständlich die Deutsche Bundeswehr in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligt hat – freilich, ohne dabei zur Verantwortung gezoegen zu werden, sind, befürchte ich, der Machbarkeit von militärischen Interventionen kaum noch ernsthafte Grenzen gesetzt. Die unrühmliche Rolle insbesondere der öffentllich-rechtlichen Medien dabei soll hier ganz bewusst außer Acht gelassen werden.
Übrigens: Ich behaupt ausdrücklich NICHT, dass Putin ein Weisenknabe wäre! Ich gestehe ihm jedoch einen durchaus begründeten Argwohn inkl. der vorbereitenden Abwehr gegenüber zu erwartenden, weitergehenden Maßnahmen der NATO gegenüber zu!
Und dann spiele ich mal den Propheten: In den nächsten Wochen wird es zu einem „severe incident“ (zeitwirksam, so dass sie in den Abendnachrichten als Sondermeldung verlesen werden kann) kommen, der seitens der „westlichen Wertegemeinschaft“ keine Zweifel zulassen kann und darf, dass die Russen trotz Warnung und „diplomatischer Verhandlungsbemühungen“ ein „rote Linie“ überschritten haben, die es unbedingt erfordert, der „bedrängten Ukraine auf ihre eigene Bitte hin“ militärisch zu Hilfe zu kommen.
Wie schrieb schon Erasmus von Rotterdam in seiner Schrift „Dulce bellum inexpertis“ (lat. „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen“):
„Es ist jetzt schon soweit gekommen, dass man den Krieg allgemein für eine annehmbare Sache hält und sich wundert, dass es Menschen gibt, denen er nicht gefällt […] Wie viel gerechtfertigter wäre es dagegen, sich darüber zu wundern, welch’ böser Genius, welche Pest, welche Tollheit, welche Furie diese bis dahin bestialische Sache zuerst in den Sinn des Menschen gebracht haben mag, dass jenes sanfte Lebewesen, das die Natur für Frieden und Wohlwollen erschuf, mit so wilder Raserei, so wahnsinnigem Tumult zur gegenseitigen Vernichtung eilte.“
@ Sarah A. Besic
Und dann spiele ich mal den Propheten: In den nächsten Wochen wird es zu einem „severe incident“..kommen…der „bedrängten Ukraine auf ihre eigene Bitte hin“ militärisch zu Hilfe zu kommen.
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Das ist Unsinn. Nicht umsonst hat US-Präsident Biden schon erklärt, ein nur begrenzter Einmarsch der Russen auf ukrainisches Territorium zöge auch nur eine eng begrenzte Antwort des Westens nach sich. Niemand will sich ernsthaft mit den Russen anlegen, die noch immer über die größte Atomstreitmacht der Erde verfügen. Übrigens hat die Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion brav die auf ihrem Gebiet lagernden Atomwaffen den Russen übergeben. Und für die Ukraine, wo nach wie vor Korruption in großem Ausmaß herrscht und die von einem Depp regiert wird, will sich schon gar niemand im Westen engagieren.
Das ist kein Unsinn, das ist eine andere Position, Sichtweise!
Ihre Worte in Gottes Gehörgängen! Ich bete dafür, dass Sie Recht behalten. Ich bitte aber zu bedenken, dass ein „zu Hilfe kommen“ in der modernen Kriegsführung nicht im Entfernesten den Einsatz des traditionellen Repertoires an Kriegsgerät und -personal bedeuten muss. Stattdessen ist, im Rahmen von sog. „below the line“ Operationen, die Durchführung von sog. Nadelstichoperationen, möglicherweise tief im Lande des Gegners, durch Spezialkräfte (engl. special operation forces, SOF) bzw. die oben erwähnten „information operations“ viel wirkungsvoller. Regional inszenierte und medial begleitete Unruhen in der Bevölkerung, dysfunktionalisierte Schlüssel-Infrastruktur wie Kraftwerke, Netzwerke und Versorgungsknotenpunkte, sowie das ganze Programm indirekter, wirtschaftlicher Maßnahmen wie Herabstufung von Unternehmensliquiditäten, das Aussetzen des währungsrelevanten Datenverkehrs und einschränkender Zugriff auf dezidierte Bankkonten kann Wunder wirken und kostet keinem einzigen Soldaten das Leben.
Ich danke für diesen Beitrag- lieber Christian-, der mir aus der Seele spricht.
Es ist schön und richtig, lieber Herr Wolff, daß Sie mit diesem Beitrag de-eskalieren. Die augenblickliche Lage ist gekennzeichnet durch eine in der Sache völlig unverständliche Hysterie der Medien (nicht unverständlich leider unter dem ständigen Medieninteresse der Eskalation), durch eine sehr selbstgerechte Doppelmoral westlicher Regierungschefs, durch Prinzipienreiterei zuungunsten realistischer De-Eskalationspolitik – und, wie so häufig, durch unzutreffende historische Vergleiche, die angeblich etwas beweisen.
Wir haben auf der einen Seite den russischen Autokraten Putin, der eine klare Chance sieht, ein seit langem verfolgtes strategisches Ziel zu erreichen (mindestens zu fördern), das er uns oft (aus seiner Sicht) erklärt hat und das legitim ist: Den Stopp einer weiteren westlichen (NATO-/EU-) Ausdehnung an seine Grenzen. Zu Recht kann er sich Odessa oder Sevastopol nicht so recht als künftige westliche Marinebasen vorstellen, wie ja auch wir nicht unbedingt mit russischer Marinepräsenz in Kuba, den Bahamas oder Mexiko leben wollen. Daß der Westen den ersteren Fall als „Prinzip“ offen halten will, gleichzeitig aber realpolitisch zurückweist, ist politisch nicht nachvollziehbar; daß er dann aber den zweiten Fall als „aggressives russisches Verhalten“ zurückweisen würde, ist nachgerade heuchlerisch.
Wir haben auf der anderen Seite zwei westliche Regierungschefs – Biden und Johnson –, die aus innenpolitischen Gründen keine Wahl haben als das aussenpolitische „Geschenk“ anzunehmen und hochzuspielen – und auch Macron steht im Wahlkampf und muß Stärke und Führung zeigen. Und wir haben in Deutschland unseren schlafmützigen Kanzler, der nicht führt, keine Meinung hat (oder äußert), keine Ideen beiträgt und wie so oft das Land gerne raushalten würde – nicht sehr überzeugend. Frau Baerbock ist da anders, aber es ist natürlich auch nicht hilfreich, sich mit Populismen wie „Menschenrechte ist nicht verhandelbar“ aus der Verantwortung ziehen zu wollen, wo es ja gar nicht um „Menschenrechte“ als Grundsatz geht, sondern um die Frage von deren Durchsetzbarkeit in diplomatischen Verhandlungen, die man besser nicht mit solch unhaltbaren Vorgaben belasten sollte. – Der Westen hat sich, mit wesentlichem deutschem Hurrageschrei, in eine völlig nutzlose Sanktions- und Prinzipienpolitik verrannt – Sie schreiben es zu Recht –, anstatt zu erkennen, daß dies nur Putin und Xi annähert und uns insofern schadet.
Und wir haben es eben mit einer grundsätzlich anderen Lage zu tun, als simple historische Vergleiche es erscheinen lassen:
– Dohnanyi hat ein kluges Buch geschrieben („Nationale Interessen“), in dem auch er der Versuchung verfällt, Brandts Ostpolitik als Beispiel zu empfehlen. Aber Brandt konnte diese Politik eben NUR einleiten auf der festen Basis einer vollständigen, umfassenden Sicherheitsgarantie durch die USA/NATO und es war daher eine Politik „ohne Risiko“. Heute ist es insofern anders, als die USA Deutschland zu Recht nicht mehr als verlässlichen Partner ansehen (siehe das unverantwortliche Geschwätz zB eines Herrn Mützenich) und als die Putin’sche Strategie zusätzlich das amerikanische Dilemma einer Zwei-Fronten-Bedrohung ausnutzt, was ja sein Kuschelkurs mit Xi Jinping zeigt.
– den Irak-Krieg 2003 als Beispiel heranzuziehen, ist noch absurder. Damals ging es um die in der westlichen Politik/Öffentlichkeit massiv geforderte Beseitigung eines brutalen Diktators, der mindestens chemische Waffen besaß, Kriege gegen Nachbarn geführt hatte und sein eigenes Volk in Sklaverei hielt. Jetzt geht es darum, daß eine P5-, Veto- und Nuklearmacht mit globaler Fähigkeit zur power projection in Opposition zum Westen steht und wohl nur mit dem Willen zum Kompromiß eingebunden werden kann – eine Einsicht, die der Westen in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt hat. Auch hier: Verfehlte Sanktionspolitik.
Eine „Friedenspolitik“ ist also in der Tat wohl angebracht, lieber Herr Wolff. Nur nutzt es nichts, das Wort schon als Tat anzusehen und sich um eine klare Beschreibung der Voraussetzungen und Inhalte einer solchen Politik zu drücken. Ich freue mich, daß Sie eine Politik „kriegerische(r) Einsätze ohne strategisches Ziel“ ablehnen und damit mein hier lange vertretenes Argument unterstützen. Wenn Sie nun noch den (richtigen) Umkehrschluß erkennen, daß Friedenspolitik zwingend die Fähigkeit zum kriegerischen Einsatz MIT strategischem Ziel enthalten muß, dann wäre das Fortschritt. Medien, Politiker aller Couleur, selbsternannte Experten und viele mehr sind sich derzeit alle einig, daß die europäische Bedeutungslosigkeit zu bedauern ist. Niemand zieht den offensichtlichen Schluß, daß diese Bedeutungslosigkeit darin begründet ist, daß Europa am amerikanischen Tropf hängt und keine eigenen Mittel besitzt, um seine Diplomatie machtvoll zu untermauern.
Aber seit gestern kann man ja Hoffnung schöpfen: Bundespräsident Steinmeier sagte in seiner Rede, Deutschland stehe ohne Wenn und Aber zu seinen Bündnisverpflichtungen. Diese schließen ja das Zwei-Prozent-Ziel ein. Man hofft, daß Scholz dies gehört hat.
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Schwerdtfeger, vielen Dank für Ihren Kommentar, der aus Ihrer Sicht für mich durchaus schlüssig ist. Nur eines bleiben Sie schuldig: zu beschreiben, wie denn eine europäische Friedenspolitik/-ordnung insbesondere im Grenzbereich zu Russland aussehen kann. Klaus von Dohnanyi hat dazu einiges in seinem Buch und in Interviews beigetragen. Der Verweis auf die Brandt’sche Ostpolitik ist allein deswegen schon wichtig, weil diese Politik alles andere als „ohne Risiko“ war. Richtig ist, dass Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre die USA ein Interesse daran hatten, dass die totale Abschottung Westdeutschlands gegen den Ostblock (Hallstein-Doktrin) aufgebrochen wird. Grundsätzlich möchte ich Ihnen darin widersprechen, dass „Friedenpolitik zwingend die Fähigkeit zum kriegerischen Einsatz MIT strategischem Ziel enthalten muss“. Das ist allein schon deswegen in sich widersprüchlich, als Sie als Voraussetzung für den „kriegrischen Einsatz“ das „strategische Ziel“ nennen. Was kann das aber anderes sein, als ein friedlichen Zusammenleben mit meinem Gegner/Feind. Das ist aber durch Krieg nicht zu erzwingen. Alle kriegerischen Handlungen der letzten Jahrzehnte unterstreichen dies deutlich. Also besteht Friedenpolitik gerade darin, kriegerische Handlungen unmöglich zu machen. Das ist die große Herausforderung. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich Ihre Einschätzung von Bundeskanzler Scholz nicht teile. Das, was Sie schreiben ist billige Polemik, die sich seit Wochen in den Leitartikeln genauso wiederfindet, wie die ewige Leier: Waffenlieferungen und Nord Stream 2. Ich bin mir ziemlich sicher: In wenigen Wochen wird man Scholz für seine sehr bewusste Zurückhaltung noch sehr dankbar sein. Beste Grüße Christian Wolff
Ja, Herr Dr. Steinmeier gebrauchte klare Worte:
„Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine!“
https://www.rnd.de/politik/frank-walter-steinmeier-bundespraesident-richtet-worte-an-putin-rede-im-wortlaut-A4E66HIGP5BYVDHMBU53RVHHZ4.html
Ich hoffe, da kommt künftig noch mehr.
Unseren „schlafmützigen Kanzler“ habe ich gestern von einer anderen Seite kennengelernt: fest, geschickt und sogar humorvoll. Herrlich, die säuerliche Miene Putins als Scholz ihn wegen seiner Dauerdienstzeit foppte!
Lieber Christian,
vorgestern habe ich den Beitrag gelesen und heute noch einmal überflogen. Du triffst den richtigen Punkt: wir brauchen eine Strategie, wie wir den Frieden entwickeln. Das Drohen mit Waffen und Sanktionen führt nicht weiter. Der Vergleich mit der Ostpolitik in den 60 und 70 er Jahren kann weiterhelfen. Ich wünsche uns allen, dass wir bei aller Sorge, bei aller Vorsicht, die Beweggründe Russlands (und auch Amerikas) richtig einzuschätzen, die Worte Jesu beherzigen: Selig sind die Friendensstifer.
Herzliche Grüße
Hans Scheffel
Man kann nur hoffen und beten, dass kein Soldat die Nerven verliert und aus welchen Gründen auch immer durchdreht und die ganze Maschinerie in Gang setzt. Angelika Richter
Auch ich schließe mich inhaltlich ganz klar dem aktuellen Beitrag Chr. Wolffs zur derzeitig hochproblematischen Situation um die Ukraine, Russlands Militärpräsenz und dem Reagieren der USA, der NATO und der EU an, und dem Kommentar von Joh. Lerchner ist grundsätzlich nichts mehr nicht hinzuzufügen – außer: Nicht nur ich bin in sehr großer Sorge…
Der generelle Konflikt: USA / NATO-Osterweiterung / EU / DEU wird unübersehbar deutlich und zeigt auf, in welches Dilemma sich der „Westen“ versus Russland hinein manövriert hat.
Der bis 1989 einstige kleine KGB-Offizier, auf dem Dresdner Weißen Hirsch in einer etwas verkommenen Villa dem SED-DDR-Regime (hier unter Dr. H. Modrow) die sowjetische Marschroute aufzeigend, er jetzt seine an sibirischen Tigern trainierten Muskeln in Höchstform spielen lässt, ist neben allem strategischem, ganz klar hochgefährlichen Problem wohl auch ein psychologisch personales, ganz abgesehen davon, wie wenig gut es wirtschaftlich in seinem Riesenreich zugeht. Aber vielleicht sind das „nebenbei“ ggf. Anzeichen für eine gewisse Kausalität?
Kürzlich konnte man Klaus v. Dohnany im DLF dezidiert während eines Interviews mit ihm mit der bündelnden Feststellung vernehmen, dass die Ost-Erweiterung der Nato nach 1990 – nach seiner Ansicht – ein Fehler war. Richtig.
Vor allem resümierte er die von der EU und letztlich von DEU weit entfernten USA-Strategie als wenig dienlich, vor allem im Widerstreit stehend zur einstigen Friedenspolitik von W. Brandt, H. Schmidt und E. Bahr. Der gewagte Zugriff der EU auf die Ukraine war ein politischer Fauxpas, der jetzt eskaliert.
Eugen Ruge (Schriftsteller und biografisch begründet bestens in Kenntnis über Russland; „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ 2011 ausgezeichnet mit dem „Deutschen Buchpreis“) referierte vor nicht allzu langer Zeit in seiner Dresdner Rede im Schauspielhaus zum Gebrauch unserer Sprache, der wir uns allesamt bedienen und diese zunehmend Gefahr läuft, ins Triviale zu verkommen und damit vor allem auch gesellschaftspolitisch zu wirken (!), „…dass er gegen eine härtere Gangart (gegen Putin) ist, weil er sich sorgt, der Konflikt könne außer Kontrolle geraten und damit rhetorisch und psychologisch hochgeschaukelt werden könnte“ (Zitat: Blog-der-Republik).
Ruge sagt unmissverständlich, er sei kein Freund Putins, aber mit Waffen sei kein Frieden zu schaffen! Letztlich treffen sich hier v. Dohnany und Ruge, neben anderen vorsichtiger redenden Kenner der Politik.
Ich würde mir nur sehr wünschen in dieser derzeit höchst Besorgnis erregenden Situation, dass sich akzentuiert und unmissverständlich auch Künstler, Kulturschaffende, Kirchenvertreter, Wissenschaftler und Friedensforscher öffentlich positionieren, eben, um das rhetorische Waffengerassel zum Schweigen zu bringen. Die Situation ist viel zu ernst, als dass wir uns allesamt lediglich beobachtend zurücklehnen dürfen. Frieden schaffen beginnt mit Sprache! Erinnern wir uns an die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1973 – der neu gewählte Bundespräsident Steinmeier konnte heute nicht anders, als genau daran zu erinnern!
Auch insofern trifft Wolff das Problem genau dort, wo es zum weltpolitischen Problem werden könnte – solche Stimmen sind jetzt von dringender Notwendigkeit!
Uns allen eine gute Woche!
Zitat Jo Flade: „Der gewagte Zugriff der EU auf die Ukraine war ein politischer Fauxpas, der jetzt eskaliert.“
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Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Ukraine strebte schon unter ihrem früheren Präsidenten Juschtschenko im Jahr 2004 den Beitritt zur EU an.
„Am 9. September 2008 trafen die Ukraine und die EU in Paris eine Vereinbarung für ein Assoziierungsabkommen. Im Gegensatz zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) gilt dieses Abkommen allerdings nicht zwingend als erster Schritt zu einem EU-Beitritt.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine_und_die_Europ%C3%A4ische_Union
Es ist sicher berechtigt, wenn man in der aktuell sehr angespannten Situation in der Ukraine „Friedenspolitik“ als „Fremdwort“ empfindet.
Es fällt mir auch schwer, die Lieferung von 5.000 Schutzhelmen als „starkes Signal der Solidarität für die Ukraine“ zu verstehen, oder das permanente Nicht-in-den-Mund-nehmen von Nordstream 2, bzw. die Nicht-Inbetriebnahme dieser Pipeline als mögliche Sanktion, überhaupt als „Politik“ zu bezeichnen; für mich sind das bloß hilflose Reaktionen, die das grundsätzliche Fehlen einer deutschen und gesamt-europäischen Aussenpolitik dokumentieren.
In den letzten Jahren hätte es mehrere gute Gelegenheiten gegeben, eine deutsche und gesamt-europäische Aussenpolitik zu entwickeln und zu verabschieden:
• Putins Rede im deutschen Bundestag im September 2001
• Obamas Hybris, Russland während der Krim-Krise 2014 als Territorialmacht herabzustufen
• Macrons Europarede an der Sorbonne-Universität 2017
Die jeweils verantwortlichen Politiker*innen in Deutschland haben sich aber stets weggeduckt/die Diskussion ausgesessen… Im Ergebnis spielt Deutschland/Europa so gut wie keine Rolle bei der Einfriedung des Konflikts, der sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft jetzt stetig verschärft!
Ich bin gespannt, ob Kanzler und/oder Aussenministerin dieses Armutszeugnis als Initialzündung nehmen, endlich eine kraftvolle, wertebasierte und eigenständige Aussenpolitik mittel- bis langfristig für Europa und seine Interessen in der Weltpolitik zu definieren….
Kurzfristig stimme ich zu, dass wir jede Kriegs-Rhetorik vermeiden, keine Waffenlieferungen genehmigen und die „Pendel-Diplomatie“ fortsetzen sollten. Vielleicht sollten wir darüber hinaus definieren, welche Entspannungssignale dauerhaft notwendig sind, um Nordstream 2 in Betrieb nehmen zu können.
Lieber Herr Wolff,
ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre besonnene und kluge Analyse. Ich teile Ihre Einschätzung und bin sehr besorgt. Insbesondere die nahezu einstimmige Hysterie und das vollständige Fehlen differenzierter Überlegungen im veröffentlichten Diskurs machen mir Angst. Propaganda, Wording und Framing ersetzen Wahrheit und Lösungssuche.
Nicht ganz stimme ich mit Ihnen überein, wenn Sie das Fehlen einer Strategie des Westens beklagen. Ich sehe eine sehr klare Strategie. Diese hat im 1. Kalten Krieg zum Erfolg geführt und findet nun, im 2. Kalten Krieg, wieder Anwendung: Russland soll aus Europa heraus an den Rand gedrängt und auf allen Gebieten in möglichst große Schwierigkeiten gebracht werden. Kurzum – das Gegenteil von konstruktiver Kooperation. Das Europa im Gefolge dieser von den USA betriebenen Politik gegen seine eigenen Interessen arbeitet, liegt eigentlich auf der Hand. So bleibt nur zu hoffen, dass sich nachdenkliche Politik in Europa wenigstens teilweise durchsetzt.
Eigentlich wäre es ganz einfach: die verschiedenen Interessen ließen sich, denke ich, durchaus ausgleichen und eine (übrigens durch Putin spätestens seit seiner Rede im Deutschen Bundestag seit langem eingeforderte) konstruktive Friedensordnung ließe sich noch immer etablieren. Allerdings gibt es starke Kräfte, die genau dieses nicht wollen.
Wir werden sehen –
Mit ganz herzlichen Grüßen
Ihr
Matthias Oldag
Der Kommentar spricht mir aus der Seele. Wer Frieden in Europa bewahren will, muss die Interessen der anderen Seite in Rechnung stellen und politische Versprechen zu brechen, schafft kein Vertrauen. Siehe bspw.
https://www.youtube.com/watch?v=F2iOAtNlleg
Hehre Worte, Herr Pfarrer. Die Frage lautet: Wollen die Russen überhaupt ernsthaft verhandeln oder stellen sie von vornherein unnanehmbare Forderungen? Erstmals seit 1999 schicken sie keine Delegation zur Münchner Sicherheitskonferenz nächste Woche.
Der Vergleich mit dem schändlichen Treiben der Bush-Regierung im Jahr 2003 hinkt:
Der (nicht sog.) Westen will keinesfalls einen Krieg in der Ukraine – schon aus wirtschaftlichen Gründen: die Börsen würden einstürzen, die Preise für Öl und Gas noch weiter steigen. Am Ende wird Herr Putin das Gegenteil dessen bewirken, was er beabsichtigt: Die Einigkeit des Westens wird gestärkt werden. Schon strecken Finnland und Schweden ihre Fühler in Richtung NATO aus.
Oder wir kapitulieren schon jetzt:
„Vor über 30 Jahren, 1972, hatte der dänische Anwalt und Hobby-Politiker Mogens Glistrup eine Idee, die ihn über Nacht berühmt machte. Um Steuern zu sparen, sollte die dänische Armee aufgelöst und im Verteidigungsministerium ein Anrufbeantworter geschaltet werden: „Wir kapitulieren!“ So eine Maßnahme würde nicht nur Geld sparen, sondern im Ernstfall auch Menschenleben retten. Mit diesem „Programm“ wurde Glistrups Fortschrittspartei bei den Wahlen 1973 zur zweitstärksten Fraktion im dänischen Parlament.
Glistrup hatte den richtigen Einfall, nur viele Jahre zu früh. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, den Anrufbeantworter zu aktivieren.“
© Henryk M. Broder 2006
https://www.spiegel.de/spiegel/a-431929.html
Einen Vorteil hätte ich bei einer Kapitualtion des sog. Westens gegenüber den sog. Russen Ihnen, Hr. Wolff, als sog. Westler gegenüber:
Ich brauchte nur das in 9 Jahren (nicht) gelernte Russisch aufzubessern und könnte den Chinesisch-Kurs beenden…
Sehr geehrter Herr Wolff,
heute erlaube ich, Gudrun Klein, mir Ihnen von Lisedore Klenks PC aus die traurige Nachricht zu übermitteln, dass Frau Klenk nach relativ kurzer, schwerer Erkrankung am 7.1.2022 starb. Sie hat Ihre Blogs immer mit großem Interesse gelesen und mit mir geteilt. Ich bin für Ihre Gedanken auch weiterhin dankbar und wünsche Ihnen alles Gute!
Mit herzlichen Grüßen
Gudrun Klein
PS.´: Mich finden Sie unter geklein@gmx.de von wo aus ich Ihnen gern die Traueranzeige von Frau Klenk zukommen lassen werde.
Danke, lieber Christian Wolff, für Ihre klaren Worte. Sie sprechen mir aus der Seele!
Lieber Herr Wolff,
von Ihrem Text bin ich sehr angetan, ja geradezu begeistert! Kernpunkt ist auch für mich, dass man zu keinem friedlichen Miteinander findet, wenn man nicht in der Lage ist, die Unterschiedlichkeit von politischen Systemen und Lebensweisen zu respektieren und die jeweiligen Interessen des anderen anzuerkennen und abzuwägen. Daran hapert es derzeit gewaltig!
Im Gegenteil. In den deutschen Gazetten (von Bild bis FAZ) wird Kriegshysterie geschürt, dass einem schlecht wird. In der betulichen ZEIT versammeln sich Anti-Russland-Hardliner, die für einen noch härteren Kurs gegen Russland eintreten (ZEIT-Online 14.01.2022). Ich habe auch den Eindruck, dass manche unserer sog. Journalisten nur darauf warten, dass es endlich mit Effet wieder gegen den Russen losgehen kann.
Sie fragen, welchen „Vorteil“ der sog. Westen aus einem solchen Gewaltakt ziehen könnte. Vielleicht bekäme man damit Russland wieder so klein (und die Russen so arm) wie zu Jelzins Zeiten als die Ressourcen dieses reichen Landes auf einmal zur freien Verfügung des Westens schienen (mit Unterstützung krimineller Oligarchen vom Schlage eines Michail Chodorkowskis)? Ist natürlich abenteuerlich, aber auch im Westen gibt es Leute, die über Leichen gehen, wenn Machtzuwachs und Maximalgewinne winken.
Das Motiv für Europäer und insbesondere für uns Deutsche, sich für eine europäische Friedensordnung einzusetzen, sollte klar sein. Die Synergieeffekte, von denen Europäer und Russen aus einem gedeihlichen Miteinander profitieren würden, wären gewaltig. Man denke nur an die Verbindung von Technologiefähigkeit und Rohstoffreichtum. Machen jenseits des Atlantiks scheint aber gerade das aus Konkurrenzgründen nicht so sehr zu gefallen. Und sollte es doch zu einem Totalzusammenbruch der Beziehungen zu Russland kommen, wird man alle gesetzten Klimaziele vergessen können.
Der Weg zu einer neuen europäischen Friedensordnung ist z. Z. noch durch das sture Beharren auf einer Ausweitung der militärischen Infrastruktur der NATO bis an die ukrainisch-russische Grenzen verbaut. Seit spätestens 2007 (Putin-Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz) ist klar, dass gerade darüber mit Russland zu reden, zu verhandeln ist! Schön, dass Sie das auch so sehen. Dass die NATO-Osterweiterung von Anfang das Verhältnis zu Russland unterminiert und jetzt nahezu zerstört hat, kann seit den jüngsten Veröffentlichungen zum Thema kein vernünftiger Mensch mehr bestreiten. Und insbesondere, dass es sich dabei um einen eklatanten Vertrauensbruch des Westens gegenüber den Russen gehandelt hat.
Dass die Amerikaner treibende Kraft sind und ein machtstrategisches Interesse an dem Zerwürfnis der Europäer mit den Russen haben, ist kaum zu bestreiten. Schließlich war das auch seinerzeit ein Grund für die Gründung der NATO (Lord Ismay: „To keep the Americans in, the Russians out, and the Germans down.“). Interessanterweise findet man aber gerade in amerikanischen Medien zunehmend Stimmen, die die Aufnahme der Ukraine und auch Georgiens in die NATO kritisch sehen. Hier ein paar Beispiele (Titel übersetzt): „Zeit für die NATO, ihre Tür zu schließen“, Foreign Affairs, 17.01.2022; „Wie man sich aus der Ukraine zurückzieht“, New York Times“, 22.01.2022; „Russland-Ukraine-Konflikt: Amerika braucht eine bessere Idee als die NATO-Erweiterung, USA Today, 14.12.2021; „Europa stark und sicher“, Foreign Affairs, 05.01.2022.
Herzliche Grüße vom anderen Ende der Welt,
Johannes Lerchner
PS: Ich habe heute den Aufruf „Ukraine-Krise: Friedenspolitik statt Kriegshysterie“ unterschrieben (https://nie-wieder-krieg.org/)