Es war der wichtigste Satz auf der Bundesversammlung am 13. Februar 2022 in Berlin: „Jeder Krieg kennt nur Verlierer.“ Ausgerufen hatte ihn Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Eröffnungsrede zur Wahl des neuen Bundespräsidenten. Wenn er stimmt, dann geht es nach dem quasi-Überfall Russlands auf die Ukraine nicht um Sieg oder Niederlage. Vielmehr können wir nur darüber streiten, wer welche Position auf der Verliererstraße einnimmt, wer und was derzeit am meisten zur Niederlage aller beiträgt und wie wir die Verliererstraße verlassen können. Ich möchte – abseits aller historischen und politischen Fakten der Ukraine/Russland-Krise – zwei Dinge zu bedenken geben:
- Die aktuellen Ereignisse sind das Ergebnis einer gescheiterten bzw. gar nicht erst entwickelten europäischen Ostpolitik in den vergangenen 20 Jahren. Es hat keinen nachhaltigen Prozess zwischen der europäischen Union und Russland gegeben, um eine europäische Friedensordnung zu gestalten. Das Ergebnis des Scheiterns ist ein seit Jahren gewachsenes Misstrauen, dessen traurigen Höhepunkt wir gerade erleben.
- Kriegerische Handlungen und imperiale Aggressionsakte sind nur aufgrund von angehäuften Waffenarsenalen möglich. Sie nähren bei allen Konfliktpartnern die Illusion, als könne man langfristig durch kriegerische Gewalt politische Ziele erreichen. Natürlich ist es – wie bei einem Mord – möglich, den potentiellen Widersacher durch Gewalt unwiderruflich aus dem Weg zu räumen und sich seines Besitzes zu bemächtigen. Nur: Ein solcher „Sieg“ ist von kurzer Dauer und hinterlässt verbrannte Erde. Es gilt das, was wir schon aus der Geschichte von Kain und Abel lernen können (Die Bibel: 1. Mose 4,1-16). Als Kain seinen Bruder erschlagen hat, sagt Gott zu ihm: „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir aus der Erde.“ (Vers 10) Das Verbrechen kann nicht ungeschehen gemacht werden. Es wirkt über Generationen weiter und macht aus dem vermeintlichen Sieger im Bruderzwist einen Verlierer – damals und heute!
Nun ist mir sehr bewusst, dass mir die sog. Realpolitiker*innen sofort entgegenhalten: Mit solch lächerlichen Geschichtchen lässt sich keine Politik betreiben. Jetzt befinden wir uns in einer Kriegssituation. Der Aggressor Russland versteht nur eine Sprache: die der militärischen Gegenwehr. Darum muss jetzt die Ukraine aufgerüstet werden, damit sie sich wehren kann. Das ist landauf, landab fast unisono zu hören und zu lesen. Doch die Frage bleibt: Welches Ziel wird damit verfolgt? Kriege vermögen weder Misstrauen zu beseitigen, noch werden Kriege Menschen zur Einsicht bringen. Dafür werden durch kriegerische Handlungen alle humanen und moralischen Fundamente zerstört, auf denen Vertrauen wachsen und Konfliktlösungen sich abzeichnen könnten. Ein Blick nach Afghanistan oder in den Nahen Osten lehrt, dass kein Waffengang der letzten Jahrzehnte irgendein Problem gelöst oder einen Sieger hervorgebracht hätte. Stattdessen entstehen in den betroffenen Regionen ökologische und bei den Menschen moralische Wüsten. In ihnen geht nur eine Saat auf: die der Gewalt, die Sprache der Verlierer.
Heute möchte ich keinen Moment das politische und militärische Gewalt- und Aggressionspotential Russlands unter der Führung Wladimir Putins in Abrede stellen. Auch mache ich mir über Putins derzeitigen Kriegswillen keine Illusionen. Die Frage ist aber: Lassen wir uns von ihm auf die Verliererstraße des Krieges ziehen? Gehen die europäischen Länder das Risiko der Eskalation ein, dass sich der Krieg auf ganz Europa ausdehnt? Sind die Bilder zerstörter Städte und getöteter Zivilisten 1945 schon so verblasst, dass man sich nicht mehr entschlossen der Eigendynamik eines Krieges entgegenstellt? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte auf der Pressekonferenz nach seiner Verhandlung mit Wladimir Putin in Moskau am 15. Februar 2022: „Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe, als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt.“ Beteiligen wir uns also nicht am Aufmarsch der Verlierer! Gönnen wir Putin nicht den Erfolg seines Diktates und erklären unsere „verdammte Pflicht und Aufgabe“ für beendet. Beides fängt jetzt erst an!
23 Antworten
Meine Großmutter sagte: „Wenn Krieg kommt, wirst auch du beten.“ Erstmal weine ich.
Welch Ironie, das Land, welches gemeinsam mit den Alliierten den Frieden 1945 nach Europa gebracht und der bis zum heutigen Tag gehalten hat, bringt nun wieder nach 77 Jahren den Krieg zurück! Welcher Sarkasmus, dass genau zur Tagung des Sicherheitsrates Russland in die Ukraine einmarschiert. Wer in diesem Blog noch Verständnis für Putin zeigt oder ihm etwas anbieten möchte (Dr. Heyderbreck) möge dies mir nach der heutigen Nacht erklären. Einem KGB Offizier in den 80 er Jahren in Dresden, einem kommunistischen Diktatur, der Andersdenkende vergiften lässt, Cyberattacken gegen Demokratien durchführt ist ein Kriegstreiber, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss.
Hr. Haberland und Hr. Schwerdtfeger haben genau die richtigen Worte gefunden, die Situation zu beschreiben und dem ist nichts hinzuzufügen. Gespannt wäre ich auf die Antworten auf die Fragen, die Hr. Haberland gestellt hat.
Was uns bleibt die heutige Fassungslosigkeit zu vertreiben ist die Hoffnung in die freie Staatengemeinschaft geeint gegen den Aggressor zu stehen (wenn es sein muss ohne russische Energieträger, den diese finanzieren das Militär in Russland) und unsere Gebete, welche mit den Menschen in der Ukraine sind.
Auch wenn ich mich ja freuen könnte, Herr Lockwenz, über Ihre freundlichen Worte zu meinen Beiträgen und mich gleichzeitig wundere über Ihre Zustimmung zu den verwirrten Äußerungen von Herrn Haberland -, so bleibt doch Widerspruch: Die Sowjetunion hat 1945 keinen Frieden nach Europa gebracht – weder tatsächlich noch in Stalins Absicht -, sondern sie hat Unterdrückung und Diktatur über die Osthälfte des Kontinents gebracht.
Und so ist es geblieben: Im Gegensatz zur Meinung Wolffs nämlich ist Putin nach wie vor außerordentlich berechenbar. Die Tatsache, daß er anders handelt, als der Westen sich das wünscht, ist kein Gegenbeweis. Er handelt mit großer strategischer Übersicht im Sinne SEINER Zielsetzung, die er übrigens mehrfach geäußert hat und die in bestimmten Teilen nachvollziehbar ist. Der Westen hat nur nicht zugehört. Es ist ja richtig: Putin ist ein Bösewicht, aber das ist eben eine „strategische Tatsache“, die sich nicht durch westliches Wunschdenken, westliches Beleidigen seiner Person und westliche überhebliche Moral, sondern nur durch eigene Strategie unter Einsatz ALLER Instrumente erfolgreich bekämpfen läßt – und „Einsatz“ heißt: Einbeziehung in die eigene Strategie, nicht unbedingt tatsächliche Aktion.
Jetzt ist die Lage so, daß ich nur hoffen kann, daß Europa die Zeichen an der Wand erkennt. Amerika ist mit innenpolitscher Spaltung und einem weiteren Ruck nach rechts in höchstem Maße bedroht. Der „Verführung“ Trumps, unter ihm wäre das nicht passiert, werden viele Amerikaner schon deshalb erliegen, weil sie die tatsächliche Entwicklung als Niederlage empfinden, auch wenn die Aussage natürlich Unsinn ist. Amerika – weiterhin – ist mit einer Zwei-Fronten-Bedrohung konfrontiert und die pazifische ist für die Amerikaner die grössere. Daß sie die Ukraine als „europäische Frage“ ansehen, haben sie schon lange deutlich gemacht. Es sind noch zweieinhalb Jahre bis zur Präsidentenwahl und nur 10 Monate, bis der Präsident voraussichtlich seine Mehrheit in beiden Kongresshäusern verliert und also weitgehend handlungsunfähig wird. Wenn jetzt Europa die Zeit bis Januar 2025 nicht nutzt, um endlich seine eigene Verteidigungsfähigkeit glaubwürdig aufzubauen – eigentlich in so kurzer Zeit kaum möglich -, dann allerdings wird dies eine Einladung an Putin (nach Sachsen) sein – und, wie gesagt: ER ist sehr berechenbar!
Demonstrationen kommen jetzt zu Sanktionen hinzu, wie uns Herr Wolff vorschlägt. Welch‘ ein Unsinn! Und Herrn Wolff wird das Demonstrieren schnell vergehen, wenn Putin ante portas ist.
Andreas Schwerdtfeger
Wie bedauerlich ist es doch, daß, wer hier sachlich mitdiskutieren will, immer wieder auf die unterschwelligen simplen Reaktionen von Leuten stößt, die nicht bereit sind, das Problem nüchtern anzugehen.
Aber zunächst: Herr Käfer, Wie sehr stimme ich Ihnen doch zu, wenn Sie schreiben (22.2.), „Das Schöne an kleinen Kindern ist ja u.a., dass sie zwar durchaus erheblich nerven können mit ihrem ewigen „ich will aber…“; ich habe aber noch nicht erlebt, dass sie den selben Wunsch/die selbe Forderung über Monate (oder gar Jahre) immer und immer wieder vorbringen!“ Ihre und auch anderer Leute ewige Stilhinweise nerven in der Tat und müssen dann immer wieder mit Hinweis auf die Tatsachen korrigiert werden – dies ganze schon deswegen überflüssig, weil ja der „Herr dieses blogs“ den Knigge ausdrücklich ablehnt. Wie schön wäre es also, wenn Sie sich der Sache widmen würden.
Aber dann sieht man ja aus Ihrem Beitrag vom 23.2., daß Sie die Problematik nicht übersehen (wollen?). Die Fragen, die Sie dort polemisch stellen, zeigen leider eine völlige, ideologisch unterlegte Unkenntnis der Realität. Insofern ist es gut, daß Sie nur sich selbst fragen („da frage ich mich“). Ich will Ihrer eigenen geistigen Leistung nicht zuvorkommen – habe dazu ja bereits auch eigentlich alles gesagt. Aber EINEN Hinweis will ich Ihnen doch zur Anregung geben: Wenn man militärische Kapazitäten auf allen verschiedenen Ebenen einer möglichen Aggression zur – primär – Unterstützung einer durchsetzungsfähigen Diplomatie und zur – sekundär – Abwehr einer tatsächlichen Aggression für notwendig hält, dann ist dies ein Hinweis auf das zwingend notwendige staatliche Waffenmonopol im Äußeren (und Inneren analog). Mit amerikanischen Waffengesetzen hat das nichts zu tun. Diese (Er-)Kenntnis, mindestens, würde man bei einem Gesprächspartner „auf Augenhöhe“ erwarten dürfen. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt zeigt sich ja, daß die Rückkehr zu diplomatischen Lösungen wohl nur unter Waffeneinsatz erreichbar wäre, indem man – das ist allerdings längst verpasst – der russischen Aggression so entgegenträte, daß ein Waffenstillstand und dann ein Friede verhandelt werden könnte. Die Sanktionen des Westens, an deren Wirkung ich nicht glaube (DEU gibt ja durch Stillschweigen zum Thema NordStream 1 (EINS) derzeit schon die „richtigen“ Hinweise), sind jedenfalls nicht geeignet, die Ukraine im akuten Fall zu retten und Putin alleine bestimmt, ob er einen kleinen Rest übrig läßt oder sich in der Region als Nachbar der NATO etabliert. Der Westen hätte es verhindern können, aber, wie ich schon schrieb: Wer immer nur wartet, verliert Optionen.
Andreas Schwerdtfeger
Ja, es ist Krieg und die Wahrheit stirbt zuerst, sagte angeblich Aischylos. Zumindest ist es derzeit besonders schwierig, gegen das herrschende Narrativ argumentativ anzukommen. Ich will versuchen, nochmal meinen Standpunkt zu erläutern.
1. Die von Wolff genannten Gründe gegen einen Krieg teile ich vollständig. Wenn es doch zu Situationen kommt, die die Anwendung „militärtechnischer Maßnahmen“ unausweichlich macht (Haberland nennt gute Gründe), geschieht das praktisch immer als Folge vorheriger politischer Fehler. Das nennt man dann wohl Tragödie.
2. Ob man der Wolff’schen These zustimmen kann, wesentliche Ursachen für die gegenwärtige Krise lägen in einer verfehlten oder nicht vorhandenen Ostpolitik, hängt meiner Meinung nach davon ab, welche Absichten und Ziele man der russischen Führung unterstellt.
3. Ich sehe meine bisher vorgebrachten Argumente zur These, dass die Triebkraft für das Handeln der russischen Führung durch die mangelnde Akzeptanz der Sicherheitsbedürfnisse des Landes seitens des Westens bestimmt ist, nicht entkräftet. In der von mir verlinkten Putin-Rede sind die Fakten noch einmal erläutert. Außerdem sind die Stimmen im Westen, die diese Sichtweise als überhaupt nicht abwegig anerkennen, so prominent und zahlreich, dass ich mich über die allgemeine Ignoranz nur wundern kann. Treuherzige Bekundungen (z. B. Klingbeil bei Will letzten Sonntag), es wolle doch niemand in der NATO Russland angreifen, sind Dummenfang. Sicherheit existiert nicht, wenn sie vom guten Willen des potentiellen Gegners abhängt, sondern muss strukturell garantiert sein. Was für ein grandioses Niveau für einen führenden Politiker unseres Landes!
4. Wolff kann man eventuell nicht folgen, wenn man an alternative Erzählungen glaubt: (A) Putin will eine Sowjetunion 2.0 errichten oder gar ein Reich bis an die Elbe (wohlgemerkt unter Einbeziehung Sachsens)! Nur weil er immer wieder auf die gemeinsamen historischen Wurzeln der slawischen ehemaligen Brudervölker verweist? Oder weil er die Tatsache, dass nach dem Zusammenbruch der UdSSR sich Millionen Russen außerhalb russischer Grenzen wiedergefunden haben, als Katastrophe bezeichnet? (B) Ziel Putins ist nichts weniger als die Zerstörung des Westens, weil allein dessen Existenz eine Bedrohung für Russland darstellt. Diese phantastischen Thesen des Yale-Professors Timothy Snyder sind mir wahrscheinlich vertrauter als allen von Ihnen. In Vorbereitung auf eine Maidan-Debatte vor einigen Jahren, musste ich mir eines seiner Werke zumuten („Der Weg in die Unfreiheit“). Auf die Tapferkeitsmedaille, die ich mir darauf hin selbst verliehen habe, bin ich heute noch stolz. (C) Putin will verhindern, dass die Ukraine zum leuchtenden Vorbild für seine Landsleute wird! Der gewaltsame Umsturz in der Ukraine liegt nun acht Jahre zurück. Gibt es jetzt dort mehr Demokratie als in Russland? Ist die Pressefreiheit besser entwickelt als im Nachbarland? Haben die Oligarchen in der Ukraine weniger zu sagen als in Russland? Vergiften Nationalisten die gesellschaftliche Atmosphäre in Russland oder in der Ukraine? Alles Geschichten, die wenig überzeugen.
Ich erwarte nicht, dass in absehbarer Zeit Vernunft einkehren wird. Spannend wird sein, wie sich die Erfolgsaussichten entwickeln werden, Russland (das „Putin-Regime“) durch Sanktionen in die Knie zu zwingen, oder, je nachdem, ob irgendwann die Einsicht erwächst, dass es ohne vernünftige Kompromisse nicht geht.
Lieber Herr Lerchner, ich lese alles, was Sie schreiben, spätestens seit heute morgen mit sehr gemischten Gefühlen. Klar ist für mich: Putin ist ein unberechenbarer Nationalist und kaltblütiger Krieger. Er will die Ukraine zu einem Vasallenstaat machen (wie Belarus). Und: Er will dadurch ein Bollwerk errichten gegen Demokratie und Freiheit. Mit Friedensordnung hat das alles nichts mehr zu tun. Er hat in der vergangenen Nacht einen Angriffskrieg gestartet und allein dadurch alles zerstört, was in den Jahrzehnten nach 1945 in mühsamen Prozessen an Elementen einer europäischer Friedensordnung entstanden ist. Er hat erkennbar kein Interesse an Verhandlungen. Nun wird alles darauf ankommen, sich von Putins verbrecherischer Kriegslust nicht anstecken zu lassen. Beste Grüße Christian Wolff
Lieber Joh. Lerchner – genau zu Ihrem aktuellen Kommentar schrieb ich im vorletzten meine Auffassungen nieder.
Und lieber M. Käfer – genau so ist es – Fragen beantworten!
Ich stauen immer wieder, wie herum gerunkst wird im verbalen! Was ist da nur los???
Die Lage ist doch viel zu ernst, als dass man sich ewig irgendwas um die Ohren haut.
Herzlich Jo.Flade
Denen, die die Hasstiraden und den Schmutz und Dreck, der derzeit landauf, landab ausgeschüttet wird, nicht mehr aushalten, empfehle ich die Rede des russischen Präsidenten vom 21. Februar vor der Duma (https://www.anti-spiegel.ru/2022/praesident-putins-komplette-rede-an-die-nation-im-wortlaut/, in einer deutschen Übersetzung von Thomas Röper). Beim Lesen der Rede ist mir auch aufgefallen, wie sehr sich die Kulturniveaus mittlerweile voneinander entfernt haben.
Es ist hier von Verlierern die Rede. Ja, dazu zähle ich mich. Wie schon gesagt. Bestimmend für meine derzeitige Gefühlslage ist aber grenzenlose Verachtung. In der Sache ist m. E. kaum etwas hinzuzufügen zu dem, was ich am Wochenende geschrieben habe.
Danke zunächst für den Link zur Übersetzung der Rede Putins; ich habe mir die Zeit genommen, sie ganz zu lesen. Ich teile Ihr Erstaunen, wie sehr sich die Kulturniveaus mittlerweile voneinander entfernt haben – ich fürchte aber, dass wir das aus ziemlich unterschiedlichen Sichtweisen heraus tun!
Da beklagt jemand, der den Auftrag zum Mord im Tiergarten selbst erteilt oder zumindest wissentlich geduldet hat, der Nawalny vergiften lassen wollte und danach in einem alles anderen als rechtsstaatlichen Prozess hat wegsperren lassen, der Korruption und Oligarcheneinfluss im eigenen Land nicht eindämmen kann oder will, dass die Ukraine den Genozid an der Bevölkerung im Donbass zulässt oder sogar fördert, dass der Aufstand 2014 auf dem Maidan vom Westen finanziert und vorangetrieben war, das ukrainische Justizsystem eine Marionette des Westens sei und begründet so die Anerkennung der Separatisten-Gebiete und den russischen Einmarsch dort als „Friedensmission“?!?
Ich will Putin auch jetzt nicht als das Böse schlechthin darstellen, schätze seine frühen Annäherungs-Initiativen an EU und NATO ausdrücklich, bedauere sehr, dass der Westen diese Initiativen hochnäsig und dumm nicht aufgegriffen und entwickelt hat, aber ich halte seine Entscheidungen der letzten Tage für höchst gefährlich und eine reale Bedrohung des Friedens in Europa und ggfs. weltweit!
Sehr geehrter Herr Wolff,
es wäre sicher gut, Sie würden sich in Ihrer Analyse der Realität stellen oder, deutlicher formuliert, den Fragen stellen, die aus der Realität entstehen:
1. Wie hätte denn, ohne militärischen Einsatz der Alliierten, Hitlerdeutschland überwunden werden können?
2. Was sagen Sie denjenigen Soldaten, die am D-Day beteiligt waren?
Wenn man Ihrer Deutung folgt, dann haben sie sich auch nur in die Spirale der Verlierer hineinziehen lassen. Ja, ist das so? Sicher sagen Sie uns, was die Alternative gewesen wäre.
3. Was sagen Sie Menschen in Ruanda und auf dem Balkan, die der Weltgemeinschaft bis heute vorwerfen, dass sie in den 1990er Jahren tatenlos zugesehen hat?
4. Habe ich Sie richtig verstanden, dass die gegenwärtigen Ereignisse das Ergebnis einer verfehlten Ostpolitik des Westens ist? Behaupten Sie allen Ernstes Putin sei eine Marionette des Westens und nicht in der Lage, seine eigenen Handlungen selbst zu verantworten?
Warum exkulpieren sie ihn, seine Handlung, seine Verantwortung?
5. Die Kain und Abel-Geschichte ist hier völlig zynisch gedeutet: Würden Sie denn einem D-Day-Soldaten vorwerfen, dass er wie Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat?
Da bin ich wirklich gespannt auf Ihre Antwort.
6. Präsident Zelenskyy und der Westen haben sich bisher in bewundernswerter Haltung deeskalierend verhalten, finden Sie nicht? Und natürlich hoffen wir, das bleibt so.
7. Was sind denn Ihre alternativen Vorschläge, jetzt, ganz konkret, Herr Wolff?
8. Kann sein, dass Putin auf die Idee kommt, Sachsen habe früher ja auch zum Einflussbereich Russlands gehört, sei ein Brudervolk, solle wieder zurückkehren.
Er war ja schon in Dresden …
Was sagen Sie der Ukraine, was würden Sie dann den Sachsen sagen und: Was würden Sie denn tun, wenn Sie Verantwortung für ein Land hätten?
Jedenfalls hoffe ich, dass Sie dann so besonnen wären, wie der Westen und die Ukraine es im Moment sind, dass Sie sich an lange Tische setzen ließen und trotzdem pausenlos anrufen, um zu verhandeln.
Lieber Herr Wolff,
ideologisch oberflächliche Analysen sind, meine Meinung, eine leider ebenfalls nicht zu unterschätzende Gefahr für den Frieden. Finden Sie nicht?
M. Haberland
Sehr geehrter Herr Haberland,
mein Blog-Beitrag erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden politischen Analyse der derzeitigen Situation in Europa. Auch habe ich mich in meinem Beitrag nicht mit der Frage auseinandergesetzt, was denn getan werden muss, um Kain am Mord an seinen Bruder zu hindern. Die Bibel gibt da übrigens eine sehr interessante Antwort: Du sollst deines Bruders Hüter sein – eine Rolle, die Kain ablehnte. Daraus schließen Sie bitte: Die Antwort auf Ihre Fragen 1-3 liegt darin, dass die Ursache für den militärischen Einsatz der Alliierten im 2. Weltkrieg, für den D-Day oder für die Klage über zu spätes Eingreifen in Ruanda oder aufg dem Balkan in der Tatsache liegt, dass Bürgerinnen und Bürger ein verbrecherisches Regime ermöglicht haben (das gilt vor allem für Deutschland). Im Übrigen habe ich mich in meinem Blog-Beitrag überhaupt nicht zu der Frage geäußert, ob Situationen vorstellbar sind, bei denen ein militärisches Eingreifen als ultima ratio alternativlos ist. Ich habe nur die Überzeugung bekräftigt: Kriege kennen nur Verlierer. Das dient der politischen Delegitimierung von militärischen Einsätzen, die ich für dringend erforderlich halte. Denn nur so entsteht der Druck, nach nicht-militärischen Alternativen zur Konfliktlösung zu suchen.
Zu ihrer 4. Frage: Es gibt keine monokausalen Erklärungen für politische, gesellschaftliche Vorgänge. Darum muss es genauer heißen: Die jetztige Situation ist auch das Ergebnis einer verfehlten bzw. nicht vorhandenen Ostpolitik des Westens.
Ihren Aussagen, dass sich die Ukraine und der Westen bis jetzt deeskalierend verhalten, stimme ich ausdrücklich zu (Punkt 6. und 8.) und hoffe, dass dies so bleibt. Genau das ist auch die Grundaussage meines Blog-Beitrages.
Zum Ganzen: Ich maße mir nicht an, eine umfassende Lösung dieses oder anderer Konflikte anbieten zu können. Aber ich beteilige mich an der Debatte. Dabei greife ich immer wieder auch auf biblische Grundgeschichten -einsichten zurück, die Ausdruck von in Jahrhunderten geronnener Erfahrung sind. Das entspricht meiner Profession. Wieso das eine „Gefahr für den Frieden“ sein soll, bleibt mir schleierhaft.
Beste Grüße Christian Wolff
Sehr geehrter Herr Wolff,
immerhin haben Sie sich bemüht, auf diese Fragen zu antworten, vielen Dank.
Sie schreiben, dass Sie nicht den Anspruch haben, eine umfassende politische Analyse zu bieten. Das klingt bescheiden, aber eine Antwort kann nur dann glaubwürdig sein, wenn sie den Anspruch hat, ein Problem umfassend in den Blick zu nehmen. Wenn Sie diesen Anspruch aufgeben, ist ihre Antwort nichts wert. Sie können sich doch nicht irgendeinen Aspekt aussuchen, den zum Anlass einer Interpretation nehmen und den Rest der Sachverhalte ausblenden, mit der vornehmen Zurückhaltung, dass die Analyse ja nicht vollständig sei. Das ist, wenn nicht ideologisch, doch zumindest sehr einseitig.
Wenn ich jetzt Ihren Worten folge, dann gibt es offensichtlich doch eine ultima ration für den Einsatz militärischer Mittel. Darin stimme ich Ihnen zu und vermutlich sind wir uns auch darin einig, dass es nur eine unendlich unsägliche ultima ratio sein kann, weil auch das stimmt, was Frau Bas gesagt hat, ja, im Krieg sind alle Verlierer.
Weil aber ein D-Day-Soldat und jeder andere, der oder die durch eine unendlich unsägliche ultima ration militärisch verwickelt, keine weiteren Optionen hat – eben deshalb, Herr Wolff, kann man das nicht mit der Geschichte vom Brudermord Kain und Abel vergleichen. Das sollten Sie verstehen.
Selbstverständlich stimme ich Ihnen zu, dass das Aufkommen, die Verbreitung und das Erstarken des Hitlerregimes seine Ursachen in der deutschen Gesellschaft hat.
Aber wir können doch der Frage nicht ausweichen, wie wir mit diesem dadurch entstandenen Gewaltmonster umgehen müssen, damit es uns nicht vollständig verschlingt: Ein D-Day-Soldat ist kein Kain, Herr Wolff.
Es bleibt unsere Pflicht, beides zu sehen:
Den Satz von Frau Bas und die potenziell notwendige unendlich unsägliche ultima ratio eines militärischen Eingreifens.
Das gilt es zusammenzuhalten und zusanmenzusehen. Und ich finde, bisher ist die Haltung des Westens und der Ukraine noch in einem guten Rahmen. Wenn wir in keiner unendlich unsäglichen ultima ration landen wollen, dann müssen wir uns Mechanismen überlegen, die stattdessen diktatorischem und völkerrechtswidrigem Handeln entgegentreten können.
Für dieses Ganze müssen wir Antworten finden, sonst ist jede Antwort, auch wenn sie in ihrem Anspruch noch so bescheiden freundlich beschrieben wird, schlicht einseitig und unglaubwürdig, weil sie am Ganzen der Realität vorbeigeht.
Wie sieht Ihre Antwort dazu aus?
Beste Grüße
M. Haberland
Lange gab es das Wort in meinem Sprachschatz nicht mehr; aber die Einlassungen von H. Haberland kann man wohl gut damit charakterisieren: hoffärtig!
Wenn Sie viele Beiträge in diesem Blog unvoreingenommen lesen, H. Haberland, können Sie sich Ihre 8 „Fragen“ ganz gut selbst beantworten.
Ausdrücklich stimme ich Ihrem letzten Satz zu; statt „Analysen“ hätten Sie auch auf „Fragen“ abheben können… Finden Sie nicht?
Hallo Herr Haberland,
ich stimme Ihnen zu, dass mitunter „militärtechnische Maßnahmen“ erforderlich erscheinen, wenn es z. B. darum geht, Völkermord zu unterbinden oder die Sicherheit des eigenen Landes zu gewährleisten. Dass der Buchstabe des Völkerrechts dabei nicht immer beachtet werden brauch, ist ebenfalls breiter Konsens. Diese Maßnahmen sollten aber bei maximal möglicher Schonung von Menschenleben erfolgen. Die Bombardierung von Belgrad seinerzeit war diesbezüglich grenzwertig. Die Abspaltung der Krim mit Hilfe der „grünen Männchen“ erfolgte unblutig. Dass es zu dem russischen Großangriff kommen wird, hatte ich ehrlich gesagt auch deshalb nicht erwarten. Sie sehen, Ihre Argumentation ist sehr multivalent anwendbar. Klar, es kommt auf die Akzeptanz der jeweiligen Prämissen an (ich erinnere an den „Hufeisenplan“-Fake).
Beste Grüße,
Johannes Lerchner
Sehr gutes Meinungsbild.
Hoffentlich hàlt sich der ukrainische Präsident an seine Friedenspflicht um zu siegen.
Wir beten und bitten unseren HERRN um seinen Frieden
Lieber Herr Wolff, Sie haben Recht. Ich möchte aber noch eine praktische Empfehlung an unsere Regierung – und an alle Regierungen des Westens – hinzufügen: Die Sanktionsdrohungen haben nichts gebracht und werden auch künftig nichts bringen, außer dass sie uns (besonders uns Deutschen) viel kosten und Russland endlich zwingen, mehr selbst zu produzieren und nicht nur alles gegen seine Bodenschätze einzutauschen. (Folge seiner „Dutch Disease“) Um einen großen Krieg zu vermeiden, muss der Westen, statt nur mit Sanktionen zu drohen, echte Zugeständnisse machen, z. B. dass die überwiegend von Russen bewohnten ukrainischen Gebiete (Krim und Donbass) unter bestimmten Bedingungen offiziell zu Russland gehören dürfen. Minsk 2 wurde nicht nur von Russland, sondern auch von der Ukraine nicht eingehalten!
Damit will ich Putins einseitige Aktion keinesfalls rechtfertigen. Aber auch mit so einem Potentaten kann man nur zu einer friedlichen Lösung kommen, wenn man nicht nur droht, sondern auch etwas bietet. Hoffen wir, dass unsere Regierungen auch zu diesem Schluss kommen. In diesem Sinne Ihr Hans v. Heydebreck
Sehr geehrter Herr Dr. von Heydebreck,
Sie scheinen davon überzeugt zu sein, dass man Herrn Putin etwas anbieten müsse, statt ihm mit Sanktionen entgegentreten zu wollen.
Sollen wir der Bundesregierung vielleicht eine kleine Region zur Einverleibung vorschlagen,
vielleicht Sachsen, am besten die Region, in der Sie wohnen? Wie fühlt sich dieses Entgegenkommen an für Sie? Wahrscheinlich ungefähr so wie es den Menschen in der Ukraine geht, oder in Litauen.
Dann kann ich mir auch schon vorstellen, wer als nächstes auf dem Balkan seinem Landhunger Ausdruck verleihen möchte, wem wir dann sicher auch entgegenkommen „dürfen“.
Äußern Sie sich doch bitte klar und konsequent zu dieser Frage:
Was schlagen Sie Herrn Putin als ein Entgegenkommen vor, von dem Sie denken, dass ihn das dann friedlich gesinnt werden lässt ?
Ich bin gespannt, welche genauen Vorschläge Ihren Worten vom Entgegenkommen folgen werden
M. Haberland
Lieber Christian Wolff, in der Tat scheint mir der Punkt 1. der entscheidende zu sein. Eben diese nicht stattgefunde Entwicklung einer „europäischen Ostpolitik“ oder vielleicht besser: die nicht stattgefundene Neuordnung einer europäischen Sicherheitsordnung unter gleichberechtigter Beteiligung Russlands ist der entscheidende Punkt in diesem Konflikt. Und in diesem Punkt liegt – wenn man denn die hochproblematische „Rede“ Putins ohne „Brille“ liest, die Chance, eine Idee zu entwickeln, wie man diesen Präsidenten an den Verhandlungstisch zurück holen könnte. (?) Denn das ist die entscheidende Frage: Wird es gelingen, diesen Mann an den diplomatischen Tisch zurück zu holen? Dafür wird der „Westen“ sich zweifellos ein Stück weit „bewegen“ müssen. Um allen erwartbaren emotionalen Eskapaden vorzubeugen: Nein, ich gehöre nicht zu den „Putinverstehern“ und ich bin auch entsetzt über seine aktuellen Entscheidungen!
Gleichwohl: danke für diesen Betrag!
Herzl. Gruß
Thomas Weiß
Es wäre an der Zeit, dass alle, wirklich alle, vom Säugling bis zum ältesten Greis auf die Strasse gingen, um gegen den Krieg zu demonstrieren, – um für den Frieden zu kämpfen !
Die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine sind eine Niederlage für all diejenigen, die auf substantielle Kompromisse in letzte Minute gehofft hatten. Es macht traurig, dass Arroganz der Macht dieses verhindert hat. Zum Glück ist es nicht zu dem von manchen mit Inbrunst an die Wand gemalten großen Blutvergießen gekommen. Mein Mitgefühl gilt den Bürgern der Russischen Föderation, auf die jetzt schwere Zeiten zukommen. Natürlich auch den Ukrainern, mit denen in den zurückliegenden Jahren ein böses Spiel getrieben wurde. Jubeln werden alle notorischen Russlandhasser, die Rüstungsindustrie wird am neuen kalten Krieg gut verdienen und Biden sichert sich seine zweite Amtszeit. Ein paar Unannehmlichkeiten werden auch auf uns Deutsche zukommen. Da wir eine Demokratie sind, ist jeder in gewisser Weise mitverantwortlich für die Fehler seiner Regierung. Ich hoffe, dass das möglichst vielen in den nächsten Tagen dämmern wird.
Wieder, lieber Herr Wolff, haben Sie einen Beitrag geschrieben, der – bei allem Anerkennen Ihrer Friedensliebe – den Gegnern derselben eher in die Hände spielt, weil Sie aus richtigen Feststellungen die falschen Schlüsse ziehen.
Das schöne Bas-Zitat zB, „jeder Krieg kennt nur Verlierer“: Eine recht naive Vorstellung, die zudem nicht zutrifft. Der angelsächsische Krieg gegen Hitler war „Befreiung“ für die Westdeutschen (nicht nur nach Weizsäcker) und insofern hat er gerade unsere Generation zu Gewinnern gemacht. Zutreffend ist der Satz allerdings für die Ostdeutschen, die der linken Diktatur noch zwei weitere Generationen lang ausgesetzt waren, bis die westliche Entschlossenheit auch zur militärischen Verteidigung diesen Zustand überwand.
Ihre Bemerkung zu 1. – „gescheiterte Ostpolitik“ – ist, finde ich, richtig. Sie vermeiden es nur, die Gründe dieses Scheiterns zu nennen und die sind doch wichtig: Nämlich die unglaubliche moralische Überheblichkeit des Westens und insbesondere auch der Deutschen, die nichts als eine Kapitulation des Ostens als Voraussetzung für gemeinsame Politik, d.h. für Verhandlungen, akzeptieren wollte. Man kann nicht glaubhaft Friedenspolitik machen, wenn man dem „Partner“ ständig seine (menschenrechtlichen) Sünden öffentlich vorhält und ihn in die Schmuddelecke stellt (selbst wenn dies nach eigenen Maßstäben angebracht ist). Man sieht ja auch Ihre Sturheit angesichts meines (berechtigten, aber eben öffentlichen) Vorwurfs in Sachen „über Leichen gehen“.
Ihre Bemerkung zu 2, – „angehäufte Waffenarsenale“ – ist zwar verständlich, aber eben falsch. Es sind ja nicht die Waffenarsenale, die den Krieg verursachen, sondern die Menschen, die diese nutzen, und wie sie das tun (siehe auch meinen Beitrag von heute unter dem letzten Thema). Ihr Argument – auf Ihr Fachgebiet bezogen – würde lauten: Die Religion ist verantwortlich für die vielfachen Schändungen von Kindern, weil das Instrument dieser Religion, die Pfarrer, eben so sind. Welch‘ eine Verdrehung von Ursache und Wirkung, offensichtlich.
Und dann zitieren Sie Scholz mit seiner „verdammte Pflicht“-Äußerung. Es ist Ihnen sicherlich hier und bei vielen anderen Äußerungen aufgefallen, daß nichts, aber auch gar nichts enthalten ist, was das „wie“ dieses hehren Auftrags beschreibt – und solange das so ist, sind solche Sätze nicht bewundernswert, sondern populistische Nullsätze, auf die man nicht reinfallen sollte. Ihr Blick nach AFG oder den Nahen Osten zeigt uns, daß dort wo Unterdrückung herrscht und eine Seite den Frieden nicht will – in AFG die brutale Unterdrückung der (weiblichen) Hälfte der Bevölkerung aus Religions- und Gendergründen, im Nahen Osten die ethnischen Vermischungen und die aggressive Uneinsichtigkeit der Palästinenser in die Realitäten – man entweder die Sache auf sich beruhen läßt, was gerade die deutsche moralistische Haltung nicht zulassen würde, oder eben mit der Hilfe von Waffen die Streithähne auseinanderhält, was ja die UNO immer wieder versucht – erfolglos, weil man die Streitkräfte dann alleine läßt und die Politik im wahrsten Sinne des Wortes „zur Ruhe kommt“.
Der grundlegende Irrtum Ihres Ansatzes ist, daß ein Phämomen, das einmal in der Welt ist, nicht mehr wegzudenken ist. Das ist der Unsinn von „atomfreien Zonen“; das ist auch die Illusion, man könne Frieden haben, wenn es keine Waffen mehr gäbe. Jeder Streitfall würde dann den gewinnen lassen, der schneller wieder an Waffen kommt; jeder Einbrecher wäre dann der Polizei überlegen; jeder brave Bürger wäre dann der ungezügelten Gewalt des Bösemeinenden und -wollenden ausgesetzt. „Je weiter sich die Scheu vor der Waffe ausbreitet, desto weniger Waffen genügen, den gesamten Rest zu terrorisieren“ – schreibt der Althistoriker Alexander Demandt (in „Der Fall Roms im Urteil der Nachwelt“ – Titel von mir verkürzt – , S. 589) und man mag ihn dafür nicht mögen, aber Recht hat er.
Was die augenblickliche Lage in der Ukraine angeht, so habe ich dazu im unter dem vorigen Thema Stellung genommen. DEU hat sich sofort entschieden und seine großartige Sanktion ausgepackt: NordStream2 wird angehalten. Durch diese Leitung floß bisher kein Gas, es wurde nichts bezahlt; durch diese Leitung wird nun auch künftig erstmal kein Gas fliessen und es wird nichts bezahlt: Der Zustand VOR der Sanktion ist der Zustand NACH der Sanktion – ein Treppenwitz. Die beste Chance des Westens – angesichts solcher törichten Symbolpolitik und angesichts solcher Beiträge wie Ihrem jetzt, doch noch einigermaßen ungeschoren aus dieser Sache herauszukommen, scheint mir zu sein, daß Putin sich über den Westen totlacht. Aber das ist leider unwahrscheinlich.
Mit bestem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Ohnmächtig und ratlos die weitere Zuspitzung des Ukraine-Konflikts beobachtend, will ich mich ein wenig näher mit den Vorschlägen aus berufenem, weil militärisch geprägtem Mund auseinandersetzen….
Frieden kann nur MIT WAFFEN erreicht werden; diese müssen zwar nicht zwangsläufig auch eingesetzt werden; es genügt bereits, wenn sie als Drohkulisse vorhanden sind.
Ich frage mich nun:
• 2 % vom BIP für Verteidigungsaufgaben – das wurde ja schon zugesagt, wenn auch bislang nicht erreicht – aber wäre das für ein Land wie Deutschland auch ausreichend? Wären 4 % oder warum nicht gleich 40 % noch viel besser für den Weltfrieden? Unser effizientes Bundeswehrbeschaffungswesen könnte endlich aus dem Vollen schöpfen und das mit der Instandhaltung, also dass jeweils mehr als 20 – 25 % des Bundeswehr-Equipments auch tatsächlich einsatzbereit sind, würden wir auch schon irgendwie hinkriegen….
• Gab es in der Vergangenheit nicht schon mal Aussagen, dass sich alles Leben auf der Erde z.B. mit dem vorhandenen Atomwaffen-Arsenal x-fach auslöschen ließe? Auf welche Zahl x müssen wir weiter hochrüsten, um mehr Frieden zu gewährleisten?
• Ist das Leben z.B. in den USA so viel friedlicher und sicherer als bei uns, weil dort deutlich mehr Waffen pro Kopf der Bevölkerung vorhanden sind? Wird die Zahl der Amokläufe an Schulen wirklich abnehmen, wenn man der Forderung folgt, alle Lehrer*innen sollen sich bewaffnen?
• Wurde z.B. die einstige „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschen und Franzosen durch Hochrüstung oder durch kluge Politiker, Austauschprogramme und gegenseitigen Respekt überwunden?
• Muss 1989 wirklich neu gedacht werden, weil es nicht (nur) der friedliche Protest mutiger DDR-Bürger war, der die „Revolution“ ermöglichte, sondern die „westliche Entschlossenheit zur militärischen Verteidigung“? Naiv, wie ich bin, habe ich diese im Übrigen damals gar nicht wahrgenommen.
Aus meiner Sicht kann der Westen aktuell nur weiter auf Diplomatie, De-Eskalation und Einigkeit im Auftritt setzen. Sollte das Putin zur Annexion der Ukraine verleiten, werden die noch härteren wirtschaftlichen Sanktionen daraufhin Russland vermutlich zu einem engeren Bündnis mit China führen. Aber die Etablierung einer gänzlich neuen wirtschafts- und geopolitischen Ordnung wäre dann ohnehin unumgänglich!
Lieber Christian,
vielen Dank, dass Du in klarer Sprache die Lage und vor allem unsere Aufgabe gut beschrieben hast. Wir dürfen nicht in eine Lähmung fallen, als könnten wir nichts tun oder gar, als wäre die Aufgabe beendet, alles zu tun, um eine kriegerische Eskalation zu verhindern. Es gibt jetzt viele, die bisher eher pazifistisch gedacht haben, nun doch Verständnis für die Aufrüstung finden, weil mit der aggressiven Bedrohung so schwer umzugehen ist. Für das Gespräch, was wir tun können, hast Du gute Impulse gesetzt. Und Jesu Wort bleibt: Selig sind die Friedenstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Bleib behütet und herzliche Grüße
Hans Scheffel