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Danach: Nichts darf aufgegeben werden

Montagabend, 19. Dezember: knapp 200 Menschen, darunter sehr viele Syrer/innen, versammeln sich auf dem Thomaskirchhof zur Kundgebung „Die Lähmung überwinden. Stoppt den Krieg in Syrien. Für Frieden im Nahen Osten“. Die Polizei kommt vorbei, fragt, ob es irgendwelche Probleme gibt, schätzt die Lage absolut friedlich ein und zieht weiter. Die Kundgebung verläuft ruhig und emotional. Vor allem die Rede einer jungen Syrerin, die als Geflüchtete derzeit ihr Abitur in Leipzig ablegt, bewegt die Menschen. Sie schildert dramatisch die verzweifelte Situation in Aleppo und den Terror, dem die Menschen ausgesetzt sind. Doch nicht nur das kommt zur Sprache. Pfarrer Enno Haaks schildert die Not, die armenische Christen in Aleppo zu erleiden haben, und spricht aus, was unbedingt bedacht werden muss: dass bald keine Christen mehr in Syrien leben. Nur wenige Minuten später wird in Berlin ein LKW bewusst auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert und reißt 12 Menschen in den Tod. Als ich zu Hause von dem Terroranschlag erfahre, frage ich mich: Habe ich auf der Kundgebung etwas gesagt, was ich nun korrigieren muss? Ich kann es nicht erkennen. Weder die Forderung nach dem Stopp des Krieges, noch die nach einer menschenwürdigen Behandlung und Integration der Flüchtlinge in unserem Land, noch die nach Demokratie, Pluralität und sozialen Zusammenhalt sind falsch geworden. Im Gegenteil: Dieser Terroranschlag, von wem auch immer verübt, fordert unsere Wachsamkeit heraus – nicht um uns abzuschotten oder in jedem Flüchtling einen potentiellen Terroristen zu sehen, sondern um das gemeinsame Leben zu lernen und um die Ursachen des Terrors zu bekämpfen. Meine Rede endete:

Schließlich haben wir alles zu tun, damit der religiöse, kulturelle, weltanschauliche Pluralismus hier und weltweit gelebt wird und sich entfalten kann. Dieses geht nur unter den Bedingungen von Freiheit und Demokratie. Den Kampf dafür müssen wir hier und weltweit führen. Doch ein Mittel ist in diesem Kampf ausgeschlossen: das Mittel des Terrors und des Krieges. (http://wolff-christian.de/veroeffentlichungen/)

Terror richtet sich immer gegen den Respekt und die Rücksichtnahme dem nahen und fernen Nächsten gegenüber. Terror will Freiheit und Demokratie zerstören. Terror will Menschen gegeneinander aufbringen und sie mit Hass und Angst lähmen und gefügig machen. Darum gilt als erstes: Wer den Terror bekämpfen will, der muss vor allem an dem festhalten, was der Terror ausschalten will – und das sind all die Werte, die wir dem Weihnachtsgeschehen, der Geburt Jesu, verdanken. Es sind die Werte, die nunmehr von den Rechtspopulisten in aller Welt ad acta gelegt werden: interkulturelles und interreligiöses Zusammenleben, freiheitliche Demokratie, die Presse- und Meinungsfreiheit, soziale Gerechtigkeit.

Es hat nur wenige Stunden gedauert, da fühlten sich die Rechtspopulisten ermächtigt, ihren Kampf gegen Pluralität unter Missbrauch des Terroranschlags zu befeuern. Die AfD erklärt die in Berlin Ermordeten unisono zu „Merkels Toten“. In unzähligen Hassmails werden diejenigen, die sich vor Ort für Integration bemühen, quasi zu Mittätern erklärt: „Diese Menschen könnten noch leben wenn eine Kaste von idiotischen Gutmenschen an Europa vorbei ihren moralischen Imperativ für sich behalten hätten.“ schrieb mir der angebliche Kulturbeauftragte der AfD Matthias Moosdorf, Cellist des „Leipziger Streichquartetts“, in einer nächtlichen Mail. In schlechtester AfD-Manier erklärt der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) André Schulz: „Ich bin weit weg von Rechtspopulisten: Es ist aber nicht zu bestreiten, dass wir einen Kontrollverlust hatten und haben, und diesen nicht erst seit der Flüchtlingszuwanderung der letzten Jahre.“ Wie bitte? Kontrollverlust? Dass Menschen zu Straftätern werden, dass Terroristen ihr Zerstörungswerk in Deutschland fortsetzen, hat doch nichts mit „Kontrollverlust“ zu tun. Wenn aber dennoch dieser Begriff eingesetzt wird, dann hat das nur einen Grund: Den Bürger/innen soll suggeriert werden, die staatlichen Organe seien nicht mehr handlungsfähig. Das aber ist das Szenario, das Rechtspopulisten brauchen, um sich dem „Volk“ als Retter anzudienen. Genauso absurd ist es, wenn der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz Klaus Bouillon (CDU) verlauten lässt: „Wir müssen konstatieren, wir sind in einem Kriegszustand, obwohl das einige Leute, die immer nur das Gute sehen, nicht sehen möchten.“ Nein, wir befinden uns nicht im Kriegszustand und stehen auch nicht vor einer Mobilmachung. Wer so spricht, der will offensichtlich ein Klima erzeugen, in dem die Bereitschaft wächst, sich von den Grundwerten unserer Verfassung zu verabschieden.

Statt billig rechtspopulistische Propaganda zu betreiben, sind jetzt drei Dinge nötig: Zum einen gilt es, den Opfern des Anschlags zu gedenken, den Angehörigen Zeit und Raum für die Trauer zu geben und uns selbst am Innehalten zu beteiligen. Zum andern sollten wir Weihnachten so feiern, wie es vor 2000 Jahren gemeint war und von den Engeln angekündigt wurde: Gott die Ehre, der Erde Frieden, den Menschen Gerechtigkeit. Von dieser guten Nachricht ist kein Mensch ausgenommen. Diese Botschaft bleibt wahr – völlig unabhängig davon, was sich in den nächsten Tagen ergibt an Hintergründen dieses und anderer Terroranschläge. Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass die Geburt Jesu begleitet war von einem ungeheuren terroristischen Massaker: dem Kindermord in Bethlehem. Mit diesem versuchte Herodes seine Macht zu sichern. Dieser Terror konnte aber nicht verhindern, dass Jesus mit der Botschaft in dieser Welt wirkte, auf die wir heute angewiesen sind: die Gewaltlosigkeit, die Barmherzigkeit, die Ehrfurcht vor dem Leben. Sie den Menschen als Orientierung anzubieten und von ihr keinen Millimeter abzurücken – das ist unsere Aufgabe und Möglichkeit. Nicht umsonst lässt Johann Sebastian Bach die sechste Kantate aus dem Weihnachtsoratorium mit folgenden Worten enden: „Tod, Teufel, Sünd und Hölle sind ganz und gar geschwächt; bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.“

12 Antworten

  1. Lassen Sie sich nicht, lieber Herr Wolff, durch einen politisch dilettierenden Bratschisten und einen sich als Guru gebenden Versuchsmystiker zu Unbedachtem hinreissen! Sie schreiben in Ihrem nachvollziehbaren Ärger den bemerkenswert falschen (im ersten Teil) und widersprüchlichen (im zweiten Teil) Satz: „Wir brauchen keine neuen Gesetze. Die vorhandenen müssen angewandt werden.“
    Natürlich brauchen wir neue Gesetze in den aktuellen Fragen der Identifizierung, des Aufenthaltsrechtes, des gesamten Umgangs mit Menschen, die hier einreisen und sich hier zeitlich begrenzt oder dauerhaft aufhalten wollen, mindestens eine fortlaufende Anpassung. Ihre eigene Partei fordert ja zB ein Einwanderungsgesetz! Und wenn Sie die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze fordern, so vergessen Sie wohl, daß ein bestimmter Herr Wolff uns bei jeder Abschiebung, die vollständig nach den bestehenden Gesetzen erfolgt, uns erklärt, wie sehr der Staat sich durch die Anwendung des Gesetzes ins Abseits stelle.
    Also Vorsicht – und ein frohes Weihnachtsfest, das sich vorzüglich zum Nachdenken eignen könnte.
    Andreas Schwerdtfeger

  2. Guten Abend.
    Auch innerhalb des demokratischen Spektrums lebt die Debatte nur auf Basis von Transparenz und Fakten. Hope is not a strategy. Die New York Times bringt es hier auf den Punkt: es sind eben NICHT allein Flüchtlinge. Es sind – und da sind die BKA Statistiken weit von Einzelfällen entfernt – Kriminelle, die woanders mehrfach straffällig geworden weltweit gesucht werden. Das war mit dem ersten Verdächtigen so, mit dem Täter von Freiburg, der schon in Griechenland ein Mädchen von der Klippe gestossen hat. Und hier ist es wieder so – nur steht es eben nicht bei uns in den Medien, sondern in den Zeitungen, die nicht zum Propagandaorgan verkommen sind. Wann wird jemand in Deutschland endlich die politische Verantwortung für die blamable Unfähigkeit unserer Sicherheits- und Migrationsbehörden übernehmen? Anis Amri wurde bereits in Italien wegen Brandstiftung zu vier Jahren Haft verurteilt, in seiner Heimat Tunesien in absentia zu fünf Jahren Haft. Eine Abschiebung gelang danach weder den italienischen noch den deutschen Behörden, weil es für den Mann angeblich keine Identifikationsdokumente gab. Die New York Times schreibt heute: „He also appeared on the radar of United States agencies, according to American officials. He had done online research on how to make explosive devices and had communicated with the Islamic State at least once, via Telegram Messenger, said the officials, who spoke on the condition of anonymity because of the investigation. He was also on a United States no-fly list, the officials said on Wednesday evening.“ Was hier immer wieder Populismus genannt wird, sieht also zunächst einmal das ganze Bild – ohne Selbstbetrug. So wie Alkoholismus mit Alkohol zu tun hat haben in Frankreich mehrere Imame ihr Amt aufgegeben, weil „Islam und Islamismus nicht mehr zu trennen sind“. So ermittelt der Staatsschutz in mehreren Städten weil noch am 20.12. Plakate geklebt wurden. Der Inhalt war überall derselbe: „Nehmt den Islam an oder sterbt, Berlin war erst der Anfang“. Diesem Treiben mit Toleranz zu begegnen – was ist das?

    Ich erwarte keine Antwort. Sophistereien bringen uns alle nicht weiter…
    Schöne Weihnachten.

    1. Hier stößt der Rechtspopulist an seine Grenzen. Er versucht die unbestrittene Erkenntnis, dass es sich bei denen, die einen Terrorakt wie in Berlin verüben, um Kriminelle handelt, die meist auch eine kriminelle Vorgeschichte haben, zu vermengen mit seinen Phobien und Ausgrenzungswünschen. Da muss dann auch noch die Unterstellung herhalten, irgendjemand würde einem Massenmörder mit „Toleranz“ begegnen. So kann nur jemand reden, der in seinen Feindbildern völlig gefangen ist. Was die grausamen Taten deutlich machen: Wir brauchen keine neuen Gesetze. Die vorhandenen müssen angewandt werden. Statt also nach jeder Gewalttat nach „Verschärfungen“ der Gesetze zu rufen und Geflüchtete unter Generalverdacht zu stellen, sollte man die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung verbessern. Christian Wolff

  3. “ Wer aber Grundwerte ständig zur Disposition stellt oder Weihnachten davon abhängig macht, ob die Welt um mich herum schön heil ist, der zeigt nur, dass es ihm an jeglicher Orientierung und Festigkeit mangelt. Was dann bleibt, ist eine traurig-armselige Hysterie, die sich im Absurden verliert.“ [Chr. Wolff]
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    Der Vorwurf, daß es einen Leipziger, eine Leipzigerin „an jeglicher Orientierung und Festigkeit mangelt“, ist nicht neu.

    Er wurde zuvor von Nationalsozialisten, von Kommunisten, von Pionierleitern erhoben.
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    Jochen Klepper –
    immer wieder neu:

    „Die Nacht ist schon im Schwinden,
    macht euch zum Stalle auf!
    Ihr sollt das Heil dort finden,
    das aller Zeiten Lauf
    von Anfang an verkündet,
    seit eure Schuld geschah.

    Nun hat sich euch verbündet,
    den Gott selbst ausersah.“

  4. Lieber Herr Flade –
    wie freue ich mich, daß wir nun schon fast so etwas wie Übereinstimmung zwischen uns konstatieren können, auch wenn ich glaube, daß meine Beiträge nicht so sehr „ausufernd“ sondern inhaltsreich und argumentativ sind – aber da trübt vielleicht Eitelkeit den klaren Blick. Immerhin werden Sie mir zugestehen, daß eben die Komplexität der in diesem blog diskutierten Probleme sich eben nur in sinnvollen und einigermaßen vollständigen Argumentationsketten bewältigen läßt.
    Und was das „Podium“ angeht, zu dem Sie mir raten: Wie Sie und Herr Wolff auch diskutiere ich in der Tat mit vielen Menschen und versuche, sie zu überzeugen und jedenfalls mit Argumenten innerhalb des demokratischen Spektrums zu halten – dies war ja Teil meines Berufes als Soldat im nationalen und internationalen Rahmens. Gerade daher rührt ja meine Erfahrung, daß Toleranz und Respekt vor anderen als der eigenen Meinung nicht nur grundgesetzliche Verpflichtung sind sondern auch den größten Nutzen bringen und also mehr als „Tanzstunde“ sind.
    Auch Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest in Ihrer schönen Stadt Dresden –
    Andreas Schwerdtfeger
    PS Insbesondere Ihr Hinweis „Man muß sich in die Augen sehen“ spricht mir aus der Seele – und deshalb wird es Zeit für ein Burka-Verbot in unserem Lande.

  5. Wenn du die Freigabe für meinen Beitrag möchtest, aber bitte, es ist eine authentische Geschichte aus meinen Leben! Und Unterleutnat Kretschmar, wenn er denn noch lebte, würde sich heute vielleicht freuen. Übrigens ist dieser Mann, wenn Filmberichte über den 13. August gesendet werden, in die Geschichte eingegangen. Da gibt es die Szene am Check Point Charlie, da steht ein VoPo im Mantel vor einem AmiPanzer: das isser, unser Unterleutnant. Sein persönlicher Kommentar: „un da Panza blieba stehn, un ick hatte nur die kleene Pisole bei.“

  6. Verehrter Herr Schwerdtfeger; hier muss ich Ihnen Ihre leise Zurechtweisung zu meiner „vernünftige Vernunft“ sowohl als verbale als eben auch inhaltliche Deutungsdopplung zugeben. Aber vielleicht hatte ich auch die Intention, damit eine instrumentelle Vernunft anzumahnen. Wobei es sich auch in diesem Falle trefflich streiten ließe. Ganz sicher gehe ich davon aus, dass Sie wohl zu verstehen in der Lage waren, was ich meinte.
    Der letzte Absatz Ihrer wie gewohnt ausufernden, jedoch bedenkenswerten Entgegnung auf Wolff (und partiell Flade), Zitatfragment: „…und langsam lernen, dass Lösungen für die komplexen Probleme dieser Welt nicht im Internet nachschlagbar und durch Floskeln erreichbar sind.“ ist Zustimmung zu zollen, Euer Ehren – ich wiederhole mich gern: initiieren Sie doch am besten ein Podium, außerhalb des sogenannten sozialen Netzwerkes, und laden Sie all die zum Austausch ein, denen Sie konstruktiven Dialog und positives Streiten zutrauen. Ob dann Lösungen daraus erwachsen, bezweifle ich aus Erfahrung, aber Gespräche miteinander (nicht übereinander) sind allemal produktiver – man steht sich gegenüber und: man kann, man muss sich in die Augen sehen.
    Ich glaube, in dieser mehr als konfusen Zeit sind Begegnungen mehr als nötig, um wenigstens in unserer kleinen, begrenzten Welt weitere Katastrophen zu verhindern helfen. Da sind Debatten einfach gut und für jeden hilfreich!
    Ihnen eine segensreiche Weihnacht – und inneren wie äußeren Friede auf Erden. Jo.Flade

  7. Hallo Christian ! Deine Blogs habe ich bisher immer mit gr. Aufmerksamkeit gelesen und ich finde deine Worte und deinen brillanten Stil bewundernswert. Da ich nicht über deinen Sprachschatz verfüge, bin ich vorsichtig mit Antworten. Ein Munharmonikaspieler klopft einem Herrn Masur nicht lobend auf die Schulter, da gibt es Regeln. Zu deinen letzten beiden Blogs kann ich nur sagen: ja ,es ist so! Dafür antworte ich dir mit einer persönlichen Weihnachtsgeschichte: Wir schreiben das Jahr 1966, es ist der 24.12. so gegen 17-18 Uhr in Berlin. Ich wurde als frisch eingezogener Rekrut abkommandiert und musste mit dem Unterleutnant Kretschmar im Grenzhinterland, mit der Waffe in der Hand, die Bürger der DDR – auf Streife laufend – vor sich selbst beschützen. Der Kreuzberger Dom tönte im vollem Geläut und mir war es weh ums Herz. Der Leutnant fluchte: „… die janzen Kirchen mit ihrem vafluchtem jebimmel müßte ma alle inne Luft spreng!“ Mein Kopf rutschte noch tiefer in die Kragenbinde. Aber dann sah ich von der Seite, wie dem strammen Genossen eine Träne übers verkniffene Gesicht rann und … da war sie wieder, die Frohe Botschaft!

  8. „Rationale Vernunft“ – ins Deutsche übersetzt also „vernünftige Vernunft“ – fordert Herr Flade und Herr Wolff weist auf die heilende Wirkung der Weihnachtsbotschaft hin. Man kann da nur zustimmen. Und richtig ist auch, daß Verbrechen eines einzelnen nicht einer Gemeinschaft angelastet werden dürfen, sprich: ein eventuell böser Tunesier macht nicht alle Tunesier zu Bösen (gilt auch für Syrer, Afghanen, Muslime, etc).
    Aber umgekehrt ist auch die herzzerreissende Geschichte einer Syrerin nicht die objektive Beschreibung von Zuständen; populistisch vorgetragene „Lösungen“ des Problems durch schwammige Aufzählungen von „Kriegsursachen“ – „soziale Verwerfungen, Antipluralismus, Rüstungsexporte“ -, die zu bekämpfen seien, sind derart vereinfachend, daß sie kaum weiterhelfen (aber sie bringen Zuspruch – und das nennt man allgemein „Populismus“); die Forderung nach einer KSZNO ist originell – bravo! – aber wer eben glaubt, Europa, schon gar in seinem jetzigen Zustand, könne schaffen, was jahrzehntelang die Welt, die UNO, die USA nicht geschafft haben, der ist wohl etwas blauäugig, zumal wenn er gleichzeitig nur den diplomatischen Dialog als einziges Mittel der Politik anerkennt.
    Herr Wolff mischt in seinen beiden Beiträgen „Davor“ und „Danach“ innenpolitisches mit außenpolitischem, religiöses mit politischem kräftig zusammen. Die eigenen Widersprüche fallen ihm nicht auf bzw hat er sie so formuliert, daß er – wie leider so häufig – sich hinterher wieder absetzen kann. Beispiele:
    – Die Weihnachtsbotschaft vermag die moralische Richtung für uns alle anzugeben und sie vermag vielleicht die Betroffenen des schrecklichen Anschlags zu trösten. Aber sie vermag nicht, in der Realität politische Probleme zu lösen – das müssen wir schon selber tun. Es ist also schön, wenn Herr Wolff uns Trost und Hoffnung spendet, aber um die Krisen dieser Welt zu mindern müssen wir von realistischen Lagebeurteilungen ausgehen und realistische Lösungsansätze in all ihrer Unvollkommenheit und unter Hinzuziehung aller Mittel der Politik anbieten – und das heißt auch, in anderen Ländern und Regionen andere Zustände und Wertvorstellungen zu akzeptieren, als wir sie haben;
    – Herr Wolff hat neulich bitterlich Herrn Seehofers Äußerung zum „Unrechtsstaat“ beklagt und verdammt; jetzt schreibt er „über zur Schau gestellte, staatliche Härte suggerierende Abschiebungen“ (in „Davor“) und unterstellt damit unrechtes staatliches Handeln. Die Abschiebungen erfolgten, wie er genau weiß, nach rechtsstaatlichen Verfahren auf der Basis von rechtsstaatlichen, im demokratischen Prozess entstandenen Gesetzen. „Unrechtsstaat“, Herr Wolff? Nein, ich weiß, nur Kritik – und die ist ja erlaubt; Ihr übliches Hintertürchen.
    – Immer noch wird das Märchen verbreitet, der Irak-Krieg habe den Terrorismus ausgelöst: Daß längst vorher alle Welt den Terrorismus des Herrn Saddam beklagte und forderte, „man“ müsse doch „was“ tun, ist ebenso vergessen wie die Tatsache, daß 9/11 bekanntlich VOR dem Irak-Krieg war. Jetzt ist es wieder so – die Situation in Syrien wird (zu Recht) beklagt, jeder wenigstens teilweise erfolgversprechende Lösungsansatz (zB eine Zusammenarbeit mit Rußland) aber von vorneherein zum no-go erklärt.
    Wir sind uns einig, daß die von Ihnen, lieber Herr Wolff, genannten Gründe, kriegstreibend wirken. Sie sind aber Konsequenz und nicht Auslöser des Krieges. Unser Dissens besteht in der Frage, ob überhaupt und wie weit man diese Gründe nicht als gegeben hinnehmen und Konfliktlösungen im Wissen um ihre Existenz anstreben muß – das ist die inhaltliche Frage. Und unser Dissenz besteht darin, ob man nicht in anderen Formen miteinander diskutieren muß – das ist die Frage nach dem von Ihnen abgelehnten Stil – und also als Demokraten ein paar Richtlinien befolgen müßte:
    – Vermeidung oder Bekämpfung der sich ausbreitenden Polarisierung, die zunehmend Toleranz abbaut, Konflikt fördert, Gemeinschaft verhindert und uns alle dem Radikalismus von Minderheiten auf der Rechten wie auf der Linken ausliefert. Zuhören und andere Meinungen respektieren – das wäre die Maxime. Und an der müssen auch Sie sich messen lassen bzw wichtiger eigentlich: sich selbst messen.
    – Bekämpfung des Populismus, den wir vielleicht gemeinsam so definieren können, daß er komplexe Probleme durch das Anbieten vereinfachender Lösungen bewältigen zu können vorgibt und für das Vorhandensein dieser Probleme ausschließlich andere verantwortlich macht, denen er das Attribut „unwillig“ zuschreibt; diesen Populismus haben wir in Deutschland (in Europa und den USA) in inzwischen erschreckendem Maße und wer die Komplexität der Probleme glaubt mit drei Strichaufzählungen in einer Rede bewältigen zu können oder wer den Politikern pauschal den guten Willen abspricht, der beteiligt sich unglücklich an diesem Phänomen. Auch hier müssen Sie sich selbst mal kritisch betrachten.
    – Und schließlich: Es ist zu einfach, immer „Pluralismus“ als Panier vor sich herzutragen und zu glauben, daß er das Problem löse. Was ist „Pluralismus“? Buntheit und Vielfalt der Religionen, Kulturen, Meinungen, Ausdrucksformen, Lebensentwürfe, etc und deren friedliches und respektvoll anerkennendes Nebeneinander – ja! Aber Aushebelung unserer grundgesetzlich definierten Werte durch individuelle Interpretation, durch einseitige Inanspruchnahme zu Lasten anderer, durch Einmischung in alle anderen Kulturen dieser Welt in besserwisserischer Manier und mit dem Anspruch auf Gehorsam, etc – das ist „Pluralismus“ eben nicht und ebensowenig wie der Doppel-Pass. Und „Pluralismus“ ist auch nicht, wenn man jedem, der auf sein Deutsch-Sein stolz ist und dieses als Grundlage des Lebens hier im eigenen Lande erhalten will, zum Faschisten erklärt – im Gegenteil: nur wer einen klaren archimedischen Punkt als Anker hat, kann integrieren, kann tolerieren, kann „Pluralismus“ leben und vorleben. Schön wäre es, wenn Sie das auch so sehen.
    Ich wünsche Ihnen ein friedliches und nachdenkliches Weihnachten in diesen aufwühlenden Zeiten und ein Neues Jahr, in dem alle Demokraten sich bemühen, die anderen zu verstehen, ihnen zuzuhören und mit Respekt zu begegnen (am besten im Tanzstundenmodus) und langsam lernen, daß Lösungen für die komplexen Probleme dieser Welt nicht im internet nachschlagbar und durch Floskeln erreichbar sind.
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

  9. Lieber Herr Wolff,
    auch wenn Sie meine Worte wieder aus dem Zusammenhang gerissen haben – die Einthaltung der Politik hier bezog sich auf die Regime-Change Engagements, den Arabischen Frühling und andere Projekte die jeweils einem unmöglichen moralischen Imperativ entsprungen sind. Dieser ist es, der den ganzen Schaden anrichtet – weil es ethisch an eine scheinbare Moral aber nicht an eine langfristige Verantwortung gekoppelt ist. Hier nun das heutige update zu meinen Texten. Es wird eben leider noch schlimmer. Ich habe lange nicht mehr ein so schreckliches Weihnachten erlebt, ja, ich habe es mir eigentlich niemals so vorstellen wollen. Daran haben impulsive, rechthaberische Zeitgenossen, denen eine Korrektur ihrer Postulate wie verrat vorkommt, den Löwenanteil.
    Tagesschau: „Der nach den Berliner Anschlägen als Tatverdächtiger gesuchte Mann ist vor etwa eineinhalb Jahren nach Deutschland eingewandert. Er sei tunesischer Herkunft, so Ahmet Senyurt vom ARD-Magazin report München in der tagesschau. Der Mann gelte als „Gefährder“. Das bedeutet, er ist den Behörden bekannt, da davon ausgegangen werden müsse, dass er staatsgefährdende Straftaten verüben könnte.
    Der Verdächtige hatte laut Senyurt Verbindungen zur radikalen Salafistenszene in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen und bewegte sich im Umfeld zweier radikaler Prediger in Duisburg und Hildesheim.“ Tunesien ist ein Land in dem viele Europäer Urlaub machen, also weitgehend sicher. Der Mann ist den Behörden als möglicher Täter für „staatsgefährdende Straftaten“ bekannt. Und dazu noch Salafist – also unter Beobachtung von V-Männern. Schlimmer kann das Eingeständnis von Chaos oder/und bewusster Hinnahme von Straftaten staatlicherseits nicht ausfallen. Es ist, als ließe man einen Irren absichtlich bewaffnet auf Schulhöfen spielen. Was muss noch passieren?

    1. Unterstellen wir einmal, dass es sich alles so verhält, wie Herr Moosdorf schildert – dann ändert das nichts daran, dass die Grundwerte des Lebens weiter in Kraft bleiben. Das ist gerade das Fatale: Da macht einer sein Handeln, seine Einstellung von denen abhängig, die – wie der mutmaßliche Täter von Berlin – sich über alle Normen erheben und so zu Verbrechern werden. Doch das es Menschen gibt, die unmenschlich handeln, darf eben nicht dazu führen, Menschrechte außer Kraft zu setzen. Wer aber Grundwerte ständig zur Disposition stellt oder Weihnachten davon abhängig macht, ob die Welt um mich herum schön heil ist, der zeigt nur, dass es ihm an jeglicher Orientierung und Festigkeit mangelt. Was dann bleibt, ist eine traurig-armselige Hysterie, die sich im Absurden verliert. Christian Wolff

  10. Und ich bekam, ebenfalls nur wenige Stunden später nach diesem schrecklichen Terror folgende mail: „So, Herr Flade, werden Sie langsam munter? Die Realität sieht wohl etwas anders aus, als in Ihrer heiligen Kirche. Hier wurde wieder nach dem Koran gehandelt!! Ihre gelobte Religion, die zu Hass und Mord gegen Frauen und Andersgläubige aufruft!!! Langsam müssen Sie Ihren blutverschmierten Heiligenschein ablegen. Übrigens, meine Tochter wurde auch Opfer sexueller Übergriffe dieser sog. Flüchtlinge. Schämen Sie sich!!! Willkommensklatscher sollten auch zur Rechenschaft gezogen werden“.
    Ein Herr Pretzell war ja noch schneller als der Dresdner Schreiberling, diese seine Ungeheuerlichkeiten in die arg getrübte Adventsatmosphäre zu posaunen: – ein ziemlich mieses und allzu durchsichtiges Spiel.
    Wolff kann man nur zustimmen und: ich gebe trotzdem die Hoffnung nicht auf, dass sich rationale Vernunft durchsetzen wird; wo sonst solle es mit uns in welche Zukunft hingehen ??

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