Manche Meldung bekommt erst Tage nach ihrer Veröffentlichung ein besonderes Gewicht. Am 13. März 2015 war auf LVZonline zu lesen: „In Tröglitz hat es nach Verfassungsschutz-Erkenntnissen keine Strategie der NPD gegeben. Die Demonstrationen gegen Asylbewerber in dem knapp 3000-Einwohner-Ort im Burgenlandkreis und der Rücktritt des Ortsbürgermeisters seien nicht Ergebnis einer strategisch geplanten NPD-Initiative, teilte Sachsen-Anhalts Innenministerium am Freitag mit.“ (http://www.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/erkenntnisse-der-verfassungsschuetzer-keine-npd-strategie-in-troeglitz/r-mitteldeutschland-a-278859.html ). Wie bitte? Seit Wochen wird in Tröglitz gegen die geplante Unterkunft für Asylbewerber/innen und deren Befürworter demonstriert, angeführt von den örtlichen NPD-Größen; der Bürgermeister tritt zurück, weil man ihn nicht schützen konnte vor den Übergriffen der NPD; diese führen das große Wort auf der Bürgerversammlung am vergangenen Dienstag, pöbeln und krakeelen – und der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt gibt als Ergebnis seiner „Untersuchungen“ heraus: Es gibt keine NPD-Strategie in Tröglitz. Für wie blöd hält man Bürgerinnen und Bürger und die Öffentlichkeit? Jeder kann wissen, dass die NPD keine Strategie braucht. Denn das, was in Tröglitz und anderswo – seit Karsamstag im wahrsten Sinn des Wortes – angefeuert durch die NPD an Hetze und Einschüchterung gegen Ausländer und Asylbewerber betrieben wird, ist Programm und Wesen dieser Partei – und kann dabei aufbauen auf die monatelang geschürten Ressentiments gegen Fremde! Das zu erkennen, bedarf es keines Verfassungsschutzes, sondern lediglich eines wachen, demokratischen Bewusstseins – offensichtlich Mangelware in der Organisation, die angeblich die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen will. Über eine demokratische Geistesgegenwart verfügt Gott sei Dank der unter Protest zurückgetretene Bürgermeister von Tröglitz. Bleibt die bittere Erkenntnis: Wieder einmal zeigt der sog. Verfassungsschutz, was er seit seiner Gründung immer wieder unter Beweis gestellt hat: Er löst keine Probleme; der sog. Verfassungsschutz ist Teil des Problems Rechtsextremismus. Dafür hat er mit der o.g. Pressemitteilung aus dem Innenministerium Sachsen-Anhalt einen eindrucksvollen Beleg geliefert – liest sich diese auf dem Hintergrund des Brandanschlags wie ein schlechter Witz. Und gleichzeitig ist überdeutlich: Solange wir uns auf diese Art von Verfassungsschutz verlassen, ist es kein Wunder, dass es zu solch menschenverachtenden Straftaten wie in Tröglitz zwischen Karfreitag und Karsamstag kommt. Denn offensichtlich gehört es zur Strategie des sog. Verfassungsschutzes, die NPD von Verantwortung für menschenverachtende Politik, für die Übergriffe auf Asylbewerber loszusprechen, damit diese weiter ungestört ihr Unwesen treiben kann. Kommt einem aus 10 Jahren NSU-Terror und den Vertuschungsversuchen durch den Verfassungsschutz erschreckend bekannt vor. Wie lange wollen, können wir uns das noch leisten?
Siehe auch Blog: http://wolff-christian.de/troeglitz-ist-ueberall-oder-ein-osterlicht-fuer-das-leben/
5 Antworten
Ja, wollen Sie etwa, Herr Kapp, dass bestimmte Leute „im Voraus“ als verdächtig eingestuft werden? Da sieht man die ganze Hysterie einiger Mitbürger. Wir haben zum Glück einen Rechtsstaat, in dem man als verdächtig nur eingestuft werden darf, wenn man persönlich – persönlich, also nicht nur, weil man wem auch immer nahen Kreisen angehört – dazu nachweislichen Anlass gegeben hat. Also lassen wir doch die Kirche im Dorf.
Andreas Schwerdtfeger
Was mich erneut beunruhigt, ist die Sprachlosigkeit unserer Verfassungsschützer, die zu ihrer katastrophalen Falscheinschätzung schweigen. Mir erscheint es als eine Ermutigung der NPD- nahen Kreise, wenn sie im Voraus als unverdächtig und nicht verfolgbar eingestuft werden. In einer Demokatie müssten derartig blinde Beamte ihre Position räumen.
Das haben Sie schön aufgeschrieben, Herr Walther, und ich will es gerne nochmal für Sie ausbuchstabieren:
1. Ich möchte kein „allumfassendes Modell“, um festzustellen, „wie es in Tröglitz wirklich aussieht“ – das wissen wir ja („Wir“ ist übrigens die Fangemeinde von Herrn Wolff, die seine Beiträge mit Interesse liest) – ich möchte gut fundierte und durchdachte Lösungsansätze, wie man Tröglitz eindämmen, wenn schon nicht verhindern kann. Das habe ich oben in meinem Beitrag auch geschrieben.
2. Das Engagement vor Ort (!) von Herrn Wolff über viele Jahrzehnte – ich schrieb es schon öfter – ist über jeden Zweifel und jede Kritik erhaben.
3. „Was jetzt notwenig ist, ist das was auch schon getan wird“, schreiben Sie und verweisen auf Friedensgebete, durch die Initiativen zur zukünftigen Betreuung von Asylanten entstanden sind. Der Haken liegt hier wohl in dem Wort „zukünftig“, wenn es der radikalen Szene hier und woanders immer wieder gelingt, gegen den staatlichen und den Mehrheitswillen aufschiebende kriminelle Akte durchzuführen. Und es erstaunt mich schon, dass Sie dann noch Ihre recht wenig definierte Lösung der „friedlichen Mittel“ mit dem Wort „leider“ verbinden.
4. Sie haben Recht: Eine perfekte Patentlösung habe ich auch nicht. Aber es scheint mir wichtig – und dies ist es, was ich Herrn Wolff immer schreibe -, dass wir in der ganzen Diskussion um den politischen Radikalismus in Deutschland folgendes stärker beachten sollten:
– ein gewisses Potential an Rechts- und Linksradikalen – nach der Gauss’schen Kurve kann man es wohl mit ca 10% an beiden Rändern annehmen – ist eben leider da und kaum vermeidbar. Eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit dem Problem ist also angebracht – ohne es dadurch negieren zu wollen – und diese Gelassenheit ist zugleich nützlich, weil sie eine mediale und überhaupt öffentliche Aufwertung der Krakeeler vermeidet;
– es gilt, die beiden gleichwertigen Handlungsebenen der kurzfristigen und lokal begrenzten Abhilfe vor Ort (das macht Herr Wolff) und der langfristigen intellektuellen und gleichzeitig pragmatisch-politischen Gesamtlösung oder -eingrenzung des Problems (das macht Herr Wolff nicht) auseinanderzuhalten. Für das Erstere braucht man Empathie, Hilfsbereitsschaft, Mobilisierungsvermögen von Menschen und Mitteln, etc (das hat Herr Wolff); für das Letztere braucht man das genaue Gegenteil: einen kühlen Kopf, Distanz, Leidenschaftlosigkeit und den Überblick über Grundlagen und das Grundsätzliche des Problems, abstrahiert von einzelnen (bedauerlichen) Begebenheiten (das zeigt zumindest Herr Wolff nicht und deshalb schreibe ich ihm das immer).
5. Zur Problemlösung in Tröglitz konkret kann ich aus meiner Sicht nur sagen, dass es wirksamer wäre, mit einer gewaltigen Kraftanstrengung das vorgesehene Haus innerhalb von 14 Tagen wieder aufzubauen und so den Rechtsradikalen die Wirkungslosigkeit ihres Tuns zu demonstrieren als NUR mit Friedensgebeten für die Zukunft zu sorgen. Zur Problemlösung insgesamt brauchen wir (neben pragmatischen Ansätzen) einen langandauernden, geduldigen, überzeugenden Dialog – genau wie ihn Herr Wolff fordert mit dem Begriff des „demokratischen Diskurses“, wie er ihn aber in seiner Ungeduld und Intoleranz eben nicht führt. Und so kommt es immer mehr dazu, dass unsere Demokratie sich langsam in die Gefahr begibt, zur Ochlokratie zu verkommen, in der sich entgegengesetzte Lager über Polizeiketten hinweg beleidigend anbrüllen.
Mit freundlichem Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
Was zeigt der Beitrag? Herr Wolff hat kein Verständnis des Begriffes „Strategie“ – er ist damit in Deutschland keineswegs allein – und vermischt also Theorie, Praxis, Tatsachen, Vermutungen, Ergebnisse, Ziele und alles Andere, was – geordnet und strukturiert – eine fundierte Meinung erzeugen könnte. Stattdessen die übliche Propaganda, die genau definiert, was Herr Wolff nicht will, aber keinerlei Ansatz zeigt, das was er will durch Beschreibung von Wegen dorthin zu konkretisieren. Sie wollen also, lieber Herr Wolff, keinen Rechtsradikalismus, sie wollen keinen Verfassungsschutz, sie wollen keine andere Meinung ausser der Ihren im sogenannten „demokratischen Diskurs“ als legitim zulassen – das alles wissen wir jetzt! Nun schreiben Sie Ihrer Fangemeinde doch mal nicht nur, was Sie stattdessen wollen (das wäre schon was) sondern vor allem auch, wie Sie es erreichen wollen: Arbeitslager für Rechtsradikale? Mehr Polizisten für allgegenwärtige Bewachung (natürlich ohne gleichzeitige Überwachung des braven Normalbürgers)? Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten von Rechtsradikalen (es wird ja versucht, die NPD verbieten zu lassen, aber das scheint nicht so leicht zu sein und wäre vermutlich auch sinnlos, weil das Verbot einer Partei ja nicht ihr Gedankengut auslöscht) bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der bürgerlichen Freiheiten der Wohlgesinnten Ihrer Prägung? Eine Lahmlegung des Landes durch Dauerdemonstrationen aller Seiten? Es reicht eben nicht, Recht zu haben mit einer Kritik an schlimmen Zuständen, wie sie in Tröglitz herrschen, und alle Institutionen – Politik, Verfassungsschutzämter, Andersdenkende – schrecklich zu verurteilen und zu beschimpfen, ohne auch nur je die notwendige „positive“ Seite (was müsste geschehen?) analytisch anzugehen. Genau das ist die grosse Feigheit des Pazifismus und eines Teils der evangelischen Kirche à la Käßmann: Mit moralischer Überheblichkeit sich selbst ein gutes Gewissen zu schaffen und die Drecksarbeit der Problemlösung den Anderen zu überlassen, die dann – wie immer sie es auch anfassen – nur Mist bauen!
Lieber Herr Wolff – was Sie tun, reicht allemal nicht!
Mit frohem Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
es ist ja eine christliche Einsicht, dass unser Tun niemals ausreichend sein wird. Das Wesentliche ist ohne menschliches Zutun geschehen, so auch das Osterereignis.
Aber ausgerechnet Herrn Pfarrer Wolff Untätigkeit vorzuwerfen das ist absurd, wenn sie in den letzten Jahren in Leipzig waren, dann können sie soetwas nicht ernsthaft behaupten. Herr Schwerdtfeger ich frage mich von welchem „Wir“ Sie reden und was Sie an analytischen Lösungen parrat haben. Sie möchten einen einen neutralen, theoretischen Diskurs darüber führen, welchen Einfluss die Arbeit des Verfassungsschutzes auf rechte Gesinnungen wie diese in Tröglizt wirklich hat? Sie möchten ein allumfassendes Modell, dass Theorie und Praxis, Ergebnisse und Ziele, feinsäuberlich von einander trennt, um dann zu einer fundierten Meinung darüber zu kommen wie es in Tröglitz wirklich aussieht? Viel Glück! Aber ich denke damit ist in Tröglitz niemanden geholfen, zumal ein theoretischer Diskurs niemals zu einem Ende kommen kann. Die Augen davor zu verschließen, dass die NPD eine der maßgeblichen für das Klima in Tröglitz verantwortlich ist, ist gelinde gesagt gefährlich. Dies konnte ich in der letzten Woche auf der Informationsveranstaltung zur Aufnahme der Flüchtlinge in Tröglitz sehen. Demagogen, Stumpfsinnige und eben unter anderen auch der NPD Funktionär Steffen Thiel, haben dort eine Atmosphäre von Angst, Wut uns Hass geschürt. Diese Leute haben es gewagt von Friedensstiftung zu sprechen. Diese Leute haben den sog. normalen Bürgern erklärt wie undemokratisch die Aufnahme von Asylberwerbern ist. Diese Leute haben das Märchen vom kriminellen Ausländer herausgeschrien, von Überfremdung. Von enormen Kosten die auf die Bürger zu kommen würden und viele andere Unerträglichkeiten.
Was jetzt notwendig ist, ist das was auch schon getan wird. Friedliche Aktionen wie die Friedensgebte, aus denen auch in Tröglitz eine Initiative hervorgegangen ist, die sich um die künftigen Asylbewerber kümmern möchte, die bei lebenswichtigen Dingen helfen will und die vor allem ein Umdenken schaffen möchte, hin zu einem Bewusstsein darüber, dass wir unsere Angst vor Veränderung überwinden müssen und dass wir auch um unserer Selbstwillen Menschen aus aller Welt in unserer Mitte willkommen heißen müssen. Das geht leider nur mit friedlichen Mitteln und in einer freien Demokratie, in der nicht Angst und auch nicht die (Mit)Leidenschaftslosigkeit unsere Triebfeder sein kann.