In einem wenig beachteten Gespräch mit dem „Handelsblatt“ (veröffentlicht am 19. April 2018) stellte sich der Leipziger Maler Neo Rauch vor den aufgrund seiner Äußerungen in die Kritik geratenen Schriftsteller Uwe Tellkamp: „Ich fühle mit ihm. Er ist ein lauterer Charakter, sehr geradlinig strukturiert, dem ich nichts Schlechtes zutraue. Er scheint mir eher ein Wiedergänger Stauffenbergs zu sein. Im Unterschied zu den heuchlerischen Sachwaltern seines Verlags.“ Tellkamp, eine Art Widerstandskämpfer? Tellkamp, ein in einer Gesellschaft mit einer freiheitlichen, demokratischen Verfassung umstrittener Schriftsteller auf einer Stufe mit einem – zugegebener Maßen rechtskonservativen – Angehörigen der Wehrmacht, der am Ende der Nazi-Diktatur den Weg in den Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror gefunden hatte und am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler verübte, das scheiterte, und der dann von den Nazis ermordet wurde? Was ist mit einem solchen Vergleich beabsichtigt? Wenn Tellkamp ein „Wiedergänger Stauffenbergs“ sein soll, dann kann sein Verlag (Suhrkamp) ja nur ein Kollaborateur einer „Meinungsdiktatur“, einer Regierung und eines Systems sein, das genauso beseitigt gehört, wie im Juli 1944 der Nationalsozialismus. Genau das aber ist der Jargon, der jeden Montag in Dresden (und leider an zu vielen Buffets und fein gedeckten runden Tischen des gehobenen Bürgertums in Ost- und Westdeutschland) zu hören ist: Merkel muss weg, Lügenpresse, Volksverräter, Widerstand. Neo Rauch würde das – wie viele andere der feinen Gesellschaft – niemals mit skandieren, aber er zimmert mit am Resonanzboden für ein Denken, dass die politischen Systeme einebnet und das Nationale zum neuen Identifikationsrahmen erklärt, abseits von Demokratie und Menschenrechten.
Es ist schon auffällig wie all diejenigen, die sich nach und nach ideologisch um die AfD scharen, ein Bild von Deutschland zu erzeugen versuchen, das kruder nicht sein kann. Da wird eine behauptete „Merkel-Diktatur“ mit den beiden tatsächlichen Diktaturen des 20. Jahrhunderts gleich gesetzt. Noch einmal Neo Rauch in dem besagten Interview: „Wir haben 1989 die Bagage der Blockwarte, Gesinnungsschnüffler und der Politkommissare zum Teufel gejagt und uns gesagt: ‚So etwas lassen wir uns nie wieder bieten. Wir lassen uns nie wieder auf Linie bringen.‘ Und jetzt sind die Blockwarte wieder da in Gestalt ihrer Enkelkinder. Das macht mich so unfassbar zornig.“ Verstehe ich das richtig: ein kritischer gesellschaftspolitischer Diskurs, in dem ich medial oder politisch in die Defensive geraten kann, wird mit dem unseligen Wirken von Blockwarten, Gesinnungsschnüfflern und Politkommissaren, die die Dissidenten auf Linie zu bringen versuchten, auf eine Ebene gehoben? Wenn dem so ist, dann wird es gefährlich – auch wenn ich einem Neo Rauch nur bedingt politischen Sachverstand unterstellen möchte. Aber er steht ja nicht allein. Die neue Rechte um die Höckes, Gaulands und Kubitschecks bemüht sich gerade darum, den 20. Juli 1944 wie auch die Friedliche Revolution 1989/90 zu Anknüpfungspunkten rechts-nationalistischen Denkens zu erklären und damit ideologisch zu okkupieren.
Darum stellen sich weitere Fragen: Könnte es sein, dass manche Bildungsbürger aus dem Dunstkreis der AfD, die sich jetzt plötzlich auf ‘89 und die Männer um Staufenberg berufen, dies deswegen tun, weil sie genau das, was die Menschen 1944/45 und 1989/90 nach manchen Irrwegen erreichten wollten – nämlich freie Meinungsäußerung, kulturelle Vielfalt, freiheitliche und soziale Demokratie, offene Grenzen, eine europäische Friedensordnung, heute als Gefahr ansehen und ablehnen, ohne zu merken, dass sie damit den Widerstand gegen Hitler wie die Friedliche Revolution konterkarieren? Könnte es sein, dass sie sich – in einer freien Gesellschaft angekommen – zu einer Beschaulichkeit zurücksehnen, in der die eigenen Lebenskreise durch nichts Fremdes mehr gestört werden sollen? Könnte es sein, dass sie deswegen der offenen Gesellschaft, der europäischen Idee, der multikulturellen und multireligiösen Entwicklung so panisch angstbesessen bis feindlich gegenüberstehen und diese deswegen als „Diktatur“ empfinden, weil es eben nicht nur ein „Wir gegen die anderen“ gibt, sondern gesellschaftliche, kulturelle Vielfalt das Eigene sehr relativiert und ich lernen muss, dass meine Überzeugung immer kritisch hinterfragt wird? Hieß aber nicht eine Parole der Friedlichen Revolution „Für ein freies Land mit offenen Grenzen“?
In dem genannten Interview bekennt sich Neo Rauch auch als Konservativer: „Das ist ja wahrscheinlich die Definition der konservativen Daseinsform, der ich naturgemäß zu entsprechen habe, weil es meiner inneren Struktur entspricht: Das Neue, das Fremde so lange zu verhindern, bis es nicht mehr gefährlich ist. Und die Gefahren sind natürlich evident, die uns umgeben, die auf uns zukommen.“ Eine erstaunliche, aber auch entlarvende Definition: das Neue, das (der) Fremde werden nur dann akzeptiert, wenn sie meine Lebensweise nicht mehr infrage stellen. Bis dahin sind das Neue und das (der) Fremde eine „Gefahr“, gegen die ich mich schützen muss. Das aus dem Mund eines Kulturschaffenden zu hören, der mit jedem Werk etwas Neues, etwas Fremdes schafft, ist mehr als erstaunlich. Aber genau diese Denkweise ist es, die dazu führt, dass Menschen, die eigentlich von der Freiheit leben, jetzt daran gehen, diese zur Disposition zu stellen – samt aller Werte, die dazu gehören. Noch einmal Neo Rauch: „Empathie darf nicht dazu führen, dass wir unser Handeln von Gesinnungsethik leiten lassen. Die drückt uns in den Gestus des moralisch Hochstehenden hinein, der nicht fragen darf, welche Folgen seine Bereitschaft zu einschränkungsloser Hilfe in zehn oder zwanzig Jahren haben wird.“ Mit solchen Aussagen wird der Boden dafür bereitet, sich von allen unveräußerlichen Grundwerten zu trennen, um den Gefahren des Fremden zu begegnen. Mehr noch: damit soll der „moralische Schmerz“, den Bernd Ulrich in der neuen ZEIT angemahnt hat und der in jedem christlichen Gottesdienst geweckt wird, betäubt werden.
Ich weiß: Jetzt wird mir vorgeworfen werden, ich würde Neo Rauch in die rechte Ecke stellen; ich würde ihm politische Absichten unterstellen, die er nicht hat; ich würde keine andere Meinung dulden als die eigene. Nein, ich lebe Gott sei Dank in einer Gesellschaft, in der Neo Rauch oder auch ich sagen und schreiben können, wovon wir überzeugt sind. Aber ich lebe auch in einer Gesellschaft, in der der Meinungsstreit angstfrei und offen ausgetragen werden kann. Nur werde ich zunehmend skeptisch, wenn Leute wie Tellkamp und Rauch auf der einen Seite in meinen Augen gefährliche Ansichten vertreten, aber sofort die „Meinungsdiktatur“ wittern, wenn sie kritisiert werden, und sich mimosenhaft als Opfer inszenieren. Da sollten sie sich selbstkritisch fragen, ob sie nicht einen wesentlichen Aspekt vom Widerstand gegen Hitler und von der Friedlichen Revolution 1989 vergessen haben bzw. dabei sind, diese Geschichte umzudeuten.
20 Antworten
Werter Herr Schwarzenberg:
es drängt mich, auf Ihre Reaktion meinerseits zu reagieren.
Sie schreiben:
1.“Es handelt sich bei den zu uns Kommenden in übergroßer Mehrzahl eben nicht um Flüchtlinge und Verfolgte in dem Sinn, wie Sie ihn unter Punkt 4 pathetisch anmahnen. “
Bitte belegen Sie mir / uns diese Ihre Behauptung, mehr Wirtschaftsflüchtlinge als Hilfesuchende seien unterwegs in den Wohlstandsstaat Deutschland.
2.“ Aber es habe eben die meisten keinen Anspruch auf Asyl…“
Bitte belegen Sie mir / uns auch diese Ihre aus meiner Sicht formal juristisch anfechtbaren Behauptung.
3 Was Ihre Thesen zur einstigen Kolonialwirtschaft anbelangt, verweise ich auf die Engl. Kolonialzeit im 19.Jh. in Indien; James Gordon Farrell beschreibt in seinem Buch: „Die Belagerung von Krishnapur“ (stellvertretend zu verstehen für analoge Katastrophen) die Auswüchse „zivilisierter“ Vorherrschaft und die Fast-Auslöschung der aufständigen Sepoys. – dies nur nebenbei.
4.“Sie ertragen das in Ihren Augen Unmenschliche nicht — und fällen Verdikte über diejenigen, die sich in Ihren Augen unmenschlich verhalten, nur, weil sie darauf hinweisen, daß irgendjemand das alles bezahlen muß. Für Sie ist einer, der das nicht will, ein Unmensch…“
Mit diesen Anwürfen offenbaren Sie nun leider – wie viele Ihrer Ansichten ähnlich Argumentierenden – einen unübersehbaren Minderwertigkeitskomplex.
Als „Unmensch“ wurden Sie weder von Chr. Wolff noch von mir kategorisiert – dies wäre tatsächlich nicht nur schlechter Stil !
Bleiben Sie doch sachlich und versuchen Sie auf redliche Weise – vor dem Hintergrund tatsächlich belastbarer Nachweise – eine fundierte Debatte, auch in diesem Blog.
Anders kommen wir allesamt niemals weiter in der wahrlich problematischen Thematik ASYL: Jo.Flade
PS: Zu Moral und Humanitas hat Chr. Wolff in seiner Reaktion alles gesagt; dem bedarf es keiner Ergänzung mehr.
Werter Herr Flade, meine Antwort erfolgt etwas verspätet, weil ich mir unschlüssig darüber war, ob sie einen Sinn hat. Ich möchte Ihnen nicht die arbeit abnehmen, weise nur auf die offizielle Seite des BAMF hin, auf der in guter Übersicht die Schutzformen erklärt werden. Die Drittstaatsregelung ebenso (Dublin). Kein Flüchtling, der europäischen Boden z.B. in Bulgarien, Mazedonien oder Griechenland betritt, ist im Sinne des Artikel 16a GG mehr bedroht. Kommt er nach Deutschland, dann deshalb, weil es sich hier besser leben läßt — das, was Söder und Dobrindt mit dem Begriff „Asyltourismus“ bezeichnen. Er wird nicht gern gehört. Außer den Asylsuchenden, die im Artikel 16 GG erfaßt werden, gibt es noch die sog. Konvenitonsflüchtlinge (entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention) und die Subsidiären, die weder von Art. 16 GG noch nach der GFK erfaßt werden. Sie können (zeitlich begrenzt zunächst für ein Jahr) bleiben, weil ihnen — das ist ein Grund — im Herkunftsland die Todesstrafe oder Folter droht.
Die offizielle Statistik des BAMF verzeichnet Asylberechtigte mit gemäß Art. 16 GG positivem Bescheid in folgenden Prozentzahlen (s. Website): 2015 0,7%, 2016 0,3%, 2017 0,7%. Prof. Richard Schröder schreibt in seinem mit Gunter Weißgerber und Eva Quistorp verfaßten Buch „Weltoffenes Deutschland?“, daß zu den 0,7 % Asylbewerbern nach Art 16 GG weitere ca. 30 bis 40 % dazukommen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt werden, plus die subsidiären. Im ganzen bekommt knapp die Hälfte einen (zunächst zeitlich begrenzten!) Bleibestatus; 3 Jahre die Asyler und Flüchtlinge, 1 Jahr die subsidiären.
Das Problem ist, a)
ob die GFK tatsächlich für die von Schröder erwähnten 30-40 % anwendbar ist.
b) ob die Subsidiären tatsächlich Subsidiäre sind. Wir haben im BAMF zur Zeit das Paradoxon, daß afghanische Taliban gemäß Art. 16 GG anerkannt werden, da sie (und oft als einzige) in der Lage sind, individuelle Verfolgung (Grundvoraussetzung der Anwendbarkeit des Asylverfahrens) nachzuweisen.
Nächstes Problem: Die Dublin-Verordnung ist (ich beziehe mich auf eine BAMF-Aussage) faktisch ausgesetzt. Hier kollidiert europäisches und nationales (deutsches) Recht — und es wird unter Juristen durchaus kontrovers diskutiert, ob europäisches Recht tatsächlich nationales überformen darf, so, wie das hier geschieht. Prof. Thym sagt: So ist es, Ulrich Vosgerau sagt: So ist es keineswegs — zwei Juristen, drei Meinungen. Ich verweise auch auf Diskussionen auf Juristenwebsites, z.B. von Dr. Ansgar Neuhof, Prof. Klaus Schönenbroicher, Prof. Alexander Peukert, RÄn Annette Heinisch, um einmal andere Namen als die notorischen DiFabio und HJ Papier zu nennen. Wenn Sie die Namen eingeben, sind entsprechende Artikel leicht zu finden.
Zur Moral, über die angeblich alles gesagt sei: Das Problem ist wohl, wie Sie und Herr Wolff Moral kennzeichnen bzw. verstehen. Andere verstehen Moral anders. Und irgendwer, ich bleibe dabei, muß das alles bezahlen. Sind Sie das? Öffnen Sie jedem, der kommt, Tür und Tor? Und wenn ja, ist es moralisch, gleiches von allen anderen zu verlangen? Wenn die Kirche so edel ist, wird sie niemand daran hindern, ihr Vermögen restlos den Beladenen dieser Welt zu spenden. Hat sie das getan, lasse ich mir ihre Moral gerne gefallen.
Ergänzend noch Dr. Andreas Wagenseils Untersuchung zum Aufenthaltsgesetz, speziell § 95 Absatz 1 und § 18, speziell Abs. 2 AsylG. Veröffenlticht in der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR), bei Google leicht zu finden.
Warum erwähnt? — Weil eben die meisten … usw.
Werter Herr Schwarzenberg – Ihr sog. „Tacheles“ vom 24.07.18 erlaube ich mir lediglich wie folgt zu kommentieren:
1.
Beleidigt haben Sie weder mich noch andere (da überschätzen Sie sich wirklich).
2.
Sie senden Ihren „Klartext“ an mich, um dann allerdings alle Kübel über Chr. Woilff auszugießen; ich wiederhole mich: schlechter Stil, vor allem aber keine funktionierende Basis für konstruktiven Diskurs.
3.
Mit Wut im Bauch, Aggressivität, unkontrollierter Polemik behindern Sie die Notwendigkeit, sich mit Ruhe, Sachverstand und Argumentationskraft (auf Grund solider Kenntnisse um die Realitäten!)den Dingen, die uns allesamt umtreiben, zu begegnen.
4.
Die Flüchtenden, die nach Hilfe Schreienden, den Kriegen fliehenden Schwachen hat eine im Wohlstand erstarrte Zivilisation zu helfen – ein elementare Kategorie von Moral und Humanität!
Wer sich dessen verweigert, verweigert Teilhabe.
5.
Mehr ist nun wirklich nicht zu sagen.
Jo.Flade
„Solide Kenntnisse um die Realitäten“ — eben, werter Herr Flade. Zum „schlechten Stil“: Ich habe mir erlaubt, unter Ihrem Kommentar eine Antwort an Sie beide zu schreiben, immerhin befinden wir uns auf Herrn Wolffs Blog. Vielleicht hätte ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, die Antwort auch an Sie beide adressieren sollen.
Unkontrollierte Polemik treibe ich gar nicht. Von welchen Realitäten sprechen Sie? Es handelt sich bei den zu uns Kommenden in übergroßer Mehrzahl eben nicht um Flüchtlinge und Verfolgte in dem Sinn, wie Sie ihn unter Punkt 4 pathetisch anmahnen. Die meisten sind Wirtschaftsmigranten. Sie suchen bessere Perspektiven als in ihren Herkunftsländern, kurz: einfach ein besseres Leben. Das kann ihnen niemand verdenken, auch ich tue das nicht. Sie verhalten sich rational. Wir aber nicht, indem wir sie noch anziehen.
Nur: Eine moralische Verpflichtung, jemandem zu einem besseren wirtschaftlichen Leben zu verhelfen nur deswegen, weil es ihm anderswo schlecht(er) geht, sehe ich nicht. Nota bene: Jemand mit Anspruch auf Asyl soll und muß es bekommen, gerade in Deutschland mit seiner Vergangenheit. Aber es habe eben die meisten keinen Anspruch auf Asyl, jedenfalls nicht nach Artikel 16 GG und nach den entsprechenden Abschnitten AsylG.
Sie vermischen die Probleme, so wie es in vielen unserer Medien seit 2015 geschieht. Ihre Argumentation (und ich erkenne sie auch bei Herrn Wolff) mahnt eine moralische Verpflichtung zum Helfen für alle an, die anlanden — weil „wir“ es ja waren, die die Herkunftsländer ruiniert, ausgebeutet usw. haben. Tatsächlich? Das ist ein von links gern und wohlfeil vorgebrachtes Argument, aber es trifft nur sehr bedingt zu. (Siehe die Untersuchungen von Egon Flaig zum Kolonialismusproblem. Siehe Simbabwe, das unter der englischen Kolonialherrschaft, als es noch Rhodesien hieß, wirtschaftlich wesentlich besser dastand als danach.) Und Schweden zum Beispiel hatte keine Kolonien, wird aber ebenso zum Ziel für Wirtschaftsmigration.
Solange aber die Grundlagen für diese Moral nicht auf Bäumen wachsen, solange die Ressourcen begrenzt sind, werden Sie um die Debatte, was mein und was dein ist, nicht herumkommen. Sie ertragen das in Ihren Augen Unmenschliche nicht — und fällen Verdikte über diejenigen, die sich in Ihren Augen unmenschlich verhalten, nur, weil sie darauf hinweisen, daß irgendjemand das alles bezahlen muß. Für Sie ist einer, der das nicht will, ein Unmensch, jedenfalls verstehe ich Ihre Aussagen so. Diese Wertung ist es, die viele derer, die gegen die Migrationspolitik der derzeitigen Regierung protestieren, spüren und ablehnen, ja, auch mit Empörung, meiner Ansicht nach berechtigter Empörung, von sich weisen. An deutschem Wesen soll wieder einmal die Welt genesen.
Und noch einmal: Sie beide argumentieren fast ausschließlich moralisch, ohne aber die Bedingungen und Grenzen dieser Moral ehrlich zu reflektieren.
Bestens, Simon Schwarzenberg
Die „Grundlagen für diese Moral wachsen nicht auf Bäumen“ – sehr wahr. Die Grundlagen der Moral entspringen den biblischen Grundwerten, insbesondere der Botschaft Jesu. Da übrigens finden sich auch die Maßstäbe dafür, „was mein und was dein“ ist: zunächst einmal nichts. Denn alles Leben ist ein dem Menschen anvertrautes Gut/Geschenk, mit dem er verantwortlich umzugehen hat. Sie haben recht: Menschen wie Jo Flade und ich ertragen das Unmenschliche nicht, vor allem aber wollen wir uns damit nicht abfinden, uns es auch nicht schönreden. Warum? Weil alles, was ich für mich selbst in Anspruch nehme, auch dem Nächsten gehört. Dass ich diesen Grundüberzeugungen nur bedingt gerecht werde, macht sie nicht falsch. Es ist vielmehr Ausdruck menschlichen Unvermögens. Das aber darf ich nicht rechtfertigen, sondern muss es so benennen. Ohne Moral verroht die Menschheit. Und genau das spielt sich derzeit ab: Ich lasse mir doch nicht Butter vom Brot nehmen von jemanden, der hier nichts zu suchen hat. Dass Sie uns vorwerfen, moralisch zu argumentieren, ehrt uns. Genauso deutlich möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das, was sich derzeit abspielt (Asylheime anzünden, Ausländer jagen, Hetze im Netz, „Absaufen“ skandieren keine „Empörung“ zum Ausdruck bringt, sondern offenbart, was geschieht, wenn sich der Mensch von der Moral emanzipiert. Noch drei Hinweise:
1. Willy Brandt sprach 1972 von „Compassion“, also Barmherzigkeit, Mitgefühl, als wichtige Kategorie politischen Handelns. Davon ist derzeit wenig zu spüren.
2. Sie reden immer von „Realitäten“ und unterstellen einmal per se, dass Geflüchtete „nur“ das bessere Leben suchen. Damit werden nicht nur viele Geflüchtete diskreditiert, Sie beschönigen damit bewusst und gezielt die Fluchtursachen.
3. Führen Sie sich einmal in Ruhe die katastrophalen Ergebnisse der großen Flüchtlingskonferenz von Évian 1938 vor Augen. Kein Land (außer der Dominikanischen Republik) wollte jüdische Flüchtlinge aufnehmen. Nicht der rassistische Terror der Nazis war das Problem, sondern die Schutz suchenden Juden. Die Folgen kennen Sie.
Werter Herr Schwarzenberg –
Ihnen für Ihre Reaktion auf den „Genossen“ (so etwas habe ich lange nicht gelesen) Pfarrer Wolff und den Chefrestaurator (danke; der war ich nie, könnte jedoch diese Ihre Betitelung bestenfalls als Honorigkeit verstehen…will es aber nicht, weil es Amtsanmaßung wäre) zu danken, wäre Schmeichelei.
Ich reduziere es auf meine Bitte, andere Meinungen wenigstens zu versuchen, diese zu respektieren und den Tonfall auf Normal zu stellen.
Wie stellte Frau Dr. Merkel kürzlich auf der so nett inszenierten Sommer-Presse-Konferenz fest:
Denken, Reden und Handeln sind im Zusammenhang zu sehen…
Meine politische Bildung als verschlafen zu interpretieren, nur weil auch ich manche Dinge etwas anders als Sie sehe, ist schlechter Stil. Glauben Sie mir: meine Wachheit unterscheidet sich eben von der Ihren!
Zu meiner Haltung zu Neo Rauch etc.pp. zitiere ich mal wieder Pilatus: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“. Und Sie wissen wie wir alle, dass er auch anfragte: „Was ist Wahrheit?“
Also gemach und zukünftig in diesem Blog souveräne Gelassenheit.
Ich respektiere Ihre Ansichtsäußerungen – teilen kann und werde ich diese mitnichten! Jo.Flade
Werter Herr Flade,
es ist schon beinahe amüsant, daß Sie nicht sehen, wie sehr Sie selbst die Muster bedienen, die Sie bei anderen kritisieren. Heißt: Sie beleidigen zuerst (siehe Ihre Anmerkungen zu Neo Rauch), sind aber beleidigt, wenn man sich erlaubt, Ihnen Tacheles zu antworten. Es ist inzwischen an der Zeit, daß man mit Klartext auf Beleidigungen reagiert, die von sich selbst nur das eine denken: daß sie keine seien. Eine besonders perfide Form der Beleidgung ist, wenn man wohlverpackt, in salbungsvoller Kanzelrede, anderen, die nicht ins Weltbild passen, die Fähigkeit und den Willen zur Demokratie abspricht — wie es Herr Wolff von seiner Moralrosinante tut.
Und merkts noch nicht einmal. Er sagt nur: Sie sind, wie ich Ihren Untertönen anmerke, nicht am Dialog interessiert. Wenn ich mir immer nur anhören muß, wie blöd ich bin, übersteigt es irgendwann das Menschliche, weichgespült und zugewandt am Dialog teilzunehmen.Irgendwann packt einen nur noch Ärger, auch und gerade dann, wenn Unhöfliche anderen Unhöflichkeit vorwerfen.
Von links in die Richtung der von Pfarrer Wolff geschmähten und mit Insinuationen belegten „Dunkeldeutschen“ (Sie sehen, ich drehe den Spieß mal um) ist jetzt gern folgendes „Argument“ fällig: Spielen Sie doch nicht das Opfer, wenn man Ihnen widerspricht … Typisch! Erst draufhauen, dann aber die Mimose geben, wenn die Retourkutsche vorfährt.
Tja.
Vielleicht öffnet es doch ein wenig das Visier. Auch bei Pfarrer Wolff, der in einem anderen Artikel des langen und breiten Mutmaßungen über Zu- und Austritte aus der Kirche anstellt, aber den einfachsten Grund übersieht oder nicht anspricht: Daß viele Menschen von den Moralpredigten der Kirche, links und grün und sozialdemokratisch, wie sie so häufig sind (ich beziehe mich auf Gerhard Besier und eigene Erfahrungen), schlicht und ergreifend die Nase voll haben.
Weil es kein Verbrechen ist, sich auf das Eigene zu beziehen.
Weil es nicht nur klug und lebensnah ist, unkritisch alles Fremde zu beweihräuchern.
Weil man nicht doof oder hinterwäldlerisch oder Nazi nur durch den Umstand ist, daß man, wie Herr Wolff behauptet, „das“ Fremde abwehrt oder über das Maß, das er verträgt, hinaus mit Skepsis sieht.
Weil man kritisch gegenüber der jetzigen Migrationspolitik eben auch aus Vernunft und Sorge um die Demokratie sein kann — und nicht, wie ich aus Ihren Ausführungen lese, weil man „braun“, dumm oder anderweitig moralisch minderbemittelt ist. Der Islam ist in Ihrer Sicht der Dinge überhaupt kein Problem für eben diese Angelegenheiten, für Demokratie, sozialen Frieden, für eine christlich geprägte Kultur wie unsere?
Dann sprechen wir uns wieder, wenn auf der Thomaskirche der Halbmond leuchtet.
Argumentationsfigur vier: Was sie behaupten und unterstellen, Herr Schwarzenberg, habe ich gar nicht gesagt. Doch, haben Sie, Herr Wolff. Für einen Leser wie mich jedenfalls. Und ich bin kein Einzelfall.
Neo Rauch jedenfalls das klare, verantwortungsbewußte Denken und Handeln abzusprechen — ich meine die Talibanisierung, nicht den Stauffenberg –, weil er es sich erlaubt, auf gewisse Dinge hinzuweisen, die in diesem Lande schieflaufen, ist ebenso bezeichnend (für Kirchenvertreter wie Wolff, Ulfried Kleinert, Bedford-Strohm, Marx, Käßmann u.a.) wie lächerlich.
Und nun Gott befohlen.
1. Das ist das Allerletzte, was mir einfiele: eine Opferrolle einzunehmen oder mich in diese drängen zulassen. Da halte ich es mit dem Vater von Martin Luther King, der seinem Sohn eingeschärft hat: „Du bist nur so lange Sklave, so lange du dich als Sklave fühlst.“ Also werde ich weiter als Bürger, als Christ, als Pfarrer für die Grundwerte streiten, die die drei Rollen miteinander verbinden.
2. Zunehmend werde ich skeptisch, wenn Moral als Kategorie verantwortlichen Lebens zur Disposition gestellt – auch in der Floskel „Moralpredigten“ – für mich kein Schimpfwort, sondern eher eine Beschreibung der Aufgabe der Kirche.
3. Ja, es ist kein Verbrechen, sich auf das Eigene zu beziehen. Aber es ist eben nur die eine Hälfte einer menschenwürdigen Existenz. Die andere ist der nahe und fremde Nächste: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst. Diesen hohen Anspruch, dem ich oft genug nicht gerecht werde, möchte ich keinen Moment als kritischen Maßstab missen. Wenn heute montags in Dresden im Blick auf die Boot-Flüchtlinge skandiert wird „Absaufen“, dann ist das die Spitze des Eisberges, der entsteht, wenn Moral ausgeklammert und Grundwerte zur Disposition gestellt werden.
Christian Wolff
Sehr geehrter Herr Wolff,
wir lernen also: Herr Rauch wird überschätzt — sagt Herr Jo. Flade, der Chefrestaurator von Dresden, dessen Meinungsstärke in Sachen politischer Bildung mit einer gewissen Blindheit in derselben bestens korrespondiert. Was denn muß noch geschehen in diesem Land, damit Leute wie er und Sie aufwachen? In welchem Heileweltgrün leben Sie, Herr Wolff? Alles wunderbar in Deutschland? Träumen Sie herzbewegt und „fortschrittlich“ weiter. Entlarven Sie auch wie gehabt weiter — „entlarven“, das wollten die Genossen vor 89 auch immer. Was ich auch von vor 89 kenne, ist eine von Ihnen verwendete Argumentationsfigur: Komisch, sagt der Genosse in einem Raum voller Genossen, was wollen die denn, die da protestieren? Ich habe meine Meinung immer und ohne Scheu sagen können, wir leben doch in einem freien Land … Argumentationsfigur zwei: Herr Rauch sollte doch bitte zu allem, was ihm aufstößt, schweigen, verdankt er doch dem Land und seiner Zeit so viel. Ich lerne: Du bist ja eh schon korrumpiert, was regst du dich auf?
Und die dritte Argumentationsfigur: Sie spielen die Mimosen, sobald ihnen jemand widerspricht … Wirklich? Haben Sie vom Fall Mariam Lau gehört? Ist das noch Widerspruch — oder schon Pranger, der, das wissen Sie aus der Kirchengeschichte, natürlich auch eine Form des Widerspruchs ist, leider nur die unangenehmste?
Aber den Pranger gibt es ja in Ihrer Weltsicht gar nicht.
Denken Sie mal drüber nach. Und noch etwas, das sagt einer, der 89 auf der Straße dabei war: Es macht sich immer besonders nett, wenn einer, der nicht dabei war, denen, die dabei waren, erzählt, was sie wie von damals gefälligst wo zu verstehen haben. Das sorgt für die angenehmen Aspekte im deutschen Binnenleben. Bestens, Simon Schwarzenberg
Sehr geehrter Herr Schwarzenberg, richtig ist: ich habe 1989 nicht in Ostdeutschland erlebt. Ich war auch am 09. Oktober 1989 nicht auf der Straße. Allerdings sage ich auch nicht, wer wie was zu verstehen haben soll, sondern äußere meine Meinung, zu der sich jeder so verhalten kann, wie er will. Also: ich gehöre auch nicht zu den Genossen, die im geschlossenen Raum von Freiheit reden. Ich bewege mich wie viele andere im Raum der Öffentlichkeit und nehme zu verschiedenen Fragen, Problemen, Vorgängen Stellung. Da erfahre ich Zustimmung, scharfe Kritik, Häme, manchmal auch – das natürlich anonym – Beschimpfungen und Drohgebärden. Dass wir in einem freien Land leben, ist keine Selbstverständlichkeit und bedarf jeden Tag der aktiven Unterstützung und Verteidigung. Diese Aufgabe möchte ich an niemanden delegieren. Sie ist in meinen Augen Bürger/innenpflicht. Dass Leute wie Neo Rauch „schweigen“ sollen, habe ich ausdrücklich nicht gesagt, noch nicht einmal insinuiert. Er ist aber für das verantwortlich, was er sagt und muss sich auch der Diskussion und der Kritik stellen. Natürlich ist es nicht leicht, sich mit Positionen in der Öffentlichkeit zu bewegen – auch deswegen, weil inzwischen mancher vor allem im Netz jedes Maß an Anstand vermissen lässt. Das ist unerträglich. Auch im Fall Mariam Lau. Nur jetzt so zu tun, als sei dies „systemimmanent“, ist etwas verwegen. Wir haben sicherlich die Aufgabe, für eine gute Debattenkultur zu sorgen. Das aber ist Teil des Kampf für Demokratie und Freiheit. Ihr Unterton allerdings lässt mich zweifeln, ob es Ihnen wirklich um eine Weiterentwicklung des demokratischen Diskurses, um Pluralität, um gesellschaftliche Vielfalt geht. Ihr Christian Wolff
Dieses Neo-Rauch-Interview im „Handelsblatt“ (bemerkenswert, dass für einen „Künstler“ ein solches Medium Plattform für seine Meinungsäußerungen geeignet zu sein scheint!) offenbart, was einige und auch ich längst vermuten: Herr Rauch wird überbewertet – da ist viel Rauch um wenig Substanz. Auch bemerkenswert der Kunstmarkt, der solche Farbtechniker mit Millionen beglückt und damit ganz offensichtlich narkotisiert. Kunst ist Verantwortung; Neo Rauch ist mit dieser seiner verantwortungslosen und liebedienerischen Haltung leider ein weiteres Beispiel für intellektuelle Banalität und bedenklich geringem Wissen um gesellschaftliche Zusammenhänge, von seinem bescheidenen Geschichtsbewußtsein gar nicht zu reden. Jetzt erhoffe ich mir nur einen hörbaren Aufschrei aus der tatsächlichen und kompetenten Kunstszene, die es ja Gott sei Dank noch gibt in diesem Land – dieser Aufschrei wäre dringend geboten und sehr nötig und vor allem an der Zeit.!! Chr. Wolff hat wieder einmal recht – es geschehen Dinge, die nicht zu tolerieren und vor allem gefährlich für diese Demokratie sind!
Lieber Christian, hab` herzlichen Dank für diesen Kommentar. Verwunderlich, welche Vergleiche Herr Tellkamp da für angebracht hält. Und der renommierte Suhrkamp- Verlag offensichtlich nicht einmal bemerkt, in welcher Ecke er sich da wiederfindet. Ein von mir ansonsten so geschätzter Neo Rauch goutiert das auch noch. Die heutige Situation in Deutschland mit dem 20. Juli 1944 zu vergleichen – dazu gehört schon eine höhere Ignoranz. Jedoch: Ich finde, wir sollten die AfD und ihre Konsorten viel weniger aufgeregt analysieren, ihnen viel ruhiger begegnen.
Auch wenn ihre Alternativen und ihre Geschichtsklitterung erschreckend sind.- Jetzt wollen sie auch noch den christl. Kirchen an den Kragen. Sic!- Jedoch – ich weigere mich deren Wasserträgerin zu sein, indem ich mich am Aufregungshype beteilige.
Ich danke Dir für diesen informativen Kommentar und ebenso für die Tonalität dieses Kommentares. Herzl. Grüße aus Deiner alten, langjährigen Wikungsstätte Baden Adelheid Sophie Binder
Liebe Adelheid, es geht nicht um Aufgeregtheit, sondern um nüchterne Einschätzung,. Die AfD schickt sich an, in Sachsen Mehrheitspartei zu werden. Da müssen wir klare Positionen beziehen und diese Partei als sehr gefährlich entlarven. Vor allem aber gilt, ihre Steigbügelhalter zu benennen: Neo Rauch gehört dazu. Und was soll ich davon halten, dass ein Leipziger Pleitier, Siegbert Droese, gerne AfD-Ministerpräsident werden möchte, der in seinem Lokal, das er am Thomaskirchhof in den Ruin getrieben hat, jahrelang einen Stadtplan Leipzigs aus dem Jahr 1937 hängen hatte mit einer Adolf-Hitler-Straße und der dann einen Mercedes-Combi, in AfD-Blau gehalten, fuhr mit dem Kennzeichen L-AH-1818? Also: völlig unaufgeregt gilt es, die Brandstifter zu entlarven, um nicht als Biedermann aufzuwachen. Beste Grüße Dein Christian
Lieber Herr Wolff, ich kenne zwar Uwe Tellkamp und Neo Rauch nur aus dem, wie ich meine, sehr guten Dresden-Buch bzw. den eindrucksvollen Bildern, und auch auf das Handelsblatt-Interview bin ich erst durch Sie aufmerksam geworden. Wenn Rauch Tellkamp mit Stauffenberg vergleicht, so meint er als Maler sicher in erster Linie die musische Vielseitigkeit und Geradlinigkeit dieses Mannes, der erst durch die historischen Umstände zum Hitler-Attentäter geworden ist. Dass er damit Merkel mit Hitler gleichsetzt, scheint mir doch etwas sehr weit hergeholt zu sein.
Überhaupt: Die Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, es gibt allenfalls gewisse Ähnlichkeiten. Neo Rauch hat die (jedenfalls in Ihrem Zitat) wohl kaum mit der Nazizeit, anscheinend aber mit der von ihm erwähnten Zeit der Blockwarte etc., also der DDR, gesehen. Wenn er fordert: „Wir lassen uns nie wieder auf Linie bringen“, so fühlt er sich anscheinend in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten. Ich kann das als nicht in Sachsen Lebender zwar nicht nachvollziehen, aber man sollte vielleicht mal über diese Aussage, die ja keine Einzelmeinung ist, nachdenken. Könnte es sein, dass der Vergleich zur SED-Diktatur deshalb aufkommt, weil vor allem im Bund schon allzu lange (und in Sachsen seit der letzten Wahl) die große Koalition aus einer immer weiter nach links gerückten CDU/CSU und der SPD regiert? Opposition kam bis vor kurzem – die FDP blieb bekanntlich unter 5 % – nur von noch weiter links. Kritik von konservativer Seite, zu der sich Neo Rauch und Uwe Tellkamp anscheinend auch bekennen, also Kritik von rechts, wurde und wird sowohl in den Medien als auch in allen früher im Parlament vertretenen Parteien allzu oft und einfach als reaktionär, chauvinistisch oder sogar als Nazi-Parole abgetan. Auch die nun – offenbar als Reaktion auf dieses Vakuum – plötzlich in die Parlamente mit zweistelligen Prozentzahlen gewählte neue Partei AfD wird bisher von den andern als rechtspopulistisch oder sogar rechtsradikal politisch ausgegrenzt, ohne sich ernsthaft mit ihren Thesen auseinander zu setzen, die zwar (noch) überwiegend, aber nicht alle falsch sind. Sicher ist es richtig, inhaltliche oder auch nur sprachliche Entgleisungen wie den berühmten „Vogelschiss“ oder die „Kopftuchmädchen“ zurück zu weisen. Man sollte sich aber durchaus ernsthaft mit den Inhalten beschäftigen und auf teils berechtigte Kritiken wie z. B. am überproportionalen Anstieg der Staatsausgaben konkret eingehen. Wie in der Vergangenheit in einigen Bundesländern mit der Linken, so sollte man auch mit der AfD eine Koalitionsbildung nicht auf Dauer ausschließen.
Auch wenn Ihnen das sicher gar nicht gefällt, grüße ich Sie sehr .
Ihr Hans v. Heydebreck
Lieber Herr von Heydebreck, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Ihnen entgangen ist, dass ich mich in dem Blog-Beitrag explizit mit den Inhalten rechtskonservativen Denkens auseinandersetze. Denn dieses Denken, das sich nun an der AfD festmacht, aber in (zu) vielen Köpfen aus dem Bildungsbürgertum verankert ist, ist nicht einfach eine Möglichkeit im demokratischen Spektrum. Dieses Denken basiert darauf, dass es die Demokratie, die Pluralität, die Vielfalt grundsätzlich infrage stellt. Das ist keine böswillige oder übertriebene Unterstellung. Es zeichnet sich deutlich überall dort ab, wo inzwischen rechtsextreme oder -populistische Parteien in den Regierungen sitzen: Polen, Ungarn, Italien, Österreich, USA. Dort werden die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Presse- und Meinungsfreiheit systematisch eingeschränkt. Wenn nun ein prominenter Maler wie Neo Rauch, der Millionen auf dem Kunstmarkt verdient, sich in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten fühlt und das in einem System, in dem er sich künstlerisch frei entfalten, international unterwegs sein und gut Geld verdienen kann, so ist das mehr als lächerlich. Vielmehr erkenne ich darin den Versuch, die jetzigen politischen Rahmenbedingungen, insbesondere die Grundwerte unserer Verfassung dahingehend zu verschieben, dass er vor allem „Fremden“ bewahrt wird. Gott aber bewahre uns davor, dass diese Totengräber der Demokratie einmal das Sagen haben! Beste Grüße Ihr Christian Wolff
Lieber Herr Wolff, Ihr Kommentar zu meiner Zuschrift zeigt doch gerade, dass Sie sich nicht mit den Inhalten „rechtskonservativen Denkens“ befassen und darin das (in Ihren Augen) viele Falsche aber auch wenige Richtige benennen, sondern in Bausch und Bogen behaupten, durch dieses Denken werde „die Demokratie, die Pluralität, die Vielfalt grundsätzlich infrage gestellt“. Wenn Sie dann noch als Beweis für diese Behauptung ohne weitere Begründung pauschal anführen, gleich in 5 Ländern, darunter 4 EU-Mitgliedern und die USA, würde „die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Presse- und Meinungsfreiheit systematisch eingeschränkt“, dann zeigt das doch gerade, dass Sie „rechtskonservatives Denken“ völlig unabhängig von einzelnen Vorschlägen oder Argumenten ähnlich radikal ablehnen, wie dies sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR geschah. Mit Ihrer Behauptung, es sei „nicht einfach eine Möglichkeit im demokratischen Spektrum“ schließen Sie eine argumentative Auseinandersetzung mit rechtskonservativem Denken per se aus, und plötzlich erscheint die Bemerkung von Neo Rauch, Uwe Tellkamp sei eher ein Wiedergänger Stauffenbergs plausibel. Der Name Stauffenberg steht ja nicht nur für seine Person, sondern für das ganze Spektrum des „anderen Deutschlands“ von der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung über die bekennende evangelische und die widerständige katholische Kirche bis zu rechten Offizieren und Corpsstudenten wie Fritzi v. der Schulenburg und Adam v. Trott zu Solz. Wie Sie richtig schreiben, wollten sie freie Meinungsäußerung, kulturelle Vielfalt, freiheitliche und soziale Demokratie für Deutschland wieder gewinnen, ebenso wie die Menschen am Ende der DDR-Diktatur. Von Ausschluss „rechtskonservativen Denkens“ war da keine Rede, und daher wird die Sorge vieler Menschen vor einer solchen Argumentation, besonders in Ostdeutschland, verständlich, und man versteht plötzlich auch die „Argumentationsfiguren“ von Herrn Schwarzenberg.
Beste Grüße Ihr Hans v. Heydebreck .
Für mich ist das eher ein weiterer Beweis dafür das die sogen. Entnazifizierung in der DDR keine „Tiefenwirkung“ gehabt hat. Nur so kann ich mir diese „Haltung“ erklären.
Da war der Gemeinschaftskunde-Unterricht in den „Alten Ländern“ wesentlich wirkungsvoller.
Lieber Herr Wolff
bei aller Sympathie für Neo Rauch. Sie sprechen mir aus der Seele und ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte.
Dr. Verena Tintelnot
„auch wenn ich einem Neo Rauch nur bedingt politischen Sachverstand unterstellen möchte“
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Neo Rauch ist ein weltbekannter Mann und doch wenistens so intelligent, dass er wissen sollte , welche Verantwortung er für seine öffentlichen Äußerungen trägt.
Doch wenn er in dem Handelsblatt-Interview dem Feminismus eine „Talibanisierung unserer Lebenswirklichkeit“ attestiert, fragt man sich wirklich, ob Herr Rauch nur über eine Inselbegabung verfügt.