Unter der Überschrift „EKD-Statistik: Demografischer Wandel macht Kirche weiter zu schaffen. Finanzielle Auswirkungen vorerst durch konjunkturelle Lage aufgefangen“ veröffentlichte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 20. Juli 2018 die Zahlen zur Mitgliedschaftsentwicklung 2017 (https://www.ekd.de/ekd-statistik-2018-36432.htm). Danach verlor die Evangelische Kirche 390.000 Mitglieder (oder 1,8 %). Am 31.12.2017 gehörten noch 21.535.858 Menschen der Evangelischen Kirche an. 2017 gab es rund 180.000 Taufen und 25.000 Aufnahmen. In der Pressemitteilung der EKD heißt es: „Damit sind auch im Jahr 2017 erneut mehr Menschen in die evangelische Kirche eingetreten als im gleichen Zeitraum Mitglieder ihre Zugehörigkeit aufgegeben haben.“ So kann man sich die durchaus dramatische Entwicklung schön reden, indem man Äpfel mit Birnen vergleicht. Doch den 2017 rund 200.000 Austritten aus der Evangelischen Kirche muss man die 25.000 Eintritte gegenüberstellen, und den 350.000 verstorbenen Mitgliedern die 180.00 Taufen. Dann erst wird das Minus-Saldo überdeutlich: auf neun Austritte kommt ein Eintritt. Das Bild wird noch düsterer, wenn man der Anzahl der verstorbenen Kirchenmitglieder die Zahl der Kirchenmitglieder gegenüberstellt, die kirchlich bestattet wurden: 350.000 zu 260.000, d.h. über 25 % der Verstorbenen werden nicht mehr unter Gottes Segen bestattet – ein Fakt, über den kaum gesprochen wird, der aber drastisch offenlegt, wie sehr wir als Kirche den Kontakt zu unseren Mitgliedern verloren haben. Für die EKD aber scheint dies alles nichts mit ihr selbst zu tun haben: „Demografischer Wandel macht Kirche weiter zu schaffen.“, heißt es verräterisch in der Überschrift. Es ist aber nicht der demografische Wandel, der die Kirche auszehrt. Es ist die zunehmende Abkehr vieler junger Menschen von der Kirche und der dramatische Verlust an Menschennähe, die uns zutiefst beunruhigen müssen. Unsere Kirche ist nicht Opfer einer nicht beeinflussbaren Entwicklung, sozusagen einer bevölkerungspolitischen Naturkatastrophe. Unsere Kirche leidet vor allem unter ihren eigenen Defiziten. Da hilft es auch nicht, wenn die EKD wie eine Beruhigungspille die Botschaft ausstreut, dass der Abwärtstrend „durch die konjunkturelle Lage aufgefangen“ wird. Da können die Kirchenfunktionäre weiterschlafen …
Was für eine Verleugnung der Wirklichkeit! Dabei läuft uns die Kundschaft scharenweise davon oder wie Matthias Drobinski in der „Süddeutschen Zeitung“ vor einem Jahr sarkastisch feststellte: „Die Basis der Kirche bröckelt leise“ – und zwar nicht nur durch Austritte. Die Kirche hat in den vergangenen Jahrzehnten ganz viel selbst dazu beigetragen, dass Bindungskräfte des Glaubens und Menschennähe verloren gegangen sind. Das ist vor allem im Jahr des Reformationsjubiläums überdeutlich geworden. Dieses hat nicht dazu geführt, dass negative Trends zum Stillstand gekommen sind und ein kirchlicher Aufbruch in Gang gesetzt werden konnte. Die Zahlen für das Jahr 2017 belegen: Nachhaltig wirkende Impulse für das kirchliche Leben sind ausgeblieben. Das ist mehr als ernüchternd. Es ist auch bezeichnend, dass die offizielle Kommunikation der statistischen Zahlen durch die EKD in diesem Jahr genauso beschönigend vorgenommen worden ist wie 2016. Man fragt sich: Gibt es niemanden in der EKD oder auf der Ebene der Landeskirchen, der oder die in der Lage ist, aus dem dürren Zahlenwerk inhaltlich-strategische Konsequenzen für die kirchliche Arbeit zu entwickeln und diese in den Diskurs einzugeben? Ist niemand da, der beides vermag: die Zahlen selbstkritisch zu interpretieren und gleichzeitig Aufgabenstellungen zu formulieren? Glauben wir im Ernst, dass Menschen langfristig der Kirche verbunden bleiben, wenn der personale Bezug nicht mehr gegeben ist? Ist es aber nicht gerade dieser, der in einer digitalisierten Gesellschaft immer wichtiger wird, damit Menschlichkeit und Menschenwürde sich nicht im virtuellen Raum verlieren oder leichtfertig verspielt werden? Warum werden mit der Veröffentlichung des statistischen Zahlenwerks nicht sofort auch die Impulse gesetzt, auf die unsere Kirche angewiesen ist:
- Qualifizierung der Ausbildung für kirchliche Berufe, verbunden mit einer Werbungsoffensive – insbesondere auch für den Beruf der Pfarrer/in und des/der Gemeindediakon/in; hier sind die Theologischen Fakultäten gefordert.
- Abkehr von bloß strukturellen Reformen und von Zentralisierungen, die nur zur Entfremdung, Frust und Verdruss bei allen Beteiligten führen und den Prozess der Auszehrung beschleunigen.
- Gewährleistung der unmittelbaren Erreichbarkeit von Kirche vor Ort – also: Wie lässt sich unter den jetzigen Bedingungen eine größtmögliche Menschennähe erreichen?
- Wenn in Kitas, die sich in kirchlich-diakonischer Trägerschaft befinden, laut Statistik über 500.000 Kinder einen Platz finden, dann müssen wir doch dafür sorgen, dass in und über diese Kitas ganz viel GlaubensBildung betrieben wird – gerade weil wir uns in einer multireligiösen und säkularen Gesellschaft bewegen. Oder verstehen wir uns nur noch als ein Anbieter auf dem sozialen Markt unter vielen anderen? Das Gleiche gilt für Schulen und andere Bildungseinrichtungen der Kirche sowie für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
- Die Wahrnehmung des prophetischen Wächteramtes in der säkularen Gesellschaft.
Aus meiner Sicht muss Kirche zweierlei tun:
- Zum einen hat sie ihr Innenleben neu auszurichten an den Glaubensgrundlagen und dabei im Visier zu behalten: Wir sind gesandt zu den Menschen „zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Die Bibel: Lukas 4,18.19).
- Zum andern ist es unerlässlich, dass Kirche sich in dieser Gesellschaft klar positioniert als die Institution, die für die Grundwerte des Evangeliums eintritt: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Ehrfurcht vor dem Leben, Option für die Schwachen.
Das Eine ist ohne das Andere nicht zu haben! Und nichts davon darf zur Disposition gestellt oder der politischen Opportunität geopfert werden. Kirche muss sich nicht zur Wahl stellen, sie hat auch keine Regierungsverantwortung zu übernehmen, aber sie hat eine wache gesellschaftspolitische Geistesgegenwart an den Tag zu legen und dabei glaub-würdig zu bleiben. Ihre Aufgabe ist, in Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge den großen Schatz der biblischen Grundwerte immer wieder zu heben – gerade dann, wenn andere diesen als störend vergraben wollen oder vergessen zu haben scheinen, wo er zu finden ist. Ein solcher, zweifacher Aufbruch ist jetzt geboten.
P.S. Zur inhaltlichen Vertiefung siehe auch Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff, Reformation in der Krise - wider die Selbsttäuschung. Ein Memorandum zum Reformationsfest 2017 und Reformation in der Krise - ein kritischer Blick in die Zukunft der Kirche und Umbruch und Aufbruch - Kirche in der säkularen Gesellschaft
14 Antworten
Sehen wir es doch ganz praktisch. Da gibt es eine Kantorin. Sie studierte 4 Jahre Kirchenmusik, B-Abschluss. Dann hatte sie eine 50 % C Stelle ergattert. Dann gab sie sich, um nach Leipzig wechseln zu können mit einer 35 % C Stelle zufrieden. Dann wurde die auf 20 % gekürzt. Dann fand sich im Umland eine Stelle, die von 70% B gerade auf 50 % C gekürzt war. Sie lebte allein, da reichte es gerade, in der Wohnung gab es Plasteregale aus dem Baumarkt. Aber eben auch ein Klavier und eine Üborgel. Sie war gerade 40 geworden, dann begegnete sie noch einem Mann, von dem sie sich ein Kind wünschte, allerdings war der auch mausearm. Das kam erstaunlicherweise auch. Da sagte der Pfarrer: da müssen Sie eben zum Amt gehen. Als es um einen Kindergartenplatz im nächstgelegenen evangelischen Kindergarten ging, wurde sie trotz Anmeldung des Bedarfes gleich nach der Geburt (schließlich hatte sie dort mal in ihrer Leipziger Zeit musikalische Früherziehung im Dienst gemacht) bis 4 Monate vor ihrem Dienstwiederbeginn hingehalten. Kontakte über Kollegen halfen, bei den katholischen Brüdern und Schwestern was zu kriegen. Nun also 300 Euro Aufstocker und Kirchenvorstände, die der Meinung sind, es wäre doch o.k. wenn sie die Tage Montag und Donnerstag fest frei hat und ansonsten 1000 km im Monat Arbeitswege zurücklegt. Von der Aufstockersumme und dem staatlichen Kindergeld. Wovon sonst.
Und dann höre ich, dass die EKD 6 Millionen für den Wiederaufbau des Turms der Potsdamer Garnisonskirche gegeben hat. Ist schon bisschen irre.
zur elendigen „Eloge“ des A.S. /27.07.18) noch ein dringendes PS und zur weiteren Horizonterweiterung im „Streit“ um die Wahrheitsfindungen:
der Historiker Philipp Blom sprach zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2018 zum Thema: „Wer die Ängste kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen“., nachzuhören über die Audiothek des DLF.
Bei genauerem Hinhören wird dann rasch deutlich, wo die verbissenen Reaktionen geboren und hinaus geschriehen werden und wer die Ängste genüsslich und verantwortungslos bedient.
Mehr ist nicht zu sagen.
Und vielleicht mal als Angebot einer umfassenderen Informationsquelle an „unseren“ A.S.:
in den letzten Ausgaben des „Publik-Forums“ gibt es zu den Themen: Gesellschaft und Kirche bemerkenswerte Petitionen von kenntnisreichen und klugen Andersdenkenden, deren Inhalte durchaus empfehlenswert sind.
Allemal wird der ggf. verengte Horizont erweitert – wenn man dies überhaupt möchte.
Und was (über Sarrazin ist eigentlich alles gesagt; mehr ist nicht nötig!) z.B. die Personalie Söder, derzeit noch MP zu Bayern, angeht, gibt es ein Interview im aktuellen ZEIT-Magazin. Die aufschlussreichen Fastnachtsverkleidungen, denen sich der MP alljährlich mit Verve und ersichtlich lustvoll hingibt (Kostümierungen sind bekanntermaßen irgend wie auch stets heimlich gehegte Sehnsüchte…), ganz unabhängig von seinen Antworten an Uslars Fragenkatalog, sind höchst aufschlussreich. Bayern wird von einem Mann regiert, der die Verkleidungen liebt; Achtung!
Es ist wahrlich ein Kreuz mit seinen Antworten zu Kirche und Politik.
Schönes Wochenende – Jo.Flade
Nein, lieber Herr Wolff, es sind keine Knigge-Anmerkungen, es sind vielmehr Hinweise darauf, wie „demokratischer Diskurs“ aussehen müsste und wie er leider bei Ihnen und Ihren Claqueuren häufig nicht aussieht. Und Sie haben Recht: Kritik ist keine Diffamierung sondern sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit anderen Meinungen – aber eben das vermißt man ja bei Ihnen so häufig. Beispiele? Sie behaupten, Sarrazins Schlüsse und Vermutungen stimmen nicht und er suche sich die Fakten so zusammen, wie er es für seine Meinung brauche. Einmal abgesehen davon, daß wohl ein jeder ein bißchen dieser Versuchung unterliegt – Sie beweisen es uns doch täglich – fehlt anschließend aber jeder sachliche und inhaltliche Hinweis Ihrerseits zur Untermauerung Ihrer Behauptung. Wo hat denn Sarrazin Fakten einseitg zusammengesucht, wenn er Bevölkerungsentwicklungen beschreibt; wo ist er im Unrecht, wenn er Folgen analysiert, etc? Und woran kann man konkret ablesen, daß er Null Vertrauen in europäische Kraft und Kultur hat, nur weil er diese anders interpretiert als Sie?
Und was die Kirche angeht: Woher wissen Sie so genau, was ich über sie weiß? Ich weiß, daß viele Leute die evangelische Kirche verlassen, weil sie die einseitige ideologische Ausrichtung ihrer Amtsträger abschreckt und weil sie diese für eine Überschreitung der gebotenen Grenzen halten. Ich schrieb es Ihnen ja schon öfter: Die Kirche hat nicht nur das Recht sondern auch die Aufgabe, sich in politische Fragen mit eigener Meinung einzumischen. Aber sie muß das nicht mit Hetze oder mit einseitigen „Aphorismen“ wie neulich B.-Strohm machen, sondern sie sollte es etwas abstrakter und grundsätzlicher tun, um nicht tagespolitisch einseitig Partei zu ergreifen. Das alles hat mit Meinungsäußerung und dem Stil derselben zu tun – und nicht mit dem ohne Zweifel vorbildlichen Einsatz vor Ort. Auch das schrieb ich Ihnen schon und unwidersprochen: Die Hilfe vor Ort ist etwas wichtiges und notwendiges – aber die politische und gesellschaftliche Lösung eines Problems, nachhaltig und langfristig, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Und Letzteres ist das Schwierigere.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Zu Sarrazin: Lesen Sie den Artikel „Afrikas Kinder und die Zukunft Europas“ in der FAZ vom 9. Juli 2018. Sarrazin beginnt mit empirischen Erhebungen unterschiedlicher Art, um damit eine These zu unterfüttern, die er schon vorher aufgestellt hat: nämlich dass Einwanderung aus dem Nahen Osten und aus Afrika grundsätzlich ein Übel ist. Auffallend ist, dass Sarrazin überhaupt nicht ins Kalkül zieht, dass auch die Kultur und das gesellschaftliche Leben in den Einwanderungsländern, also in Europa, eine prägende Kraft auf die Einwanderer ausüben kann. Nur so ist ja zu erklären, dass er nur in Abschottung ein Heilmittel sieht. Im Grunde genommen entlarvt sich damit Sarrazin als – bitte sehen Sie mir die flapsige Bemerkung nach – kultureller Waschlappen. Letztlich vertraut Sarrazin nur auf militante Abwehrmaßnahmen – genau wie die FPÖ. Aber was soll dann aus Europa werden? Wie soll sich unsere Gesellschaft entwickeln? Da hat ein Sarrazin genauso wenig Ideen wie alle Rechtspopulisten von Söder über Stache, Orban, Salvini bis zu Gauland und Höcke. Letztlich ist der Artikel von Sarrazin eine Bankrotterklärung eines ausgelaugten Politikers auf dem Abstellgleis – kraft- und saftlos, damit jammervoll im Unterton.
Zur Kirche: Bedford-Strohm „Hetze“ zu unterstellen ist schon verwegen. Ebenso ist er alles andere als „parteipolitisch“. Vielmehr hat er wie der Bundesverfassungsgerichtspräsident Voßkuhle davor gewarnt, in der politischen Debatte Grenzen des in der freiheitlichen Demokratie zu Verantwortenden zu überschreiten. Was ihre Differenz im letzten Satz angeht: genau diese bestreite ich. Letztlich ist das, was Sie postulieren eine säkulare Form der sog. Zwei-Reiche-Lehre. Was vor Ort geschieht und was politisch durch Regierung und Parlament beschlossen und durchgeführt wird, bedingt sich.
Christian Wolff
Die allerjüngste „Eloge“ unseres unaufhaltsam reagierenden, unrelevanten Schwerdtfegers (so klassifiziere er sich selbst – Hochachtung) nahm auch ich ambivalent auf; einerseits amüsiert (z.B. „der kleine Tramp“; da gibt es ein wunderschönes Märchen vom kleinen und großen Klaus – wer der ganz am Ende lachende Siegreiche war, ist bekannt), andererseits mit Entsetzen, was die scheinbar realen, jedoch nur die von A.S. permanent wiederholten Unsinnigkeiten betreffen. Tut mir leid, aber ich halte diese zwanghaften Erläuterungen nicht nur für entsetzlich und peinlich – sie sind gefährlich, nicht allein in der ansatzweisen Denkart, sondern was die gelegentlichen, aber dann inkonsequenten Schlussfolgerungen anbelangen. Es graust geradezu derartigen realiter abgewandten Unsinn immer wieder neu zur Kenntnis nehmen zu müssen.
Und wenn A.S. schon Neo Rauch anführt nur soviel noch:
das Alle-Jahre-Wieder-Bayreuth—Sommertheater, umschwärmt von den kulturbesessenen „Eliten“ durfte bei der Lohengrin-Premiere das von Neo Rauch §faszinierende“ zelebrierte „Wagner-Blau“ bewundern und feiern. Wunderbar, diese Verneigung vor Herrn Wagner in memoriam (seine Musik ist grandios, keine Frage; aber dies ist eben nicht alles – wir alle wissen es längst).
Ergo:
R. + W. Wagner / große Empfänge zu gewissen Zeiten / Sarrazin / Tellkamp / Kubitschek / Rauch / Bayreuther Blau / Asylantenzentren – Flüchtlinge / Humanitäre Ansprüche / Abschiebungen / Seehofers Geburtstags-Expression etc.pp..
Und eines muss ich zu Chr. Wolffs Reaktion auf die A.S.Peinlichkeiten noch bestärken:
was wäre die Amtskirche ohne die Gemeinde-Basis ? Bevor A.S. schreibt und loslegt, sollte er genau bedenken, was er schreibt. Ich kann nur erneut darum bitten.
PS / nach seinem jüngsten Skript desavouiert er sein einstiges Friedensangebot zur unendlichen Unwahrhaftigkeit. Es war also doch nur eigenverliebte Theorie und nichts Gehaltvolles und damit Unehrlich!
Jetzt bin ich wahrlich sehr gespannt, was unser A.S. daraus machen wird.
Man liest mit Verwunderung die verbissenen Reaktionen unserer beiden Ideologen – dem kleinen Trump aus dem Elbetal und dem politisierenden Mann im Talar – in diesem und im vorherigen Beitrag (Neo Rauch). Sie verstecken sich hinter „ihrer Meinung“, die man doch wohl sagen dürfe, um gleichzeitig alle anderen Meinungen so zu schmähen, als dürfe man sie eben nicht sagen. Dabei versteckt sich der eine hinter der Moral und seiner Sicht des ewigen und einzigen Guten, der andere – weniger gut ausgestattet (das zeigt sich schon an seinem fehlerhaften Deutsch) und eben „ohne Takt und Verstand“ – verlegt sich auf allzu durchsichtige Oberlehrerhaftigkeit, indem er an anderen selbstherrlich kritisiert, was auschließlich Inhalt seiner eigenen unbedeutenden Einlassungen ist, wie Herr Schwarzenberg so richtig feststellt.
Ganz wesentlich hierin, lieber Herr Wolff, liegt wohl das von Ihnen beklagte Phänomen der Abwendung der Menschen von den Kirchen und insbesondere von der Ihrigen. Man muß dabei betonen, daß diese Abwendung nicht in allen Fällen, wahrscheinlich sogar in der kleineren Zahl, eine Abwendung vom Glauben ist sondern eben ein Austritt aus dem Klub, dem man weder erzwungene Subventionen zahlen noch sich als Anhänger von derart einseitigen und rechthaberischen, sich dabei gleichzeitig der inhaltlichen Diskussion entziehenden Positionen festlegen lassen will.
Ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegen die Rechtslastigkeit eines Künstlers (wobei was „Rechtslastigkeit“ ist, selbstverständlich unumstritten festgelegt ist). Eine andere Meinung zur Flüchtlingsproblematik und deren hochkomplizierte Lösungsansätze führt zur Diffamierung, wenn sie eben nicht auf der eigenen „Linie“ ist – was dann praktischerweise die sachlich-inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Meinung überflüssig macht.. Wenn einer mit Fakten argumentiert, wie es gerade Thilo Sarrazin in mehreren Zeitungen getan hat, so wird er als Rassist verleumdet, weil man gegen seine Argumente und Zahlen machtlos ist. Die ständige Verweigerung des Argumentierens mit Fakten und seine Ersetzung durch die Aufteilung der Welt in Gute (wir) und Böse (alle anderen) wird zum „demokratischen Diskurs“ erhoben und als „Demokratie“ verkauft, obwohl es genau diese faktisch zerstört. Das ganze erinnert eben an Trump, der auch seine eigene Welt erfindet, und alle, die nicht darin leben (wollen), diffamiert und als „fake“ ansieht. Ich bin gespannt vor allem auf die Reaktion des kleinen Elbtal-Trumps, der mir neuerliche Belehrung anbieten wird, weil Substantielles nicht vorhanden ist.
Sarrazin bringt die Fakten und Zahlen. Die vernünftigen Politiker aller Couleur – Grüne bis CSU – bringen wenigstens teilweise Lösungsansätze, wobei traurig ist, daß sie diese wegen des permanenten Wahlkampfes in unserem Lande häufig durch übertriebene Rhetorik und allzu bunte Vergleiche sowie auch verbale Profilierungssucht (wie die Zentren nun heissen, ist doch recht gleichgültig) zuschütten. Die Kirche – und insbesondere die evangelische – trägt außer Rechtsbruch (Kirchenasyl), Prinzipienlosigkleit (rasche Konversion einiger Muslime) und dem Rückzug auf den hohen moralischen Hügel (Käßmann, B-Strohm, Wolff) durch unrealistische Appelle und Verdammung all derjenigen, die sich in der politischen und gesellschaftlichen Realität unserer Umwelt um praktikable Regelungen bemühen, nichts bei. Es ist doch klar, daß sie also nur politische Zustimmung findet bei Leuten, die – Elbetal – kritiklose, aber eifernd belehrende Nachplapperer sind. Es gibt in diesem Lande zu viele Menschen , lieber Herr Wolff, die sowohl mit ihren politischen Thesen als auch vor allem mit der Art und Weise, in der Sie sie herüberbringen, nicht übereinstimmen – und sie treten eben aus dem Verein aus, in dem Leute wie Sie politisch spalterisch und unwürdig-aggressiv oder wie der EKD-Vorsitzende milde und feige (weil er sich um Lösungen drückt und solche wohlfeilen „witticisms“ wie neulich anbietet) dominiert werden sollen. Ihr Lösungsansatz zu den Kirchenaustritten – „auf die Menschen mehr zugehen“ – ist sicherlich richtig, aber „zugehen“ heisst weder „beleidigen“, noch „ausweichen“, noch religiös und politisch mit gespaltener Zunge reden, noch belehren anstatt zuzuhören.
Herzliche Grüße nach Leipzig,
Andreas Schwerdtfeger
1. langeweilen die Knigge-Anmerkungen auf die Dauer. 2. Irgendwann wird auch Herr Schwerdtfeger begreifen, dass Kritik keine Diffamierung ist. 3. Es ist richtig: Sarrazin benennt Fakten und Zahlen, die für sich genommen stimmen mögen. Seine Schlüsse daraus allerdings stimmen nicht bzw. sind höchst problematisch, was vermuten lässt, dass diese schon lange festliegen und dann sucht er sich die Zahlen und Fakten. Was aber überdeutlich ist bei Sarrazin: Er besitzt null Vertrauen in die Kraft der europäischen Kultur und Lebensweise. 4. Es ist zutiefst beeindruckend, wenn jemand, der offensichtlich nichts weiß über das tägliche Engagement von Kirchgemeinden und Christen für Geflüchtete, darüber urteilt – ziemlich peinlich! Christian Wolff
Ja, ja, lieber Herr Wolff, natürlich! Deshalb muss man zu ihnen hingehen, sie zunächst ganz ernst nehmen in ihrer Nicht-Mitgliedschaft (ohne dass sie auch nur von Ferne den Eindruck haben, ich will sie missionieren, damit sie zurück „heim ins Reich“ kommen, auch wenn sie da –wie bei vielen EX-DDR-Mensvhen da noch nie gewesen sind), also zunächst voll ernst nehmen, sie wert schätzen, mit ihnen reden,. ihre möglicherweise religiösen Fragen aufgreifen, erste verhaltene Antworten geben, mit der eignenen Person glaubwürdig (also wahrhhaftig) „Kirche“ bzw, chrl. Glauben repräsentieren, sie zu kulturellen Veranstaltungen (Musik, Theater, Vorträge) in der Kirche einladen und dann mal weiter sehen. Ich hab jedenfalls in meinen 12 Hamburger Jahren von Nichtmitgliedern (auch gerade aus der ehemaligen DDR) viel für meinen chrl. Glauben gelernt.. Wichtig ist, dass wir nicht wie das Kanimnchen vor der Schlange allein auf die Austrittszahlen und die die „noch in der Kirche sind“ fixiert bleiben, sondern glaubwürdig , gelassen und unverdrossen für das „ganze Volk“ (also wirklich für alle, selbst für Evangelikale und AFD-Menschen zur Rechten und für linke Spinner) da sind.
Alles Gute Ihnen. Ihr Axel Denecke
Vollste Zustimmung, lieber Herr Denecke. In meiner aktiven Zeit an der Thomaskirche war das die tägliche Herausforderung in einer Gesellschaft, in der wir als Kirche absolute Minderheit sind. Meine wöchentliche Fortbildungsveranstaltung war der Taufunterricht für Erwachsene. Da kam es genau auf das an, was Sie beschreiben – aber natürlich auch darauf, dass wir dann nicht sprachlos werden, wenn Menschen wissen wollen, was sie davon haben, als Christ zu leben. Dass das Handeln der Kirche in der Gesellschaft selbstlos sein muss, das ist für mich auch unstrittig. Beste Grüße Ihr Christian Wolff
Lieber Herr Pfarrer i.R. Wolff,
Ihre skizzierten Impulse teile ich in vollem Umfang, gerade im Rahmen der Säkularisierung gibt es aus meiner Sicht aber einen ganz prägnanten Aspekt, der allen anderen vorangestellt werden sollte: Der Transzendenz im weitesten Sinne.
Sicher ist dieser Begriff hier und dort dem Denken, Planen und Handeln der verantwortlichen Mandatsträger, Ehrenamtlichen und Angestellten der Gesamtorganisation bekannt und findet bisweilen auch eine „Anwendung“. Das Manko aber scheint mir der Irrglaube, dass dieses vermeintlich selbstverständliche Fundament von Religion im Allgemeinen und dem Christentum im Speziellen keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfte.
Ich jedoch halte den personalen und kollektiven Verweis auf das dem Menschen nicht Zugängliche, sich seinem Gestaltungswillen entziehende und über seine Verantwortlichkeit weit Hinausreichende mit Abstand als die fundamentalste Botschaft. Sie zeitigt Demut, erinnert also an die Notwendigkeit zum Augenmaß, dämmt ausgrenzenden Stolz ein und relativiert ausufernde Machbarkeitsphantasien, ist mithin die Hauptzutat für die Gewährleistung von dem, was hinter dem Buzzword „Nachhaltigkeit“ (engl. sustainability, in deutsch wohl besser: Durchhaltefähigkeit oder Enkeltauglichkeit) steckt.
Mit der Reformation, also der über die innerkirchliche Kritik an Struktur, Prozessen und „Playern“ hinausgegangenen Spaltung der Kirche zementierte diese nicht nur ihre eigene Marginalisierung und durch die einsetzende Säkularisierung ohne Not die Begrenzung ihres Wirkungshorizontes, sondern verspielte nolens volens ihre Kompetenz in der Auskunftsfähigkeit zum Transzendenz.
Die meisten Funktionsträger bzw. funktionstragenden Organisationselemente der modernen christlichen Kirche sind, reduktionistisch gesehen, ersetzbar durch säkulare Pendents: Der Pfarrer/die Pfarrerin ist eine Melange aus Ortsvorsteher(in), Lebenshelfer (Coach, Psychologe, Krisenbegleitperson), Eventmanager, Moderator, Meditator, Bestattungshilfsperson, Motivationstrainer, Lehrer etc. pp. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden und macht doch deutlich, dass die meisten Aufgaben und Dienstleistungen von nicht-kirchlichen Berufen ebenso, wenn nicht sogar besser durchgeführt werden können. Ähnlich verhält es sich mit kollektiven Unternehmungen wie Schulen, Alten-/Pflegeheimen usw. usf.
Diese Substitution durch „zivile“ Elemente (die freilich gar nicht undogmatischer sind als die kirchlichen, weil sie den Mammon als Primat des Handelns feiern!) wird allenthalben begrüßt, maximal aber ignoriert.
Was aber ist uns ab dem Beginn der sog. Aufklärung sukzessive abhanden gekommen? Der gefällige, demütige Unernst unserer eigenen Spezies gegenüber, ihrer Wichtigkeit und Möglichkeiten. Alle Messzahlen zu Bevölkerungswachstum, Kriegen und ihren Opfern, wirtschaftlichem Wachstum und seinen finanziellen Eskalationen, Landnahme, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur mit ihren irreversiblen Folgen (Artensterben, Klimawandel, Umweltverschmutzung) sind letztendlich Folgen einer uneingedämmten Selbstüberschätzung des Menschen, weil er sich nicht nur mehr als „Krone der Schöpfung“ sondern Schöpfer selber betrachtet. Und diese Büchse der Pandora öffnete sich erst, als ein mögliches „Darüber“ als inexistent kommuniziert und somit obsolet betrachtet wurde.
Ebenso wie das sog. Böckenförde-Diktum, eine weise Feststellung des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde Ernst-Wolfgang Böckenförde, die konstatiert, dass unserer (und eigentlich: jeder) Gesellschaft eine transzendente Voraussetzung voransteht („Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“), verhält es sich doch, dekliniert man dieses Theorem einige Ebenen höher, mit dem Menschsein an sich auch.
Nur leider, leider gibt es kaum noch jemanden, der den aneckenden Mut, die unmittelbare Erfahrung und das profunde Wissen besitzt und die Möglichkeit auch wahrnimmt, solches glaubhaft weiterzugeben.
Infolgedessen werden, peu-à-peu, weitere sekundäre Kompetenzbereiche des Christentums abschmelzen, freilich werden in Scharmüzeln um diese Sekundäraufgaben der Kirche weitere Pyrrussiege errungen werden, aber dabei wird die o. g. Kernkompetenz, die Vermittlung des Transzendenten, aufs Sträflichste verlachlässigt. Und also wird auch diese Aufgabe erfolgreich von anderen übernommen, die dies überhaupt tun, dazu glaubhafter, undogmatischer, direkter, frischer und nachhaltiger, derweil sich in der EKD irgendein Team um die Erstellung valider Zahlenwerke verdient macht. Schade!
Lieber Herr Besic, vielen Dank für diese ebenfalls wichtige Ergänzung. Ich sehe sie nicht als Alternative. Was Sie einklagen, war das Grundanliegen des großen Theologen Karl Barth. Er hat in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts einen wichtigen Aufsatz geschrieben über das 1. Gebot (Ich bin der Herr, sein Gott, … du sollst keine anderen Götter haben neben mir) geschrieben und immer wieder davor gewarnt, dass der Mensch sich selbst zum Gott erhebt, die Urform dessen, was wir Sünde nennen. Nur: diese Sicht der Dinge fällt nicht vom Himmel, sondern muss eingeübt, gelernt, gelebt werden. Die Bibel zeigt wesentliche Aspekte dieses Lernprozesses auf. Aufgabe der Kirche ist es, diesen Lernprozess immer neu zu initiieren. Das ist kein Selbstläufer. Aber da sind wir uns wohl einig – wenn ich den letzten Absatz richtig verstehe. Beste Grüße Ihr Christian Wolff
So recht Sie mit Ihrer Analyse haben (besonders, dass die EKD alles für sich schön redet und den Trend des Kirchenaustritts klag- und ideenlos hinnimmt), so sehr sind auch leider Sie auf die bloße formale Mitgliedschaft „in“ der Kirche fixiert. Wer sagt denn, dass wahre Chreistlichkeit sich in formaler Kirchenzugehörigkeit zeigt? Eine Problemlösung müsste dahin gehen, diejenigen die nicht/nicht mehr/noch nie offiziell Kirchenmitgleider waren, in ihrem Status der Nicht-Mitgliedschaft zu erreichen und zu würdigen. Man muss ja nicht unbedingt in der Kirche sein, um als „Christ“ in der Nachfolge Jesu zu leben. Denn es gibt auch eine „ecclesia extra muros ekklesiae“ (Kirche außerhalb der Mauern der Kirche). Es geht also nicht nur um Mitgliederpflege, sondern auch um Pflege der Nicht-Mitglieder, denn Jesus ist nicht gekommen, um eine „Kirche“ (welche auch immer) zu gründen, sondern er ist zu jedem Menschen, dem ganzen Volk (das ist der tiefste Sinn des alten Wortes „Volkskirche“) gekommen.
Lieber Herr Denecke, vielen Dank für diese wichtige Ergänzung, der ich aus vollem Herzen zustimme. Aber auch für Menschen, die formal nicht der Kirche angehören, sich aber als Christen verstehen, muss die Kirche eine Anziehungskraft ausüben. Herzliche Grüße Ihr Christian Wolff