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Schulbildung in Sachsen: Was jetzt nottut

Der 20. März 1212 ist der Gründungstag der THOMANA, der Trias von Thomaskirche, Thomanerchor, Thomasschule. Vor sechs Jahren feierten wir an diesem Tag das 800-jährige Jubiläum von Thomaskirche, Thomanerchor, Thomasschule unter dem Motto „800 Jahre THOMANA – glauben, singen, lernen“. Am gleichen Tag wurde der musikalische Bildungscampus forum thomanum eingeweiht – ein Bildungsprojekt, das u.a. dazu dient, Kinder und Jugendliche an der reichen Glaubens-, Musik- und Bildungstradition der THOMANA teilhaben zu lassen. Schon bei der Gründung des Vereins forum thomanum Leipzig e.V. im Jahr 2002 war den Initiatoren klar: Wir müssen mehr für die kulturelle, religiöse, musisch-künstlerische und politische, demokratische Bildung tun. Das aber kann nur gelingen, wenn wir auf der einen Seite den Bildungskanon insbesondere in den Gymnasien entrümpeln und auf der anderen Seite den Fächern wie Kunst, Musik, aber auch der politischen Bildung ein viel größeres Gewicht beimessen und die Bedeutung der Persönlichkeitsbildung in den Fokus rücken.

Nun ist der Freistaat Sachsen seit Jahren ganz stolz darauf, dass Kinder und Jugendliche, die hier zur Schule gehen, bei den PISA-Studien sehr gut abschneiden. Die Kehrseite des einseitig leistungsorientierten, auf das Gymnasium ausgerichteten Bildungssystems ist: in Sachsen ist die Anzahl der Schulabbrecher/innen besonders hoch. Und: Die guten Ergebnisse bei PISA haben nicht dazu geführt, das die schulische Ausbildung finanziell und personell angemessen ausgestattet wurde. Stattdessen ist in den vergangenen Jahren der Schulbau und –erhalt vernachlässigt, der Lehrer/innenmangel zugunsten von Sparzielen bewusst erzeugt, die Gründung von Schulen in privater Trägerschaft seit 2010 faktisch unmöglich gemacht worden. Begleitende Maßnahmen wie Schulsozialarbeiter/innen wurden hochnäsig beiseitegeschoben. Die musische, künstlerische, politische Bildung wurde sträflich gering geachtet. Das alles ist ein Armutszeugnis für den Freistaat Sachsen und schlägt jetzt voll negativ durch.

Nach der Bundestagswahl im September 2017 wurde auch der selbstherrlich agierenden und seit 1990 regierenden CDU klar, dass sie sich nicht länger auf dem ach so großartigen Zustand der schulischen Bildung ausruhen kann. Denn der katastrophale Lehrer/innenmangel, eine seit Jahrzehnten darniederliegende politische Bildung, völlig unzureichendes begleitendes Personal (sog. Schulassistenzen) in Schulen, die in sozialen Brennpunkten angesiedelt und einen hohen Migrationsanteil aufweisen, schreien nach Reformen und vor allem nachhaltigen Investitionen. Doch was fällt der sächsischen CDU zunächst ein? Verbeamtung der Lehrer/innen, durch die eine ungleiche Besoldung von Lehrer/innen institutionalisiert wird, denn die Verbeamtung wird nur bis zum 42. Lebensjahr vollzogen, und das Ausdünnen des Musik-, Kunst- und Sportunterrichtes an den Schulen.

Doch jetzt sind andere Initiativen dringend erforderlich:

  • Der Lehrerberuf muss an Attraktivität gewinnen. Das geschieht nicht nur durch eine angemessene Besoldung. Vielmehr bedarf es heute in den Schulen ergänzender Mitarbeiter/innen, Schulsozialarbeiter/innen oder –assistent/innen. Denn Lehrer/innen allein können das gar nicht schaffen, was heute an Kompetenzvermittlung notwendig ist und in vielen Familien versäumt wird. Es ist keine utopische Forderung, sondern eher eine an der Realität bemessene Notwendigkeit, dass sehr bald an den Schulen genauso viel den Alltag begleitendes Personal tätig sein wird wie Lehrer/innen. Nur durch die Einrichtung von „multiprofessionellen Teams“ (siehe Artikel in DIE ZEIT Nr. 12 „Großes Kari, bitte!“ http://www.zeit.de/2018/12/bildung-schule-chancengleichheit-digitalisierung) kann der Lehrerberuf neue Attraktivität gewinnen, können Frust und Überforderung aufgefangen und die Schule ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden.
  • Der Bildungskanon muss entrümpelt werden. Das gilt insbesondere für die Gymnasien. Der Umfang des zur Stunde X beim Abitur abfragbaren Wissens ist viel zu umfangreich geworden. Inzwischen können in den 11. und 12. Klassen viel zu viele Schüler/innen nur noch mit sehr fragwürdigen „Hilfsmitteln“, nämlich Tabletten jeder Art, dem Erwartungsdruck standhalten. Auf der Strecke bleiben soziale und demokratische Grundkompetenzen, aber auch die Allgemeinbildung, vor allem aber die Fähigkeit, mit Wissen verantwortlich und kritisch umgehen zu können. Zu dieser Entrümpelung gehört auch, dass viel größerer Wert auf das Erlernen von Grundfertigkeiten gelegt wird, die für die Lebensgestaltung und Persönlichkeitsentwicklung unerlässlich sind: lesen, rechnen, schreiben können – aber auch seinen Alltag organisieren, Übersicht behalten, mit Geld umgehen können.
  • Die kulturelle, musikalische, religiöse, politische Bildung muss dringend aufgewertet werden. Denn nur darüber lässt sich der Mangel an Persönlichkeitsbildung, auch der offensichtliche Mangel an sozialen Kompetenzen und humanitären Überzeugungen beheben. Dass hier dem Singen eine besondere Bedeutung beizumessen ist, kann nicht oft genug betont werden und gilt unabhängig von der Schulform. Besonders wichtig ist aber, dass in der schulischen Bildung der Demokratie ein viel größeres Gewicht beigemessen wird. Antidemokratische, fremdenfeindliche, rechtsradikale Gruppierungen wie Pegida oder AfD fallen nicht vom Himmel. Sie sind auch das Ergebnis einer verfehlten Bildungspolitik.
  • Inklusion ist ein Jahrhundertprojekt und muss wachsen. Die fatale Entwicklung in Nordrhein-Westfalen hat deutlich gemacht: Inklusion kann nicht von Oben verordnet werden. Vor allem aber darf Inklusion nicht dazu führen, dass die skandalöse und faktische soziale Exklusion während der schulischen Ausbildung nicht nur bestehen bleibt, sondern sich vertieft.
  • Nur wenn im Lehrer/innenzimmer ein freiheitlicher, demokratischer Geist herrscht, wird ein solcher Ängste nehmender auch in die Klassenzimmer einziehen. Das heißt: Schulen benötigen eigenständige, im kritischen Diskurs entwickelte Zielvereinbarungen darüber, was in vier oder sechs oder acht Jahren eines Schülerlebens passieren soll. Dabei sollte nicht die Erfüllung von Schulgesetzparagrafen im Mittelpunkt stehen, sondern die Entwicklung selbstbewusster und dem Nächsten zugewandter Persönlichkeiten von Kindern und Jugendlichen.

Und wo bleibt die Digitalisierung? Sie wird in die Klassenzimmer einziehen und auch das Unterrichtsgeschehen mit bestimmen – aber nicht als Ersatz der geschilderten Initiativen und Zielvorgaben. „Geräte garantieren kein Verständnis und kein Wissen, so wenig wie die Anschaffung von Instrumenten den Musikunterricht ersetzt.“ (Urs Lautebach in  http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2018-02/digitalisierung-informatikunterricht-schulen-bildung)

Sachsen steht vor einer Richtungsänderung in der Bildungspolitik. Der Regierungspartner SPD hat erreicht, dass im neuen Handlungsprogramm der sächsischen Landesregierung „Nachhaltige Sicherung der Bildungsqualität im Freistaat Sachsen“ neue Wege eingeschlagen werden. Aber das ist erst ein zaghafter Anfang. 30 Jahre Fehlentwicklung lassen sich nicht von heute auf morgen beheben. Doch die Zeit drängt.

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