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Wider den Opfermythos – oder: Im Turm der Opferrolle

Am vergangenen Donnerstag, 8. März 2018, diskutierten die beiden Schriftsteller Durs Grünbein und Uwe Tellkamp im Dresdner Kulturpalast über Meinungsfreiheit. Inzwischen kann die Diskussion in voller Länge im Internet nachgehört werden: https://www.mdr.de/mediathek/radio/mdr-kultur/index.html oder: https://www.youtube.com/watch?v=DznoyfqrWT8&feature=youtu.be. Eines fällt auf: Uwe Tellkamp, Autor des Bestseller-Romans „Der Turm“, inszenierte sich ständig als „Opfer“ – und bekam dafür viel Beifall von denen, die sich offensichtlich ebenso als Menschen empfinden, denen man angeblich nicht zuhört, die man sofort in die rechte Ecke stellt, deren Meinung von den Medien nicht beachtet werden. Als Argument führte Tellkamp an, dass seine Meinung (hier eine Kostprobe: „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“) in vielen Medien kritisch kommentiert werde und dass er Nachteile in Kauf nehmen müsse. Tellkamp sprach von „Gesinnungsdiktatur“, die im Zuge der massenhaften Zuwanderung ebenso um sich greife wie die Einschränkung der Meinungsfreiheit und quasi Gleichschaltung der Medien. Als Kronzeugen führt Tellkamp Thilo Sarrazin an. Diesem Menschen sei großes Unrecht widerfahren. Kein Wort aber dazu, dass gerade Thilo Sarrazin von der Presse hofiert wurde: Der SPIEGEL veröffentlichte 2010 Teile seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ vorab. Das Buch selbst wurde in den Medien gefeiert und gegeißelt. Sarrazins Buch hatte eine Millionenauflage. Sarrazin zog durchs Land, vertrat seine Thesen in unzähligen Veranstaltungen – nicht zuletzt in Dresden und war Gast in vielen Talkshows. Natürlich musste er sich auch Kritik gefallen lassen: vom Bundespräsidenten angefangen über manche Medien bis hin zu lautstarken Protesten. Doch Sarrazin als „Opfer“? Nein, er ist es genauso wenig wie Tellkamp. Doch es ist typisch, dass diejenigen, die mit steilen nationalistisch-völkischen Thesen, eugenischen Selektionsgedanken, mit Falschinformationen oder mit Kampfbegriffen wie „Gesinnungsdiktatur“ aufwarten, ohne dies belegen zu können, sich in dem Moment als Opfer gerieren, wenn sie gestellt werden und argumentativen Gegenwind erfahren. Dann ist in ihren Augen plötzlich die Meinungsfreiheit bedroht.

Doch diesen Opfermythos gilt es zu entlarven. Denn weder ein Thilo Sarrazin noch ein Uwe Tellkamp werden in Deutschland daran gehindert, ihre Ideen oder politischen Überzeugungen zu publizieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Nur müssen sie damit rechnen, dass sie als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch nach ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gefragt und auch mit den Folgen ihrer Überzeugungen konfrontiert werden. Wenn jemand wie Tellkamp behauptet, 95 Prozent aller Geflüchteten hätten nur Interesse an den Sozialleistungen in Deutschland, dann dient diese Aussage nur dazu, Menschen, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen, zu fremdländischen Raffkes zu degradieren. Außerdem hetzt Tellkamp damit Menschen gegeneinander auf und bedient die niedersten Instinkte, die von Pegida Montag für Montag geweckt werden. Die Tellkamps werden sich gefallen lassen müssen, dass ihre Haltungen in dieser Weise analysiert und kritisiert werden. Daraus aber abzuleiten, dass die Meinungsfreiheit bedroht sei, ist nicht nur verwegen, sondern offensichtlich Teil dieser Masche. Denn damit entzieht man sich der argumentativen Auseinandersetzung und delegitimiert das System, das die Meinungsfreiheit ermöglicht: der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat.

Genau das ist die wahre Absicht all derer, die sich des Opfermythos bedienen. Sie machen sich bewusst klein und hilflos, um sich einer Debatte um all das, was sie von sich geben, zu entziehen. Stattdessen prangern sie unaufhörlich an, dass man in diesem Land schon lange nicht mehr seine Meinung frei äußern könne. Damit suggerieren sie gleichzeitig, dass wir angeblich in Verhältnissen leben, die sich kaum noch unterscheiden vom Unrechtsstaat DDR. Deswegen muss dieses System beseitigt werden – wie einst 1989 die DDR. Das zu fordern, nutzte übrigens an dem Abend der Rechtsextremist Götz Kubitschek. Er spekuliert darauf, dass die Spaltung der Gesellschaft fortschreitet, um dann eines Tages ein wie auch immer geartetes autoritäres Volks-System installieren zu können(siehe meinen Blog-Beitrag http://wolff-christian.de/revolutionaere-spieler/). Ähnlich hört sich auch die Rhetorik der AfD an: „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk.“ (so Markus Frohnmeier, AfD-MdB). Klar ist: Diejenigen, die sich des Opfermythos bedienen, haben null Interesse an Emanzipation, an Beteiligungszuwachs der Bürger/innen, an eigenständigem Engagement für die Demokratie. Darum ist ihre Rhetorik getränkt mit völkischen Parolen, die aber keinen Raum mehr lassen für die Freiheit des Einzelnen. Außerdem soll mit der Übernahme der Opferrolle das Leiden des Nächsten, des Fremden ausgeklammert und entwertet werden.

Übrigens: In diesen Wochen der Passionszeit bedenken wir Christen den Leidensweg Jesu und seinen Kreuzestod. Der Opfertod Jesu hat nur einen Sinn: Durch ihn sind wir Menschen ein für alle Mal befreit von allen Formen eines Opfermythos. Weder müssen wir irgendjemandem Opfer bringen, noch uns selbst als Opfer verstehen. Vielmehr können wir uns in aller Freiheit und angstfrei der Maßstäbe Jesu bedienen und unser Leben danach ausrichten – nicht zuletzt dadurch, dass wir das Leiden des nahen und fernen Nächsten (wieder) in den Blick bekommen.

18 Antworten

  1. betreff Schwerdtfegers ewige „Wahrheits“-Polemik und Pastorenwut:
    „Die Antithese ist die enge Pforte, durch welche sich am liebsten der Irrtum zur Wahrheit schleicht.“ / Friedrich W. Nietzsche.
    Um dies zu erkennen, braucht es eben Grips.

  2. Eigentlich gibt es gar keinen „Casus Tellkamp“, denn dieser hat nichts weiter getan, als seine Meinung zu sagen – die auch noch im Zweifelsfall von vielen hierzulande geteilt wird.
    Und auch das Thema „Polemik“ ist hier nicht Vorwurf sondern eben Tatsache.
    Es ist eben doppelzüngig und „Polemik“ (als Tatsache, nicht Vorwurf), wenn man
    – ewig alle Menschen als „Geschöpfe Gottes“ bezeichnet und dann aber die Hälfte der Menschheit wieder ausnimmt;
    – behauptet, Gespräch und Begegnung könnten alle Problem in sich zusammenfallen lassen, aber dasGespräch eben nur mit Gleichgesinnten sucht;
    – die Flucht in die „Opferrolle“ bei einigen beklagt, auf die „Opferrolle“ anderer (DITIB, Zentralrat der Muslime) aber nicht eingeht.
    Wir haben also hier in der Tat, eine einige Unbedarfte ziemlich überfordernde „sehr komplexe Meinungsvielfalt“ – und diese Unbedarften verweisen uns dann zur Reduzierung der Meinungsvielfalt ausschließlich auf die ihre Meinung stützenden Medien. Aber die Medien bei uns – erinnern wir uns – sind äußerst manipulativ. Das hat sich gerade vorgestern wieder gezeigt: Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Rede bei der Ernennung des Kabinetts in starken Worten gefordert, daß man die Bereitschaft der Parteien zur Übernahme von Verantwortung anerkennen müsse, daß diese Regierung Respekt und Anerkennung verdiene. Dann fuhr er fort, die neue Regierung müsse vieles anders machen. Die Medien berichteten allesamt nur das Letztere, weil es populistischen Ansichten entspricht. Das Erstere dagegen, weil es dem Volk und den Medien Richtlinie und Korrektur sein sollte, verschwiegen uns die Medien. Das nennt man Manipulation!
    Meinungsunterschiede sind keine Polemik. Ihnen argumentativ auszuweichen und mit einseitigen Anklagen oder Verschweigungen zu begegnen, ist Polemik. Und ebenso ist Polemik, wenn man hehre Grundsätze aufstellt und sie dann nach Belieben immer nur da einsetzt, wo sie ins eigene Konzept passen. Aber man muß Grips haben, um das zu erkennen.
    Andreas Schwerdtfeger

  3. Ein weiterer Verweis zum Casus Tellkamp versus Grünbein (um der Polemik ansatzweise abzuhelfen, wie sie hier in diesem Blog-Forum permanent als Vorwurf bemüht wird…; was mir übrigens als wenig hilfreich erscheint in dieser, wie wir allesamt wissen, sehr komplexen Meinungsvielfalt), also der Tipp an Interessierte, sich die aktuelle DIE ZEIT zu beschaffen und sich des Feuilletons (Seite 47 ff) anzunehmen: Durs Grünbein stellt sich den Fragen, Herr Tellkamp verweigert sich.

  4. Lieber Herr Dr Müller,
    man kann Ihnen nur dankbar sein für Ihren Beitrag vom 13. März. Er zeigt das Problem mit Herrn Wolff klar auf. Auf Ihren ersten Beitrag hin schrieb unser Pfarrer: „Nichts geht über Begegnung, denn sie führt dazu, dass alle Vorurteile und Vorbehalte schnell in sich zusammenfallen“ – ja, wenn das so ist, lieber Herr Wolff, warum bemühen Sie sich nicht um ein Treffen mit Herrn Gauland, zB? Sie haben doch viele gute Verbindungen – nutzen Sie sie! Oder ist das alles wieder nur blinde Polemik?
    Mit herzlichem Gruß,
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Ja, da sind sie wieder, die hitzigen, aus dem Augenblick entstehenden Reaktionen, die dem jeweils anderen vorwerfen, was man selbst bei sich übersieht – eine Disziplin, in der Sie, lieber Herr Wolff, leider glänzen. Sie werfen anderen vor, sich in der Opferrolle zu gefallen – und sind doch selbst Ihrer Meinung nach ständig Opfer, wenn Sie mit gekränkten, entschuldigenden und eben opferhaften Anmerkungen reagieren wie: „ich werde doch noch meine Meinung sagen dürfen“ oder „ich habe doch nur …“ – alles hier immer wieder nachlesbar.
    Und natürlich ist „Rassismus“ ein Kampfbegriff, den Sie gerne und häufig gegen Andersdenkende einsetzen. Aber nein: Sie legen ja fest, wann der Begriff dem Kampfe dient und wann er „sachliche Feststellung“ ist. Es ist doch bemerkenswert, wie Sie immer mal wieder wenn’s ins Konzept passt, auf die Tatsache verweisen, wie sehr jeder „Geschöpf Gottes“ ist (auch hier wieder), um dann beim nächsten Mal loszulegen und bestimmte Geschöpfe Gottes niederzumachen. Wo ist denn der Unterschied zwischen Ihren Anmerkungen zu Trump, Seehofer oder Orban und den Anmerkungen Gaulands über Boateng? Es ist doch auffallend, wie Sie unkritisch und unsachlich alle Immigranten in dieses Land in Schutz nehmen und ihre „Integration“ fordern und gleichzeitig weder zur Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsimmigranten zu unterscheiden bereit sind (ein großer Anteil der Immigranten wenn auch vielleicht nicht 95 %) noch die Meinungen derer als immerhin ebenso legitim wie die Ihrige anerkennen, wenn diese Meinungen auch die Interessen der eigenen Bevölkerung stützen. Es ist doch erstaunlich, wie „Integration“ für Sie ausschließlich bedeutet, daß der deutsche Staat etwas für die Ausländer tun muß, anstatt mal zu fragen, was die Ausländer hier selbst beitragen müssen bezüglich der Einordnung in unsere grundgesetzlich festgelegte Leitkultur.
    Ihr ganzer Beitrag hier zeigt Ihre intolerante Ausgrenzung anderer Sichten in einer rassistischen und aggressiven Sprache, die nichts beiträgt zum Ausgleich, zur Diskussion, zur Überzeugung – und die Sie dann in Ihrer üblichen Vermischung von Politik und Ideologie noch schnell mit einem religiösen Weichmacher beenden, der falsche Legitimität begründen soll.
    Ich grüße Sie, mein Pfarrer!
    Andreas Schwerdtfeger

  6. es war nicht hilfreich, dass die selbstherrliche Frau Kanzlerin, die sein Buch nicht gelesen hat, dieses s offen kritisierte und als nicht hilfreich bezeichnete- als wäre die aktuelle Politk immer hilfreich! rassismus wird zum Kampfbegriff.

    1. Rassismus ist kein „Kampfbegriff“, sondern eine sachliche Feststellung. Wenn der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Gauland der ehemaligen Migrationsbeauftragten der Bundesregierung Aydan Özoguz, die deutsche Staatsangehörige ist, empfiehlt, nach Anatolien zurückzukehren, oder behauptet, niemand wolle den Fußballnationalspieler Jérôme Boateng zum Nachbarn haben, dann ist das eine rassistische Aussage – nämlich die Stigmatisierung und Herabsetzung einer Persönlichkeit aufgrund ihrer Herkunft.

        1. Wissen Sie, was reicht? Wenn Sie einem Spanier oder Afghanen, einem Atheisten oder Moslem, einem Strafgefangenen oder einem Demenzkranken begegnen und in jedem dieser Menschen ein Geschöpf Gottes erkennen. Nichts geht über Begegnung, denn sie führt dazu, dass alle Vorurteile und Vorbehalte schnell in sich zusammenfallen. Beste Grüße Christian Wolff

          1. Lieber Pastor, würden Sie mich kennen , dann wüssten Sie, dass ich jeden Menschen als von Gott geliebt und wertvoll betrachte! Ich erwarte natürlich, dass man mir eine ähnliche Ehre zuteil werden lässt! Ich war übrigens in der Flüchtlingshilfe aktiv! Ich bleibe bei uneterscgiedlciher kultureller Nähe, die eine andere Sicht auf einzelne Menschen nicht auschließt, weil es natürlich vor allem um den einzelnen Menschen gehen muss!! Ich kann als Sozialwissenschaftler nur sagen, ich würde nie erwarten, dass „unsere“ Lehre für alle Kirchenleute prägend sein muss! Ich lehne aber eine , ohne Angriff zu verstehen, kirchlich-moralische aufgeladene Debatte ab! Gott liebt jeden, würde ich auch so sehen!Dies muss aber die realpolitische Verantwortung mit einschließen!!

  7. Mit vielen, die zuvor einen Aufruf gegen die Charta 2017 (Susanne Dagen; Buchhaus Loschwitz) mit unterzeichnet hatten, erlebte auch ich im Großen Konzertsaal des Kulturpalast Dresden unter fast 1000 Anwesenden die inzwischen vielfach reflektierte Podiumsdiskussion (DNN, SZ, ZEIT-online) zwischen D. Grünbein und U. Tellkamp. Und mit vielen verließen wir den spät gewordenen Abend erschüttert, entsetzt und sprachlos über diese partiell geradezu verhörartig von Tellkamp mit dem intellektuell versierteren und vor allem ruhig und überlegt reagierenden Grünbein geführte Debatte.
    Bereits beider Statements offenbarten die dann folgende tiefe Kluft, nicht nur auf dem Podium. Leider entglitt der bekanntermaßen die Dresdner Reden klug laudatierenden und diesen hier bewerteten Literaturdiskurs zu führende Moderatorin K. Großmann (SZ) die notwendige Steuerung des hitzigen Hin und Her – eine große Schwäche dieses singulären Ereignisses, welches gerade für Dresden als die Bewerberin der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 einige und vermutlich weitreichende Bedeutung haben dürfte! Dem Kulturamt der Stadt Dresden sei hier ausdrücklich gedankt für die Vorbereitung und dann nicht ganz einfache Durchführung dieses aufwühlenden Streitgespräches.
    Kürzlich stellte ein kritischer Beobachter die immerhin vielsagende Frage, ob denn nun Tellkamp tatsächlich der Autor des „Der Turm“ sei – nach dem, was man von ihm da zu hören bekam….
    Kurz:
    Tellkamp hat sich eindeutig, sehr bewusst und ohne Not geoutet, und seine von einer häufig emotional übersteuerte, sich ganz offensichtlich von seiner gegenüber Grünbein distanzierenden Körpersprache getragene Pegida-Agitation unterstrich seine inhaltlich teils katastrophal bemühten, wütenden Politik-Exkurse (Flüchtlingsproblematik; Merkel; Islam), die einer detaillierteren faktischen Prüfung niemals Stand gehalten hätten.
    Spätestens, als G. Kubitschek (Adaios-Verlag) für seine energische, sprachlich unsäglich vorgetragene Forderung diesen Abend in Dresdens Kulturpalast nutzte, durch diese Gesellschaft müssen endlich ein Riss gehen (Spaltung der Gesellschaft!) , ja spätestens dann hätte Tellkamp die Möglichkeit gehabt, zu intervenieren – er tat es nicht. Grünbein tat es – Gott sei Dank!

  8. Dass der Suhrkamp-Verlag explizit darauf hinweist, dass die Haltung seines Autors Tellkamp „nicht mit der des Verlags zu verwechseln“ sei https://twitter.com/hashtag/tellkamp?src=hash, verwundert mich, denn es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die private Meinung eines Autors nicht mit der der Verlagsleitung übereinstimmen muss. Ein Verlag muss sich stets schützend vor seine Autoren stellen. Diese Pflicht hat Suhrkamp mit seiner Distanzierung vom Autor verletzt, und ich hoffe nur, dass Herr Tellkamp sich einen anderen Verlag sucht.

  9. 1986 erschien Andrej Tarkowskis Film „Opfer“.

    Er wurde wichtig für Menschen, auch und gerade in der DDR.
    Manche reisten an aus ganz Sachsen, dem ganzen Land.
    In Leipzigs „Casino“ wurde er gezeigt.
    In den Gruppen der kirchlichen Friedensarbeit wurde er, anders als die wöchenlichen Motettenasprachen in der Thomaskirche, diskutiert.

    Ein Eindruck der filmischen Sprache vermittelt folgender Ausschnitt, unterlegt mit einer aus der Thomaskirche stammenden Musik:

    https://www.youtube.com/watch?v=rL-0-lxv40M

    (Wer diesen Film gesehen hat, wird immer auch an diesen denken, wenn er später von ‚Opfer‘ reden hörte).

    Auch Uwe Tellkamp kennt diesen Film.

    Diese Zeit, diese Filme haben ihn geprägt. Damals als er bei seinem NVA-Wehrdienstantritt die Unfreiheit der SED-Diktatur als lebensbedrohlich erleben mußte.
    Dies zu einer Zeit, als so manchem im Westteil des Landes die DDR weiter weg erschien als die Toscana,- wie sie nach 1989 einräumten, als sie ihr berufliches Tätigkeitsfeld im Ostteil des Landes inzwischen gefunden hatten …

    Vera Lengsfeld dagegen hat diese Zeit ebenfalls hier erlebt und erinnert sich in diesen Tagen aus gegebenem Anlaß in ihrem Offenen Brief an den Suhrkamp-Verlag:

    http://vera-lengsfeld.de/tag/uwe-tellkamp/

    Darin heißt es u.a.:
    „Ja, jeder kann in diesem Land sagen, was er will. Das konnte ich in der DDR auch, in der auf kirchliche Räume begrenzten Öffentlichkeit. Ich musste dafür nur die Konsequenzen in Kauf nehmen, die in Berufsverbot, Reiseverbot, Haussuchungen, vorläufigen Festnahmen und schließlich für die Hartnäckigen in Inhaftierung bestanden.“

    Wer die Zeit damals erlebt hat, kann ihr nicht widersprechen.

    Und wenn Sie jetzt sagt,
    „Heute kommt keiner ins Gefängnis, jedenfalls noch nicht. Heute werden lediglich Büros und Wohnungen von der Antifa attackiert, Autos angezündet und Menschen gesellschaftlich geächtet. Letzteres ist ein besonders perfides, weil subtiles Mittel der Ausgrenzung und Zersetzung“, wer kann, wer will ihr da widersprechen?

    Sie kommt zu dem Fazit:
    „Uwe Tellkamps Wunsch, dass man frei und offen seine Meinung sagen kann, ohne Angst vor Repressionen haben zu müssen, hat sich als vergeblich erwiesen.“

    Ich hoffe, dieses Lengsfeld’sche Fazit kommt verfrüht, befürchte aber, daß es sich am Ende bewahrheiten wird.

    1. Vielen Dank, dass Sie mit diesem Kommentar noch einmal eindrucksvoll darstellen, was ich Opfermythos nennen. Da geht dann kunterbunt durcheinander: staatliches Handeln auf der einen Seite und Reaktionen, auch strafrechtlich relevante und daher zu verurteilende Reaktionen, auf der anderen Seite. Da wird dann so getan, als ob Straftaten (wie Autos anzünden) Handlungen im Auftrag der Regierung stattfinden. Der offene, kontroverse Diskurs ist in unserer Gesellschaft Gott sei Dank möglich. Dass dazu gehört, dass ich auch argumentativ, verbal, auch unsachlich angegriffen werde, das ist nicht zu vermeiden. Ebenso ist es in einer pluralistischen Medienlandschaft klar, dass es sehr viele Veröffentlichungen gibt, denen ich weder traue noch sie für richtig halte. Gleichzeitig habe ich die Möglichkeit, meine Meinung auch durch andere Medien mit bestimmen zu lassen. Dazu ist nur eines erforderlich: ein kritisches Bewusstsein. Es ist immer sehr merkwürdig, wenn sich diejenigen, die kräftig austeilen, darüber beschweren, dass sie Gegenwind erfahren. Die Grenze ist allerdings da überschritten, wo Kritik einhergeht mit strafrechtlich relevanten Handlungen. Christian Wolff

  10. Ich kenne Herrn Tellkamp nur über das großartige Buch „Der Turm“: Wie man sich doch täuschen kann, wenn man nur Literatur kennt und den Autor nicht in „echten Überzeugungen“ hört. Es ist schrecklich, was der Herr Tellkamp –wenn Sie richtig zitiert haben– da krauses Zeug –auch noch gg. alle Realität — von sich gibt. Da ist energischer Widerspruch Anstandssache. — Als Theologe hat mich am Ende besonders Ihr Nachtrag „Übrigens“ positiv berührt. Ja, wir sollten — von wem auch immer — alle eingebildete Opfermentalität, um sich selbst wichtig zu machen — ein für allemal beenden. Das gilt für jeden, der sich fein zum Opfer hochstilisieren will. Abrahams-Opfer (Isaak) und andere Opfer sind ein für allemal abgeschafft von Gott. Gut so.

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