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Abschiedssymphonie – eine kritische Nachlese zum Festakt „800 Jahre Dresdner Kreuzchor“

Am Freitag war der große Tag: 800 Jahre Dresdner Kreuzchor. Der feiert aber nicht allein, auch die Kreuzschule und die Kreuzkirche begehen das 800-jährige Jubiläum. Jedoch: gefeiert wird nicht gemeinsam. Denn beim Festakt in der Semperoper geht es nur um den Kreuzchor – reduziert auf drei Ziffern: 800 (http://www.mdr.de/kultur/achthundert-jahre-kreuzchor-100_zc-06488b8e_zs-c4ccce35.html). Kreuzschule und Kreuzkirche sind nicht präsent, das Kreuz und die Kirche, die Marke und der Ursprungsort scheinen vergessen. In keiner der drei Reden war auch nur ansatzweise eine Reflexion über den Namen des Chores zu hören. Was sich schon seit Wochen abzeichnete, fand in der Semperoper seine Fortsetzung: der lange Abschied von der Kirche und ihren Glaubensgrundlagen. Schon das neue Erscheinungsbild des Kreuzchores ist vom Ur-Logo der Christen bereinigt. Die Einspieler in der Oper machen das überdeutlich: ein clipartiger Bildwechsel in Großeinstellung von Kruzianern zu Konzertsälen zu Auftrittsorten in aller Welt zu sächsischer Qualitätsproduktion wie Meißner Porzellan, unterlegt mit Filmmusik der billigen Art. Ja, sogar die Kreuzkirche wurde gezeigt, aber das Kreuz auf dem Turm fällt dem Bildschnitt zum Opfer. Der VW-Phaeton aus dem ersten Imagefilm musste allerdings herausgenommen werden. Denn er wird nicht mehr produziert. Dafür steht jetzt der sächsische Wein von den Elbhängen für … ja, für was eigentlich? Amen oder Prost? Die Reden, unterbrochen von Motetten-Clips des Chores, wabern zwischen dem Beschwören der Werte, des guten Dresden, der christlichen und humanistischen Tradition und verharren dennoch im Ungefähren – so wie der Kreuzchor im ersten Teil des Festaktes hinter wallenden Satinstreifen verschleiert bleibt. Alles bewegt sich an der Oberfläche, weil niemand eintauchen will in die Historie mit all ihren Einbrüchen und Aufbrüchen. Daran ändern auch die historischen Parallelen zur Gründungszeit des Chores nichts, die der Festredner, Bundestagspräsident Norbert Lammert, bemüht aufzuzeigen versucht. Sie stehen aber beziehungslos, leblos im Raum, weil nichts angesprochen wird von dem, was den Kreuzchor hält und trägt: das Kreuz Jesu Christi. Wäre es da nicht angemessen gewesen, wenn der zweite Mann im Staat die Bedeutung des Kreuzes in einer säkularen, multireligiösen Gesellschaft reflektiert und in diesem Zusammenhang den wichtigen Satz „Wenn die Mehrheit schweigt, dröhnt die Minderheit“ ausgerufen hätte? Wären nicht gerade an diesem Ort die Motetten von Heinrich Schütz aus der „Geistlichen Chormusik“ von 1648 angemessen gewesen, diese in Musik gefasste Notration der biblischen Botschaft für die menschliche Existenz? So aber fehlen jede Begeisterung, jede freudige Festigkeit, jeder Tiefgang.

Nach dem „Dona nobis pacem“ aus Bach`s h-Moll Messe folgt dann der Choral „Nun danket alle Gott“. Kantor Kreile hatte schon in seiner Dankesrede zum Mitsingen eingeladen. Bei der 2. Strophe gehen die Kruzianer von der Bühne ins Parkett der Oper, um die Festgäste zum Mitsingen zu animieren. Doch die bleiben stumm: erstaunt-unsichere Blicke ins Nirgendwo statt offener Münder. Schon bei den letzten Tönen der dritten Strophe verlässt der Chor den Saal. Eine Abschiedssymphonie der besonderen Art. Das war’s aber noch nicht. Nun ist das Wort der Kirche dran – in Abwesenheit (!) des Jubilars. Oberlandeskirchenrat Dr. Peter Meis hätte es in der Hand gehabt, in wenigen Worten all das nachzuliefern, was geschnitten, versäumt und verschwiegen wurde. Doch es folgte nur ein pseudospirituelles Wortgeklingel über das „Aufatmen“, den Segen. Den spendet er dann auch, doch die Kruzianer erreicht das nicht. Sie sind schon unterwegs. Was für eine Karikatur dessen, worauf es eigentlich ankommt:das gesungene Wort Gottes, die Verantwortung der christlichen Gemeinde für die Stadt, der Beitrag der Kirchen zur Bildung. Dass eine Kreuz-, eine Landeskirche zulässt, dass das Jubiläum des Kreuzchores in der Semperoper in einer Dramaturgie gefeiert wird, die in jeder Sequenz aufzeigt, dass hier nichts stimmt – das ist ein mittlerer Skandal und des Jubilars wie des Jubiläums unwürdig. Man kann nur hoffen und wünschen, dass dies alles in der Festwoche von Kirche, Schule und Chor im April eine deutliche Korrektur erfährt.

Nachtrag: Vielleicht wundern sich der eine oder die andere darüber, dass dies schon der zweite kritische Beitrag zum Jubiläum des Dresdner Kreuzchores ist (der erste unter http://wolff-christian.de/ein-philosoph-der-kreuzchor-dresden-und/). Vielleicht denkt auch mancher, dass sich hinter meinen Gedanken nur eine konkurrenzbestimmte Nörgelei aus Leipzig und dem Umfeld des Thomanerchores verbirgt. Hindern kann ich niemanden an solcher Kritik. Aber die Beweggründe sind andere: Ich bin erschrocken darüber, wie weit inzwischen die Selbstsäkularisierung, die Selbstbanalisierung, die Selbstentmutigung der Kirche gediehen ist – und das an einem Ort, wo man in dem – leider trügerischen – Selbstbewusstsein lebt, lutherische Traditionen so hochzuhalten wie nirgends sonst in Deutschland. Doch in Wahrheit wird nur ein beängstigender Mangel an fundamentaler Theologie, Überzeugungskraft des Glaubens und gesellschaftspolitischer Wachheit offenbar.

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